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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 27.03.2007
Aktenzeichen: 4 U 167/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BGB § 254 Abs. 1 Satz 1
BGB § 284
BGB § 286
BGB § 288 aF
BGB § 291 aF
BGB § 832
BGB § 832 Abs. 1 Satz 1
BGB § 832 Abs. 1 Satz 2
BGB § 832 Abs. 2
BRAGO § 28 Abs. 2
BRAGO § 28 Abs. 3
BRAGO § 118 Nr. 2
Aufsichtspflichten einer Anstalt gegenüber einem in offener stationärer kinder- und jugendpsychologischer Behandlung befindlichen 13 Jahre alten Jugendlichen.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 167/06

verkündet am 27.03.2007

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensregress nach einer Brandstiftung

hat der 4. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27.2.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Göler, den Richter am Oberlandesgericht Schmidt und den Richter am Landgericht Emanuel

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 12.6.2006, 4 O 220/02, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 279.727,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2001 aus 279.619,68 EUR und seit dem 18.2.2003 aus weiteren 107,68 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 279.619,68 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der beklagten Klinik im Regressweg Schadensersatz für den Brand eines Gebäudes ihrer Versicherungsnehmerin XXX, Zentrum für Erziehungshilfe, in ~ am späten Abend des 22.5.2000. Der Brand wurde durch das damals 13 Jahre alte Kind F. C., Sohn luxemburgischer Pflegeeltern, verursacht.

F. C. wurde wegen nicht mehr kontrollierbarer Verhaltensauffälligkeiten im Juni 1997 in kinder- und jugendpsychologische stationäre Behandlung zur Beklagten gebracht und lebte seit seiner Entlassung im Februar 1998 in einer Jugendwohngruppe des XXX. Auch dort zeigten sich im Weiteren erhebliche psycho-soziale Störungen, die zu einer erneuten mehrwöchigen Behandlung im Dezember 1998 bei der Beklagten führten. Danach kehrte er in das XXX zurück. Bis Mai 2000 zeigte sich keine Verhaltensbesserung. U.a. entfernte sich F. C. unerlaubt vom Gelände, blieb dem Schulunterricht fern, beging Diebstähle und Sachbeschädigungen, fügte sich selbst Schnittwunden zu, zeigte sich gegenüber anderen aggressiv, u.a. drückte er einem Jungen eine Zigarette an dessen Wange aus. Nach massiven Auseinandersetzungen mit den Erziehern des XXX wurde er am 16.5.2000 erneut zur Beklagten zu einer sog. Krisenintervention in eine offene stationäre kinder- und jugendpsychologische Behandlung gegeben. Dort ereignete sich am 20.5.2000 ein weiterer Zwischenfall: F. C. entriegelte sein Zimmerfenster und steigt unerlaubt über den Fenstersims in Richtung eines Spielzimmers. Daraufhin bekam er sog. "Badarrest" erteilt.

Am Tag des Brandes, dem 22.5.2000, verließ F. C. gegen 18:30 Uhr die Station und das Klinikgelände. Gegen 18:45 Uhr wurde sein Verschwinden bemerkt; ein Pfleger versuchte ihn - erfolglos - ausfindig zu machen. Um 20:21 Uhr informierte das Stationspersonal sodann die Polizei. F. C. war inzwischen nach <Ort 1> gelangt und gegen 21:15 Uhr auf dem Gelände des XXX von dessen Mitarbeitern gesehen worden. Als die Polizei kam, verschwand er, kehrte hingegen später wieder zurück, drang in ein auf dem Gelände gelegenes Schulgebäude ein und entzündete dort ein Feuer. Die Klägerin zahlte an das XXX wegen des Brandschadens 546.908,87 DM (=279.619,68 EUR). Diesen Betrag verlangt sie zusammen mit vorgerichtlichen Anwaltskosten von 2.396,71 EUR von der Beklagten zurück.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe besondere Aufsichtspflichten über F. C. gehabt. Durch den "Badarrest" sei dessen Gefahrenpotenzial noch weiter gesteigert worden. Wegen des Verzichts auf medikamentöse Behandlung hätte er sorgfältiger beobachtet werden müssen. Nach seinem Verschwinden hätte unmittelbar die Polizei und das XXX unterrichtet werden müssen. Außerdem sei F. C. wegen des Verzichts auf eine Medikamentengabe, der fehlenden Bindung an eine feste Bezugsperson, die Erteilung von "Badarrest" und mangels Behandlungsplan insgesamt falsch behandelt worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 546.908,87 DM (=279.619,68 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.7.2001 zu zahlen;

an die Klägerin weitere 2.395,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.2.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, ein Anspruch aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung scheitere bereits daran, dass das XXX zur Tatzeit selbst noch gegenüber F. C. aufsichtspflichtig gewesen sei. Die durchgeführte Beaufsichtigung und Überwachung durch das Stationspersonal des Beklagten im Rahmen der stationsüblichen Maßnahmen sei im Übrigen ausreichend gewesen. Eine stärkere Beaufsichtigung sei nicht angezeigt gewesen, weil dies der Behandlung der Krisenintervention entgegengestanden hätte und auch keine Anhaltspunkte ersichtlich gewesen seien, die auf ein Zündeln hingedeutet hätten. Schließlich falle dem XXX wegen der dortigen Kenntnis um das Verschwinden und wegen mangelnder Sicherungsmaßnahmen des später abgebrannten Gebäudes ein Mitverschulden an dem Geschehen zur Last.

Das Landgericht hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nebst Ergänzungen und durch Zeugenbefragung Beweis erhoben. Mit dem angefochtenen Urteil vom 16.2.2000, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird (GA 679 ff.), hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass vor dem Vorfall kein Anlass bestanden habe, über die für eine offene kinder- und jugendpsychologische Station üblichen Maßnahmen der Beaufsichtigung und Überwachung hinaus weitere Überwachungsmaßnahmen zu treffen. Schon infolge der Herausnahme F. C. aus seiner Wohngruppe sei mit einer Verhaltensverbesserung zu rechnen gewesen, die sich in den ersten Tagen nach der Aufnahme bei der Beklagten auch tatsächlich eingestellt habe. Aus den von der Klägerin gerügten Behandlungsversäumnissen ließe sich nach dem Beweisergebnis ebenso keine Aufsichtspflichtverletzung herleiten. Soweit für bestimmte Tage Eintragungen in den Behandlungsberichten fehlten, bedeute dies, dass es keine besonderen Vorkommnisse gegeben habe. Der "Badarrest" habe sich nicht nachteilig ausgewirkt, da sich F. C. in den darauf folgenden beiden Tagen unauffällig verhalten habe. Die Gabe von Medikamenten sei nicht erforderlich gewesen. Das Fehlen eines Therapieplanes sei bei nur kurzzeitig zur Krisenintervention eingelieferten Patienten nicht zu beanstanden. Schließlich seien der Beklagten keine Mitteilungsversäumnisse (Polizei, XXX) nach dem Entweichen F. C. vorzuwerfen, zumal das Kind etwa 1 1/2 Stunden vor der Brandlegung auf dem Gelände des XXX von dessen Mitarbeitern dort gesehen wurde.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und wendet sich vornehmlich gegen die Rechtsanwendung des Landgerichts. Aufgrund aller vor der Brandlegung bekannten Umstände (vgl. im Einzelnen: GA 767f. und GA 781f.) hätte F. C. "auf Schritt und Tritt" überwacht werden müssen. Der Aufenthalt bei der Beklagten sei als Zwischenstation bis zum Beginn einer einzelpädagogischen Maßnahme angedacht gewesen. F. C. habe daher gesichert zum Schutz Dritter verwahrt werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 16.2.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken zu verurteilen, an die Klägerin 279.619,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 13.7.2001 zu zahlen;

an die Klägerin weitere 2.395,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.2.2003 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist erneut darauf hin, dass die Haftung bereits daran scheitere, dass das XXX selbst noch aufsichtspflichtig gegenüber F. C. gewesen sei. Die von der Klägerin geforderte Überwachung "auf Schritt und Tritt" sei indiskutabel, weil sie die Aggressionen des F. C. nur verstärkt hätte. Ansonsten habe sie ihre Aufsichtspflichten hinreichend erfüllt. Tagsüber seien bis zum Beginn der Nachtschicht zwei bis drei Pflegekräfte auf der Station anwesend, die - soweit möglich - immer einen Blick auf die Kinder und Jugendlichen hätten. Das Abendessen werde zwischen 17:30 Uhr und 18:30 Uhr unter Aufsicht des Pflegepersonals von allen gemeinsam auf dem Flur eingenommen; sodann begäben sich diejenigen, die mit dem Essen fertig sind, auf ihr Zimmer, zur Toilette oder aber zu einem Münztelefon, das vor der Station im Treppenhaus installiert sei.

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrages im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift des Senats vom 24.10.2006 (GA IV 813 ff.) und 27.2.2007 (GA IV 866 ff.) Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte, zulässige Berufung ist weit überwiegend begründet.

1.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Senat keine Zweifel hegt und an die er deshalb gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), steht der Klägerin nach dem Brandschaden gegen die Beklage aus übergegangenem Recht (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG) ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 279.619,68 EUR gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB zu.

a.

Wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, worauf zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (LU 12, GA 690), war die Beklagte aufgrund vertraglicher Übernahme zur Aufsicht über F. C. verpflichtet, als dieser das XXX, den Versicherungsnehmer der Klägerin, durch die Brandlegung in seinem Eigentum widerrechtlich verletzt hat. In Höhe der von der Klägerin gezahlten Versicherungsleistung (279.619,68 EUR) ist der Schadensersatzanspruch des XXX aus § 832 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB auf die Klägerin übergegangen (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG).

b.

Als "Dritter" unterliegt das XXX dem Kreis der von § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB geschützten Personen.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass ein weiterer Aufsichtspflichtiger nicht als "Dritter" i.S.d. § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt. Ersatz nach § 832 BGB soll nur verlangen können, wer sich nicht selbst um den Aufsichtsbedürftigen zu kümmern hat (Staudinger/Belling/Eberl-Boorges, BGB (2001), § 832 Rn. 47 mit Verweis auf OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 68, 69). Mit der Aufnahme des F. C. am 16.5.2000 in die kinder- und jugendpsychologische Abteilung der Beklagten war die eigene Aufsichtspflicht des XXX jedoch beendet. Denn dessen Aufsichtspflicht erfolgte lediglich aufgrund einer stillschweigenden vertraglichen Übernahme im Zuge der Aufnahme in die dortige Wohngruppe nur so lange, als die tatsächliche Aufsicht dem XXX möglich war.

aa.

Ein Aufsichtsvertrag kann - selten - ausdrücklich oder - wie im Regelfall -stillschweigend geschlossen werden (Staudinger, a.a.O., Rn. 32 m.w.Nw.). Zur stillschweigenden Übernahme genügt die tatsächliche Obhut alleine noch nicht; die Haftung aus § 832 BGB setzt vielmehr voraus, dass sich der Übernehmende einer rechtlichen Bindung - gleich wem gegenüber - unterwirft (Staudinger, a.a.O., Rn. 30). Eine solche rechtliche Bindung erfolgt typischerweise stillschweigend bei der Aufnahme in eine offene psychiatrische Klinik bzw. in ein Erziehungs- oder Pflegeheim (Palandt/Thomas, BGB, 62. Auflage, § 832 Rn. 7).

In jedem Einzelfall bleibt zu prüfen, auf welche Weise sich der für die vertragliche Bindung notwendige konkrete Geschäftswille objektiv darstellt. Hiernach richtet sich insbesondere das räumliche und auch das zeitliche Ausmaß der vertraglich übernommenen Aufsichtspflicht. So kann der verständige, objektive Empfänger einer stillschweigenden Übernahmeerklärung in der Regel wird nämlich nicht annehmen, dass der Übernehmende eine zeitlich und räumlich unbegrenzte Aufsichtspflicht eingehen will, wenn er hierzu erkennbar nicht in der Lage ist. Die vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht wird sich daher im Regelfall auf das beschränken, was der Übernehmende zur Erfüllung seiner Pflichten zu gewährleisten imstande ist. Dies setzt die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf den Aufsichtsbedürftigen voraus. Ohne tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit ist eine Aufsicht wirkungslos und die Pflichterfüllung unmöglich. Zu einer erkennbar unmöglichen Leistung wird sich niemand vertraglich binden wollen. Dies korrespondiert mit den Grenzen der gesetzlichen Aufsichtspflicht. Diese gründet sich untrennbar auf die Personensorge (Staudinger, a.a.O., Rn. 11). Sobald die Personensorge beschränkt oder entzogen ist, endet auch die daraus entstammende Aufsichtspflicht (Staudinger, a.a.O., Rn. 14).

bb.

Anhand dieser Grundsätze ist auch die Aufsichtspflicht des XXX hinsichtlich der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen zu betrachten.

Die Aufsichtspflicht kann nur insoweit von den dortigen Mitarbeitern gewährleistet werden, als sich die Kinder und Jugendlichen im Einwirkungsbereich der Erzieher und Betreuer befinden. Darin beschränkt sich der Geschäftswille des XXX bei der Übernahme der Aufsichtspflicht. Mit der Übergabe von F. C. an die Beklagte am 16.5.2000 verloren die Mitarbeiter des XXX jede Einflussmöglichkeit auf den Aufsichtsbedürftigen. Selbst eine verminderte Aufsichtspflicht durch Instruktion und Kontrolle der nunmehr aufsichtspflichtigen Beklagten, die sich im Falle einer Weiterübertragung der Aufsichtspflicht ergeben kann, war nicht mehr möglich. Die Aufsichtspflicht des XXX war mithin beendet, als die Aufsichtspflicht der Beklagten begründet wurde.

Dagegen steht auch nicht, dass eine vertraglich übernommene Aufsichtspflicht grundsätzlich nicht entäußerbar ist. Denn vorliegend sollte die vertraglich übernommene Pflicht nicht entäußernd übertragen werden. Vielmehr war mit der Überstellung von F. C. bereits der vertraglich vereinbarte Beendigungstatbestand für die eigene Aufsichtspflicht des XXX verwirklicht. Diese Pflicht lebte auch durch das kurzzeitige Auftauchen des F. C. auf dem Gelände des XXX und dessen zufälliges Bemerken gegen 21:15 am Tattag wieder auf, wodurch die Mitarbeiter des XXX keinen tatsächlichen Einfluss auf den Aufsichtsbedürftigen gewinnen konnten. Das Bemerken des mit der Überstellung an die Beklagte nicht mehr ihrer Aufsicht unterliegenden Kindes hätte allenfalls zur Begründung einer allgemeinen Pflicht gegenüber sich und anderen führen können, gegen die von F. C. ausgehenden Gefährdung tätig zu werden; allein der Zufall, dass sich F. C. auf dem Gelände des XXX zeigte, lässt indessen keinen rechtsgeschäftlichen Willen erkennen, auch die Aufsichtspflicht wieder über ihn zu übernehmen.

c.

Die aufsichtspflichtige Beklagte kann sich nicht gemäß § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten.

Es steht weder fest, dass sie ihrer Aufsichtspflicht genügt hätte (aa.), noch dass der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre (bb.).

aa.

Zur hinreichenden Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht gegenüber F. C. hätte die Beklagte die von ihr angebotene stationäre Krisenintervention so gestalten und beaufsichtigen müssen, dass ein Entweichen des Kindes nach Möglichkeit verhindert worden wäre, wodurch dieses sich jeglicher Aufsicht entzog.

Der Umfang der gebotenen Aufsichtspflicht richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Minderjährigen (BGH, NJW 1997, 2047 ff.). Bei einem normal entwickelten Kleinkind können - je nach Sachlage - eine Überwachung "auf Schritt und Tritt" oder eine regelmäßige Kontrolle, etwa in halbstündigen Abständen erforderlich sein. Eine altergerechte Beaufsichtigung lässt bei einem 13-jährigen Kind bereits allgemein erzieherische Hinweise über die Gefährlichkeit von bestimmtem verletzungsgeeignetem Verhalten genügen. Eine permanente Beaufsichtigung ist nicht erforderlich. Dieser Maßstab findet aber keine Anwendung auf Kinder, bei denen davon auszugehen ist, dass sie sich den Belehrungen der Aufsichtspflichtigen verschließen, die Erfahrungen des Lebens mit seinen Gefahren nicht in sich aufnehmen und ihr Verhalten nicht im Allgemeinen altersentsprechend danach ausrichten (BGH, a.a.O.). Bei einer erheblich verringerten Einsichtsfähigkeit des Kindes, die es diesem aufgrund einer etwa gegebenen besonderen psychischen Situation nicht gestattet, die ihm erteilten Belehrungen und Ermahnungen zu beachten, erfordert der Schutz Dritter eine besondere Überwachung; das gilt insbesondere, wenn eine Neigung des Kindes zum Zündeln oder zu sonstigen gefährlichen Streichen bekannt geworden ist (BGH, NJW 1980, 1044, NJW 1995, 3385 NJW 1980, 1044 und NJW 1996, 1404). Besondere Umstände können dabei dazu führen, dass ein solches Kind auch nicht für fünf Minuten allein gelassen werden darf, also einer Aufsicht "auf Schritt und Tritt" unterzogen werden muss, mag eine solche auch schwer zu verwirklichen sein (BGH, NJW 1995, 3385 ).

Die im Einzelfall zumutbaren Maßnahmen sind aber auch unter Berücksichtigung des insgesamt angestrebten Erziehungsziels, dem Kind oder Jugendlichen zur Entwicklung seiner Persönlichkeit zu verhelfen und ihn in ein selbständiges, verantwortungsbewusstes Handeln einzuüben (§ 1 SGB VIII), zu ermitteln (OLG Dresden, NJW-RR 1997, 857, 858). Ein gewisser pädagogischer Freiraum ist den Aufsichtsbedürftigen für vertretbare pädagogische Maßnahmen zu belassen (BGH, VersR 1965, 48).

Hiernach waren gegenüber F. C. mehr als nur allgemeine erzieherische Hinweise angezeigt, die gegenüber einem 13-jährigen Kind ansonsten regelmäßig genügen. Nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts, beruhend auf den Ergebnissen der sachverständigen Begutachtung von Prof. Dr. K. und den Aussagen der Zeugin J., ist das Verhalten von F. C. nicht dem eines "normal" entwickelten 13-jährigen Kindes gleichzustellen. Bereits vor der stationären Aufnahme zur Krisenintervention am 16.5.2000 zeigten sich eine Vielzahl besonderer Umstände: So verhielt er sich gegenüber sich selbst durch Zufügung von Schnittwunden und auch gegenüber anderen ausgesprochen aggressiv, u.a. drückte er einem Jungen eine Zigarette an dessen Wange aus. Er entfernte sich unerlaubt vom Gelände und blieb dem Schulunterricht fern. Zudem fiel er durch wiederholte Straftaten auf. Durch erzieherische Maßnahmen und Belehrungen im XXX allein ließ er sich nicht mehr beeindrucken, sondern reagierte hierauf im Gegenteil mit weiterer Aggression und Fortsetzung seines vorherigen Verhaltens. Dies war gerade der Grund für die bei der Beklagten durchgeführte Behandlung. Den Mitarbeitern ihrer kinder- und jugendpsychologischen Abteilung waren diese Umstände aufgrund der vorherigen Behandlungen und der Aufnahmeuntersuchung am 16.5.2000 (GA 464 ff.) bekannt.

Auch wenn bei Abwägung dieser Sozialisationsdefizite des 13-jährigen Kindes, der hiervon ausgehenden Selbstgefährdung und Gefahren für Rechtsgüter Dritter sowie des angestrebten Erfolgs der Krisenintervention eine Überwachung auf Schritt und Tritt nicht erforderlich gewesen sein mag, zumal das Verhalten des Kindes sich seit dessen stationärer Aufnahme nach unbeanstandet gebliebener Feststellung des Landgerichts gebessert hatte, musste das Maß der gebotenen Aufsicht seinem zweifellos vorhandenen überdurchschnittlichen Gefährdungspotential entsprechen. Da die Beklagte ihre Dienste für solche Krisenbewältigungen anbot, hätte sie sich hierauf einrichten und durch geeignete Maßnahmen die Wirksamkeit ihrer geschuldeten erhöhten Aufsicht sicherstellen müssen. Dies gebot auch bei pädagogisch sinnvollen Freiräumen die hinreichend verlässliche Unterbindung eines unbemerkten Entweichens, zumal des 13-jährigen aufsichts- und behandlungsbedürftigen Kindes, das sich hierdurch jeglicher Aufsicht entzog und diese wirkungslos machte. Dass die Beklagte sich nicht darauf beschränken durfte, dieses Entweichen durch bloße Anordnungen zu verhindern, ergibt sich bereits aus den ihr bekannten Sozialisationsdefiziten des Kindes und ihrer hieraus folgenden gesteigerten Aufsichtspflicht Die Beklagte durfte allenfalls darauf hoffen, dass das Kind Anordnungen, Belehrungen und Ermahnungen befolgen würde; darauf vertrauen konnte sie trotz der Verhaltensbesserung des Kindes nicht, zumal das Landgericht zu Recht festgestellt hat, dass mit dessen Entweichen weiter zu rechnen war (Seite 21 des angefochtenen Urteils). Zu verlangen waren daher wirksamere Maßnahmen, dem der Hinweis der Beklagten auf eine Gefährdung des Behandlungs- und Erziehungsziels sowie die nicht geschlossene Einrichtung schon deshalb nicht entgegensteht, weil unterhalb dieser Schwelle vielfache Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten einem Entweichen hinreichend entgegenwirken können. Dass solche Maßnahmen etwa wegen zu hoher Personal- oder sonstiger Kosten ihre finanzielle Leistungsfähigkeit überstiegen hätten, vermag die Beklagte nicht zu entlasten, weil sie ihre Dienste sowie die damit verbundene erhöhte Aufsichtspflicht freiwillig angeboten und damit für deren ordnungsgemäße Erfüllung gemäß § 832 BGB einzustehen hat.

Ob und welche Maßnahmen im vorbezeichneten Sinne die Beklagte getroffen hat, um einem Entweichen des Kindes hinreichend entgegenzuwirken, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die vom Landgericht insoweit als ausreichend angenommenen "üblichen Maßnahmen der Beaufsichtigung und Überwachung (Seite 21, 22 und 27 des angefochtenen Urteils), welche die Beklagte in der Berufungsinstanz näher dargelegt hat (Schriftsatz vom 21.12.2006, Bl. 821 ff. d.A.) reichten hierzu nicht aus. Genau zu der Zeit, als F. C. abends entwich, wurde es den Kindern und Jugendlichen nach eigenem Sachvortrag der Beklagten ermöglicht, die Station etwa zum Telefonieren unkontrolliert zu verlassen. Die für ihre Entlastung nach § 832 I 2 BGB darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat weder vorgetragen, dass hierbei darauf geachtet worden wäre, wer die Station verlässt, noch dass ein weiteres Verlassen des Gebäudes hinreichend überwacht und beaufsichtigt worden wäre. Damit konnte F. C. in diesem Zeitraum unkontrolliert und ungehindert nicht nur die Station, sondern auch das Gebäude und das angrenzende offene Gelände verlassen, womit er sich jeglicher Aufsicht entzog. Hiermit hat die Beklagte den ihr obliegenden Entlastungsbeweis für die Erfüllung ihrer gesteigerten Aufsichtspflicht nicht geführt.

bb.

Dass der Schaden sich auch bei gehöriger Aufsichtsführung ereignet hätte, ist bei dieser Sachlage ebenfalls weder dargetan noch ersichtlich, zumal weder feststeht, wie F. C. entwichen ist, noch dass dies auf eine Weise geschehen wäre, mit der die Beklagte nicht zu rechnen brauchte.

Die vermutete Ursächlichkeit zwischen Aufsichtspflichtverletzung und Brandschaden entfällt auch nicht mangels Zurechenbarkeit, die nach der Adäquanztheorie nur bei gänzlich unwahrscheinlichem Kausalverlauf entfallen kann, der nach der Lebenserfahrung so entfernt liegt, dass hiermit vernünftigerweise nicht zu rechnen ist. Bei dieser Beurteilung kommt es auf eine objektive retrospektive Prognose an (Palandt/Heinrichs, a.a.O., Vorb v § 249 Rn. 60). Hiernach scheidet eine Schadenszurechnung vorliegend gerade nicht aus. Der Brandschaden ereignete sich im Schulgebäude des F. C.. Die Örtlichkeit war ihm bekannt. In Teilen zeigte er sogar eine Wiederholung von vorherigem Verhalten, da er dort bereits wenige Tage zuvor eingebrochen war. Der Umgang mit Feuer und brennbaren Materialien stellt sich für Kinder und Jugendliche zudem als besonderer Anreiz dar. Für F. C. kam hinzu, dass er Eigen- und Fremdgefährdungen bereits zuvor ohne weiteres in Kauf nahm. Dass ihm die Fahrt von <Ort 2> nach <Ort 1> gelungen ist, ist für ein 13-jähriges Kind, welches wiederholt weggelaufen und dabei auf sich selbst gestellt war, ebenfalls nicht derart ungewöhnlich, dass es außerhalb der Lebenserfahrung wäre.

d.

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des XXX i.S.d. § 254 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht festzustellen.

Zu erwägen wäre eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt, dass auch den dortigen Mitarbeitern das Verschwinden des F. C. bekannt wurde. Aus Gründen ihres Eigenschutzes wären sie hiernach allenfalls verpflichtet gewesen, die Polizei über dessen Auftauchen gegen 21:15 zu verständigen. Da die Polizei aber bereits unterrichtet und zum Aufgreifen des Kindes auch schon zum späteren Tatort gefahren war, dem F. C. sich entzog, hätte die Unterrichtung der Polizei durch das XXX keinen weiteren Schutz gebracht.

Ebenfalls nicht ursächlich ist der Umstand, dass das XXX die Fensterscheibe, durch die F. C. zuvor bei ihr eingebrochen war, nicht wieder endgültig instand gesetzt hat, so dass er dort erneut in das Gebäude eindringen konnte. Eine Mitursächlichkeit dieses Umstandes setzt nämlich voraus, dass sich F. C. durch eine Instandsetzung von einem Eindringen hätte abhalten lassen. Hierzu ist von der darlegungsbelasteten Beklagten nichts vorgetragen. Im Übrigen spricht dagegen, dass sich F. C. auch bei seinem ersten Einbruch nicht durch die damals noch unbeschädigte Scheibe von einem Einsteigen abhalten ließ.

Letztlich gereicht es dem XXX auch nicht zum Vorwurf, keine Wachen aufgestellt zu haben, nachdem das Entweichen von F. C. bekannt war. Es ist schon nicht ersichtlich, dass diese F. C. aufgespürt hätten, was auch der Polizei nicht gelungen ist. Außerdem durften die Mitarbeiter des XXX auf polizeiliche Hilfe vertrauen.

Damit steht der Klägerin der geltend gemachte Regress in vollem Umfang zu.

e.

Der hierauf entfallene Zinsanspruch beruht auf § 284, 288 BGB-aF. Nachdem die Haftpflichtversicherung der Beklagten am 12.7.2001 aufgrund ihrer Regulierungsvollmacht jede Schadensregulierung auch für die Beklagte ablehnte, befand sich diese ab dem 13.7.2001 (vgl. § 187 BGB) in Verzug.

2.

Soweit die Erstattung von Anwalts-Reisekosten verlangt wird, ist die Berufung weiter begründet (a.). Unbegründet ist indessen das Begehren auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten der Rechtsverfolgung in Gestalt einer Besprechungsgebühr (b.).

a.

Die Klägerin kann zulässigerweise die Erstattung der anwaltlichen Reisekosten von unstreitig 107,68 EUR (Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld) gesondert einklagen. Da sie die Reisekosten ihres Anwalts gemäß § 28 Abs. 2 und 3 BRAGO als Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld zu vergüten hat und diese Kosten vor der Beauftragung zur Klageerhebung angefallen sind, fallen sie nicht als Prozesskosten i.S.d. § 91 Abs. 2 ZPO an und können daher auch nicht im Kostenfestsetzungsverfahren erstattet werden. Als erstattungsfähiger Verzugsschaden stehen der Klägerin die Kosten als Teil der notwendigen Rechtsverfolgung nebst verlangten Zinsen gemäß §§ 284, 286, 288, 291 BGB-aF zu.

b.

Keinen Anspruch hat die Klägerin auf Erstattung der ihrem Anwalt gezahlten Besprechungsgebühr i.S.d. § 118 Nr. 2 BRAGO von 2.288,03 EUR, da sie diese nicht geschuldet hat.

Ein entsprechender Gebührentatbestand ist allein durch die behauptete Besprechung des Rechtsanwalts zur Informationsbeschaffung mit Psychologen sowie Mitarbeitern des XXX nicht erfüllt. Die Besprechungsgebühr soll nach ganz einhelliger Meinung eine zusätzliche Leistung des Rechtsanwalts honorieren, die durch die Geschäftsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) noch nicht abgegolten ist (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 118 Rn. 8). Daraus folgt, dass alle Tätigkeiten, die von der Geschäftsgebühr erfasst werden, nicht geeignet sind, die Besprechungsgebühr auszulösen. Ganz einhellig ist auch die Auffassung, dass die Informationsbeschaffung grundsätzlich durch die Geschäftsgebühr abgegolten wird (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., Rn. 5, Schürmann/Geißinger BRAGO 2. Aufl. § 118 Rn. 21; Swolana/Hansens BRAGO 8. Aufl. § 118 Rn. 21; Riedel/Süßbauer/Schneider BRAGO 8. Aufl. § 118 Rn. 35; Göttlich/Mümmler/Braun/Rehberg BRAGO Sonstige Angelegenheiten S. 1347). Insoweit decken sich die Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts und die Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO), welche er für seine im Rahmen eines Prozessauftrags entfalteten Tätigkeiten erhält. Im Rahmen des Prozessauftrags spielt es dabei keine Rolle, von wem sich der Rechtsanwalt die erforderlichen Informationen beschafft. Gleichgültig ist also, ob sie von dem Auftraggeber oder beliebigen Dritten erteilt werden. Alle diese Tätigkeiten werden mit der Prozessgebühr abgegolten (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 2000, 314 m.w.N.). Die Zuerkennung einer Besprechungsgebühr für die Informationsbeschaffung widerspricht zudem dem im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Anliegen, dass die Informationsaufnahme und -verarbeitung einen eigenen einheitlichen Gebührentatbestand darstellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.7.2001, 24 U 153/00, BeckRS 2001 30191721).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung begründet sich aus den §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.

4.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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