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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: 4 U 19/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG, SaarlStrG


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34 Satz 1
SaarlStrG § 9 Abs. 3a
SaarlStrG § 53 Abs. 1
SaarlStrG § 53 Abs. 1 Satz 3
Zu den Anforderungen an den Winterdienst im Kreuzungsbereich verkehrswichtiger Straßen.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

4 U 19/05

Verkündet am 7.3.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Göler sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Dörr und Dr. Knerr auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7.12.2004 - 4 O 433/03 - abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.283,33 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die beklagte Stadt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht wegen eines Glätteunfalls vom 6.1.2003 auf Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden in Anspruch.

Der Kläger hat behauptet, er sei gegen 9 Uhr 30 mit seinem PKW der Marke Daimler Benz 200 E in durch die K.-straße gefahren. An der Einmündung zur vorfahrtsberechtigten S. Straße habe das vor ihm fahrende Fahrzeug des Zeugen F. angehalten, um den bevorrechtigten Verkehr in der S. Straße abzuwarten. Der Kläger selbst habe sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h genähert und die Geschwindigkeit hierbei bis auf ungefähr fünf bis zehn Kilometer reduziert. Als er etwa noch 30 Meter vom Fahrzeug des Zeugen F. entfernt gewesen sei, habe er festgestellt, dass die rechte Fahrbahnseite im Einmündungsbereich zur S. Straße komplett vereist gewesen sei, so dass ein Abbremsen nicht mehr möglich gewesen sei. Er sei daher auf das Fahrzeug des Zeugen F. aufgefahren. Wenige Minuten später habe sich ein weiterer Unfall an der gleichen Stelle zugetragen. Die nach dem Unfall des Klägers hinzugerufenen Polizeibeamten seien mit ihrem Einsatzfahrzeug ebenfalls glättebedingt ins Rutschen bekommen und bis in die Fahrbahn der S. Straße hinein gerutscht.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die K.-straße im fraglichen Bereich in die Streuklasse 2 - Splitt - eingeordnet war und gegen 9 Uhr 35 gestreut wurde.

Der Kläger hat behauptet, die S. Straße und die K.-straße seien zentrale Straßen im Stadtgebiet der Beklagten. Weil die K.-straße im Annäherungsbereich ein Gefälle hin zur S. Straße aufweise, handele sich bei der Unfallstelle darüber hinaus um eine gefährliche Stelle. An seinem Fahrzeug sei Totalschaden entstanden, weil eine Reparatur Kosten in Höhe von 3.399,62 EUR verursacht hätte, wohingegen sich der Wiederbeschaffungswert lediglich auf 2.000 EUR belaufen habe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.025 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2003 zu zahlen.

Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Die Beklagte hat behauptet, an der Unfallstelle bestehe nur ein minimales Gefälle, so dass es sich um keine verkehrsgefährliche Stelle handele. Zudem sei die K.-straße keine verkehrswichtige Straße.

Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von einem Drittel stattgegeben. Auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Beklagte behauptet, das Landgericht sei aufgrund verfahrensfehlerhafter Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der K.-straße um eine verkehrswesentliche und verkehrswichtige Straße handele. Tatsächlich sei die K.-straße keine Hauptverkehrsstraße im Stadtgebiet, sondern eine reine Nebenstraße untergeordneten Charakters, die kein großes Verkehrsaufkommen zeige. So habe das Gericht durch Einsichtnahme in den Stadtplan erkannt, dass der Verkehr durch die parallel zur K.-straße verlaufende R.-W.-Straße von der B. Straße in Richtung S. Straße geführt werden könne. Außerdem sei aus dem Stadtplan auch klar zu ersehen, dass sowohl die R.-W.-Straße als auch die B.-Straße als Zuwegung zur S. Straße wesentlich breiter ausgebaut seien als die K.-straße. Diese sei sowohl in ihrer Streckenführung als auch ihrer Bedeutung zweigeteilt: Zwischen M. Straße und B. Straße sei die K.-straße als zweispurige Einbahnstraße Teil des so genannten Inneren Ringes und ihre Aufgabe bestehe darin, den Innenstadtverkehr zu verteilen und abzuleiten. Zwischen B. Straße und S. Straße, dem Unfallbereich, sei die K.-straße gegenläufig befahrbar, aber nicht mehr Teil des Inneren Ringes. Die K.-straße zähle in diesem Bereich bereits auf Grund ihrer Breite nicht zu den Durchgangsstraßen. So habe der Zeuge S. eindeutig angegeben, dass die K.-straße im Bereich der Innenstadt stärker befahren sei. Nach dem Kreuzen der B. Straße sei der Verkehr dann geringer. Viele Fahrer aus der Innenstadt benützten auch die R.-W.-Straße, um zur S.-Straße zu gelangen.

Darüber hinaus sei das Landgericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unfallstelle eine verkehrsgefährliche Stelle sei. Die Unfallstelle sei vollkommen übersichtlich ausgestaltet und weise nur ein ganz geringes, minimales Gefälle im Annäherungsbereich zur S. Straße auf. Entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts handele sich hierbei nicht um eine derart abschlüssige Straße mit starkem Gefälle, die immer die Gefahr entstehen lassen würde, dass im Einmündungsbereich die Verkehrssicherheit der Hauptstraße gefährdet werde.

Zu Unrecht gehe das Landgericht auch davon aus, dass die Beklagte schuldhaft ihre Streupflicht verletzt habe, weil sie die K.-straße nicht vorrangig bis zum Unfallgeschehen gegen 9 Uhr 30 abgestreut habe und dies zum Unfall des Klägers geführt habe. Aufgrund der Tatsache, dass es sich nicht um eine verkehrswichtige und gefährliche Stelle gehandelt habe, sei die Beklagte nicht zu einem früheren Streuen verpflichtet gewesen.

Die Beklagte beantragt,

1. unter Abänderung des am 7.12.2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken - 4 O 433/03 - die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise: unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er vertritt die Auffassung, die K.-straße sei schon immer eine Straße von erheblicher Verkehrsbedeutung gewesen. Diese habe noch weiter an Bedeutung zugenommen, weil sie zugleich als Ausfallstraße aus Richtung S. für viele Schichtarbeiter der Firmen B. und I. diene, die in Richtung S. wegführen. Auch könne keine Rede davon sein, dass die R.-W.-Straße wesentlich breiter ausgebaut sei als die K.-straße. Das Gegenteil sei der Fall. Die Ausführungen des Zeugen S. seien nur insoweit richtig, als ein kleines Teilstück der K.-straße - nämlich von der S. Straße bis zur B. Straße - bei Fahrten in die Innenstadt möglicherweise weniger genutzt werde als in umgekehrter Richtung. Dies ändere aber nichts an dem grundsätzlich bedeutenden Charakter dieser Straße.

Gerade weil die vorbeiführende S. Straße, in die die K.-straße einmünde, stark befahren sei, sei die Örtlichkeit des Verkehrsunfalls besonders gefährlich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Berufungsbegründung vom 14.2.2005 (Bl. 131 d. A.), die Berufungserwiderung vom 28.2.2005 (Bl. 145 ff. d. A.) sowie auf die Schriftsätze vom 30.8.2005 (Bl. 149 ff. d. A) und 12.9.2005 (Bl. 154 ff. d. A.) Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 31.1.2006 (Bl. 164 ff. d. A.) verwiesen.

II.

A. Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger stehen dem Grunde nach keine Amtshaftungsansprüche gem. § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG zu. Zwar war die Beklagte aus den zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung dem Grunde nach in Erfüllung ihrer aus § 9 Abs. 3a, § 53 Abs. 1 SaarlStrG folgenden Amtspflicht zur Verkehrssicherung der Straßen im fraglichen Bereich räum- und streupflichtig. Dennoch hat die Beklagte den Haftungstatbestand nicht verwirklicht, da sie der ihr obliegenden Amtspflicht im Rahmen des Zumutbaren nachkam.

1. Gemäß § 9 Abs. 3a SaarlStrG sind dem Träger der Straßenbaulast die sich aus der Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen ergebenden Aufgaben als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit übertragen. Demnach obliegt es dem Träger der Straßenbaulast, die Straße in einem hinreichend sicheren Zustand zu erhalten und in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die zur Herbeiführung und Erhaltung eines für die Benutzer hinreichend sicheren Zustandes erforderlich sind. Hierbei ist keine absolute Gefahrlosigkeit herzustellen. Denn dies ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen. Vielmehr muss sich der Straßenbenutzer grundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Demgegenüber ist es Sache des Verkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag (BGHZ 108, 273, 274 f.; BGH, Urt. v. 21.6.1979 - III ZR 58/78, VersR 1979, 1055, vgl. Urt. v. 11.12.1984 - VI ZR 218/83, NJW 1985, 1076; Staudinger/Hager, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. E 74; MünchKomm(BGB)/Wagner, 4. Aufl., § 823 Rdn. 416 ff.; Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl., § 823 Rdn. 221; Bamberger/Roth/Spindler, BGB, § 823 Rdn. 319).

2. Die Verkehrssicherungspflicht beinhaltet gem. § 53 Abs. 1 Satz 3 SaarlStrG auch den Winterdienst. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Innerhalb geschlossener Ortschaften ist seit langem allgemein anerkannt, dass die Fahrbahn der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen ist (BGHZ 112, 72, 76; vgl. BGHZ 31, 73, 75; 40, 379, 380 f.; Ketterer/Giehl/Leonhardt, Streupflicht, 3. Aufl., S. 21 ff.; Schmid NJW 1988, 3177, 3179).

a) Als gefährlich im Sinne der genannten Rechtsprechung sind die Straßenstellen einzustufen, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern, weil gerade diese Umstände bei Schnee- und Eisglätte zum Schleudern oder Rutschen und damit zu Unfällen führen können (BGHZ 112, 74, 84; vgl. BGHZ 31, 37, 75; 40, 379, 380 f.; Urt. v. 3.5.1984 - III ZR 34/83, VersR 1984, 890, 891).

b) An das kumulative Merkmal der Verkehrswichtigkeit sind keine strengen Anforderungen zu stellen: Sicher zählen die verkehrsreichen Durchgangsstraßen sowie die vielbefahrenen innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen zu den verkehrswichtigen Straßen (BGHZ 112, 72, 85; vgl. auch BGHZ 40, 379, 380). Ebenso gewiss fehlt die Verkehrswichtigkeit dort, wo die Straße ausschließlich von Anliegern genutzt wird (OLGR München 2006, 53 f.). Dient die Straße sowohl dem Anlieger- als auch dem Durchgangsverkehr, so ist die Verkehrsbedeutung nachgewiesen, wenn der Durchgangsverkehr mehr als nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt (vgl. Schmid NJW 1988, 3179).

c) Ist die grundsätzliche Räum- und Streupflicht zu bejahen, so besteht die Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren. Hierbei sind Art und Wichtigkeit der Verkehrswege ebenso zu berücksichtigen wie die Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs sowie die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen (BGH, Urt. v. 9.10.2003 - III ZR 8/03, NJW 2003, 3622, 3623).

3. Angewandt auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt, hat das Landgericht die Gefährlichkeit und die Verkehrsbedeutung des fraglichen Straßenbereichs rechtsfehlerfrei bejaht. Allerdings hält die Auffassung des Landgerichts, die Beklagte hätte den Kreuzungsbereich mit zumutbaren Mitteln bereits vor 9.30 Uhr abstreuen müssen, den Angriffen der Berufung nicht stand:

a) Zunächst handelt es sich bei dem Kreuzungsbereich um eine gefährliche Straßenstelle im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung: Der Kreuzungsbereich ist leicht abschüssig und birgt mithin die Gefahr, dass ein ins Rutschen geratenes Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten kann. Darüber hinaus steht außer Frage, dass die S. Straße, auf die die K.-straße in Fahrtrichtung des Klägers mündet, eine viel befahrene Ausfallstraße ist. b) Auch die Verkehrswichtigkeit des Straßenbereichs ist gegeben: Entgegen der Auffassung der Berufung sind nicht nur die Hauptdurchgangsstraßen im vorgenannten Sinne verkehrswichtig. Demnach kommt es nicht darauf an, ob die K.-straße im fraglichen Bereich die gleiche Verkehrsbedeutung und das gleiche Verkehrsaufkommen wie die zum Inneren oder Äußeren Ring gehörenden Straßenzüge besitzt. Unerheblich ist es auch, ob die K.-straße mit den Worten der Berufung einen gespaltenen Charakter zeigt, weil sie in einem Teilbereich der Ableitung des im Inneren Ring fließenden Verkehrs diene, nach der Kreuzung der B. Straße jedoch mit einem wesentlich geringeren Verkehr belastet sei. Entscheidend ist vielmehr, dass auch die K.-straße in nicht unerheblichem Maße vom Durchgangsverkehr, keineswegs nur von Anliegern befahren wird.

Die Verkehrsbedeutung wird bereits in der zeichnerischen Darstellung des Stadtplans deutlich: Die K.-straße ist die direkte Verbindung, um aus dem Stadtzentrum auf die S. Straße zu gelangen. Nach aller Lebenserfahrung wird ein nicht zu vernachlässigender Teil der Verkehrsteilnehmer diesen in der Natur der Straßenführung liegenden Vorteil nutzen, um von der Innenstadt stadtauswärts zu fahren. Diese Einschätzung wird durch die Aussagen der Zeugen N. und S. bestätigt: Der Zeuge N. hat in seiner Vernehmung vom 13.5.2004 im beigezogenen Verfahren 4 O 58/04 bekräftigt, dass die K.-straße teilweise als Ausfallstraße benutzt werde. Im Kern steht diese Aussage der Aussage des Zeugen S. nicht entgegen. Obwohl dieser Zeuge in seiner Vernehmung vom 19.4.2004 (Bl. 59 d. A.) die K.-straße als Nebenstraße bezeichnet hat, hat der Zeuge in seiner Vernehmung im Verfahren 4 O 58/04 beschrieben, dass zwar viele aus der Innenstadt kommende Fahrer die R.-W.-Straße benutzten, um zur S. Straße zu gelangen. Derjenige, der jedoch vorher auf der K.-straße gewesen sei, bleibe dann meistens bis zur S. Straße auf der K.-straße. Damit ist eine Verkehrswichtigkeit des fraglichen Verkehrsbereichs i. S. der vorgenannten Rechtsgrundsätze hinreichend belegt. Denn es liefe den berechtigten Erwartungen der Verkehrsteilnehmer entgegen, einen in zentraler städtischer Lage befindlichen Straßenbereich, der einen nicht unerheblichen gewerblichen Anliegerverkehr und einen Durchgangsverkehr eröffnet, von jeglichem Winterdienst zu befreien. Dies wäre jedoch die rechtliche Konsequenz aus einer Verneinung der Verkehrswichtigkeit.

c) Dennoch ist es der Beklagten nicht vorzuwerfen, dass sie ihrer Räumpflicht in der K.-straße nicht mit der gleichen Priorität nachgekommen ist wie in den zur Streuklasse 1 gehörenden Straßenzügen.

aa) Wie auch das Landgericht im Ausgangspunkt seiner Argumentation nicht verkennt, ist die Räumpflicht nur in den Grenzen des Zumutbaren geschuldet. Da eine zum Winterdienst verpflichtete Kommune nicht alle zu räumenden Straßenzüge gleichzeitig räumen kann, begegnet es keinen Bedenken, dass der Verkehrssicherungspflichtige die Reihenfolge der zu räumenden Straßenzüge nach sachgerechten Kriterien ausrichtet. Hierbei bietet es sich an, innerhalb des Bereichs aller gefährlichen und verkehrswichtigen Straßen noch einmal nach Verkehrsbedeutung und Verkehrsaufkommen zu differenzieren. Dieses Kriterium liegt dem Streuplan der Beklagten zugrunde: Die Beklagte hat alle dem Winterdienst unterliegenden Straßen in drei Streuklassen eingeteilt, wobei die K.-straße im fraglichen Bereich zur Streuklasse 2 gehört, der erst nach dem vollständigen, doppelten Abstreuen der zum Streubereich 1 gehörenden Straßen abgestreut wird.

bb) Die Einteilung des fraglichen Straßenbereichs in die Streuklasse 2 ist nicht zu beanstanden. Wenngleich aus den voranstehenden Überlegungen die Verkehrsbedeutung der K.-straße nachgewiesen ist, steht letztlich zwischen den Parteien außer Streit, dass der fragliche Straßenbereich der K.-straße eine geringere Verkehrsbedeutung besitzt als die zum Inneren und Äußeren Ring gehörenden Straßenzüge.

cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Beklagte ihre Verkehrspflicht nicht deshalb verletzt, weil es in der konkreten Witterungssituation geboten gewesen wäre, bereits beim Abstreuen der zur Streuklasse 1 gehörenden S. Straße nach links in den Kreuzungsbereich der K.-straße einzubiegen. Ein derartiges Fahrmanöver konnte der Beklagten nicht angesonnen werden. Es erscheint bereits nicht sachgerecht, die Frage nach der Zumutbarkeit des vom Landgericht empfohlenen Fahrmanövers nach der Beschaffenheit der konkreten Kreuzung am Unfalltag zu beantworten. Diese einzelfallbezogene Betrachtungsweise wird der Lebenswirklichkeit des Streuvorgangs nicht gerecht:

Im Dienste einer zügigen Herbeiführung des Streuerfolgs muss der Führer des Streufahrzeugs einer klaren, bereits bei Antritt der Fahrt vorgegebenen Streckenführung folgen. Denn der Fahrer, der sein Augenmerk nicht nur auf den Streuvorgang selbst, sondern auch auf den fließenden Verkehr richten muss, wäre überfordert, wenn er die einzuhaltende Fahrstrecke nach den konkreten Straßenverhältnissen modifizieren müsste. Mithin stellt sich nicht die Frage, ob es dem Fahrer des Streufahrzeugs zugemutet werden konnte, beim Herannahen an den Kreuzungsbereich sein Fahrzeug in die K.-straße zu lenken. Vielmehr könnte die Rechtsauffassung des Landgerichts allenfalls dann überzeugen, wenn die Beklagte bei der Konzeption der Streuklassen gehalten gewesen wäre, alle verkehrswichtigen Kreuzungsbereiche im Bereich der Streuklasse 1 zeitgleich mit der jeweiligen Hauptverkehrsstraße abzustreuen.

Nach Auffassung des Senats ist eine derartige Interpretation des Streuvorgangs nicht sachgerecht. Denn das Abstreuen aller verkehrswichtigen Kreuzungsbereiche würde den Abstreuvorgang in seiner Gesamtheit nicht unwesentlich verzögern: Ein kurzes Abbiegen in anliegende Kreuzungsbereiche kann nur dann erfolgen, wenn eine Gefährdung des fließenden Straßenverkehrs ausgeschlossen ist. Würde der jeweilige Kreuzungsbereich beim Herannahen des Streufahrzeugs von anderen Fahrzeugen befahren, so müsste das Räumfahrzeug diesen Fahrzeugen zunächst die Vorfahrt gewähren, um in den Kreuzungsbereich einzufahren. Auch beim Wiedereinbiegen in den Verkehr der Hauptverkehrsstraße ist die Vorfahrt des bevorrechtigten Verkehrs zu beachten. Diese Fahrmanöver wären mit einer nicht unerheblichen Verzögerung verbunden, die in ihrer Addition den Gesamterfolg des Streuvorgangs nachhaltig gefährden würde.

dd) Schließlich kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, am 6.1.2003 erst um 7.00 Uhr mit dem Abstreuen der Straßen begonnen zu haben. Der Zeuge Didion hat unter Bezug auf das Streubuch ausgesagt, am 6.1.2003 deshalb erst gegen 7.00 Uhr mit dem Abstreuen begonnen zu haben, weil in der vorangegangenen Nacht keine Erschwernisse zu vermelden gewesen seien, die einen früheren Streubeginn erforderlich gemacht hätten. Der Kläger zeigt keine Umstände auf, die die Glaubhaftigkeit der Aussage in Zweifel ziehen.

Nach alledem war der Klage ein Erfolg versagt.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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