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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 33/07
Rechtsgebiete: GVG
Vorschriften:
GVG § 178 Abs. 1 Satz 1 |
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS
Strafsache
wegen Verdachts des Mordes
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 21. Februar 2007 gegen den Ordnungshaftbeschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 20. Februar 2007
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 28. Februar 2007 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Wiesen
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
1. Der angefochtene Ordnungshaftbeschluss wird aufgehoben.
2. Die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Gründe:
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte die 14. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken im Hauptverhandlungstermin vom 20. Februar 2007 gegen den Angeklagten eine Ordnungshaft von 3 Tagen, nachdem dieser beim Eintreten des Gerichts nach vorangegangener Sitzungsunterbrechung sitzen geblieben war und sich auch auf Aufforderung des Vorsitzenden nicht erhoben hatte. In dem Sitzungsprotokoll vom 20. Februar 2007, nach dessen Inhalt die - fortgesetzte - Hauptverhandlung um 9.10 Uhr begann und im Verlauf des Tages mehrmals unterbrochen wurde, sind das zu dem Ordnungshaftbeschluss Veranlassung gebende Verhalten des Angeklagten folgendermaßen aufgenommen:
Die Hauptverhandlung wurde um 16.45 Uhr unterbrochen und um 18.05 Uhr wieder fortgesetzt.
Der Angeklagte O. ist bei Erscheinen des Gerichts sitzen geblieben und hat sich auch nach Aufforderung durch den Vorsitzenden nicht erhoben.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragt die Verhängung von 3 Tagen Ordnungshaft gegen den Angeklagten O..
Der Angeklagte O. sowie alle übrigen Beteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Hauptverhandlung wurde um 18.15 Uhr unterbrochen und um 18.20 Uhr wieder fortgesetzt. b. u. v.
Gegen den Angeklagten O. werden 3 Tage Ordnungshaft verhängt, weil er trotz Aufforderung des Vorsitzenden sitzen geblieben ist bei Erscheinen des Gerichts und weil er damit das Gericht herausforderte bzw. verletzen wollte.
Der Verteidiger des Angeklagten hat mit einem am 21. Februar 2007 beim Landgericht Saarbrücken eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag gegen den Ordnungshaftbeschluss vom 20. Februar 2007 sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den nach § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG ergangenen Ordnungsgeldbeschluss ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden; sie ist daher zulässig (§§ 181 Abs. 1 GVG, 306 Abs. 1 StPO). Über sie entscheidet das Oberlandesgericht (§ 181 Abs. 3 GVG).
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der protokollierte Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme einer "Ungebühr" i.S.d. § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG.
1. "Ungebühr" im Sinne der Vorschrift setzt einen erheblichen Angriff auf die Ordnung der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts voraus. Ein Verhalten, das lediglich prozessualen Vorschriften zuwiderläuft, genügt demnach ebenso wenig wie etwa eine - möglicherweise sogar heftige - Reaktion des Angeklagten auf eine Zeugenaussage, wenn sie sich als nichts anderes als die Betonung der eigenen Sachdarstellung erweist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 178 GVG Rn. 2, 3a; OLG Stuttgart NStZ 1991, 297; OLG Koblenz MDR 1980, 76; OLG Zweibrücken VRS 77, 447; Senatsbeschlüsse 1 Ws 22/05 vom 11. Februar 2005; 1 Ws 31/05 vom 22. Februar 2005, 1 Ws 31/06 vom 22. Februar 2006 und 1 Ws 85/06 vom 25. April 2006).
2. Dass der Beschwerdeführer sich in dem Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht Saarbrücken vom 20. Februar 2007 in diesem Sinne ungebührlich verhalten hat, lässt sich dem - für die rechtliche Beurteilung in der Beschwerdeinstanz allein maßgebenden (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 182 Rn. 1) - Sitzungsprotokoll vom 20. Februar 2007 nicht entnehmen.
a) Zwar ist in der Rechtsprechung und in der Literatur überwiegend anerkannt, dass das demonstrative Sitzen bleiben bei Betreten des Sitzungssaals durch das Gericht zu Beginn einer Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen oder Sachverständigen oder bei der Verkündung der Urteilsformel ein ungebührliches Verhalten darstellen kann, insbesondere wenn dies trotz mehrfacher Aufforderung des Vorsitzenden in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen (vgl. OLG Koblenz NStZ 1984, 234 f.; OLG Stuttgart NStZ 1986, 233; Meyer-Goßner, a. a. O., § 178 GVG Rn. 3; Löwe-Rosenberg/Wickern, StPO, 25. Aufl., § 178 GVG Rn. 14; KK/Diemer, StPO, 5. Aufl., § 178 GVG Rn. 3; a. A.: Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 178 Rn. 15). Diese Auffassung wird von der zutreffenden Erwägung getragen, dass die Erfüllung der den Gerichten in einem Rechtsstaat obliegenden Aufgabe, die Wahrheit zu finden und zu einer gerechten Entscheidung zu kommen, eines ordnungsgemäßen Ablaufs gerichtlicher Verhandlungen bedarf, zu dem auch die Wahrung gewisser äußerer Formen gehört. Diese können den Sinn haben, die Bedeutung bestimmter Verfahrensabschnitte für alle Anwesenden zu verdeutlichen, aber auch darauf gerichtet sein, die gebotene offene und unbefangene Verhandlungsatmosphäre zu sichern. Deswegen zählt auch die in Nr. 124 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) dargestellte Übung, dass sich beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen und bei der Verkündung der Urteilsformel sämtliche Anwesenden - mithin auch die Richter - von ihren Plätzen erheben, zum ordnungsgemäßen Verfahrensablauf, dessen Nichtbeachtung in der Regel eine Ungebühr darstellt (vgl. Löwe-Rosenberg/Wickern, a. a. O., § 178 GVG Rn. 3 f.; OLG Stuttgart NStZ 1986, 233).
b) Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Angeklagte ist nicht bei Sitzungsbeginn sitzen geblieben, sondern beim Eintreten des Gerichts in den Sitzungssaal nach einer vorangegangenen Sitzungspause. Das bloße Sitzen bleiben beim Eintreten des Gerichts nach vorangegangener Sitzungspause stellt für sich allein keine Ungebühr i. S. des § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, und zwar selbst dann nicht, wenn es üblich wäre, dass sich die im Sitzungssaal Anwesenden auch in diesem Fall von ihren Plätzen erheben. Ungebührlich wird ein solches Verhalten auch nicht dadurch, dass der Vorsitzende den Sitzen Bleibenden auffordert, sich von seinem Platz zu erheben. Denn hierzu ist der Betreffende nicht verpflichtet. Anders als der Beginn einer Sitzung stellt deren Fortsetzung nach einer Pause keinen besonderen Verfahrensabschnitt dar, der einer Verdeutlichung durch die äußere Form des Aufstehens der im Sitzungssaal Anwesenden bedarf. Davon geht auch Nr. 124 Abs. 2 Satz 2 RiStBV, die nicht vorsieht, dass sich die Anwesenden auch nach einer Sitzungspause bei Eintritt des Gerichts von ihren Plätzen erheben, aus.
c) Allerdings kann im Einzelfall in dem Sitzen bleiben eines im Gerichtssaal Anwesenden bei Eintritt des Gerichts nach einer Sitzungspause ein ungebührliches Verhalten liegen, wenn zu ihm weitere objektive Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, dass dies in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen. Solche weiteren - über das bloße Sitzen bleiben hinausgehenden - objektiven Umstände müssen aber konkret festgestellt sein. Daran fehlt es hier. Die Begründung in dem angefochtenen Beschluss, der Angeklagte habe das Gericht durch sein Sitzen bleiben bei Erscheinen des Gerichts trotz Aufforderung des Vorsitzenden herausgefordert bzw. verletzen wollen, wird nicht durch entsprechende tatsächliche Feststellungen getragen. Unter Zugrundelegung des protokollierten Verhaltens des Angeklagten ist vielmehr davon auszugehen, dass dieses sich in dem bloßen Sitzen bleiben bei Eintritt der Strafkammer in den Sitzungssaal erschöpfte, was für die Annahme eines ungebührlichen Verhaltens nicht ausreicht.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Denn das Verfahren nach § 181 GVG ist in § 1 Nr. 1 GKG nicht aufgeführt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 181 GVG Rn. 7 m.w.N.). Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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