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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.07.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 84/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454 Abs. 2
StPO § 462a Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Ws 84/07

Strafvollstreckungssache

wegen Vergewaltigung

(hier: Ablehnung der bedingten Entlassung)

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 17. April 2007 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer III des Landgerichts Saarbrücken vom 5. April 2007 hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 6. Juli 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Wiesen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

1. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird die bedingte vorzeitige Entlassung des Verurteilten am 9. Juli 2007 angeordnet.

2. Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.

3. Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

4. Er wird angewiesen, nach seiner Entlassung einen festen Wohnsitz zu nehmen und diesen sowie jeden Wohnsitzwechsel dem Bewährungshelfer und der Staatsanwaltschaft Saarbrücken zu dem Aktenzeichen 48 VRs 14 Js 82/99 mitzuteilen.

5. Die Belehrung über die Strafaussetzung zur Bewährung wird der Justizvollzugsanstalt übertragen (§ 454 Abs. 4 S. 2 StPO).

6. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Der Verurteilte hatte am 8. Oktober 2006 zwei Drittel der durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. Januar 2003 gegen ihn wegen Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verbüßt. Das Strafende ist auf den 8. April 2008 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die von dem Verurteilten beantragte bedingte Entlassung erneut abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die gemäß §§ 454 Abs. 2, 462a Abs. 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde, die in der Sache Erfolg hat.

Es kann nunmehr nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Strafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen.

Nach der Neufassung des § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, 160) kommt die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln einer Freiheitsstrafe, insbesondere eines wegen eines Sexualdeliktes verurteilten Täters nur dann in Betracht, wenn dies "unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann". Die Zielsetzung der Neufassung des genannten Gesetzes war es, die Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten zu erreichen (vgl. Bundestagsdrucksache 163/97 - Begründung des Gesetzesentwurfes, A. Zielsetzung).

Nach ständiger vom Senat geteilter obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 12; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 172; Senatsbeschlüsse vom 17. August 1998 - 1 Ws 155/98 - veröff. NJW 1999, 438; 9. Mai 2000 - 1 Ws 75/00 - ; 4. März 2004 - 1 Ws 38/04 - erfordert die Entscheidung über die bedingte Entlassung jetzt eine Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Rechtsbrechers und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit (d.h. den potentiellen Opfern), wobei in der Neufassung des § 57 Abs. 1, 2 StGB ausdrücklich aufgeführt wird, dass dabei das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes und das Verhalten des Verurteilten im Vollzug zu berücksichtigen sind. Zudem sind wie nach dem bisherigen Recht (§ 57 Abs. 1 S. 1 StGB) auch die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung zu erwarten sind, zu würdigen. Durch die in der Neufassung des Gesetzes erfolgte Hervorhebung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit und des Gewichtes des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes sowie durch die Ersetzung der Erprobungs- durch die Verantwortungsklausel in § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB soll klargestellt werden, dass nunmehr bei der Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit letzterem und dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes eine besondere Bedeutung zukommt und danach zu bestimmen ist, welches Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB zu verlangen ist (Bundestagsdrucksache 163/97 - Begründung des Gesetzentwurfes, II zu Art. 1 Nr. 2 <§ 57 Abs. 1 StGB>). Dabei ist die von dem Senat verwendete Formel, bei Zweifeln komme dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Vorrang vor dem Resozialisierungsinteresse zu (kritisch hierzu Tröndle-Fischer, StGB, 54. A., § 57 Rn. 13; s.a. Schneider, JZ 1998, 436 ff. <439>; Schöch, NJW 1998, 1257 ff.), nicht dahin zu verstehen, dass die Aussetzung eine zweifelsfreie Sicherheit voraussetzt.

Bei der somit gebotenen prognostischen Wertung, d.h. der Prüfung aller relevanten Umstände ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass jedenfalls deutlich mehr dafür spricht, dass der Verurteilte künftig keine vergleichbar schweren Straftaten mehr begehen wird. Dabei wird einerseits nicht übersehen, dass das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit bei der vom Verurteilen begangenen Tag der Vergewaltigung hoch zu veranschlagen ist, andererseits es aber die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung es mit einschließt, dass ein vertretbares, bei einer Prognoseentscheidung nie ausschließbares Restrisiko eingegangen wird (vgl. BVerfG NJW 1998, 2202; ).

Der zur Tatzeit am 21. Juli 1999 47 Jahre alte Verurteilte, der bis dahin strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, ist Erstverbüßer. Bei Erstverbüßern ist entsprechend der Wertung des Gesetzgebers (vgl. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB) - jedenfalls dann, wenn sich aus dem Vollzugsverhalten nichts Gegenteiliges ergibt - in der Regel davon auszugehen, dass sich der Freiheitsentzug günstig auswirkt. Das gilt vorliegend um so mehr, als die Sachverständige Dr. R.- J. in ihrem vom Senat eingeholten Gutachten vom 8. Juni 2007 bei dem Verurteilten keinerlei psychische Defekte festgestellt hat, die eine verhaltensdeterminierende Wirkung des erlittenen Strafvollzugs ausschlössen. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten ist beanstandungsfrei. Seit dem 25. November 2005 regelmäßig gewährte Urlaube und sonstige Lockerungen nutzt der Verurteilte zum Zusammensein mit seiner Familie. Er ist seit nunmehr 1 1/2 Jahren im offenen Vollzug untergebracht und arbeitet seitdem mit nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 8. Februar 2007 hervorzuhebenden Leistungen auf der Anstalts-Kammer. Sämtliche Lockerungen sind - wie der Leiter der Justizvollzugsanstalt auf telefonische Rückfrage heute erneut bestätigt hat - beanstandungsfrei verlaufen. Der Verurteilte unterhält weiterhin enge Kontakte zur Familie, in die er nach seiner Entlassung zurückkehren will.

Prognostische Bedenken hat die Strafvollstreckungskammer daraus hergeleitet, dass der Verurteilte bislang jede nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen und dessen Aufarbeitung vermissen lasse.

Damit wird dem Verurteilten in bedenklicher Weise zum Vorwurf gemacht, dass er die Tat bislang stets geleugnet hat. Eine Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte einer Tat, deren Verlauf und dem Maß an verwirklichter Schuld kann aber schlechterdings nur von demjenigen verlangt werden, der innerlich zu seiner Tat steht. Das Leugnen der Tat gibt hierüber nur unzureichend Auskunft. Da es vielfältige Gründe für den Verurteilten geben kann, die Tat zu bestreiten (Scham, Angst vor Ansehensverlust, sozialer Ausgrenzung oder Bruch in der Familie), kann das Bestreiten der Tat dem Verurteilten nur dann zum Nachteil gereichen, wenn das Leugnen Rückschlüsse auf charakterliche Besonderheiten des Verurteilten zulässt (z.B. Mangel an Realitätseinschätzung, Auffälligkeiten im Vollzug), die ihrerseits Zweifel an seiner Verhaltensänderung in der Zukunft aufkommen lassen.

Solche Besonderheiten hat die Sachverständige Dr. R.- J. nicht festgestellt. Das Leugnen der Tat ist nach ihren nachvollziehbaren Ausführungen im Falle des Verurteilten nicht Ausdruck manipulativer Tendenzen im Umgang mit der Realität und damit eines bestehenden Persönlichkeitsdefizits; es muss vielmehr vor dem Hintergrund der familiären Situation des Verurteilten gesehen werden. Bei dem Verurteilten handelt es sich nach ihrer Schilderung nicht um den forensisch-psychiatrischen Typ des "Notzüchters" sondern im Gegenteil um einen der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Wertmaßstäben grundsätzlich verhafteten Menschen, dessen Ehefrau und zwei erwachsene Söhne zu ihrem - aus ihrer Sicht unschuldigen - Ehemann bzw. Vater halten. Im Zusammenhang mit dieser familiären Situation hat die Sachverständige bei dem Verurteilten einen erheblichen Leidensdruck und Schamgefühle festgestellt. Er schilderte ihr, dass ihm seine Ehefrau geraten habe, für seine Unschuld zu kämpfen und ihm sozusagen abgeraten habe, im Rahmen der Hauptverhandlung mit der Aussicht auf eine Bewährungsstrafe ein Geständnis abzulegen.

Zusammenfassend hat die Sachverständige Dr. R.- J. dem Verurteilten eine vorsichtig günstige Prognose attestiert.

Diesen in jeder Hinsicht nachvollziehbaren prognostischen Erwägungen der Sachverständigen schließt sich der Senat an:

In Ansehung des den Verurteilten als Erstverbüßer nachhaltig beeindruckenden Vollzuges der mehrjährigen Freiheitsstrafe, seiner langdauernden beanstandungsfreien Erprobung in Lockerungen und des stabilen sozialen Empfangsraums kann die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes 9 Monate vor dem notierten Strafende auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden.

Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und die bedingte Entlassung des Verurteilten mit entsprechenden Auflagen und Weisungen anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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