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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.05.2004
Aktenzeichen: 4 U 1/01 (Entsch.)
Rechtsgebiete: BEG, ZPO, BGB, BVG, 2. DV zum BEG


Vorschriften:

BEG § 1
BEG § 1 Abs. 1
BEG § 2
BEG § 3
BEG § 31 Abs. 6
BEG § 33
BEG § 34
BEG § 35
BEG § 35 Abs. 1
BEG § 35 Abs. 2
BEG § 191 Abs. 2
BEG § 206
BEG § 206 Abs. 1
BEG § 206 Abs. 2
BEG § 209 Abs. 1
BEG § 210 Abs. 1
BEG § 210 Abs. 2
BEG § 218 Abs. 2 Satz 2
BEG § 225 Abs. 1
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 287
ZPO § 308
BGB § 779 Abs. 1
BVG § 30
2. DV zum BEG § 21 Abs. 1
2. DV zum BEG § 21a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 1/01 (Entsch.)

verkündet am 18.05.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Entschädigung

hat der 4. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Gaillard und die Richter am Oberlandesgericht Brach und Dr. Knerr

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.03.2001 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (9 O 154/97) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

"1. Die Bescheide des vom 24.01.1997 (Az.: DI/2 - BEG -) und vom 27.01.1997 (Az.: DI/2 - BEG -) werden aufgehoben.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 01.01.1988 bis zum 31.05.2004 einen Betrag von 41.603,23 € zu zahlen.

3. Die dem Kläger ab dem 01.06.2004 zustehende Versorgungsrente wegen Schadens an Körper und Gesundheit wird auf monatlich 999,-- € festgesetzt. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.06.2004 monatlich im Voraus 999,-- € zu zahlen."

II.

Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

III.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der am 09.12.1921 geborene Kläger ist rentenberechtigt nach dem Bundesentschädigungsgesetz.

Am 21.05.1964 schlossen er und das beklagte Land einen Vergleich (Bl. 42 der Hauptakte des - Reg. Nr.), in dem es unter anderem heißt:

"1. Das Landesentschädigungsamt des S. erkennt bei dem Antragsteller spondylotische Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit mäßiger Bewegungseinschränkung im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung als Verfolgungsleiden mit einer verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % ab 1.2.1941 an.

...

4. Ab dem 1.6.1964 besteht Anspruch auf eine monatlich vorauszahlbare Rente.

...

9. Durch diesen Vergleich sind alle Ansprüche des Antragstellers wegen Schadens an Körper und Gesundheit abgegolten."

Unter dem 31.10.1995 (Bl. 191 der Rentenakte des -) stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag mit anschließendem Antrag vom 02.04.1996 auf Anerkennung eines psychischen Spätschadens (Bl. 206 der Rentenakte). Das beklagte Land lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 24.1.1997 (Bl. 262 der Rentenakte) und 27.01.1997 (Bl. 267 der Rentenakte) ab. Zur Begründung des Bescheids vom 24.01.1997 ist ausgeführt, die neu errechnete Rente weiche von der festgesetzten Rente nicht um mindestens 30 % ab, so dass veränderte Verhältnisse im Sinne des § 35 Abs. 2 BEG nicht gegeben seien. Zur Begründung des Bescheids vom 27.1.1997 ist ausgeführt, durch den Vergleich vom 21.05.1964 seien alle Ansprüche des Klägers abgegolten, so dass ein verfolgungsbedingter (psychischer) Spätschaden nicht anerkannt werden könne.

Gegen die Ablehnungsbescheide hat der Kläger unter dem 21.4.1997 Klage erhoben.

Er hat behauptet, er habe in Deutschland drei Jahre lang die ersten antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen und Ausgrenzungen erleben müssen und sei danach - unstreitig - mit seinem Vater zunächst nach Frankreich und dann nach Israel ausgewandert. Auf Grund dieser Vorgänge leide er unter einer Entwurzelungsneurose, die sich erst im Pensionsalter durch das Wegfallen der durch die Arbeitstätigkeit aufrechterhaltenen Verdrängungsmechanismen manifestiert habe. Seine seelischen Störungen hätten etwas vor seiner Pensionierung angefangen, als er nicht mehr voll gearbeitet habe und sich intrusive Gedanken an seine Kindheit, die turbulenten Jahre der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und die darauf folgende Flucht ins Ungewisse eingestellt hätten. Er habe begonnen, Trauer zu verspüren und unter Albträumen zu leiden. Als anlässlich des Golfkrieges 1991 Scud-Raketen in seiner Umgebung eingeschlagen seien und wieder eine massive Bedrohung jüdischen Lebens eingetreten sei, hätten sich seine traumatischen Erfahrungen mit intensiverer Stärke reaktiviert.

Der Kläger hat weiter behauptet, bei dem durch Vergleich anerkannten Leiden sei eine Verschlimmerung eingetreten, die das beklagte Land ungeachtet des Gutachtens des orthopädischen Vertrauensarztes, Dr. F., der eine verfolgungsbedingte MdE von 40% ab 1991 vorgeschlagen habe, mit einer verfolgungsbedingten MdE von 35% unzureichend berücksichtigt habe (Bl. 3 d. A.). Er hat die Auffassung vertreten, mit dem Vergleich vom 21.5.1964 seien nur die bis zu diesem Zeitpunkt geltend gemachten Ansprüche abgegolten worden. Weitergehende Ansprüche, insbesondere Ansprüche wegen eines damals noch nicht vorhandenen Spätschadens, seien damit nicht ausgeschlossen (Bl. 3 u. 12 d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, ihm sowohl wegen psychischen Spätschadens als auch wegen Leidensverschlimmerung weitergehende Wiedergutmachung zu gewähren, und zwar auf der Grundlage einer Gesamt-vMdE von 40% ab 1987/1988 und auf Grund des ab 1991 verschlimmerten orthopädischen Leidens und der Weiterverschlimmerung auf 40% der psychischen Symptomatik auf der Grundlage einer Gesamt-vMdE von 50% ab 1991, spätestens ab 1993.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Auffassung vertreten, mit dem Vergleich vom 21.05.1964 seien auch Ansprüche des Klägers für die Zukunft abgegolten worden (Bl. 9 d. A.). Der Kläger sei im Saargebiet keinen Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 2 BEG ausgesetzt gewesen. Das Saargebiet habe bis zum 28.02.1935 unter der Verwaltung des Völkerbundes gestanden. Vom 01.03.1935 bis zum 29.02.1936 habe die Garantieerklärung gegolten, welche die Reichsregierung am 02.06. und 03./04.12.1934 gegenüber dem Völkerbund abgegeben habe. Das Reichsministerium und das preußische Ministerium des Innern hätten eine Weisung an alle Dienststellen des Reiches und der Länder erlassen, die Garantieabkommen für verbindlich zu erklären. Etwaige Ausgrenzungen von Mitschülern nach dem 01.03.1935 bis zur Auswanderung 1936 seien keine Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 2 BEG (Bl. 116 f d. A.). Der Kläger habe im Mantelantrag vom 12.07.1955 nur den Schaden in der Ausbildung angemeldet und die Frage nach der Anmeldung anderer Einzelansprüche verneint (Bl. 9 d. A.). Nachdem der Ausbildungsschaden mit Bescheid vom 16.01.1962 anerkannt worden sei, sei das Entschädigungsverfahren mit Unanfechtbarkeit dieses Bescheids am 20.07.1962 abgeschlossen gewesen (Bl. 9 f d. A.). Obgleich das Nachschieben von Einzelansprüchen des Klägers damit ausgeschlossen gewesen sei (Bl. 9 f d. A.), seien ihm mit dem Vergleich Entschädigungsansprüche bewilligt worden (Bl. 10 d. A.). Die Gesamt-vMdE sei unter Berücksichtigung beider Leiden nach dem Grundsatz der Gesamtschau auf 40% festzusetzen, da das psychische Überlebenssyndrom als solches nach den deutschen Anhaltspunkten für die Gutachtertätigkeit bei leichteren psychischen Störungen verbunden mit einer vegetativen Symptomatik mit 0 bis 10% und bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungstätigkeit mit 20 bis 40% zu bewerten sei.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 19.3.2001 abgewiesen. Es hat ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Neufestsetzung der ihm zugebilligten Rente wegen Eintritts einer Verschlimmerung oder eines Spätschadens zu. Das beklagte Land habe den Antrag wegen einer Leidensverschlimmerung mit Bescheid vom 24.01.1997 im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Ansprüche wegen der geltend gemachten Verschlimmerung seien bereits durch den Vergleich vom 21.05.1964 abgegolten. Das ergebe eine Auslegung des abgeschlossenen Vergleichs. Durch den Vergleichsabschluss nicht ausgeschlossen seien dagegen Ansprüche des Klägers wegen psychischer Spätschäden. Da diese Schäden erst Jahrzehnte nach Abschluss des Vergleichs eingetreten seien, sei die Möglichkeit einer derartigen Beeinträchtigung von den Parteien im Jahr 1964 offensichtlich nicht in Betracht gezogen worden. Ein Spätschaden im Sinne einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse sei allerdings erst ab 01.01.1995 feststellbar. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W.. Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W., der einen psychischen Spätschaden bereits ab Januar 1988 bejaht habe, sei nicht zu folgen. Insgesamt ergebe sich damit eine vMdE von 40% ab 01.01.1988. Damit werde sowohl der bereits bestehenden Beeinträchtigung durch spondylotische Veränderungen als auch dem Spätschaden Rechnung getragen, der vergleichbar einer Neurose oder einen abnormen Persönlichkeitsentwicklung als stärker behindernde Störung zu qualifizieren sei. Die Klage könne daher keinen Erfolg haben, da die Rente des Klägers, der das 68. Lebensjahr vollendet habe, nur dann neu festzusetzen sei, wenn die aufgrund der veränderten Verhältnisse errechnete Rente jeweils um mindestens 30% von der festgesetzten Rente abweiche. Daran fehle es hier.

Das Urteil vom 19.3.2001 wurde dem Kläger am 27.3.2001 zugestellt. Der Kläger, der seinen Wohnsitz in Israel hat, hat dagegen am 29.8.2001 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 11.9.2001 begründet.

Der Kläger behauptet, seit dem Jahr 1988 habe eine Verschlimmerung stattgefunden. Dies werde durch die Ausführungen des behandelnden Arztes Dr. T. sowie durch die Bescheinigung einer Poliklinik vom August 1995 belegt, in welcher es heiße, dass in den letzten 6 bis 7 Jahren eine Verschlimmerung des seelischen und psychischen Zustandes eingesetzt habe. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass - entsprechend der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. - eine Verschlimmerung erst im Jahre 1995 eingesetzt haben solle (Bl. 155 d. A.). Der psychische Spätschaden sei daher nicht erst ab 1995 zu bewerten. Der Verschlimmerungszeitpunkt 1995 sei willkürlich gewählt und daher nicht stichhaltig bzw. nachvollziehbar (Bl. 156 d. A.).

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, in Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und unter Aufhebung der Bescheide vom 24. und 27.01.1997 (Az.: DI/2 - BEG -) dem Kläger sowohl wegen psychischen Spätschadens als auch wegen Leidensverschlimmerung weitergehende Wiedergutmachung zu gewähren, und zwar auf der Grundlage einer Gesamt-vMdE von 40 v. H. ab 1987/1988 und auf Grund des ab 1991 verschlimmerten orthopädischen Leidens und der Weiterverschlimmerung auf 40 v. H. der psychischen Symptomatik auf der Grundlage einer Gesamt-vMdE von 50 v. H. ab 1991, spätestens ab 1993.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land behauptet, der Verschlimmerungszeitpunkt im Jahr 1995 sei logisch und nachvollziehbar (Bl. 160 d. A.). Das Land ist der Auffassung, privatärztliche Bescheinigungen seien nicht zu berücksichtigen, da Grundlage der Bewilligung oder Neufestsetzung allein das Gutachten eines neutralen Sachverständigen sei (Bl. 160 d. A.).

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrages im Einzelnen sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 16.03.1998 (Bl. 24 d. A.) und vom 19.02.2001 (Bl. 135 d. A.), die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. W. vom 27.08.1999 (Bl. 62 d. A.) und vom 22.09.2000 (Bl. 109 d. A.), Dr. M. P. vom 04.03.2003 (Bl. 214 d. A.), Dr. med. D. G. vom 09.08.2003 (Bl. 221 d. A.) und Dr. W. vom 10.04.2000 (Bl. 91 d. A.), vom 06.11.2000 (Bl. 121 d. A.) und vom 27.10.2003 (Bl. 245 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 19.03.2001 (Bl. 138 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 218 Abs. 2 Satz 2 des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG -) vom 18. September 1953 (BGBl. I S. 1387) in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559), zuletzt geändert durch die Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 29. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2785, 2802), eingelegt.

Die Berufung ist auch begründet.

Die Klage ist zulässig gemäß § 210 Abs. 1 BEG. Die Klage ist gegen einen Bescheid der Entschädigungsbehörde statthaft, durch den ein Antrag des Verfolgten auf Neufestsetzung gemäß § 206 BEG zurückgewiesen wird (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. V.). Die 6-monatige Klagefrist des § 210 Abs. 2 BEG ist vorliegend eingehalten.

Ein bezifferter Klageantrag ist abweichend von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn der Kläger auf Abänderung oder Aufhebung des Bescheides klagt und ersichtlich ist, in welchem Umfang der Bescheid angegriffen wird und was mit der Klage erreicht werden soll (vgl. BGH, RzW 1957, 163 f u. 203; 1958, 145; 1959, 88 f; 1963, 470 f Nr. 34 und Nr. 35; Blessin/Ehrig/Wilden, Bundesentschädigungsgesetze, München und Berlin, 1957, § 212 BEG, Rdnr. 2; Blessin/Giessler, Bundesentschädigungsschlussgesetz, Kommentar zu der Neufassung des Bundesentschädigungsgesetzes, München und Berlin, 1967, § 210 BEG, Anm. IV. 2.; Brunn/Hebenstreit, Bundesentschädigungsgesetz, Berlin, 1965, § 210 BEG, Rdnr. 12). Der Kläger muss allerdings durch seine Klageschrift in Verbindung mit den Akten erkennen lassen, aus welchen Gründen und in welchem Umfang er den Bescheid der Entschädigungsbehörde angreift (vgl. BGH, RzW 1963, 423; Blessin/Giessler, aaO., § 210 BEG, Anm. IV. 2.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 210 BEG, Rdnr. 12). Vorliegend hat der Kläger beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, seine Rente auf der Grundlage einer verfolgungsbedingten Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit (Gesamt-vMdE) von 40 % ab 1987/1988 und von 50 % ab 1991, spätestens aber ab 1993, neu, d. h. höher, zu berechnen. Dadurch hat er dem Antragserfordernis Genüge getan (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 212 BEG, Rdnr. 2).

Die Klage ist auch begründet, denn der Kläger hat im beantragten Umfang einen Anspruch auf Neufestsetzung seiner Rente gemäß § 35 Abs. 1 und 2 BEG i. V. m. § 206 Abs. 1 und 2 BEG.

§ 206 BEG ist Verfahrensvorschrift, die durch Artikel VIII Abs. 1 Satz 3 BEG-SchlG unberührt bleibt, so dass Neufestsetzungen auch noch nach Ablauf der in Artikel VIII BEG-SchlG genannten Fristen vorgenommen werden können. Bezüglich der materiellen Voraussetzungen für die Änderung des Festsetzungsbescheides ist auf § 35 BEG abzustellen (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. I. u. § 35 BEG, Anm. I. 1.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 1).

1. Bei dem Kläger handelt es sich um einen Verfolgten i. S. d. § 1 Abs. 1 BEG. Ihm steht daher ein Entschädigungsanspruch aus § 3 BEG zu. Das beklagte Land kann nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger sei im damaligen Saargebiet bis zu seiner Auswanderung keinen Verfolgungsmaßnahmen gemäß § 2 BEG ausgesetzt gewesen. Durch den Vergleich vom 21.05.1964 wurde nämlich ebenso wie zuvor durch Bescheid des Landesentschädigungsamtes des S. vom 16.02.1962 (Bl. 32 ff (insbes. Bl. 33) der Hauptakte Reg.-Nr. des Landesamtes) anerkannt, dass der Kläger ein durch den Nationalsozialismus Verfolgter i. S. d. § 1 BEG ist. Hieran sind die Entschädigungsorgane im Verfahren der Neufestsetzung gemäß §§ 206, 35 BEG gebunden (vgl. OLG Düsseldorf, RzW 1961, 474 f).

2. Die Rente des Klägers stellt eine noch laufende wiederkehrende Leistung dar, so dass der Anwendungsbereich der §§ 35, 206 BEG grundsätzlich eröffnet ist (vgl. OLG Celle, RzW 1956, 274; OLG München, RzW 1962, 89; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. II. 1. u. § 35 BEG, Anm. II. 1.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 3).

3. Ansprüche des Klägers sind auch nicht durch den Vergleich vom 21.05.1964 ausgeschlossen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf künftige Verschlimmerungen des damals bereits bestehenden Leidens (spondylotische Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit mäßiger Bewegungseinschränkung im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung als Verfolgungsleiden mit einer verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % ab dem 01.02.1941) als auch bezüglich der vom Kläger geltend gemachten, erst später aufgetretenen psychischen Erkrankung (Spätschaden).

Im Falle eines Vergleichs ist § 206 Abs. 1 BEG über Abs. 2 der Vorschrift anwendbar. Da es vorliegend um einen Vergleich geht, in dem wiederkehrende Leistungen vereinbart worden sind, kann es dahinstehen, ob § 206 BEG nur in diesem Fall (so BGH, RzW 1965, 365 f Nr. 20; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. III.) oder auch bei sonstigen Leistungen anwendbar ist (so BGH, MDR 1979, 750; wohl auch Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 9). Eine Anpassung ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn es sich um einen Abfindungs- oder Abgeltungsvergleich handelt, d. h. wenn der Vergleich eine Regelung beinhaltet, wonach das streitige Rechtsverhältnis endgültig erledigt werden soll und der Verfolgte somit auf künftig entstehende Ansprüche oder Anspruchsteile verzichtet. In diesem Fall ist eine nachträgliche ändernde Regelung nicht zulässig (§ 206 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 BEG - vgl. BGH, RzW 1965, 365 f Nr. 20; BGH, MDR 1979, 750; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. III.). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Vergleichs zu ermitteln, wobei sowohl der Vergleichswortlaut als auch sonstige Umstände im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, MDR 1979, 750).

Eine derartige endgültige Regelung ist in dem streitgegenständlichen Vergleich vom 21.05.1964 nicht enthalten. In Ziffer 9. des Vergleichs (Bl. 42 der Hauptakte des - Reg.-Nr.) heißt es zwar: "Durch diesen Vergleich sind alle Ansprüche des Antragstellers wegen Schadens an Körper oder Gesundheit abgegolten." Dies bedeutet jedoch nur, dass die in diesem Vergleich als zum damaligen Zeitpunkt bestehend vorausgesetzten Ansprüche abgegolten sein sollten, nicht aber auch jedwede zukünftige Ansprüche auf Grund einer Verschlimmerung der verfolgungsbedingten Erkrankung oder des Auftretens weiterer verfolgungsbedingter Leiden.

Aus den sonstigen Umständen ergibt sich nämlich, dass die Parteien keine derart weitgehende Regelung treffen wollten. Dem Vergleich vom 21.05.1964 ist ein mit "Hinweise: (B)" überschriebenes Merkblatt per Heftklammer fest beigeheftet (Bl. 44 der Hauptakte des - Reg.-Nr.). Auf dessen Vorderseite unten heißt es "Neufestsetzung der Rente bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse". Sodann folgt ein Absatz, in dem unter Bezugnahme auf § 35 BEG darauf hingewiesen wird, dass auf Grund einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse, die dazu führt, dass die neu errechnete Rente um mindestens 10 % von der festgesetzten abweicht, die Entschädigungsstelle die Rente neu festzusetzen hat. Auf der Rückseite oben wird dann darauf hingewiesen, dass die Neufestsetzung vom Ersten des Monats, der dem Monat folgt, in dem die Verhältnisse sich geändert haben, erfolgt. Über die Neufestsetzung oder deren Ablehnung entscheide die Entschädigungsbehörde durch Bescheid. Der Verfolgte sei verpflichtet, sich im Februar 1967 einer Nachuntersuchung zu unterziehen. Dies kann nur dahingehend verstanden werden, dass die Berücksichtigung späterer Verschlimmerungen im Wege des § 35 BEG nicht ausgeschlossen, sondern im Wege der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Anpassungsmöglichkeit zugunsten des Klägers erfolgen sollte. Durch die Beifügung des entsprechenden Hinweisblattes wurde die entsprechende Klausel Vertragsbestandteil, zumal das Hinweisblatt nicht nur allgemein gehaltene Belehrungen enthält, sondern auch eine konkrete Verpflichtung des Klägers begründete, sich im Februar 1967 einer Nachuntersuchung zu unterziehen. Eine solche Nachuntersuchung ist aber nur dann sinnvoll, wenn diese je nach Ergebnis zu einer Änderung der bestehenden Regelung führen kann.

Darüber hinaus stellt der Umstand, dass die zukünftige Entwicklung der Erkrankung des Klägers im Jahre 1964 noch nicht abschließend beurteilt werden konnte, den nach dem Vergleich als feststehend zugrunde gelegten Sachverhalt dar, also die tatsächliche Vergleichsgrundlage i. S. d. § 779 Abs. 1 BGB. In dem zur Vorbereitung der Entscheidung der Entschädigungsbehörde eingeholten Gutachten des Reg.-Medizinalrats z. A. D. vom 12.02.1964 (Bl. 23 der B-Akte des (eingeheftet in die Hauptakte des beklagten Landes) wird nämlich im letzten Abschnitt (Rückseite) ausgeführt, dass im Moment noch nicht gesagt werden könne, ob es sich bei dem Antragsteller um Dauerschäden handle. Daher sei in jedem Fall im Februar 1967 eine Nachuntersuchung im Rahmen einer ambulanten fachärztlichen Durchuntersuchung durch einen Fachorthopäden erforderlich, der erneut Stellung nehmen möge zur Gesamt- und verfolgungsbedingten MdE. Es folge dann eine erneute abschließende amtsärztliche Stellungnahme zu der Gesamt- und verfolgungsbedingten MdE. Derartige tatsächliche Feststellungen in einem vor dem Vergleichsschluss eingeholten Gutachten sind aber für die Auslegung des Vergleichs maßgeblich, denn sie bilden dessen tatsächliche Grundlage (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 8). Dies gilt im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil genau diese vom Gutachter vorgeschlagene Nachuntersuchung zum Gegenstand des dem Vergleich beigefügten Merkblatts gemacht wurde.

Erst recht ergibt sich aus dem Gesagten, dass erst nachträglich eingetretene verfolgungsbedingte Leiden wie der streitgegenständliche psychische Spätschaden, deren Art und Umfang zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt nicht vorausgesehen werden konnten, durch den Vergleich ebenfalls nicht abgegolten werden sollten, denn insoweit war die Unsicherheit der künftigen Entwicklung, welche Bestandteil der Vergleichsgrundlage war, noch stärker als bezüglich der bereits bestehenden spondylotischen Erkrankung.

Unerheblich ist es somit, ob der Vergleich vom 21.05.1964 kulanzhalber abgeschlossen wurde, obgleich der Kläger seinen Antrag nach dem Abschluss des Entschädigungsverfahrens in unzulässiger Weise nachgeschoben hatte und daher eigentlich über den bereits anerkannten Ausbildungsschaden keinen weiteren Anspruch auf Entschädigung mehr geltend machen konnte. Dies kann deshalb dahinstehen, weil hieraus nach dem klaren und eindeutigen Inhalt des eventuell vor diesem Hintergrund geschlossenen Vergleichs nicht gefolgert werden kann, dass weitergehende Ansprüche wegen veränderter Verhältnisse in der Zukunft generell ausgeschlossen sein sollten. Dies hätte vielmehr klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht werden müssen, was durch die Regelung in Ziffer 9 des Vergleichs nicht geschehen ist. Diese kann als isolierte Vereinbarung der Abgeltung bereits bestehender Ansprüche ausgelegt werden und ist, wie oben ausgeführt, auch so auszulegen.

4. Aus den durch das Landgericht sowie den Senat eingeholten medizinischen Gutachten ergibt sich, dass gemäß § 35 Abs. 1 u. 2 BEG eine wesentliche und damit zu einer Neufestsetzung führende Änderung der der Bemessung der Rente zugrunde gelegten Verhältnisse gegeben ist.

a) Zur Feststellung des Umstandes, dass eine Änderung der Verhältnisse vorliegt, sind die zur Zeit der früheren Entscheidung bestehenden Verhältnisse mit den derzeitigen Verhältnissen zu vergleichen, wobei bei Urteilen auf die letzte mündliche Verhandlung und bei Behördenentscheidungen auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen abzustellen ist (vgl. BGH, RzW 1960, 286; RzW 1965, 356; OLG Düsseldorf, RzW 1961, 474 f; OLG München, RzW 1961, 498 (499 f); Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. II. 2. a) u. § 35 BEG, Anm. II. 2.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 6). Lediglich eine objektiv eingetretene Änderung der bei der früheren Entscheidung tatsächlich bestehenden Verhältnisse rechtfertigt hierbei eine Abänderung, nicht aber eine andere Beurteilung der gleichbleibend bestehenden Verhältnisse (vgl. BGH, RzW 1960, 286; RzW 1965, 516 (517); Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 3; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. II. 2. b); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 5 u. § 35 BEG, Rdnr. 1). Die nunmehr geänderten Verhältnisse müssen darüber hinaus für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblich gewesen sein (vgl. BGH, RzW 1965, 356; Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 5; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. II. 4.). Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sie eine Neuentscheidung notwendig macht, was von jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. BGH, RzW 1965, 450 (451); Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 4; Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. 5.).

b) Die materiellen Voraussetzungen, unter denen eine Neuentscheidung notwendig ist, bestimmt im Falle einer Rente wegen eines Gesundheitsschadens § 35 BEG (vgl. BGH, RzW 1973, 173 (174); Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 1; Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. I. 1.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 1; Zorn, in: Das Deutsche Bundesrecht, 557. Lieferung, Mai 1986, V F 50, S. 103 ff, Zu § 206 BEG, S. 185). Insbesondere ergibt sich aus der Vorschrift, wann die Änderung welcher tatsächlichen Verhältnisse wesentlich ist (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 206 BEG, Anm. 5.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 206 BEG, Rdnr. 8). Wesentlich ist regelmäßig die Änderung einer ausschließlich verfolgungsbedingt entstanden Erwerbsminderung (vMdE) (vgl. BGH, RzW 1972, 346 (347 f); RzW 1975, 234 (235 f); 1980, 158; Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 2 u. § 206 BEG, Rdnr. 3; Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 3. a) aa); Zorn, aaO., Zu § 35 BEG, S. 120 u. Zu § 206 BEG, S. 185). Soweit die ursprünglich festgestellte vMdE durch die Verfolgung lediglich verschlimmert oder durch die Verfolgung - neben anderen Ursachen - wesentlich mitverursacht wurde, ist zu prüfen, ob und inwieweit eine Verschlimmerung Schädigungsfolge ist oder ob andere, von den schädigenden Einflüssen unabhängige Umstände für die Verschlimmerung verantwortlich sind (vgl. BGH, RzW 1965, 516 (517); Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 3. a) aa)).

c) Eine Erhöhung der vMdE kommt sowohl bei der Verschlimmerung eines als verfolgungsbedingt anerkannten Leidens als auch beim Hinzutreten weiterer Leiden in Betracht (vgl. BGH, RzW 1975, 234 (235 f); 1980, 158; Zorn, aaO., Zu § 206 BEG, S. 185). Umgekehrt stellt es auch bei äußerlich unverändertem Leidenszustand eine wesentliche Änderung (Verringerung) der vMdE dar, wenn an Stelle der Verfolgungseinflüsse verfolgungsunabhängige Ursachen treten, auf Grund deren die Beschwerden fortbestehen (vgl. BGH, RzW 1962, 309 f; 1965, 425 (426); Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 3. a) bb); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 3). Bei verfolgungsbedingten psychischen Störungen sind für die Beurteilung des zeitlichen Abklingens der Verfolgungserlebnisse die Schwere und Dauer der Verfolgung sowie die wirtschaftlichen und sonstigen Auswirkungen der Verfolgung im Ausland zu berücksichtigen (vgl. BGH, RzW 1965, 425 (426); OLG Hamburg, RzW 1966, 282 f; Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 3. a) bb); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 3). Eine Verringerung der verfolgungsbedingten Erwerbsminderung bewirkt regelmäßig auch das spätere Auftreten verfolgungsunabhängiger Leiden (vgl. BGH, RzW 1961, 67 (68); 1962, 129 (130); Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 3. a) bb); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 1).

Im vorliegenden Fall sind wesentliche Veränderungen der vMdE zum einen auf Grund der Verschlimmerung des verfolgungsbedingten Wirbelsäulenleidens (aa) und zum anderen durch das Auftreten einer psychischen Erkrankung (bb) gegeben.

aa) Die Verschlimmerung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers steht dem Grunde nach in einem Zusammenhang mit der Verfolgung. Ist nämlich ein Leiden als verfolgungsbedingt anerkannt, so kann die Anerkennung einer Verschlimmerung desselben nicht mit der Begründung versagt werden, das Leiden stehe mit der Verfolgung in Wahrheit gar nicht in Zusammenhang (vgl. BGH, RzW 1976, 97 f; Zorn, aaO., Zu § 206 BEG, S. 185). Es ist lediglich noch zu prüfen, in welchem Umfang gerade auch die Verschlimmerung auf die Verfolgung zurückzuführen ist bzw. in welchem Umfang sonstige - verfolgungsunabhängige - Ursachen zu dieser beigetragen haben. Aus den vom Landgericht sowie dem Senat eingeholten ärztlichen Gutachten ergibt sich, dass seit dem Jahr 1988 bezüglich der Wirbelsäulenerkrankung eine vMdE von 25 % und eine vMdE von 40 % ab dem Jahr 1991 bestanden hat.

Anhaltspunkte dafür, dass die Ausführungen der Gutachter nicht mit den im Rahmen des § 33 BEG entsprechend anwendbaren Grundsätzen des § 30 BVG einschließlich der Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG und der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen (vgl. BGH, RzW 1957, 121; RzW 1961, 69; RzW 1964, 310 Nr. 23; RzW 1965, 363 (364); Blessin/Giessler, aaO., § 33 BEG Anm. I. 1.) vereinbar sind, hat das beklagte Land nicht konkret vorgetragen, sondern lediglich pauschal behauptet. Derartige Anhaltspunkte sind im Übrigen auch für den Senat nicht erkennbar. Die Ausführungen der Sachverständigen zeigen vielmehr, dass sie die insoweit bestehenden Grundsätze ebenso beachtet haben wie die Vorgaben im Hinweisbeschluss vom 30.07.2002 und im Beweisbeschluss vom 02.09.2002.

aaa) Der Orthopäde Dr. F. hat in seinem fachärztlichen Gutachten vom 30.06.1996 (Bl. 34 der B-Akte des Landesamtes - in Hauptakte eingeheftet = Bl. 239 der Rentenakte des Landesamtes (Band II)) und in seinem Ergänzungsgutachten vom 08.11.1996 (Bl. 38 der B-Akte = Bl. 256 der Rentenakte) festgestellt, dass sich die Beschwerden des Klägers im Rücken in den vorausgegangenen 5 Jahren verschlimmert hätten. Im Stehen fehle die Lendenlordose. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule nach vorne sei stark eingeschränkt, nach hinten und seitlich sei sie völlig steif. Die Lendenwirbelsäule sei nach beiden Seiten steif und nach vorne und hinten wesentlich eingeschränkt. Der Zustand der Wirbelsäule habe sich seit den früheren Begutachtungen stark verschlechtert. Die Zunahme der MdE erscheine teilweise altersbedingt, teilweise aber durch den Verfolgungsschaden erklärbar. Die vMdE betrage seit 5 Jahren 40 %, die Gesamt-MdE zum Untersuchungszeitpunkt 65 % (Bl. 34 u. 38 der B-Akte des Landesamtes). Das Fortschreiten der Symptome trete auf Grund der Spondylose früher auf und nehme stärkere Formen an, als wenn es sich um normale altersbedingte Veränderungen handeln würde (Bl. 38 der B-Akte des Landesamtes)

bbb) Übereinstimmend hiermit kommt der Sachverständige Dr. P. in seinem Gutachten vom 04.03.2003 (Bl. 214 d. A.) zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Verschlimmerung der bereits bestehenden Spondylosis deformans eingetreten sei, die zum Teil als verfolgungsbedingt einzustufen sei. Die vMdE betrage seit 1991 40 %. Weitere Verschlimmerungen auf Grund von Alterserscheinungen müssten bei der Berechnung der Gesamt-MdE gesondert berücksichtigt werden (Bl. 218 d. A.).

Der Sachverständige hat die vorhandenen ärztlichen Unterlagen ausgewertet und den Kläger auch persönlich untersucht (Bl. 214 d. A.). Er hat dabei festgestellt, dass der Kläger an Klopf- und Druckschmerzen sowohl im Bereich der HWS als auch der BWS und der LWS leidet und die Beweglichkeit der Wirbelsäule auf allen Ebenen eingeschränkt ist (Bl. 215 d. A.). Die Röntgenaufnahmen haben schwere Verengungen diverser Bandscheiben, Osteophytenbildung sowie eine Osteoporose ergeben (Bl. 216 d. A.).

Darüber hinaus hat der Sachverständige die Entwicklung des Klägers seit seiner Einreise in das damalige Palästina im Jahre 1936 berücksichtigt und auf anschauliche Weise zu den Untersuchungsbefunden in Beziehung gesetzt. Der Kläger musste bereits mit 15 Jahren schwere körperliche Arbeiten verrichten, nämlich Feldarbeiten, Mitarbeit beim Hausbau, Plantagenarbeiten (Aufgraben von Wassertellern um Bäume), Ausheben von Schützengräben und Transport von Kanonenmunition etc. (Bl. 214 f und 216 d. A.). Danach arbeitete er als Lastwagenfahrer, wobei er auch schwere Gegenstände heben musste (Bl. 215 d. A.). Hierdurch sind bei ihm nach den Ermittlungen des Gutachters Nacken- und Rückenschmerzen entstanden, welche sich im Laufe der Zeit verschlimmert haben (Bl. 215 u. 216 d. A.).

Ausgehend von diesen Angaben des Klägers sowie den vorliegenden Untersuchungsbefunden hat der Sachverständige eine seit 1991 bestehende vMdE von 40 % ermittelt (Bl. 216 d. A.). In der wissenschaftlichen Literatur fänden sich zwar keine präzisen Aussagen, in welchem Umfang die für die Erkrankung ursächlichen Beeinträchtigungen im zweiten Lebensjahrzehnt einerseits und die altersbedingte Entwicklung andererseits zu einer derartigen Verschlimmerung beitragen (Bl. 217 d. A.). Die Spondylosis deformans stelle eine Erkrankung dar, welche in aller Regel durch degenerative Prozesse während des Alterns hervorgerufen werde und etwa im dritten Lebensjahrzehnt beginne (Bl. 218 d. A.). Jedoch zeige die Erfahrung mit Verfolgungsopfern, dass sich die Spondylosis bei diesen früher bilde, nämlich mit etwa 20 Jahren, und auch später ungebremst verlaufe. Alterserscheinungen kämen zwar zu den Folgen der Verfolgung hinzu, ersetzten jedoch nicht die dynamische Spätentwicklung der Bandscheibenschäden und der Spondylosis deformans (Bl. 218 d. A.).

ccc) Von einer Gesamt-MdE von 50 % und einem verfolgungsbedingten Anteil von 35 % geht die beratende Ärztin Dr. Z. in ihrer Stellungnahme vom 02.02.1997 (Bl. 260 der Rentenakte des Landesamtes (Band II)) aus. Die verfolgungsunabhängige psychische Erkrankung des Klägers wirke sich nicht nachteilig auf das Verfolgungsleiden aus, so dass die vMdE 40 % betrage.

ddd) Somit aber steht nach den genannten Gutachten zur Überzeugung des Senats fest, dass die Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens mit der Verfolgung in Zusammenhang steht. Auch wenn man berücksichtigt, dass altersbedingte degenerative Ursachen ebenfalls eine gewisse Rolle bei der Verursachung des Beschwerdebildes gespielt haben mögen, wurde doch die heutige Erkrankung in ganz erheblichem Maße gerade durch die in jungen Jahren, also zu einer Zeit, in der das Skelett des Klägers noch im Wachsen begriffen war, auftretenden starken Belastungen hervorgerufen. Der Sachverständige Dr. F. geht dabei von einem Zusammenwirken beider Ursachen aus und gelangt zu einer verfolgungsbedingt erhöhten vMdE von 40 %. Als Begründung führt er an, dass das Fortschreiten der Symptomatik infolge der verfolgungsbedingten Spondylose schneller und stärker erfolge als bei rein altersbedingter Degeneration. Dies wird durch die Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. bestätigt. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Feststellungen zu zweifeln.

ccc) Dieser Überzeugung stehen auch die Stellungnahmen des von dem beklagten Land eingeschalteten Beratungsarztes (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie) Dr. W. (Krankenhaus W. nicht entgegen.

Dieser hat - auf Grund des Akteninhalts und ohne eigene Untersuchung des Klägers - in seinem schriftlichen beratungsärztlichen Gutachten vom 10.04.2000 (Bl. 91 d. A.) und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.11.2000 (Bl. 121 d. A.) die Auffassung vertreten, dass die Verschlimmerung des spondylarthoritschen Wirbelsäulenleidens ausschließlich auf einen normalen altersbedingt fortschreitenden und verfolgungsunabhängigen degenerativen Prozess zurückzuführen sei. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die schwere körperliche Arbeit nach der Flucht nach Palästina nicht die alleinige Ursache für die Ursprungserkrankung gebildet habe, sondern dass damals bereits ein degenerativer Prozess bestanden habe, der lediglich richtungsweisend durch die Verfolgung verschlimmert worden sei (Bl. 95 d. A.). Daher sei nicht von einer Veränderung des anerkannten Verfolgungsschadens auszugehen. Auf Grund der Gesamtschau müsse man sogar auf Grund der anderweitigen Erkrankungen und dem Überwiegen verfolgungsunabhängiger Störungen dem verfolgungsbedingten Leiden weniger Raum geben (Bl. 95 f d. A.). Der Sachverständige Dr. F. verkenne diesen Zusammenhang und erhöhe daher pauschal die vMdE angesichts eines ganz offensichtlich überwiegenden verfolgungsunabhängigen Verschlimmerungsprozesses (Bl. 122 d. A.).

In seinem von dem beklagten Land im Berufungsverfahren zur Akte gereichten weiteren Gutachten vom 27.10.2003 (Bl. 245 d. A.) hat der Sachverständige dargelegt, der Verfolgungsschaden habe lediglich einen abgrenzbaren Einfluss auf einen ansonsten verfolgungsunabhängigen, degenerativen Prozess und könne sich daher nicht verschlimmern. Durch Fortschreiten der degenerativen Prozesse könne allenfalls der verfolgungsbedingte Einfluss prozentual geringer werden (Bl. 246 d. A.). Daher sei die Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. P., die Verschlimmerung des spondylarthrotischen Leidens sei verfolgungsbedingt, nicht nachvollziehbar. Die Feststellungen des Sachverständigen könnten lediglich die Gesamt-MdE betreffen (Bl. 246 d. A.). Ansonsten stünden die verfolgungsunabhängigen Einflüsse ganz im Vordergrund (Bl. 246 d. A.).

Diese Auffassung des Sachverständigen Dr. W. ist jedoch zum einen nicht nachvollziehbar begründet. Es leuchtet insbesondere nicht ein, warum der Umstand, dass durch die Verfolgung eine Vorerkrankung der Wirbelsäule verstärkt wurde, dazu führen soll, dass die späteren Verschlimmerungen nicht verfolgungs-, sondern allein altersbedingt sind. Wie oben dargelegt, ist im Falle der Verschlimmerung eines Leidens, welches darauf beruht, dass eine Vorerkrankung durch die Verfolgung verstärkt wurde, gerade im Einzelfall zu prüfen, mit welchem Anteil sich hierbei die Verfolgung ausgewirkt hat. Dass der verfolgungsunabhängige Verschlimmerungsprozess ganz offensichtlich überwiege, kann im Übrigen nicht nachvollzogen werden. Auch ist auf Grund der vorliegenden Befunde weder ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Verfolgung, d. h. als der Kläger 15 Jahre alt war, bereits ein degenerativer Prozess vorhanden war, noch, dass durch spätere altersbedingte Prozesse der Anteil des verfolgungsbedingten Leidens an der Gesamterkrankung zurückgegangen ist. Die Gutachter Dr. F. und Dr. P. haben vielmehr klargestellt, dass neben den verfolgungsbedingten Ursachen zwar solche degenerativer Art hinzugetreten sind, dass sich daneben aber gleichwohl auch der durch die Verfolgung bedingte Anteil an der Gesamterkrankung erhöht hat.

Zum anderen hat Dr. W. seine beiden Stellungnahmen allein auf Grund der Aktenlage und ohne eigene Untersuchung des Klägers erstellt. Schon von daher sind seine Feststellungen nicht geeignet, die auf eigenen Untersuchungen beruhenden Erkenntnisse der übrigen Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich insoweit lediglich um hypothetische Betrachtungen, denen keinerlei selbst erhobene konkrete Anknüpfungstatsachen zugrunde liegen.

bb) Auch bezüglich des psychischen Spätschadens ist der Senat auf Grund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass dieser verfolgungsbedingt entstanden ist und ab Januar 1988 zu einer vMdE von 25 % und ab Januar 1991 zu einer solchen von 40 % geführt hat. Dies ergibt sich auch insoweit aus den vom Landgericht und dem Senat eingeholten Sachverständigengutachten:

aaa) Der vom Landgericht beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. W. hat den Kläger im Jahre 1999 untersucht und ist in seinem schriftlichen Gutachten vom 27.08.1999 (Bl. 62 d. A.) und seinem Ergänzungsgutachten vom 22.09.2000 (Bl. 109 d. A.) zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger ein verfolgungsbedingter psychischer Spätschaden besteht, welcher klinisch maßgebend Anfang 1988 aufgetreten sei. Der seelische Zustand des Klägers habe sich unmittelbar nach und auch infolge seines gesetzlich vorgeschriebenen Eintritts in den Ruhestand im Dezember 1987 verschlimmert. Der Kläger leide an einer chronisch-reaktiven Depression, welche einen klassischen verfolgungsbedingten Spätschaden darstelle. Die Diagnose habe eine erlebnisreaktive chronifizierte Verlustdepression, Verängstigung, chronisches Trauern um die "glückliche Vergangenheit vor der NS-Zeit" und eingeschränktes Dasein mit restriktiv-depressiver Charakterabwehr ergeben. Es sei typisch für Überlebende von Verfolgungsmaßnahmen, dass ihre berufliche Tätigkeit als Angestellte eine wichtige Rolle als Verarbeitungsform der verfolgungsbedingten seelischen Belastungen spiele. Die Pensionierung habe daher oft einen negativen Einfluss. Daher sei auf Grund der sozial-arbeitsanamnestischen Angaben der Anfang des Jahres 1988 als Zeitpunkt des maßgebend zum Ausdruck kommenden psychischen Spätschadens anzunehmen. Die massive seelische Traumatisierung durch den Scud-Raketenbeschuss während des Golfkrieges 1991 habe eine weitergehende zusätzliche ängstliche Verunsicherung mit Verschärfung der depressiven verfolgungsbezogenen Thematik zur Folge gehabt. Fast gleichzeitig seien somatisch und neurovegetativ mitbedingte Erkrankungen aufgetreten (Colitis ulcerosa, Verschärfung des ischämischen Herzleidens). Die durch den psychischen Spätschaden verursachte vMdE betrage daher ab Januar 1988 25 % und ab Januar 1991 40 % (Bl. 67 d. A.). Die psychische Erkrankung habe sich auch nicht ab 1988 erst allmählich entwickelt. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Kläger ausweislich der früher eingeholten Gutachten bereits ab 1954 unter erheblichen psychischen Problemen, insbesondere Angstzuständen gelitten habe, die er aber bis zum Zeitpunkt der gesetzlich festgelegten Pensionierung habe durchhalten müssen. Es handle sich daher nicht um eine plötzliche Dekompensation zum Zeitpunkt der Pensionierung, sondern um eine schließlich maßgebend klinisch-leistungsmäßig zum Ausdruck kommende, seelische Dekompensation ab 1988 (Bl. 111 d. A.).

bbb) Dieses Ergebnis wird durch das Attest der Frau Dr. H. vom 15.08.1995 gestützt, wonach die Verschlimmerung des seelischen und physischen Zustands in den letzten 6 - 7 Jahren einsetzte (Bl. 35 der B-Akte des Landesamtes - in Hauptakte eingeheftet).

ccc) Des Weiteren hat die Sachverständige Dr. G. in ihrem Gutachten vom 09.08.2003 (Bl. 221 d. A.) festgestellt, dass bei dem Kläger ein verfolgungsbedingter psychischer Spätschaden im Sinne einer erlebnisreaktiven Störung mit angstneurotischen und depressiven Symptomen bei einer sensitiven Grundpersönlichkeit mit obsessiven Zügen vorhanden sei, deren Anfang im Jahre 1988 liege (Bl. 231 d. A.). Diese sei nach seiner Pensionierung im Jahre 1987 entstanden und habe seine Funktionsfähigkeit im täglichen Leben mit 25 % beeinträchtigt. Durch die Ereignisse des ersten Golfkrieges sei es mit Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlimmerung des somatischen und psychosomatischen Zustandes gekommen, so dass zwischen den Jahren 1991 und 1993 - der genaue Zeitpunkt sei schwer zu bestimmen - eine vMdE von 40 % und seit März 2002 eine solche von 45 % bestanden habe. Die Gesamt-MdE habe seit diesem Zeitpunkt 80 % überschritten (Bl. 231 d. A.).

Die Sachverständige hat diese Feststellungen auf Grund einer Untersuchung sowie der Schilderung des Lebenswegs des Klägers gewonnen. Der Kläger sei bis zu seinem zwölften Lebensjahr in Geborgenheit und materieller Sicherheit aufgewachsen, habe christliche Freunde gehabt und keine Anfeindung in Nachbarschaft und Schule erlitten. Nach der Machtübernahme der Nazis im S. 1935 habe sich dies schlagartig geändert. Seine Freunde seien zu Feinden geworden und er sei aus der Schule ausgeschlossen worden. Hinzu sei das erzwungene Verlassen des Heimatlandes und eine totale Entwurzelung gekommen. Im neuen Land, Palästina, sei es zu Eingliederungsproblemen gekommen (Bl. 224 u. 229 d. A.). Der Kläger habe seine Bildungspläne (Abitur und Studium) nicht realisieren können und statt dessen schwere Arbeit verrichten müssen (Bl. 224 u. 229 d. A.). Die später von ihm ausgeübte Arbeit als Buchhalter sei zwar nicht befriedigend gewesen, jedoch habe sie ihm die Möglichkeit gegeben, seine Familie materiell zu versorgen, und seinem Leben einen Rahmen und eine Ablenkung von sich selbst gegeben (Bl. 224 u. 230 d. A.). Da er daneben keine Freizeitaktivitäten und mitmenschlichen Beziehungen gehabt habe, habe die erzwungene Pensionierung im Jahre 1987 für ihn einen großen Verlust bedeutet. Er habe wegen seiner obsessiven Persönlichkeit mit seiner freien Zeit nicht zurecht kommen können und über sein Leben und seine verlorene Bildung zu grübeln angefangen (Bl. 230 d. A.). Seit Anfang 1988 sei der psychische Spätschaden im Sinne der erlebnisreaktiven Störung mit angstneurotischer und depressiver Störung manifest geworden. Seine Funktionsfähigkeit im täglichen Leben und die Lebensqualität seien herabgesetzt worden. Infolge hinzukommender Stresssituationen sei stufenweise eine weitere Verschlimmerung eingetreten. Dies sei insbesondere im Januar 1991 infolge aktueller Lebensbedrohung durch die Scud-Raketen gegen die Zivilbevölkerung der Fall gewesen (Bl. 230 d. A.). Dasselbe gelte für seine Herzkrankheit mit By-Pass-Operation im Jahr 1993 und den Tod seines ihm besonders nahestehenden Bruders (Bl. 230 d. A.).

Der Kläger leide auf Grund dieser Erkrankung an Schlafstörungen, sei meistens bedrückt und versinke in Gedanken über sein Leben. Er grüble insbesondere darüber nach, wie dieses ohne die Nazis und die erzwungene Ausreise verlaufen wäre (Bl. 225 d. A.). Auf Grund aktueller Bedrohungen durch Terrorismus und Neonazismus habe er darüber hinaus Sorgen bezüglich eines eventuell drohenden neuen Holocausts (Bl. 227 d. A.). Er klage darüber hinaus über Appetitmangel, Schwäche und Nervosität (Bl. 225 d. A.).

ddd) Auch diese gutachterlichen Feststellungen begründen für den Senat die volle Überzeugung einer verfolgungsbedingten Verursachung psychischer Beschwerden, welche sich im Laufe der Zeit durch weitere Ereignisse verschlechtert hat. Insbesondere hat die Sachverständige Dr. G. anschaulich und nachvollziehbar dargelegt, dass der durch die nationalsozialistische Verfolgung entstandene Bruch im Lebensweg des Klägers zu einem starken Verlustgefühl geführt hat. Ebenfalls gut nachvollziehbar ist, dass sich der Kläger bis zu seiner Pensionierung mittels Konzentration auf seine Arbeit weitgehend davor bewahren konnte, zu grübeln und in depressive Gedanken zu geraten, dass dieser Halt jedoch durch die Pensionierung schlagartig weggefallen ist und - mangels anderweitiger Interessen, etwa im Freizeitbereich - hierdurch die von den Sachverständigen geschilderte psychische Störung entstanden ist. Schließlich ist es auch nachvollziehbar, dass der Beschuss Israels im Golfkrieg 1991 zu einer weiteren Verschlimmerung geführt hat, weil der Kläger sich erneut einer lebensbedrohlichen Situation gegenüber gesehen hat und darüber hinaus Befürchtungen bezüglich neuer weltweiter Verfolgung jüdischer Menschen entstanden sind. Gerade auf Grund dieser letztgenannten Befürchtung wird deutlich, dass es sich bei den die Krankheit verstärkenden Ereignissen von 1991 nicht um isolierte, verfolgungsunabhängige Ursachen gehandelt hat, sondern dass diese mit der Verfolgung während der NS-Zeit in einem inneren Zusammenhang stehen und daher in dem von den Gutachtern attestierten Umfang als eine Verstärkung des verfolgungsbedingten Leidens gewertet werden müssen.

Daher hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Schlussfolgerungen der Sachverständigen zutreffen.

eee) Auch hieran ändern die Ausführungen des Beratungsarztes Dr. W. nichts.

Dieser hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 10.04.2000 (Bl. 91 d. A.) auf Grund des Akteninhalts einschließlich früher eingeholter Gutachten zu dem Gutachten Dr. W. Stellung genommen, ohne allerdings den Kläger persönlich zu untersuchen (Bl. 92 d. A.). Dr. W. kommt zu dem Ergebnis, dass das Attest Dr. T. (Bl. 35 der B-Akte des Landesamtes - in Hauptakte eingeheftet und Bl. 221 der Rentenakte des Landesamtes (Band II)) und das Gutachten Dr. W. relativ typische, jedoch milde ausgeprägte psychische Beschwerden beschrieben, wie sie bei einem psychischen Überlebendensyndrom gefunden würden. Es sei auch überzeugend, dass die psychischen Beschwerden sich erst seit der Pensionierung allmählich entwickelt hätten, da ab diesem Zeitpunkt die beruflichen Bewältigungs- und Abwehrmöglichkeiten entfallen seien. Auch sei der Kläger durch die kriegerischen Vorgänge in Israel weiter verunsichert worden (Bl. 96 u. 123 d. A.). Obgleich davon auszugehen sei, dass sich ab 1988 allmählich ein psychischer Spätschaden aufgebaut und entwickelt habe, sei es jedoch nicht wahrscheinlich, dass bereits 1988 eine schwerwiegende Dekompensation plötzlich eingesetzt habe und dadurch bereits zu diesem Zeitpunkt eine rentenrelevante Schadenshöhe erreicht worden sei (Bl. 96 d. A.). Die Erkenntnisse von Dr. T. und Dr. W. sprächen für einen allmählichen Aufbauprozess. Die psychischen Beschwerden hätten sich nach der Pensionierung erst langsam entwickelt und seien nicht ruckartig aufgetreten, was sich auch daraus ergebe, dass es nicht schon damals zu einer entsprechenden ärztlichen Intervention gekommen sei (Bl. 96 u. 124 f d. A.). Für bereits 1954 bestehende psychische Schäden gebe es in den Akten einschließlich der Ausgangsbegutachtung von 1964 keine Anhaltspunkte (Bl. 125 d. A.). Daher sei aktuell lediglich eine Störungsebene von ca. 25 bis 30 % vMdE erreicht, wobei auch das fortgeschrittene Alter und die aufgetretenen Herzkreislaufstörungen zu berücksichtigen seien (Bl. 97 u. 123 d. A.). Wenn man die vMdE-Höhen in der Gesamtschau unter Einschluss des Wirbelsäulenleidens würdige, ergebe sich eine aktuelle Gesamt-MdE von 70 %. Dem verfolgungsbedingten Leidensanteil sei dann unter Einschluss des jetzt anzunehmenden psychischen Spätschadens nicht mehr als 40 % zuzuordnen, da das verfolgungsbedingte Rückenleiden eher etwas zurücktrete und sich gleichzeitig allmählich der psychische Spätschaden aufbaue (Bl. 97 d. A.). Unter Berücksichtigung der Herzoperation von 1993 sei erst ab Januar 1995 die nächste Rentenstufe von 40 % erreicht worden. Die danach weiter fortschreitende Verschlechterung der Gesundheitslage sei den verfolgungsunabhängigen Störungsbereichen zuzuordnen. Die Gesamt-MdE belaufe sich ab Januar 1995 auf 60 % und ab Januar 1999 auf 70 % (Bl. 97 f u. 124 d. A.).

In seinem von dem beklagten Land im Berufungsverfahren vorgelegten Gutachten vom 27.10.2003 (Bl. 245 d. A.) führt der Vertrauensarzt Dr. W. weiter aus, dass keine Anknüpfungstatsachen dafür vorlägen, dass bei dem Kläger kurz nach der Pensionierung plötzlich ein ausgeprägtes psychisches Störungsbild entstanden sei. Vielmehr deuteten die Untersuchungsergebnisse auf einen allmählichen Prozess einer psychischen Veränderung und Symptomentwicklung hin (Bl. 247 d. A.). Man könne daher 1988 von einer vMdE von 5 - 10 % ausgehen und um das Jahr 1995 von einer solchen von 25 - 30 % (Bl. 247 d. A.). In der Gesamtschau ergebe sich - wegen des rückläufigen verfolgungsbedingten Anteil am Wirbelsäulenleiden eine Gesamt-vMdE von 40 % (Bl. 247 f d. A.). Die subjektiven Mitteilungen des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. G. seien nicht durch objektive Befunde belegt (Bl. 248 d. A.). Auch hätten sich keine Veränderungen im geschilderten Leidensbild und der Behandlung gegenüber der früheren Untersuchung ergeben (Bl. 249 d. A.). Ferner sei der subjektive Leidensdruck überwiegend durch verfolgungsunabhängige Faktoren, nämlich die sonstigen Erkrankungen und die Alterung, zurückzuführen (Bl. 249 d. A.).

Dr. W. geht also zwar mit den Gutachtern Dr. W. und Dr. G. davon aus, dass bei dem Kläger eine psychische Erkrankung vorhanden ist, die zumindest teilweise verfolgungsbedingt hervorgerufen wurde. Jedoch gelangen die Sachverständigen zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich des Zeitpunkts des Eintritts des psychischen Spätschadens und des Anteils der verfolgungsbedingten Ursachen. Diese Feststellungen trifft Dr. W. aber wiederum ohne jegliche eigene Untersuchung des Klägers. Daher kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass das Gutachten Dr. G. auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruht. Jedoch wurden die Stellungnahmen des Beratungsarztes Dr. W. ihrerseits gänzlich ohne selbst erhobene Anknüpfungstatsachen abgegeben und können daher auch hinsichtlich der psychischen Erkrankung lediglich als Hypothesen gewertet werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers gegenüber den Gutachtern rein subjektiv und nicht mit der objektiven Situation übereinstimmend wären. Auch die Annahme des Dr. W., die Symptomatik habe sich nach der Pensionierung erst allmählich entwickelt und sei dann erst etwa 1995 manifest geworden, entbehrt jeglicher Grundlage und ist im Übrigen auch in keiner Weise überzeugend. Vielmehr ist es nachvollziehbar, dass der Kläger nach seiner Pensionierung plötzlich jeglichen Halt verloren hat und in einen psychischen Abgrund gefallen ist, in dem ihn unvermittelt die verdrängten Erinnerungen an die NS-Zeit gequält haben mit der Folge, dass unvermittelt eine psychische Störung eingetreten ist.

d) Auf Grund der gutachterlichen Feststellungen bezüglich der einzelnen Krankheiten steht schließlich mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich aus den einzelnen durch die Verfolgung (mit)verursachten Leiden des Klägers (Wirbelsäulenerkrankung und psychischer Spätschaden) eine Gesamt-vMdE von 50 % ab Januar 1988 und von 80 % ab Januar 1991 ergibt.

Sofern ein einheitlicher Schaden (z. B. eine einzelne Krankheit) teils durch verfolgungsbedingte, teils durch verfolgungsunabhängige Umstände verursacht worden ist oder sofern verschiedene Schäden (z. B. mehrere Krankheiten) vorliegen, von denen einzelne auf der Verfolgung, andere auf verfolgungsunabhängigen Umständen beruhen, berechnet sich die verfolgungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nach § 34 BEG (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 34 BEG, Anm. I. 1. a)). Wird die Erwerbsfähigkeit sowohl durch verfolgungsbedingte als auch durch verfolgungsunabhängige Leiden herabgesetzt, so ist zunächst die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit zu ermitteln und anschließend festzustellen, in welchem Grad die Erwerbsminderung auf der Verfolgung beruht (vgl. BGH, RzW 1961, 67 (68); 1962, 129 (130); 1964, 523 (524); 1965, 28 (29); Blessin/Giessler, aaO., § 34 BEG, Anm. II. 2. a); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 1; Zorn, Erläuterungen zum Bundesentschädigungsgesetz, aaO., Zu § 34 BEG, S. 120). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich ein späteres Leiden auf die Erwerbsfähigkeit einer bereits gesundheitsgeschädigten Person stärker auswirkt als bei einem Gesunden, so dass vom Gesamtgrad der Erwerbsminderung nicht die verfolgungsbedingten Beeinträchtigungen einfach abgezogen werden können (vgl. BGH, RzW 1961, 67 (68); Blessin/Giessler, aaO., § 34 BEG, Anm. II. 2. a); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 1; Zorn, aaO., Zu § 34 BEG, S. 120).

Im vorliegenden Fall ist hierbei für die Anwendung der sog. Lohmüllersche Formel (vgl. hierzu BGH, RzW 1962, 129 (130); OLG München, RzW 1956, 309 f; OLG Karlsruhe, RzW 1957, 280 (281); Blessin/Giessler, aaO., § 34 BEG, Anm. II. 2. a); im Einzelnen: Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 2) kein Raum. Denn diese ist dann nicht anwendbar, wenn der Verfolgte bei Eintritt des Verfolgungsschadens noch voll erwerbsfähig war (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 3). Letzteres war vorliegend der Fall, denn der Kläger war beim erstmaligen Eintritt des Verfolgungsschadens in Gestalt des Bandscheibenleidens noch voll erwerbsfähig. Anhaltspunkte für verfolgungsunabhängige Vorschäden sind nicht gegeben.

Der Umfang des Schadens ist daher nach §§ 209 Abs. 1, 191 Abs. 2 BEG i. V. m. § 287 ZPO zu schätzen (vgl. BGH, RzW 1960, 505 (506); 1961, 67 (68); Blessin/Giessler, aaO., § 34 BEG, Anm. II. 2. a); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 34 BEG, Rdnr. 1). Hierbei ist eine Gesamtbetrachtung des Leidenszustands des Betroffenen anzustellen, d. h. aus der Gesamteinwirkung aller Einzelleiden auf den Gesundheitszustand ist nach den Umständen des Einzelfalls - ggf. im Wege der Schätzung gemäß § 191 Abs. 2 BEG i. V. m. § 287 ZPO - zu ermitteln, wie hoch sich die maßgebliche verfolgungsbedingte MdE beläuft, die der zu gewährenden Entschädigung zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, RzW 1961, 67 Nr. 22; Brunn/Giessler/Klee/Maier/Weiss, Das Bundesentschädigungsgesetz, München 1981, S. 223; ähnlich BverfG, NJW 1995, 3049 (3050)). Sofern sich verschiedene verfolgungsbedingte Leiden gegenseitig beeinflussen, kann die Gesamt-vMdE im Einzelfall höher oder niedriger liegen als die Summe der für die einzelnen Leiden festgelegten Erwerbsminderung (vgl. BGH, RzW 1966, 267 Nr. 18; Brunn/Giessler/Klee/Maier/Weiss, aaO., S. 224). Ob eine derartige Wechselwirkung besteht, ist von der Art der Leiden und ihrer gegenseitigen Beeinflussung sowie von der Bedeutung abhängig, die dem einzelnen Leidensbild im Rahmen der Gesamtleistungsfähigkeit zukommt (vgl. Brunn/Giessler/Klee/Maier/Weiss, aaO., S. 224).

Im vorliegenden Fall führt die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO dazu, dass die vMdE der Wirbelsäulenerkrankung und des psychischen Spätschadens zu addieren sind. Dies ergibt sich daraus, dass sich diese beiden Leiden nicht gegenseitig beeinflussen. Bei der Wirbelsäulenerkrankung handelt es sich um ein rein körperliches Leiden, welches zu Schmerzen führt und die Bewegungsfähigkeit einschränkt. Die psychische Erkrankung führt dagegen dazu, dass der Kläger bedrückt ist, schlecht schlafen kann und auch ansonsten in seinem psychischen Befinden beeinträchtigt ist. Zwar können auch körperliche Schmerzen zu einer Herabsetzung des psychischen Befindens führen. Jedoch nimmt dies bei dem Kläger ausweislich der gutachterlichen Feststellungen einen allenfalls ganz untergeordneten Anteil an der psychischen Gesamtbeeinträchtigung ein, denn die psychischen Leiden resultieren in erster Linie daraus, dass der Kläger das Gefühl hat, sein Lebensweg sei durch die NS-Diktatur nachteilig verändert worden, indem ihm insbesondere sowohl sein Freundeskreis und sein vertrautes Umfeld als auch jegliche Bildungschancen genommen worden seien. Hingegen ist nicht ersichtlich, dass gerade das verfolgungsbedingte Rückenleiden für die psychischen Beeinträchtigungen mitursächlich ist.

Daher besteht bei dem Kläger seit Januar 1988 eine Gesamt-vMdE von 50 % und seit Januar 1991 eine solche von 80 %. Da der Kläger jedoch nur Neufestsetzung ausgehend von 40 % ab 1988 und von 50 % ab 1991 begehrt, sind auch nur diese Beeinträchtigungsgrade der Rentenneufestsetzung zugrunde zu legen, da gemäß § 209 Abs. 1 BEG die Vorschrift des § 308 ZPO Anwendung findet (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 209 BEG, Anm. 14. e)).

5. Hat der Verfolgte - wie der Kläger - das 68. Lebensjahr vollendet, so kann die Rente nach der Neuregelung des § 35 Abs. 2 BEG durch das Bundesentschädigungsschlussgesetz, die das "Versteinern" der Rente ermöglichen sollte, nur abgeändert werden, wenn die errechnete Rente um mindestens 30 % von der festgesetzten Rente abweicht. Um dies festzustellen, sind die gesamten für die Rentenbemessung maßgebenden (günstigen wie ungünstigen) Änderungen der Verhältnisse zu überprüfen (vgl. BGH, RzW 1973, 173 (174); NJW 1995, 1295; BGHR BEG § 35 Abs. 2 Rentenerhöhung 2; BGH-Report 2001, 372 ff; Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. II. 5. b); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 7; Zorn, aaO., Zu § 206 BEG, S. 185). Anders als nach Abs. 1 der Vorschrift kommt es aber nicht auf die während des gesamten Zeitraums von der früheren Rentenfestsetzung bis zur Neuentscheidung eingetretenen Änderungen an, sondern nur auf den Vergleich der Verhältnisse vor der letzten Änderung mit den derzeitigen Verhältnissen, d. h. entscheidend ist nur das Ausmaß der letzten Änderung, nicht die Summe mehrerer Änderungen in der Zeit, die seit der früheren Rentenfestsetzung verstrichen ist (vgl. Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. 5. b); Brunn-Hebenstreit, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 7).

Da die letzte Änderung der Gesamt-vMdE zum 01.01.1991 erfolgt ist, sind die Verhältnisse vor dieser Änderung mit der durch sie eingetretenen neuen Rentenbemessung zu vergleichen. Am 01.01.1991 hat der Kläger gemäß Bescheid vom 10.08.1990 (Bl. 158 der Rentenakte des Landesamtes) ausgehend von einer vMdE von 25 % eine (Mindest)Rente in Höhe von 580,-- DM bezogen. Er macht ab diesem Zeitpunkt eine Neufestsetzung unter Zugrundelegung einer Gesamt-vMdE von 50 % geltend. Bei einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von 50 % beträgt die Rente gemäß § 31 Abs. 6 BEG mindestens 25 % und höchstens 50 % des Diensteinkommens, das dem Verfolgten bei der Einreihung in eine vergleichbare Beamtengruppe nach seinem Lebensalter am 01.05.1949 zugestanden hätte. Der mittlere Satz beträgt somit 37,5 %. Hinzu kommen Zuschläge von jeweils 5 % für die Unterhaltsverpflichtung zugunsten der Ehefrau und wegen der allgemeinen MdE von 80 %, so dass sich insgesamt 47,5 % ergeben. Unter Berücksichtigung der vom Landesamt errechneten Abzüge von insgesamt 27,5 % (Bl. 176 der Rentenakte des Landesamtes) würden also 20 % verbleiben. Zugrunde zu legen ist daher der Mindestatz von 25 %. Bei einem im Jahre 1991 zugrunde zu legenden monatlichen Beamtendiensteinkommen von 3.116,-- DM (Bl. 177 der Rentenakte des Landesamtes) ergäbe dies einen monatlichen Betrag von 779,-- DM. Die Mindestbeträge belaufen sich gemäß § 21a der 2. DV zum BEG bei einer vMdE von 50 % vom 01.01.1990 bis zum 28.02.1991 auf monatlich 865,-- DM und vom 01.03.1991 bis zum 30.04.1992 auf monatlich 915,-- DM. Der Mindestbetrag von 580,-- DM bei einer 25-%-igen vMdE wird also ab dem 01.01.1991 bei Zugrundelegung einer vMdE von 50 % um 49 %, mithin mehr als um 30 % überschritten. Ähnliches gilt auch für alle Folgejahre.

Daher ist vorliegend eine Neufestsetzung der Entschädigungsrente geboten.

6. Im Falle einer Rentenerhöhung ist die Rente gemäß § 21 Abs. 1 der 2. DV zum BEG rückwirkend vom Ersten des Monats an neu festzusetzen, in dem sich die Verhältnisse geändert haben. Dem Verfolgten ist für diesen Zeitraum Nachzahlung zu leisten (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 35 BEG, Rdnr. 4; Blessin/Giessler, aaO., § 35 BEG, Anm. III. 2. a)). Das zusprechende Urteil lautet auf Zahlung eines bestimmten Entschädigungsbetrages. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides unter Zurückverweisung an die Entschädigungsbehörde ist unzulässig (vgl. BGH, RzW 1961, 412 f; 1965, 468 f; OLG Koblenz, RzW 1963, 283; Blessin/Giessler, aaO., § 210, Anm. IV. 4.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 209 BEG, Rdnr. 8).

Im vorliegenden Fall ergeben sich daher folgende Nachzahlungsbeträge:

Der Kläger hat in den Jahren 1988 bis 2004 auf der Grundlage einer 25-prozentigen vMdE folgende Rentenzahlungen erhalten:

- 01.01.1988 (und vorher schon seit 01.08.1987) bis 29.02.1988 monatlich 535,-- DM (Bl. 104 u. 115 der Hauptakte des Landesamtes u. Bl. 153 der Rentenakte des Landesamtes) = 2 * 535,-- DM = 1.070,-- DM

- 01.03.1988 bis 31.12.1988 monatlich 548,-- DM (Bl. 153 der Rentenakte des Landesamtes) = 10 * 548,-- DM = 5.480,-- DM

- 01.01.1989 bis 30.06.1989 monatlich 556,-- DM (Bl. 153 der Rentenakte des Landesamtes) = 6 * 556,-- DM = 3.336,-- DM

- 01.01.1990 bis 28.02.1991 monatlich 580,-- DM (Bl. 158 der Rentenakte des Landesamtes) - war zunächst auf monatlich 566,-- DM festgesetzt worden (Bl. 153 der Rentenakte des Landesamtes) = 2 * 580,-- DM = 1.160,-- DM

- 01.03.1991 bis 30.04.1992 monatlich 614,-- DM (Bl. 139 u. 172 der Rentenakte des Landesamtes und Bl. 115 der Hauptakte des Landesamtes) = 14 * 614,-- DM = 8.596,-- DM

- 01.05.1992 bis 30.04.1993 monatlich 672,-- DM (Bl. 181 der Rentenakte des Landesamtes) = 12 * 672,-- DM = 8.064,-- DM

- 01.05.1993 bis 30.09.1994 monatlich 682,-- DM (Bl. 182 und 246 der Rentenakte des Landesamtes) = 17 * 682,-- DM = 11.594,-- DM

- 01.10.1994 bis 31.03.1995 monatlich 696,-- DM (Bl. 246 der Rentenakte des Landesamtes) = 6 * 696,-- DM = 4.176,-- DM

- 01.04.1995 bis 28.02.1997 monatlich 718,-- DM (Bl. 246 u. 271 der Rentenakte des Landesamtes) = 23 * 718,-- DM = 16.514,-- DM

- 01.03.1997 bis 31.12.1997 monatlich 732,-- DM (Bl. 271 u. 271a der Rentenakte des Landesamtes) = 10 * 732-DM = 7.320,-- DM

- 01.01.1998 bis 28.02.1999 monatlich 739,-- DM (Bl. 271a u. 271b der Rentenakte des Landesamtes) 14 * 739,-- DM = 10.346,-- DM

- 01.03.1999 bis 31.12.2000 monatlich 760,-- DM (Bl. 271b u. 300 der Rentenakte des Landesamtes) = 22 * 760,-- DM =16.720,-- DM

- 01.01.2001 bis 31.12.2001 monatlich 774,-- DM (Bl. 300 der Rentenakte des Landesamtes) = 12 * 774,-- DM = 9.288,-- DM

- 01.01.2002 bis 31.05.2004 monatlich 404,-- € (Bl. 311 der Rentenakte des Landesamtes) = 29 * 404,-- € = 11.716,-- €

Insgesamt ergibt hieraus eine Summe von 103.664,-- DM = 53.002,56,-- € + 11.716,-- € = 64.718,56 €.

Auf Grund der von dem Kläger geltend gemachten 40-prozentigen vMdE seit 1988 und einer 50-prozentigen vMdE seit 1991 hätten ihm jedoch insgesamt Zahlungen von 106.321,79 € zugestanden. Die von dem beklagten Land im streitgegenständlichen Zeitraum von den Einkommensverhältnissen des Klägers ausgehenden Berechnungen der jeweiligen Rentenhöhe haben ergeben, dass die sich hieraus ergebenden Rentenhöhen jeweils unterhalb der Mindestrente lagen und daher ausnahmslos die Mindestrenten festzusetzen waren. Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man jeweils den höheren Grad der Gesamt-vMdE zugrunde legt (vgl. etwa die Berechnung für die Zeit ab 01.01.1991 oben unter 5.). Dies folgt daraus, dass sich auf Grund der zugrunde zu legenden mittleren Sätze keine Steigerungen ergeben, die zu einem über den Mindestsätzen gemäß § 21a der 2. DV zum BEG liegenden Rentenniveau führten. Daher kann die Neufestsetzung vorliegend ebenfalls in Höhe der nunmehr einschlägigen Mindestrenten erfolgen. Es ergeben sich somit folgende Beträge:

Ausgehend von einer Gesamt-vMdE von 40 %:

01.01.1988 bis 29.02.1988 monatlich 667,-- DM = 2 * 667,-- DM = 1.334,-- DM

01.03.1988 bis 31.12.1988 monatlich 683,-- DM = 10 * 683,-- DM = 6.830,-- DM

01.01.1989 bis 31.12.1989 monatlich 693,-- DM = 12 * 693,-- DM = 8.316,-- DM

01.01.1990 bis 31.12.1990 monatlich 723,-- DM = 12 * 723,-- DM = 8.676,-- DM

Ausgehend von einer Gesamt-vMdE von 50 %:

01.01.1991 bis 28.02.1991 monatlich 865,-- DM = 2 * 865,-- DM = 1.730,-- DM

01.03.1991 bis 30.04.1992 monatlich 915,-- DM = 14 * 915,-- DM = 12.810,-- DM

01.05.1992 bis 30.04.1993 monatlich 1.002,-- DM = 12 * 1.002,-- DM = 12.024,-- DM

01.05.1993 bis 30.09.1994 monatlich 1.017,-- DM = 17 * 1.017,-- DM = 17.289,-- DM

01.10.1994 bis 31.03.1995 monatlich 1.037,-- DM = 6 * 1.037,-- DM = 6.222,-- DM

01.04.1995 bis 28.02.1997 monatlich 1.070,-- DM = 23 * 1.070,-- DM = 24.610,-- DM

01.03.1997 bis 31.12.1997 monatlich 1.090,-- DM = 10 * 1.090,-- DM = 10.900,-- DM

01.01.1998 bis 28.02.1999 monatlich 1.100,-- DM = 14 * 1.100,-- DM = 15.400,-- DM

01.03.1999 bis 31.12.2000 monatlich 1.132,-- DM = 10 * 1.132,-- DM = 11.320,-- DM

01.01.2001 bis 31.12.2001 monatlich 1.152,-- DM = 12 * 1.152,-- DM = 13.824,-- DM

01.01.2002 bis 31.05.2004 monatlich 999,-- € = 29 * 999,-- € =28.971,-- €

Der Kläger hätte also im streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 151.285,-- DM = 77.350,79 € + 28.971,-- € = 106.321,79 € gehabt.

Zwischen den beiden Gesamtbeträgen ergibt sich also folgende Differenz: 106.321,79 € - 64.718,56 € = 41.603,23 €. Diese stellt den vom beklagten Land nachzuzahlenden Betrag dar.

Darüber hinaus ist das beklagte Land unter Neufestsetzung der Versorgungsrente auf diesen Betrag zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.06.2004 monatlich im Voraus 999,-- € zu zahlen.

Das Verfahren ist gemäß § 225 Abs. 1 BEG gebühren- und auslagenfrei. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 209 Abs. 1 BEG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 225 BEG, Rdnr. 1; Blessin/Giessler, aaO., § 225 BEG, Anm. I. und § 209 BEG, Anm. VII. 5.). Danach fallen die außergerichtlichen Kosten regelmäßig gemäß § 209 Abs. 1 BEG i. V. m. §§ 91 - 97 ZPO der unterlegenen Partei zur Last (vgl. Blessin/Ehrig/Wilden, aaO., § 225 BEG, Rdnr. 1; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 225 BEG, Rdnr. 1).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 209 Abs. 1 BEG i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. § 713 ZPO ist nicht anwendbar, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, nicht für jede der Parteien unzweifelhaft nicht gegeben sind. Dies folgt daraus, dass der Senat zwar die Revision nicht gemäß § 219 Abs. 1 BEG zugelassen hat, dass jedoch der Kläger - unabhängig vom Streitwert - gemäß § 220 Abs. 1 Satz 1 BEG gegen die Nichtzulassung der Revision sofortige Beschwerde einlegen kann, welche gemäß § 220 Abs. 2 BEG die Rechtskraft des Urteils hemmt.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 219 Abs. 2 BEG nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 219 Abs. 2 Nr. 1 BEG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab und beruht auf einer solchen Abweichung (§ 219 Abs. 2 Nr. 2 BEG) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG) noch ist streitig, ob das Land, gegen das der Anspruch auf Entschädigung gerichtet ist, zu Recht als zuständig in Anspruch genommen ist (§ 219 Abs. 2 Nr. 4 BEG).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 13.000,-- €. Der Streitwert wiederkehrender Leistungen bemisst sich gemäß § 225 Abs. 3 BEG i. V. m. § 13 Abs. 3 GKG i. d. F. vom 26.07.1957, der dem heutigen § 17 Abs. 2 GKG entspricht, auf den fünffachen Betrag des einjährigen Bezugs, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist (vgl. BGHR BEG § 225 Abs. 3 Streitwert 1 (vgl. anliegenden JURIS-Ausdruck); Blessin/Giessler, aaO., § 225 BEG, Anm. III. 1.; Brunn/Hebenstreit, aaO., § 225 BEG, Rdnr. 6). Auszugehen ist von dem streitigen Monatsbetrag (vgl. OLG Celle, RzW 1964, 89; OLG Köln, RzW 1965, 142; Blessin/Giessler, aaO., § 225 BEG, Anm. III. 1.). Rentenrückstände werden entgegen § 13 Abs. 5 GKG a. F. nicht besonders angesetzt (vgl. BGH, RzW 1958, 371 (372); KG, RzW 1960, 237 (239); BGHR BEG § 225 Abs. 3 Streitwert 1 (vgl. JURIS-Ausdruck); Brunn/Hebenstreit, aaO., § 225 BEG, Rdnr. 7).

Da der Kläger vorliegend für die Zeit zwischen 1988 und Anfang 2004, also für ca. 16 Jahre einen Mehrbetrag von insgesamt 41.603,23 € geltend gemacht hat, ist es gerechtfertigt, den hiervon ausgehend einen mittleren fünfjährigen Betrag zu berechnen. Dieser beläuft sich auf ungefähr 41.603,23 € ./.16 * 5 = 13.001,-- €, also gerundet 13.000,-- €.

Ende der Entscheidung

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