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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.09.2006
Aktenzeichen: 5 U 247/06
Rechtsgebiete: AVB, BB-BUZ, ZPO


Vorschriften:

AVB § 7 Abs. 3
BB-BUZ § 8
ZPO § 940
Nach einer Einstellung von Leistungen aufgrund einer Nachprüfung kann der Versicherungsnehmer grundsätzlich Fortzahlung der Zahlungen im Wege der einstweiligen Verfügung beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Existenzgefährdung des Versicherungsnehmers durch die Zahlungseinstellung glaubhaft gemacht wird.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

5 U 247/06

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 20.09.2006 unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Madert und der Richterin am Landgericht Hoffmann-Lindenbeck

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 23.3.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 12 O 114/05 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die einstweilige Verfügung vom 14.02.2006 wird aufgehoben. Der Antrag auf ihren Erlass wird - auch im übrigen - zurückgewiesen.

2. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.900,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Verfügungskläger (im Weiteren Kläger) unterhält bei der Verfügungsbeklagten (im Weiteren Beklagten) eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufunfähigkeitszusatzversicherung sowie eine Rentenversicherung. Auf der Grundlage dieser Verträge erhielt er von der Beklagten aufgrund eines Anerkenntnisses vom 17.2.2004 ab dem 1.4.2003 bis zum 1.2.2005 Leistungen in Höhe von 1013,75 € und 586,90 €. Die Beklagte stellte ihre Zahlungen zum 1.2.2005 ohne vorherige Mitteilung ein und begründete dies auf Nachfrage mit Schreiben vom 24.2.2005 damit, der Kläger sei erneut beruflich - wie sie im Einzelnen dargelegt hat - tätig, sein Gesundheitszustand habe sich folglich nennenswert gebessert. In späterer Korrespondenz stützte sie sich darauf, dass der Kläger die ihm obliegende Mitwirkung - durch Anzeige der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit - unterlassen habe.

Gegen die Leistungseinstellung durch die Beklagte geht der Kläger in dem Hauptsacheverfahren 12 O 114/05 vor. Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat er die umgehende Wiederaufnahme der Leistungen durch die Beklagte begehrt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, aufgrund Versicherungsvertrages Nr. XX ab sofort an den Kläger eine monatliche Rente in Höhe von1.013,75 € und aufgrund Versicherungsvertrages Nr. YY ab sofort an den Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 586,90 € zu zahlen

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 14.2.2006 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der der Beklagten aufgegeben wurde, vom 17.2.2006 bis 31.12.2006 monatlich 900,- € jeweils bis zum 17. eines Monats als Vorschuss auf eine Berufsunfähigkeitsrente aus dem Vertrag Nr. XX (- der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung-) zu zahlen.

Die Beklagte hat Widerspruch eingelegt und beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei als Immobilienverwalter in Ungarn tätig.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 23.3.2006 bestätigt. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren sowie im Verfügungsverfahren davon ausgegangen, dass der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach im Hauptsacheverfahren obsiegen werde, da die Beklagte nicht glaubhaft gemacht habe, dass die Voraussetzungen ihrer mit Schreiben vom 17.2.2004 anerkannten Leistungspflicht weggefallen seien. Eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 7 Abs. 3 AVB nach Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit sei nicht glaubhaft gemacht.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten rügt fehlerhafte Tatsachenfeststellung, da das Landgericht wesentliche Gesichtspunkte außer acht gelassen habe. Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch seien rechtsfehlerhaft bejaht worden.

Die Beklagte beantragt,

1. Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 23.3.2006 - Az.: 12 O 114/05 e.V. wird abgeändert.

2. Die einstweilige Verfügung vom 14.2.2006 wird aufgehoben.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

1.

Ob der Kläger einen Verfügungsanspruch - auf Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente - glaubhaft gemacht hat, kann dahinstehen. Er würde voraussetzen, dass die Beklagte entweder glaubhaft gemacht hätte, aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit des Klägers nach § 7 Abs. 3, §8 BB-BUZ gegenwärtig leistungsfrei oder aufgrund einer formell und materiell rechtmäßigen Nachprüfungsentscheidung zur Einstellung ihrer Leistungen befugt zu sein. Da sich die Beklagte jedenfalls in formeller Hinsicht bislang nicht auf eine rechtlich erhebliche Änderung des gesundheitlichen Zustands des Klägers berufen kann, käme es darauf an, ob sie im Zuge ihrer Nachprüfungsentscheidungen zu irgendeinem Zeitpunkt den formellen Voraussetzungen einer konkreten Verweisung genügt hat - dazu hat das angefochtene Urteil nichts ausgeführt. Es käme ferner darauf an, ob den erstinstanzlichen Feststellungen, die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger als Immobilienmakler in Ungarn tätig sei, gefolgt werden könnte oder ob ihnen nicht - wie die Beklagte mit nicht von vornherein fern liegenden Gründen vorträgt - im gegenwärtigen Stadium der Beweisaufnahme in dem Hauptsacheverfahren konkrete Anhaltspunkte zu Zweifel begegneten, die eine erneute, im Ergebnis offene Feststellung der Glaubhaftmachung durch den Senat erfordern könnten. Das kann jedoch dahinstehen.

2.

Die einstweilige Verfügung kann schon deshalb nicht aufrechterhalten werden, weil der Kläger den Verfügungsgrund für die von ihm begehrte Leistungsverfügung nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.

a.) Gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Danach ist es auch grundsätzlich zulässig, bei einem Streit um die Berechtigung einer Einstellung von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung infolge einer Nachprüfung durch den Versicherer die vorläufige Fortsetzung der Zahlungen anzuordnen. Das darf aber nur dann geschehen, wenn ohne Erlass einer solchen Entscheidung anders nicht abwendbare Nachteile für den Lebensunterhalt des Versicherungsnehmers entstünden (OLG Hamm r+s 1990, 36). Wie in anderen Fällen einer solchen "Leistungsverfügung" auch muss der Antragsteller darlegen und glaubhaft machen, dass er dringend zur Deckung seiner grundlegenden Bedürfnisse auf die sofortige Erfüllung seines angeblichen Anspruchs angewiesen ist und ohne sie so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zumutbar ist (OLG Düsseldorf, , NJW-RR 1996, 123). Die wenn auch nur teilweise vorläufige Befriedigung des Hauptanspruchs kann danach nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn durch die Dauer der Erwirkung eines Titels irreversible Fakten geschaffen würden oder der Verweis auf das ordentliche Verfahren praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme. Der Erlass von "Leistungsverfügungen" muss auf Notfälle wie eine existenzielle Gefährdung des Gläubigers beschränkt bleiben. Denn die vorläufige Befriedigung führt regelmäßig zu einem endgültigen Rechtsverlust des Schuldners, weil er einen Rückforderungsanspruch nach Obsiegen in der Hauptsache nur selten wird durchsetzen können. Führt die Verweigerung einer einstweiligen Regelung bei späterem Obsiegen in der Hauptsache nur zu Vermögensschäden, bleibt der Gläubiger regelmäßig auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatz verwiesen und kann nicht zu deren Abwendung gleichsam vorbeugend sofortige Erfüllung verlangen( OLG Köln, MDR 2005, 290). Nach einem Teil der Rechtsprechung kommt eine Leistungsverfügung sogar solange nicht in Betracht, als die Möglichkeit besteht, der Notlage durch die Inanspruchnahme von sozialrechtlichen Leistungen zu begegnen (OLG Celle, VersR 1999, 212; OLG Hamm, MDR 2000, 847).

b.) Eine existenzielle Notlage hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Unstreitig verfügt er über regelmäßige monatliche Einnahmen von 728,74 €. Dass er über keine weiteren Einkünfte - und - vor allem, über kein Vermögen verfügt, hat er trotz eines Hinweises des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt. Nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 7.2.2006 betragen seine monatlichen Belastungen 1.625,- € ohne Lebenshaltungskosten und Kosten für diverse Versicherungen. Aus welchen Gründen er, unterstellt man seine Angaben zu seinen Einkünften als vollständig, durch diese "Belastungen", deren Gläubiger nicht ohne weiteres Zugriff auf der Zwangsvollstreckung nicht mehr unterliegende geringfügige Bezüge nehmen könnten, dadurch in existenzielle Bedrängnis geraten sein soll, ist nicht erkennbar. Leistungsverfügungen sind nicht schon dann statthaft, wenn die Schulden eines - vermeintlichen - Gläubigers seinen Verdienst übersteigen. Konkrete Unterlagen, aus denen sich die Zahlungsverpflichtungen des Klägers schlüssig nachvollziehen lassen, fehlen im übrigen. Vorgelegt hat er lediglich eine eigene Aufstellung sowie ein Schreiben der H.Bank, aus dem sich zwar ergibt, dass sich der Kläger mit der Zahlung von Darlehensraten in Rückstand befindet. Allerdings ist darin neben ihm eine weitere Darlehnsnehmerin genannt. Der Kläger hat nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass diese nicht in der Lage ist das Darlehen allein weiter zu bedienen.

Der Kläger hat in seiner Berufungserwiderung auf weitere Verbindlichkeiten gegenüber seinem Steuerberater für Leistungen aus dem Jahre 2004, Ratenzahlungsverpflichtungen gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund und Verpflichtungen gegenüber der Krankenversicherung hingewiesen. Die erwähnten Nachweise wurden jedoch nicht vorgelegt; ihr Bestehen ist nicht glaubhaft gemacht. Im übrigen ergibt sich daraus auch gar nicht, dass ihm zur Bestreitung seines Lebensunterhalts kein Einkommen mehr zur Verfügung steht.

Aus der Kontoinformation über den Stand seines Girokontos ergibt sich demgegenüber, dass ein ihm eingeräumter Überziehungskredit noch nicht ausgeschöpft ist. Dies wäre ihm jedoch zumutbar. Die Zeugin N. hat in ihrer Vernehmung vor dem Landgericht im übrigen erklärt, "man" habe sich ein Haus in Ungarn gekauft. Es ist nichts dazu vorgetragen, dass der Kläger dieses Haus nicht beleihen kann.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers schließlich erklärt, der Kläger habe keinen Prozesskostenhilfeantrag gestellt, da er über eine Rechtsschutzversicherung verfüge. Die geringen Raten für die Versicherung könne der Kläger noch tragen. Das weckt Bedenken, ob der Kläger, der Pflichtbeiträge zu seiner Rentenversicherung schuldig geblieben, wohl aber in der Lage gewesen ist, eine Rechtsschutzversicherung zu bedienen, insgesamt glaubwürdig ist, wenn er eine ins Gewicht fallende Bedürftigkeit behauptet. Im Hinblick darauf, dass der Vortrag des Klägers zu seinen finanziellen Verpflichtungen zu wenig Substanz hat und er offenbar über noch nicht ausgeschöpfte finanzielle Ressourcen verfügt, kann eine existenzielle Notlage, wie sie für die Leistungsverfügung erforderlich ist, nicht bejaht werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Hinsichtlich des Streitwerts des Berufungsverfahrens ist zu bedenken, dass die angefochtene Entscheidung dem Kläger lediglich vorläufige Zahlungen in Höhe von 9900 € zugesprochen hat.

Ende der Entscheidung

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