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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.10.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 182/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56f Abs. 2 S. 1
StGB § 57 Abs. 5 S. 2
a. Der Widerruf der Strafaussetzung kann seit Inkrafttreten des 2. JuMoG am 31.12.2006 nicht nur auf eine in der Bewährungszeit begangene, sondern auch auf eine Straftat gestützt werden, die der Betroffene in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung begangen hat, wenn diese Tat von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte, im Fall ihrer Berücksichtigung aber zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte.

b. Dem Widerruf der Strafaussetzung vor rechtskräftiger Aburteilung der neuen Tat steht die Unschuldsvermutung nicht entgegen, wenn der Betroffene die Straftat glaubhaft gestanden hat. Ein richterliches Geständnis ist hierfür nicht in jedem Fall Voraussetzung. Abhängig von seinem Inhalt und der Art seines Zustandekommens kann im Einzelfall auch ein in Abwesenheit eines Verteidigers abgelegtes polizeiliches Geständnis genügen.


SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Ws 182/09

In der Strafvollstreckungssache

wegen Betruges pp.

(hier: Widerruf der Reststrafenaussetzung)

hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 29. Oktober 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Dr. Knerr nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23. und 29. September 2009 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer III des Landgerichts Saarbrücken vom 14. September 2009 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Saarbrücken hatte den Beschwerdeführer am 24. Oktober 2006 (Az.: 8 - 28/06) wegen Betruges in 18 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Völklingen vom 14. Oktober 2004 i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. April 2005 (Az.: 50 VRs 2 Js 1350/02) verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie wegen weiterer 16 Taten des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 29. Juli 2008 hatte das Landgericht Saarbrücken - Strafvollstreckungskammer III - die Vollstreckung der Reststrafen aus diesem Urteil nach Verbüßung von 2/3 mit Wirkung vom 24. August 2008 für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 14. September 2009 die durch den vorbezeichneten Beschluss gewährte Strafaussetzung widerrufen mit der Begründung, der Verurteilte sei innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig geworden. Gegen den ihm am 22. September 2009 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte durch am 29. September 2009 eingegangenes Telefax-Schreiben seines Verteidigers sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, die neuen Taten seien nicht in der Bewährungszeit begangen, ihrer Berücksichtigung stehe zudem die Unschuldsvermutung entgegen.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ist zulässig (§§ 462a, 453 Abs. 2 S. 3, 311 Abs. 2 StPO), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg, denn der Widerruf ist im Ergebnis zu Recht erfolgt.

1. Zwar wurden die zum Widerruf Anlass gebenden Taten abweichend von der Darstellung in dem angefochtenen Beschluss nicht sämtlich innerhalb der laufenden Bewährungszeit, sondern zu einem großen Teil bereits vor Beginn der Bewährungszeit begangen, als sich der Verurteilte im hiesigen Verfahren noch als Freigänger in Strafhaft befand.

Gemäß § 57 Abs. 5 S. 2 StGB in der Fassung des 2. JuMoG vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I, 3416; in Kraft seit dem 31. Dezember 2006) widerruft das Gericht die Strafaussetzung jedoch auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten (s.a. Senatsbeschluss vom 6. August 2007 - 1 Ws 124/07 - veröffentlicht NStZ-RR 2008, 91f. m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier bezüglich der in dem erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 14. August 2009 (7 Gs 604/09) aufgeführten Taten, die sämtlich nach dem Urteil des Landgerichts vom 24. Oktober 2006 begangen wurden, erfüllt.

2. Der Widerruf kann sich jedoch nur auf die Taten Ziffern 4 bis 20 des Haftbefehls stützen, denn nur bezüglich dieser Taten hat sich der Verurteilte bei seiner in Anwesenheit seines Verteidigers durchgeführten polizeilichen Vernehmung vom 15. September 2009 geständig eingelassen.

Der Berücksichtigung dieser Taten im Rahmen des Widerrufs steht die Unschuldsvermutung (Art: 6 Abs. II EMRK) nicht entgegen.

a) Zwar ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 3. Oktober 2002 Nr. 37568/97 (veröffentlicht u.a. NStZ 2004, 159) grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straftaten vor deren rechtskräftiger Aburteilung die Unschuldsvermutung verletzt und nur noch in Ausnahmefällen zulässig ist. Danach verstößt es gegen die Unschuldsvermutung, die Überzeugung vom Vorliegen einer neuen Straftat auf die Vernehmung von Zeugen durch das Widerrufsgericht zu stützen und die Feststellung der neuen Tat somit nicht dem zuständigen erkennenden Gericht vorzubehalten. Der EGMR hat jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass der von ihm entschiedene Fall keine Entsprechung zu früher entschiedenen Fällen aufweist, in denen der Widerruf der Strafaussetzung auf das Schuldeingeständnis des Betroffenen zurückzuführen war und unbeanstandet geblieben ist (a.a.O. Anm. 65).

Dementsprechend wird die Unschuldsvermutung in der vom Senat geteilten obergerichtlichen Rechtsprechung dann nicht als verletzt angesehen, wenn der Bewährungswiderruf auf ein glaubhaftes Geständnis des Betroffenen, namentlich ein solches vor einem Richter gestützt wird (vgl. OLG Braunschweig StV 2007, 257; Dresden StV 2008, 313; Düsseldorf NStZ 2004, 269; Jena StV 2003, 575; Hamburg NStZ-RR 2007, 198; Hamm StV 2004, 83 sowie Beschluss vom 19. Februar 2009 - 3 Ws 44/09 - zit. nach juris; OLG Köln NStZ 2004, 685; StV 2009, 151; Nürnberg NJW 2004, 2032; Stuttgart NJW 2005, 83; Zweibrücken NStZ-RR 2005, 8; Senatsbeschluss vom 8. Februar 2008 - 1 Ws 26/08 -; s.a. Fischer, StGB, 52. A., § 56f Rn. 7). Entsprechende (fach-)gerichtliche Entscheidungen haben sowohl der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts (NStZ 1991, 30; NStZ 2005, 204) wie der des EGMR (StV 1992, 282; StV 2003, 82) standgehalten.

Der vorliegende Sachverhalt gebietet keine abweichende Beurteilung.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 9. Dezember 2004 (NJW 2005, 817) in Kenntnis der Entscheidung des EGMR vom 3. Oktober 2002 Folgendes ausgeführt:

"Der Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat des Betroffenen ist jedenfalls auch ohne deren Aburteilung zulässig und widerstreitet nicht der Unschuldsvermutung, wenn der Betroffene ... die neue Straftat glaubhaft gestanden hat".

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Verurteilte die Anlasstat noch am Tattag gegenüber dem Ladendetektiv und anschließend in einem ihm durch die Polizei zugesandten Anhörbogen eingeräumt. Der Widerrufsbeschluss war noch vor Zustellung der Anklage in dem neuen Verfahren erlassen worden.

Vor diesem Hintergrund sieht auch der Senat keine Veranlassung, sich der Auffassung anzuschließen, dass ein Widerruf vor rechtskräftiger Aburteilung der neuen Tat ein - in Anwesenheit eines Verteidigers (OLG Schleswig, NJW 1992, 2846) abgelegtes - richterliches Geständnis erfordere (s.a. OLG Düsseldorf NJW 2004, 790; OLG Stuttgart NJW 2005, 83).

Im Einzelfall kann vielmehr auch ein polizeiliches Geständnis genügen, wenn dieses nach seinem Inhalt und der Art seines Zustandekommens geeignet ist, dem Widerrufsgericht die erforderliche Überzeugung von der Begehung der neuen Tat zu vermitteln (s.a. OLG Koblenz Beschluss vom 19. Mai 2005 - 1 Ws 213/05 -).

b) So aber liegt es hier. In dem Verfahren 2 Js 2738/08 der Staatsanwaltschaft ist am 14. August 2008 ein erweiterter Haftbefehl ergangen. Bei dessen Verkündung hat der Beschwerdeführer zwar zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, die Taten Ziff. 4 bis 20 des Haftbefehls aber nach Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung in seiner polizeilichen Vernehmung vom 15. September 2009 gestanden. Dabei hat er diese Taten nicht lediglich pauschal unter Bezugnahme auf den Haftbefehl eingeräumt, sondern ins Einzelne gehende Angaben zu den einzelnen von ihm getätigten Bestellungen von Kreditkarten und ihrer anschließenden Erlangung gemacht (Bl. 135 ff. d.A.). Die detaillierte Einlassung ist im Beisein seines Verteidigers erfolgt. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich aus prozesstaktischen Erwägungen (zu Unrecht) belastet haben könnte, sind nicht vorhanden.

Die Überzeugung des Senats von der Begehung der Taten wird durch den Hinweis in der Beschwerdebegründung darauf, dass "jederzeit die Möglichkeit bestehe, die getätigten Äußerungen zu widerrufen", nicht erschüttert, denn ein Widerruf ist tatsächlich nicht erfolgt.

Bei dieser Sachlage muss eine (rechtskräftige) Verurteilung wegen der Anlasstaten vor der Entscheidung über den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise nicht abgewartet werden. Das vor einem Strafverfolgungsorgan in Anwesenheit des Verteidigers abgelegte detaillierte und nicht widerrufene Geständnis genügt vielmehr als Grundlage für die Bestätigung der angefochtenen Widerrufsentscheidung.

3. Die Entscheidung schließlich, ob andere Mittel i.S. des § 56f Abs. 2 S. 1 StGB ausreichen, steht nicht im Ermessen des Gerichts. Die Frage ist allein danach zu beurteilen, ob bei Würdigung aller Umstände, insbesondere im Hinblick auf eine bereits eingetretene wesentliche Änderung der Lebensführung des Verurteilten andere Maßnahmen als der Widerruf genügen, um der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen, obwohl die Strafaussetzung zunächst misslungen ist und deshalb die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen. Sind diese Voraussetzungen - wie hier angesichts der bisherigen Unbeeindruckbarkeit des Verurteilten durch die Verhängung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen und seiner Rückfallgeschwindigkeit - nicht gegeben, so ist die Aussetzung zwingend zu widerrufen (vgl. Fischer, a.a.O., § 56f Rn. 14; Senatsbeschlüsse vom 2. April 2007 - 1 Ws 44/07 -, 10. Oktober 2007 - 1 Ws 192/07 - und 18. Oktober 2007 - 1 Ws 193/07 -).

Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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