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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 233/07
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 57 Abs. 1 Satz 2
StGB § 57 Abs. 2 Nr. 1
StPO § 454b Abs. 2
StPO § 454b Abs. 2 Satz 1
StPO § 454b Abs. 3
StPO § 462a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Ws 233/07

Strafvollstreckungssache

wegen Diebstahls

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 7. November 2007 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer II des Landgerichts Saarbrücken vom 24. Oktober 2007 hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 12. Februar 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Wiesen

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird die Vollstreckung des Rests der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 (1121 Ds 231 Js 206221/06) gegen den Verurteilten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten nach Verbüßung der Hälfte dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

2. Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.

3. Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

4. Er wird angewiesen,

a) nach seiner Entlassung einen festen Wohnsitz zu nehmen und diesen sowie jeden Wohnsitzwechsel dem Bewährungshelfer und der Staatsanwaltschaft München I zu dem Aktenzeichen 231 VRs 206221/06 umgehend mitzuteilen;

b) alsbald eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen oder sich bei dem für ihn zuständigen Arbeitsamt als arbeitssuchend zu melden, es sei denn er geht einer ordnungsgemäß angemeldeten selbstständigen Tätigkeit nach, sowie dem Bewährungshelfer binnen einer Frist von einem Monat ab Entlassung die ordnungsgemäße Anmeldung oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachzuweisen oder eine Bestätigung des Arbeitsamts, dass er dort als Arbeitssuchender gemeldet ist und bisher nicht vermittelt werden konnte, vorzulegen.

5. Die Belehrung über die Strafaussetzung zur Bewährung wird der Justizvollzugsanstalt übertragen (§ 454 Abs. 4 S. 2 StPO).

6. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Gegen den Verurteilten wurde durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2003 (5 - 35/03) wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde er mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 (1121 Ds 231 Js 206221/06; rechtskräftig seit demselben Tag) wegen 2 tatmehrheitlicher Fälle des Diebstahls im besonders schweren Fall in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl im besonders schweren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten verurteilt. In der zuletzt genannten Sache befand sich der Verurteilte vom Tag seiner Festnahme, dem 24. Februar 2006, bis zum Tag seiner Entlassung, dem 19. September 2006, in Untersuchungshaft. Eine Ladung zum Strafantritt erfolgte seitens der insoweit zuständigen Staatsanwaltschaft München I in der Folgezeit nicht.

Mit Beschluss vom 2. April 2007 (1 Ws 44/07) hat der Senat die durch das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2003 gewährte Strafaussetzung im Hinblick auf die dem Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 zugrunde liegenden, während laufender Bewährung begangenen Straftaten widerrufen. Die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wird seit dem 27. August 2007 in jener Sache in der Justizvollzuganstalt vollstreckt. Zwei Drittel dieser Strafe werden - unter Anrechung erlittener Untersuchungshaft sowie erbrachter Leistungen (§ 56f. Abs. 3 StGB) - am 17. März 2008 verbüßt sein. Das Strafende ist auf den 17. September 2008 notiert.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer II des Landgerichts Saarbrücken die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 nach Verbüßung der Hälfte abgelehnt, da dem Verurteilten die nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB i. V. mit § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB für eine bedingte Entlassung erforderliche ausreichend günstige Prognose nicht gestellt werden könne.

Mit Beschluss vom 7. Januar 2008 (II StVK 1038/07) hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2003 mit Wirkung vom 17. März 2008 (TE) für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt, da dem Verurteilten in der Erwartung der Erfüllung der in dem Beschluss für die Dauer der Bewährungszeit getroffenen Anordnungen eine günstige Prognose gestellt werden könne. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (1 Ws 25/08) als unzulässig verworfen.

Mit seiner gegen den angefochtenen Beschluss gerichteten sofortigen Beschwerde macht der Verurteilte geltend, das Landgericht habe die Frage einer bedingten Entlassung noch nicht prüfen und entscheiden dürfen. Vielmehr werde es hinsichtlich beider gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafen zum gemeinsamen Zeitpunkt über die Strafaussetzung zur Bewährung zu entscheiden haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen.

II.

Die gemäß §§ 454 Abs. 3, 462a Abs. 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rests der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten zur Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB i. V. mit § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3, Satz 2 StGB) liegen vor.

1. Der Verurteilte hat unter Anrechnung der in der Zeit vom 24. Februar 2006 bis zum 19. September 2006 erlittenen Untersuchungshaft (§ 57 Abs. 4 StGB) mehr als sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe verbüßt. Dass sich der Verurteilte derzeit in anderer Sache in Strafhaft befindet, steht der Entscheidung über die bedingte Entlassung in der vorliegenden Sache nicht entgegen (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 57 Rn. 8; OLG Düsseldorf StV 1994, 194). Er ist, da die anzurechnende Untersuchungshaft nicht als Verbüßung i. S. von § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB gilt (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 24), Erstverbüßer. Der Umstand, dass der Verurteilte seit dem 27. August 2007 die mit Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2003 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt, ändert hieran nichts. Denn selbst im Falle der Vollstreckung mehrerer Strafen im Wege der Anschlussvollstreckung kommt es nach zutreffender herrschender Meinung für die Frage der Erstverbüßung darauf an, ob sich der Verurteilte insgesamt erstmals im Vollzug von Freiheitsstrafe befindet (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 25). Dass eine Anschlussvollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vorliegend nicht vorgesehen ist, gebietet keine abweichende Beurteilung, da mögliche Versäumnisse der Vollstreckungsbehörde bei grundsätzlich möglicher Anschlussvollstreckung dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereichen dürfen (vgl. BVerfG NStZ 1988, 474, 475). Die verhängte Freiheitsstrafe übersteigt nicht zwei Jahre, wobei sich die Zweijahresgrenze selbst bei Anschlussvollstreckungen nach zutreffender herrschender Meinung jeweils auf die einzelnen zur Hälfte auszusetzenden Strafen bezieht (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 26).

2. Die für eine bedingte Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt erforderliche günstige Sozialprognose ist aus den in dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer II vom 7. Januar 2008 (II StVK 1038/07) genannten Gründen - insbesondere des beanstandungsfreien, durch mehrfache Lockerungen erprobten Vollzugs sowie der vorhandenen tragfähigen Beziehung des Verurteilten zu seinen Angehörigen - gegeben. Da andere Strafzwecke nicht den weiteren Vollzug der hier in Rede stehenden Strafe erfordern, übt der Senat das ihm insoweit eingeräumte Ermessen dahin aus, dass dem Verurteilten die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt gewährt wird. Die für die bedingte Entlassung erforderliche Einwilligung des Verurteilten sieht der Senat darin, dass der Verurteilte nicht nur dem von der Strafvollstreckungskammer in der vorliegenden Sache anberaumten Anhörungstermin vom 24. Oktober 2007 freiwillig Folge geleistet hat, sondern er sich darüber hinaus auch in dem anderen Strafvollstreckungsverfahren (41 VRs 5 Js 107/03 StA Saarbrücken = II StVK 1038/07 LG Saarbrücken) ausdrücklich mit einer bedingten Entlassung einverstanden erklärt hat. Davon, dass ihm die Maßnahme aufgezwungen wird (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 19), kann daher ebenso wenig die Rede sein wie davon, dass die Einwilligung im Beschwerdeverfahren zurückgenommen worden ist (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 19a).

3. Entgegen der Auffassung des Verteidigers des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafreste in beiden Verfahren isoliert entschieden. Denn die Voraussetzungen für eine gleichzeitige Entscheidung nach § 454b Abs. 3 StPO liegen nicht vor. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

a) Nach § 454b Abs. 3 StPO trifft das Gericht, wenn die Vollstreckungsbehörde bei mehreren nacheinander zu vollstreckenden Freiheitsstrafen die Vollstreckung der zunächst vollstreckten Freiheitsstrafe nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochen hat, die Entscheidungen nach § 57 StGB erst, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen gleichzeitig entschieden werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier deshalb nicht vor, weil die Vollstreckung keiner der beiden von dem Verurteilten zu verbüßenden Strafen nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochen worden ist. Die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2003 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe dauert an. Die Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ist ebenfalls nicht unterbrochen worden. Vielmehr ist der Verurteilte - wie sich aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt München vom 28. Februar 2007 und den Vermerken der Staatsanwaltschaft München I vom 12. Oktober 2006 sowie vom 5. März 2007 (Bl. 1, 17 und 19 des Gesuchshefts der Staatsanwaltschaft München I in der Sache 231 Js 206221/06) ergibt - im Termin vom 19. September 2006 vor dem Amtsgericht München aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem der Untersuchungshaftbefehl aufgehoben worden war. In der Folgezeit ist der Verurteilte weder zum Strafantritt geladen worden noch ist eine Anschlussvollstreckung vorgesehen.

b) Bei dieser Sachlage kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 454b Abs. 3 StPO nicht in Betracht. Zwar findet § 454b Abs. 3 StPO nach umstrittener Auffassung entsprechende Anwendung, wenn eine Unterbrechung der Vollstreckung nach § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO nicht stattgefunden hat, sondern nach der derzeit vollstreckten Freiheitsstrafe weitere Strafreste nach Widerruf der hierfür früher gewährten Aussetzung zur Bewährung zur Vollstreckung anstehen (vgl. OLG Düsseldorf StV 1993, 257, 258; OLG Rostock StV 1994, 194; a. A.: Meyer-Goßner, a. a. O., § 454b Rn. 11). Ob dieser Auffassung zu folgen ist, bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung, da deren Voraussetzungen hier nicht vorliegen. Eine Anschlussvollstreckung ist hinsichtlich des Rests der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. September 2006 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gerade nicht vorgesehen. In diesem Fall verbleibt es bei isolierten Entscheidungen über die Aussetzung der Strafreste.

Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zum Halbstrafenzeitpunkt zur Bewährung unter Bestimmung der Dauer der Bewährungszeit mit entsprechenden Weisungen anzuordnen (§ 57 Abs. 3 Satz 1 StGB i. V. mit §§ 56a, 56c, 56d StGB). Die grundsätzlich erforderliche Angabe des konkreten Zeitpunkts, zu dem die Aussetzung wirksam wird, kann hier nicht erfolgen, da sich der Verurteilte in der vorliegenden Sache nicht in Strafhaft befindet (vgl. Fischer, a. a. O., § 57 Rn. 31; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 57 Rn. 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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