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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 04.04.2006
Aktenzeichen: 4 U 377/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Verpflichtet sich ein Grundstücksveräußerer zur Tragung aller Erschließungs- und Anliegerbeiträge aufgrund bereits durchgeführter Maßnahmen, so hat er den Erwerber auch dann von der Zahlungspflicht gegenüber der Kommune freizustellen, wenn die Beitragserhebung wegen nachträglicher Satzungsänderung erst viele Jahre nach Vertragsschluss erfolgt. Der Veräußerer kann sich weder auf § 242 BGB berufen, noch auf den Umstand, dass gegen den Beitragsbescheid Widerspruch eingelegt wurde.
Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.07.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (3 O 451/04) wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

I. Die Parteien streiten um einen Freistellungsanspruch.

Die Beklagten verkauften den Klägern mit notariellem Kaufvertrag vom 30.10.1991 (Urkunde des Notars Dr. S. Nr. - Bl. 5 d. A.) ihr Hausanwesen in P. (Bl. 2 d. A.).

In Ziffer IV. 5. des Vertrages ist folgende Vereinbarung enthalten:

"Der Veräußerer trägt alle Erschließungskosten gemäß § 127 II BauGB und Anliegerbeiträge einschließlich der Kostenerstattungsansprüche der Gemeinde nach dem Kommunalabgabengesetz und den entsprechenden Gemeindesatzungen für Maßnahmen, die bis zum heutigen Tage ausgeführt wurden, auch wenn diese Arbeiten noch nicht in Rechnung gestellt wurden. Alle Maßnahmen, die nach dem genannten Zeitpunkt ausgeführt werden, gehen zu Lasten des Erwerbers. Vorstehende Regelung erfolgt unabhängig davon, wann diese Arbeiten in Rechnung und entsprechende Leistungsbescheide zugestellt wurden."

Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses lag ein Gebührenbescheid für Erschließungskosten bzw. Anliegerbeiträge nicht vor. Mit Bescheid der Stadt P. vom 25.06.2003 (Bescheid-Nr. - Bl. 7 d. A.) wurden die Kläger zur Zahlung eines Kanalbaubeitrages für das Grundstück in Höhe von 7.144,50 EUR herangezogen. Ausweislich der Begründung des Bescheides basiert dieser auf einer Satzung vom 28.11.2001, die am 01.01.2002 in Kraft trat und die vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes für nichtig erklärte Satzung vom 15.06.1990 ersetzte. Gegen den Bescheid wurde Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist, der jedoch keine aufschiebende Wirkung hat (Bl. 3 d. A.).

Der Straßenkanal, für dessen Herstellung der mit Bescheid vom 25.03.2003 festgesetzte Kanalbaubeitrag gefordert wird, wurde schon lange vor dem Abschluss des Grundstückskaufvertrages fertig gestellt (Bl. 3 d. A.).

Die Beklagten wurden mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 12.08.2003 (Bl. 9 d. A.) aufgefordert, ihre Bereitschaft zur Übernahme des festgesetzten Kanalbaubeitrages bis zum 26.08.2003 zu erklären. Dies lehnten die Beklagten ab (Bl. 4 d. A.).

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, die Kläger freizustellen von der Verpflichtung zur Zahlung von Kanalbaubeiträgen für die Grundstücke, die die Beklagten an die Kläger mit der Urkunde des Notars Dr. S. vom 30.10.1991 veräußert haben,

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Kläger von der Zahlung von Kanalbaubeiträgen an die Stadt P. betreffend die im vorstehenden Klageantrag genannten Grundstücke freizustellen,

weiter hilfsweise, die Beklagten zu verurteilen, an die Kläger 7.144,50 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.08.2003 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem am 06.07.2005 verkündeten Urteil (Bl. 45 d. A.) hat das Landgericht dem mit der Klage geltend gemachten Hauptantrag in vollem Umfang stattgegeben. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils Bezug.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt.

Die Beklagten sind der Auffassung, "die reine Klageforderung" sei "unzulässig gem. § 242 BGB", da der Kaufvertrag - unstreitig - bereits vor mehr als 13 Jahren abgeschlossen worden sei (Bl. 77 d. A.). Der Bescheid der Stadt P. sei - ebenfalls unstreitig - erst 10 Jahre nach Hausverkauf an die neuen Eigentümer ergangen (Bl. 77 d. A.).

Das Landgericht habe die Beweislastregelung bzw. Rechtsvorschriften fehlerhaft angewandt (Bl. 77 d. A.). Da der Kanal - unstreitig - Jahrzehnte vor dem Grundstückskaufvertrag gebaut worden sei, hätten die Verkäufer nicht, wie vom Landgericht angenommen, Kenntnis davon gehabt, dass nach Jahrzehnten die Gemeinde Kanalbaukosten gegen die gegenwärtigen Eigentümer geltend mache (Bl. 77 d. A.). Da bei der Aufstellung der Beitragssatzung im Jahre 2002 die Beklagten seit 10 Jahren nicht mehr Eigentümer des Grundstücks gewesen seien, treffe die Kläger die Kostentragungspflicht. Ansonsten liege auf Grund unzulässiger Rechtsausübung ein Verstoß gegen § 242 BGB vor (Bl. 77 d. A.). Die Beklagten gingen mehr als 12 Jahre nach dem Hausverkauf nicht mehr davon aus, irgend welche Zahlungen an die Käufer leisten zu müssen und seien hierzu auch alters- und krankheitsbedingt sowie finanziell nicht in der Lage (Bl. 77 d. A.).

Die Beklagten beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen

Die Kläger sind der Ansicht, die Berufung sei bereits unzulässig, da es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung fehle (Bl. 82 d. A.).

Es liege kein Verstoß gegen § 242 BGB vor, da genau der Sachverhalt eingetreten sei, der unter die streitgegenständliche Vertragsklausel falle. Nach dieser sei es rechtlich völlig unerheblich, wie lange der Abschluss des notariellen Vertrages zum Zeitpunkt der Berechnung von Erschließungsbeiträgen zurückliege (Bl. 82 d. A.). Gegen Beweislastregeln habe das Landgericht schon deshalb nicht verstoßen, weil der maßgebliche Sachverhalt unstreitig sei (Bl. 82 d. A.). Dass der Kanal lange vor Abschluss des Kaufvertrages gebaut worden sei, sei nach dem Inhalt der einschlägigen Vertragsklausel gerade Voraussetzung dafür, dass die Beklagten die Erschließungsbeiträge im Innenverhältnis zu tragen hätten, sofern deren Berechnung erst nach Abschluss des Grundstückskaufvertrags erfolge (Bl. 83 d. A.).

Ob die Beklagten Kenntnis von der Jahre später erfolgenden Abrechnung der Beiträge gehabt oder damit gerechnet hätten, an die Kläger noch Zahlungen leisten zu müssen, sei unerheblich (Bl. 83 d. A.).

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrages im Einzelnen sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 01.06.2005 (Bl. 41 d. A.) und des Senats vom 07.03.2006 (Bl. 87 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 06.07.2005 (Bl. 45 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht weder gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf einer Rechtsverletzung, d. h. einer Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger gegen die Beklagten einen Anspruch auf Freistellung aus Ziffer IV. 5. des notariellen Kaufvertrages vom 30.10.1991 haben. Denn unstreitig betrifft der Bescheid über die Erhebung eines Kanalbaubeitrages vom 25.06.2003 einen Beitrag gemäß § 127 Abs. 4 BauGB, der für eine Maßnahme erhoben wurde, die unstreitig vor dem Vertragsschluss durchgeführt wurde. Einer Beweiserhebung oder der Entscheidung nach Beweislastregeln bedarf es insoweit nicht. Das Landgericht hat diesen Beitrag zutreffend als "Anliegerbeitrag" i. S. d. der Vertragsklausel angesehen, da gemäß § 127 Abs. 4 Satz 2 BauGB die Kosten für Abwasseranlagen von den Eigentümern der "anliegenden" Grundstücke, deren Entwässerung die Leitung dient, zu tragen sind. Dass der Beitrag erst nach dem Vertragsschluss erhoben wurde, steht nach dem ausdrücklichen Wortlaut der vertraglichen Regelung der Verpflichtung der Beklagten, diesen im Innenverhältnis zu tragen, nicht entgegen.

2. In der Vertragsklausel ist im Übrigen zwar nicht von "Freistellung" die Rede. Jedoch kann diese nach ihrem Sinn und Zweck nur dahingehend ausgelegt werden, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Kläger von der Erhebung entsprechender Beiträge freizustellen. Durch die vertragliche Vereinbarung sollte nämlich sichergestellt werden, dass die Kläger unter keinen Umständen Gefahr laufen würden, zur Zahlung von Beiträgen für bereits vor Vertragsschluss durchgeführte Erschließungs- oder Kanalbaumaßnahmen herangezogen zu werden. Vielmehr sollten die entsprechenden, dem Grundstückswert zugute kommenden Aufwendungen durch den Kaufpreis pauschal abgegolten sein und daher - sofern sie nicht bereits in der Vergangenheit erhoben und gezahlt wurden - auch nach Vertragsschluss noch ausschließlich den Beklagten zur Last fallen. Lediglich für Maßnahmen nach Vertragsschluss sollten die Kläger als Erwerber aufkommen müssen, da diese ja bei der Berechnung des Kaufpreises nicht berücksichtigt werden konnten.

Um den Klägern bezüglich bereits durchgeführter Maßnahmen jegliches Risiko abzunehmen, sind daher die Beklagten verpflichtet, es gar nicht erst dazu kommen zu lassen, dass die Kläger im Außenverhältnis gegenüber der Gemeinde zahlen müssen, sondern diese freizustellen, also ihre Zahlungspflicht zu erfüllen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Kläger Widerspruch gegen den Beitragsbescheid eingelegt haben, denn dieser hat gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Die Kläger müssen unabhängig vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens sowie einer eventuell sich hieran anschließenden Klage zunächst einmal zahlen. Auch dieses Risiko soll ihnen nach Sinn und Zweck der vertraglichen Vereinbarung abgenommen werden. Sollte sich nach Abschluss aller Rechtsbehelfs- und ggf. Rechtsmittelverfahren herausstellen, dass die Kläger nicht oder nur in einer geringeren Höhe zur Zahlung des Beitrags verpflichtet sind, so besteht ggf. ein Rückerstattungsanspruch der Beklagten. Zunächst aber haben diese die Kläger von ihrer Verpflichtung freizustellen.

3. Dieser Anspruch steht auch beiden Klägern zu. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen unter Ziffer 4) des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden, die im Rahmen der Berufung auch nicht angegriffen werden.

4. Ferner können die Beklagten auch nicht im Hinblick auf den seit Vertragsschluss verstrichenen längeren Zeitraum den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung oder der Verwirkung gemäß § 242 BGB erheben.

Dies folgt daraus, dass gerade der Fall eingetreten ist, vor dem die vertragliche Vereinbarung die Kläger schützen sollte. Es ist nämlich typisch für das Beitragsrecht, dass für bereits längst abgeschlossene Maßnahmen erst viele Jahre später Beiträge erhoben werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn - wie hier - eine zunächst erlassene Beitragssatzung vom Oberverwaltungsgericht nach einem u. U. viele Jahre dauernden Verfahren gemäß § 47 VwGO für nichtig erklärt wird und dann die Gemeinde zulässigerweise eine neue, den vom Gericht postulierten rechtlichen Anforderungen entsprechende Satzung für die in der Vergangenheit liegende Maßnahme nachschiebt (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Auflage, § 11, Rdnr. 59 - 64). Dabei ist es keine Seltenheit, dass dies wie im vorliegenden Fall noch nach Jahrzehnten geschieht.

Sinn und Zweck der Vereinbarung unter Ziffer IV. 5. des Kaufvertrages ist es aber auch und gerade, die Kläger vor einer derartigen nach sehr langer Zeit erfolgenden und nicht vorhersehbaren Inanspruchnahme zu schützen. Jedes diesbezügliche Risiko sollte den Klägern für alle Zeiten genommen werden. Daher bleiben die Beklagten nach den vertraglichen Vereinbarungen auf unbegrenzte Zeit zur Freistellung bezüglich vor Vertragsschluss faktisch durchgeführter Maßnahmen verpflichtet, ohne sich hiergegen unter Berufung auf § 242 BGB wehren zu können. Die Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach sehr langer Zeit stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar, sondern ist in der vertraglichen Vereinbarung bereits angelegt.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagten von der Möglichkeit der späteren Beitragserhebung wussten oder hätten wissen müssen. Gerade wegen des Umstands, dass keine der Parteien auch bei noch so guter Kenntnis der in der Vergangenheit durchgeführten Baumaßnahmen sicher wissen konnte, ob noch mit Beiträgen auf irgend einer Rechtsgrundlage zu rechnen war, wurde die streitgegenständliche Vertragsklausel geschaffen.

5. Schließlich ist es rechtlich unerheblich, ob die Beklagten alt und krank sind oder über finanzielle Mittel zur Begleichung der Beitragsforderung verfügen (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Auflage, § 275 BGB, Rdnr. 3).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. § 713 ZPO ist anwendbar, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, für jede der Parteien unzweifelhaft nicht gegeben sind. Dies folgt daraus, dass die Revision nicht zugelassen ist und gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO n. F. die Nichtzulassungsbeschwerde für jede der Parteien unzulässig ist, da die Beschwer der Beklagten im Berufungsverfahren 7.144,50 EUR, mithin nicht mehr als 20.000,-- EUR beträgt.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n. F.) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n. F.).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 7.144,50 EUR.

Ende der Entscheidung

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