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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 5 U 460/01
Rechtsgebiete: BGB, VVG, AUB 94


Vorschriften:

BGB § 123 Abs. 2
BGB § 123 Abs. 2 Satz 1
BGB § 142 Abs. 1
VVG § 16 Abs. 1 Satz 3
VVG § 5 Abs. 1
VVG § 5 Abs. 2
VVG § 6 Abs. 3
AUB 94 § 9 Abs. 2
AUB 94 § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

5 U 460/01

verkündet am 12.3.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Leistungen aus einer Unfallversicherung

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19.2.2003 unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, der Richterin am Oberlandesgericht Hermanns und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Dörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8.5.2001 - 14 O 162/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert beträgt 30.166,22 €.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten, seinem Unfallversicherer, eine Invaliditätsentschädigung in Höhe des Gegenwerts von 49.000 DM in Euro und eine Übergangsleistung in Höhe des Gegenwerts von 10.000 DM in Euro wegen eines behaupteten Unfalls, den er am 29.5.1999 durch einen Sturz beim Hinaufsteigen auf einer Treppe erlitten haben will.

Den Abschluss des Versicherungsvertrages hat der Kläger am 14.5.1999 über seinen Versicherungsmakler, die ... GmbH, der alle seine verschiedenen Versicherungsverträge für ihn betreute, beantragt. Nach dem Antrag (Bl. 9) gewährte die Beklagte sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang. Die Beklagte stellte am 20.5.1999 einen Versicherungsschein aus (Bl. 38), der dem Kläger - wie er nicht substantiiert bestreitet - vor dem 29.5.1999 zugegangen ist. Danach war als Invaliditätsentschädigung eine Summe von 700.000 DM bei einem Progressionssatz von 100% vereinbart. Für die Zeit vom 14.5.1999 bis 1.6.1999 gewährte die Beklagte "prämienfreien Versicherungsschutz". Ob dem Kläger bei Antragstellung oder mit der Überlassung des Versicherungsscheins die Allgemeinen Versicherungsbedingungen - AUB 94 - überlassen worden sind und wann ihm eine Verbraucherinformation sowie das "Bedingungskonzept" der Beklagten - vor Überlassung des Versicherungsscheins - zur Verfügung gestanden haben, ist zwischen den Parteien streitig.

Bei Antragstellung hatte der für seinen Versicherungsmakler auftretende Zeuge ... dem Kläger die in dem Versicherungsantrag gestellte Frage "Leidet oder litt die zu versichernde Person in den letzten vier Jahren an körperlichen Fehlern, Gebrechen oder erheblichen Krankheiten ..." vorgelesen, die Verneinung angekreuzt und handschriftlich eingetragen "Hausarzt Dr. ... für evtl. Rückfragen!".

In Wirklichkeit hatte der Kläger 1995 eine Kahnbeinfraktur des rechten Handgelenks, die operativ behandelt worden war, davongetragen, am 30.11.1998 einen Unfall mit Schäden am linken Schultergelenk erlitten, die zu einer fast viermonatigen vollständigen Arbeitsunfähigkeit geführt hatte, und war am 21.3.1999 Opfer eines Verkehrsunfalls gewesen, bei dem er "schwer traumatisiert" worden war und nach dem er die üblichen Symptome eines schweren Halswirbelsäulentraumas aufgewiesen hatte.

Der Kläger zeigte der Beklagten den behaupteten Unfallschaden am 21.7.1999 an. Alle von der Beklagten daraufhin in einer ihm übersandten Schadenanzeige gestellten Fragen nach seinem Gesundheitszustand bei Eintritt des Unfalls, nach vorherigen Erkrankungen oder Verletzungen im Bereich der jetzigen Unfallverletzung und nach früher erlittenen Unfällen beantwortete der Kläger mit "beh. Arzt ... anfragen". Davon wich er auch auf Rückfrage und Aufforderung der Beklagten, die Unfallschadenanzeige zu vervollständigen, nicht ab. Das Formular der Schadenanzeige enthält als Zusatz zu den "Fragen an den Antragsteller" die Hinweise "Die genaue und vollständige Beantwortung der nachfolgenden Fragen ist für die Feststellung des Versicherungsfalles und die Beurteilung unserer Leistungspflicht wichtig. Durch bewusst falsche oder lückenhafte Angaben geht der Versicherungsschutz verloren" und "Es ist mir bekannt, dass bewusst unwahre oder unvollständige Hinweise zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer durch die Angaben kein Nachteil entsteht". Demgegenüber sahen die weiteren Nachfragen der Beklagten eine solche Belehrung nicht mehr vor. So bat die Beklagte unter dem 13.8.1999 den Kläger um Vervollständigung und Unterzeichnung der Unfallschadenanzeige und wies darauf hin, dass die genaue und vollständige Beantwortung der Fragen für die Feststellung des Versicherungsfalles und die Beurteilung ihrer Leistungspflicht wichtig sei. Der Kläger antwortete, um die Fragen lückenlos beantworten zu können, werde nochmals gebeten, Auskunft bei den angegebenen Ärzten, die von der Schweigepflicht entbunden würden, einzuholen. Damit gab sich die Beklagte nicht zufrieden. Unter dem 23.9.1999 forderte sie den Kläger "letztmalig" auf, die von ihm lediglich mit Hinweisen auf seinen behandelnden Arzt erwiderten Fragen vollständig zu beantworten (oder durch seinen Arzt beantworten zu lassen) und mahnte, dass der Kläger diese Auskünfte umgehend zu erteilen habe; wenn er dem nicht nachkomme, sei sie von der Verpflichtung zur Leistung frei. Schließlich lehnte die Beklagte, als diese Aufforderung keinen Erfolg hatte, unter dem 4.11.1999 Leistungen ab (Bl. 10).

Der Kläger behauptet, er sei am 29.5.1999 auf einer Treppe gestürzt, habe sich die linke Hand verletzt und sei in der Folgezeit Invalide geworden. Der Grad der Invalidität betrage 1/10 Handwert der von der Beklagten verwendeten Gliedertaxe. Der Kläger meint, damit stehe ihm ein Anspruch auf Invaliditätsentschädigung und eine Übergangsleistung zu.

Das Landgericht hat seine Klage wegen Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit abgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung, mit der er beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den Gegenwert in Euro von 59.000 DM nebst 10 % Zinsen seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet den Eintritt des Versicherungsfalls, hält sich für leistungsfrei, weil der Kläger ihr die verlangten Auskünfte über den Ablauf des Unfalls und die erlittenen Verletzungen nicht erteilt habe und beruft sich auf eine mit Schreiben vom 13.3.2001 erklärte Anfechtung des Versicherungsvertrages und einen zugleich ausgesprochenen Rücktritt vom Versicherungsvertrag, weil der Kläger die "Leistungsfälle vom 30.11.1998 und 21.3.1999" nicht mitgeteilt habe.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger kann gegen die Beklagte keine Ansprüche aus dem zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des behaupteten Versicherungsfalls bestehenden Versicherungsvertrag geltend machen.

A.

Die Beklagte hat dem Kläger allerdings - grundsätzlich - für zwischen dem 14.5.1999 und dem 31.5.1999 erlittene Unfälle Versicherungsschutz zu gewähren. Das folgt aus ihrem mit dem Versicherungsantrag vom 14.5.1999 erteilten Versprechen "sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang zu bieten". Mit Zugang des Versicherungsantrags vom 14.5.1999 bei der Beklagten ist damit zwischen den Parteien ein Vertrag über die Gewährung vorläufiger Deckung in der Unfallversicherung - wirksam - zustande gekommen.

B.

Dieser - selbständige - Versicherungsvertrag über die Gewährung vorläufiger Deckung ist nicht durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 13.3.2001 vernichtet worden (§ 142 Abs. 1 BGB). Allerdings hat der Kläger die Beklagte bei Antragstellung arglistig getäuscht. Er hat die Frage der Beklagten, ob er in den letzten vier Jahren vor Antragstellung an körperlichen Fehlern, Gebrechen oder erheblichen Krankheiten gelitten habe oder - bei Antragstellung - leide, verneint. Das war falsch. Der Kläger hatte innerhalb der letzten vier Jahre vor der Stellung des Versicherungsantrags mehrere Schäden am Skelett - den Bruch des Kahnbeins des rechten Handgelenks, eine Teilruptur der Rotatorenmanschette der linken Schulter sowie eine Distorsion der HWS mit einem folgenden schweren Halswirbelsäulentrauma - erlitten. Diese "Gebrechen" und "Krankheiten" waren dem Kläger bekannt.

Die Beklagte hat auch nachgewiesen, dass der Kläger sie insoweit arglistig getäuscht hat. Arglistig handelt, wer die Unrichtigkeit seiner Angaben gegenüber einem Versicherer kennt und dabei das Bewusstsein und den Willen hat, den Versicherer durch die Irreführung zum Abschluss dieses Versicherungsvertrages zu bestimmen. Dabei besteht keine allgemeine Lebenserfahrung, dass sich die bewusste Unrichtigkeit von Angaben bei Beantragung eines Versicherungsvertrages immer nur dadurch erklären lässt, dass der Versicherungsnehmer auf die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers vorsätzlich Einfluss nehmen will. Der Nachweis der Arglist, einer inneren Tatsache, kann nur als Indizienbeweis geführt werden. Wesentliche Anzeichen dafür sind Umfang, Art und Bedeutung der unrichtigen und unvollständigen Angaben, die Persönlichkeit des Versicherungsnehmers, sein Bildungsstand, die besonderen Umstände bei der Ausfüllung des Versicherungsantrags und die Art der in Rede stehenden Versicherung (vgl. u.a. Senat 19.5.1993 - 5 U 56/92 - r+s 1997, 303 m.w.N.).

Danach ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger die Gesundheitsfrage des Versicherungsantrags arglistig falsch beantwortet hat. Der Kläger hat nicht einmal ein Jahr vor der Abgabe des Antrags einen Unfall erlitten, der, wie er selbst vorträgt, nicht nur zu einer Operation, sondern auch zu einer lang dauernden ständigen Arbeitsunfähigkeit und zu einer nach seinen Angaben jedenfalls teilweisen Invalidität geführt hat. Damit litt er an einer nicht nur beiläufigen, alltäglichen und vorübergehenden Erkrankung, sondern an einem Gebrechen von Dauer. Unmittelbar vor Stellung des Versicherungsantrags hatte er einen Verkehrsunfall erlitten, bei dem er, wie er selbst vorträgt, "schwer traumatisiert" worden war. Auch das war jedenfalls wegen der bis zur Stellung des Versicherungsantrags verstrichenen Zeit eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die für den Kläger gerade auch im Hinblick auf die beantragte Versicherung von besonderer Bedeutung sein musste. Dass der Kläger sich sehr wohl der Bedeutung der Vorerkrankungen bewusst war, folgt auch daraus, dass er sie seinem Versicherungsmakler gegenüber angegeben haben will. Er war sich also darüber im klaren, dass es sich um gesundheitliche Beeinträchtigungen handelte, die für die Entscheidung des Versicherers von erheblicher Bedeutung sein konnten.

Insoweit ist unerheblich, dass der Kläger sich einlässt, sein Versicherungsmakler habe seine Gebrechen gekannt, er selbst sei von diesem bei Stellung des Versicherungsantrags beschwichtigt worden. Ob nach dem Rechtsgedanken des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB die Einflussnahme des Versicherungsmaklers des Klägers, der gerade nicht "Dritter" im Sinne des Gesetzes ist, dem Kläger unmittelbar zugerechnet wird, und ob den Kläger nicht entlasten kann, wenn seine Vertrauensperson die Täuschung nicht selbst vorgenommen, sondern lediglich den Kläger in der Täuschung wesentlich verstärkt hat, ist unerheblich. Der Kläger wusste, dass er die Gesundheitsfragen falsch beantwortet hat. Er wusste, dass seine Antwort auf diese Gesundheitsfragen für den Versicherer von entscheidender Bedeutung war. Der Kläger wusste, dass seine Gebrechen von nicht gerade geringem Gewicht waren. Das genügt. Der ihm, wie er behauptet, erteilte Hinweis, die Angabe des Hausarztes genüge, entlastet ihn nach den Umständen des Falles nicht (BGH Urt. v. 7.3.2001 - IV ZR 254/00 - NVersZ 2001, 206, 208; Senat Urt. v. 5.12.2001 - 5 U 568/01-39- n.V.). Denn der Kläger hat sich nach der schlichten Verneinung der klaren und überschaubaren Antragsfrage dem Versicherer gegenüber als vollständig gesund dargestellt. Der Hausarzt war für "eventuelle" Rückfragen vermerkt. Rückfragebedarf des Versicherers bestand allerdings angesichts der Verneinung gerade nicht. Die Angabe des Hausarztes konnte daher vielmehr nur als Untermauerung der Richtigkeit seiner Angaben betrachtet werden und lässt das Verhalten des Klägers als arglistig besonders deutlich werden.

Ungeachtet dessen führt die Anfechtung der Beklagten nicht zur Nichtigkeit des Vertrages. Denn die arglistige Täuschung des Klägers hat den Abschluss des Versicherungsvertrages, der die vorläufige Deckung betraf, nicht verursacht. Die Beklagte gewährte nämlich "sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang". Damit übernahm sie das Risiko des Klägers ohne jedwede Prüfung der von ihr in dem Versicherungsantrag gestellten Fragen. Die Antwort des Klägers hat folglich den Vertragsabschluss, die Gewährung vorläufiger Deckung, in keiner Weise beeinflusst. Nichtig ist ein Versicherungsvertrag aufgrund der von dem Versicherer erklärten Anfechtung nach § 142 Abs. 1, § 123 Abs. 2 BGB aber nur, wenn der Versicherer durch die arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers zum Abschluss dieses Versicherungsvertrages verführt worden ist. Das ist bei Gewährung sofortigen Versicherungsschutzes ab Antragseingang nicht der Fall.

C.

Die Beklagte ist auch nicht aufgrund eines wirksam erklärten Rücktritts vom Versicherungsvertrag wegen der vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit durch den Kläger leistungsfrei (§ 16 Abs. 2 Satz 1, § 20 VVG). Zwar hat der Kläger Vorerkrankungen, nach denen die Beklagte gefragt hat, vorsätzlich verschwiegen. Obwohl nach § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG aber ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als gefahrerheblich gilt, die unterlassene Anzeige folglich den Versicherer zum Rücktritt berechtigen würde, ist dies anders, wenn die fehlende Gefahrerheblichkeit ungeachtet der Frage des Versicherers auf der Hand liegt. Fragt der Versicherer nach Vorerkrankungen, verspricht er aber gleichzeitig sofortigen Versicherungsschutz ab Antragseingang, also Deckung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Antworten des Versicherungsnehmers auf die vom Versicherer gestellten Fragen noch gar nicht kennen und geprüft haben kann, ist offenkundig, dass er bereit ist, das Risiko - vorläufiger Deckung - ohne jede Risikoprüfung zu übernehmen. Fragen, deren Beantwortung für die Risikoprüfung vor Risikoübernahme aber keinerlei Bedeutung haben, können keine gefahrerheblichen Umstände betreffen.

Ob sich anderes ergeben würde, wenn die Beklagte vorgetragen hätte, die arglistige Täuschung des Klägers über gefahrerhebliche Umstände habe sie davon abgehalten, den beantragten (Haupt-)Versicherungsvertrag alsbald - vor Eintritt des behaupteten Versicherungsfalls - endgültig scheitern zu lassen und damit auch - vor Eintritt des Versicherungsfalls - den Schutz des Klägers aus der gewährten vorläufigen Deckung zu beenden, kann dahinstehen. Die Beklagte hat dies, trotz Erörterung der Problematik der Arglistanfechtung, nicht vorgetragen.

D.

Der Vertrag der Parteien über die Gewährung sofortigen Versicherungsschutzes ist auch nicht durch den Abschluss des "Hauptvertrages" mit Zugang des Versicherungsscheins vom 20.5.1999 - vor dem behaupteten Versicherungsfall - erloschen. Allerdings wird vertreten, dass mit dem Zustandekommen eines wirksamen Hauptvertrages der Vertrag über die vorläufige Deckung - mit dem Beginn des materiellen Versicherungsschutzes - endet (vgl. Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rdn. 22; BK/Schwintowski, § 5a, Rdn. 111 m.w.N.). Das führt aber nicht dazu, dass durch die Übersendung des Versicherungsscheins vom 20.5.1999, also mit Annahme des Antrags auf Gewährung von Unfallversicherungsschutz, der mit der Antragstellung versprochene sofortige Versicherungsschutz aufgelöst worden ist. Zum einen ist nämlich die in dem Versicherungsschein vom 20.5.1999 getroffene Feststellung, die Beklagte gewähre für die Zeit vom 14.5.1999 bis 1.6.1999 prämienfreien Versicherungsschutz, lediglich als Hinweis auf das Bestehen einer vorläufigen Deckung in diesem Zeitraum zu interpretieren. Zum anderen kann auch eine Interpretation, die in der Gewährung prämienfreien Versicherungsschutzes vor dem formellen Abschluss des Versicherungsvertrages eine Rückwärtsversicherung sehen würde, zu keinem der Beklagten günstigeren Ergebnis führen. Der Kläger hatte nach dem Versicherungsantrag keine Rückwärtsversicherung beantragt. Ihre Gewährung wäre damit eine für ihn ungünstige Abweichung von seinem Versicherungsantrag, auf die die Beklagte im Versicherungsschein nicht auffällig hingewiesen und den Kläger über eine solche Divergenz und ihre Folgen belehrend aufmerksam gemacht hätte. Als gegenüber der Gewährung vorläufigen Versicherungsschutzes insoweit nachteilige Änderung der Annahmeerklärung der Beklagten würde sie folglich nicht nach § 5 Abs. 1, 2 VVG als genehmigt gelten. Auch eine solche Interpretation des Versicherungsscheins als Rückwärtsversicherung würde dann nicht dazu führen, dass mit dem Zustandekommen des Hauptvertrages rückwirkend der Schutz des Klägers aus dem Vertrag über die vorläufige Deckung erloschen wäre. Der Kläger genoss also zum Zeitpunkt seines angeblichen Unfalls Versicherungsschutz aufgrund der von der Beklagten gewährten vorläufigen Deckung.

E.

Ob die Beklagte - wie die angefochtene Entscheidung vertreten hat - gemäß § 6 Abs. 3 VVG, § 9 Abs. 2, § 10 AUB 94 leistungsfrei ist, weil der Kläger die in der Schadensanzeige enthaltenen Fragen nach Vorerkrankungen und Vorunfällen nicht beantwortet hat, sondern auf den "beh. Arzt ..." verwiesen hat und diese Verweisung auf die folgenden Anfragen der Beklagten vom 23.9.1999 (Bl. 14), 13.8.1999 (Bl. 15) und 7.10.1999 (Bl. 49) ohne Ergänzung oder Erläuterung aufrecht erhalten hat, kann dahinstehen.

1.

Allerdings war der Kläger auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 AUB 94 gehalten, der Beklagten die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Zwischen den Parteien ist zwar streitig, ob und wie es zu einer Vereinbarung der AUB 94 gekommen sein kann. Insoweit behauptet der Kläger - nicht ohne eine gewisse Plausibilität -, die AUB 94 seien ihm bei Stellung des Versicherungsantrags nicht zur Verfügung gestellt und auch später mit Übersendung des Versicherungsscheins selbst nicht überlassen worden. Jedoch wird in der Rechtslehre zu Recht vertreten, dass für den Fall der Gewährung vorläufiger Deckung dem sofortigen Versicherungsschutz diejenigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen - stillschweigend - zugrunde zu legen sind, die für den "Hauptvertrag" zum Vertragsbestandteil gemacht werden sollen (OLG Hamm r+s 1990, 6; OLG Karlsruhe, VersR 1990, 889, 891). Dass das im vorliegenden Fall durchaus dem übereinstimmenden Willen der Parteien entsprach, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass der Kläger auf der Grundlage der in den AUB 94 skizzierten Leistungen der Beklagten Ansprüche erhebt und dass sie dem Kläger jedenfalls mit der Übersendung des Versicherungsscheins überlassenen Regelungen des "Bedingungskonzepts" der Beklagten schon einleitend auf die AUB 94 Bezug nehmen. Nichts anderes ergäbe sich, folgte man der in der Rechtslehre vertretenen Auffassung, nach der nur diejenigen Bedingungen des "Hauptvertrages" Geltung beanspruchen können, die für ihn gewissermaßen erwartbar sind, weil sein Einverständnis mit der Einbeziehung von Bedingungen in den Vertrag nur soweit reiche, wie er die in den AVB enthaltenen Regelungen für selbstverständlich halte (Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rdn. 35). Dass ein Versicherungsnehmer erwartet, seinem Versicherer sanktionsbewehrt zur Auskunft über alle Umstände, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht von Bedeutung sein können, verpflichtet zu sein, ist selbstverständlich. Wenigstens die Regelungen der § 9 Abs. 2, 10 AUB 94 dürfen daher als vereinbart betrachtet werden.

2.

In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass eine objektive Verletzung der Aufklärungspflicht - der Kläger hat die ihm von der Beklagten gestellten Fragen nicht beantwortet, sondern auf eine mögliche Antwort durch einen Dritten verwiesen - grundsätzlich nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass sich der Versicherer die von ihm benötigten Informationen auf andere Weise verschaffen kann. So hat die Rechtsprechung entschieden, dass ein Versicherungsnehmer, der die Frage nach dem Bestehen anderer Unfallversicherungen bejaht und die Frage nach Namen und Anschriften bei anderen Gesellschaften mit einem Verweis auf einen Versicherungsvermittler beantwortet, seine Auskunftspflicht verletzt (OLG Saarbrücken 31.7.1992 - 3 U 18/90, VersR 93, 569 - Revision vom BGH nicht angenommen, IV ZR 212/92). Allerdings war tragender Grund dafür die Annahme, dass nicht alle erfragten Versicherer über den angegebenen Versicherungsvermittler hätten ermittelt werden können und offen war, ob der Versicherungsvermittler freiwillig, umfassend und zutreffend Angaben gemacht hätte. Es ist jedoch nicht notwendig, dem nachzugehen, oder zu entscheiden, ob der Versicherungsnehmer auf das hier vorliegende Verlangen des Versicherers, nicht auf einen Wissenserklärungsvermittler - den Arzt ... - zu verweisen, gehalten gewesen wäre, auf die von ihm unschwer selbst zu beantwortenden Fragen entsprechende Informationen zu erteilen. Das Verlangen des Versicherers ist nämlich nicht nur in der Schadensanzeige erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ihr die Verweisung auf den "behandelnden Arzt ..." nicht genügt und dass sie Wert darauf legte, von dem Versicherungsnehmer selbst unterrichtet zu werden. Schon das Gesetz geht aber davon aus, dass der Versicherungsnehmer selbst das, was er zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht beitragen kann, leistet. Ein solches Verlangen überfordert den Versicherungsnehmer nicht. Soweit er fürchtet, sich an Einzelheiten der ärztlichen Beurteilung seiner gesundheitlichen Entwicklung nicht mehr vollständig oder zutreffend erinnern zu können, mag er dies offenlegen und seinem Versicherer anheimstellen, sich etwa für erforderlich erachtete Auskünfte dort zu beschaffen. Sich jeglichen Angaben entziehen, darf er indessen nicht.

3.

Die Beklagte kann sich jedoch nicht mit der Folge ihrer Leistungsfreiheit darauf berufen, der Kläger habe ihr Einzelheiten oder Zusammenhänge des angeblichen Unfalls, Vorerkrankungen und Vorunfälle verschwiegen. Denn sie hat den Kläger nicht zutreffend belehrt. Leistungsfreiheit tritt bei vorsätzlicher Verletzung einer Obliegenheit, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, nur dann ein, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer auf diese Rechtsfolge richtig aufmerksam gemacht hat. Das setzt voraus, dass er ihn dahin unterrichtet hat, dass bewusst falsche Angaben auch dann zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, wenn dem Versicherer durch die Verletzung der Aufklärungspflicht keine Nachteile entstehen. Eine solche Information findet sich allerdings in dem Formular der Schadensanzeige der Beklagten selbst. Sie fehlt indessen in den Aufforderungen, die die Beklagte unter dem 13.8.1999, 23.9.1999 und 17.10.1999 an den Kläger gerichtet hat. Die korrekte Belehrung über die Folgen der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit muss zwar grundsätzlich nicht wiederholt werden. Das ist anders, wenn Nachfragen des Versicherers nicht in einem zeitlichen und sachlichen engeren Zusammenhang mit der zunächst gestellten und beantworteten Frage erfolgen. Wenn darüber hinaus der Versicherer erkennen kann, dass der Versicherungsnehmer seine zunächst gestellte Frage durch einen Verweis über andere Recherchemöglichkeiten des Versicherers für offenbar ausreichend beantwortet hält, der Versicherer diese ihm dadurch gewählte Möglichkeit, sich selbst zu informieren aber nicht nutzen will, so muss er zumindest dann eine korrekte Belehrung des Versicherungsnehmers wiederholen, wenn er auf Grund mehrerer Nachfragen sieht, dass seine Auffassung über das Maß der Antwort auf die gestellte Frage im Grundsatz von der Auffassung des Versicherungsnehmers abweicht. Denn in einem solchen Fall kann er nicht davon ausgehen, dass eine ursprüngliche, in der Schadensanzeige enthaltene Belehrung über die Folgen bewusst unwahrer oder unvollständiger Antworten fortwirkt und sich der Versicherungsnehmer im Klaren ist, dass ein Beharren auf seiner Rechtsauffassung auch unabhängig von jedweden Nachteilen für den Versicherer zur Leistungsfreiheit führt.

F.

1.

Der Kläger hat nachgewiesen, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist. Er hat behauptet, er sei am 29.5.1999 auf einer Treppe gestürzt und habe sich dabei Verletzungen der linken Hand zugezogen. Dafür hat er Beweis durch Vernehmung des ihn zuerst untersuchenden Arztes Dr. ... angeboten. Der Zeuge ist allerdings selbst nicht Zeuge des Unfalls des Klägers auf Grund eigener Wahrnehmung gewesen, hat den Kläger aber am 1.6.1999, also drei Tage nach dem behaupteten Unfall untersucht und am linken Handgelenk einen palpatorischen Befund mit deutlichem Druckschmerz dorsalseitig mit einem Druckschmerzmaximum im Bereich des distalen Radioulnargelenks festgestellt. Dabei hat sich seine Untersuchung nicht auf die Hinnahme von Angaben des Klägers beschränkt. Er hat vergleichende Prüfungen der Handgelenksbeweglichkeit links und rechts vorgenommen und eine röntgenologische sowie sonographische Untersuchung des linken Handgelenks durchgeführt, bei der er einen - wenn auch nicht klar zuzuordnenden - diskreten i.a. Erguss festgestellt hat. Auf Grund dieser Befunde hat er die Verdachtsdiagnose der Ruptur des Diskus triangularis gestellt, eine noch am 1.6.1999 durchgeführte Kernspintomographie veranlasst und dabei hauptbefundlich eine schräg vertikal verlaufende Ruptur des triangulären Diskus festgestellt. Wenige Tage später hat er einen entsprechenden Rückgang der festgestellten Schwellungen und des Druckschmerzes mit dem schließlichen Ergebnis einer befundfreien neurologischen Untersuchung beobachtet. Als sachverständiger Zeuge hat er bestätigt, dass er auf Grund seiner Untersuchungen und Befunde - auch auf Grund der Vorbehandlungen des Klägers durch den sachverständigen Zeugen - auf eine frische Unfall Verletzung geschlossen hat, die dem von dem Kläger geschilderten Unfallereignis vom 29.5.1999 unschwer zuzuordnen gewesen sei. Nach den eingehenden und in der Sache überzeugenden, mit früheren ärztlichen Berichten des sachverständigen Zeugen Dr. ... übereinstimmenden Angaben bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Kläger in der Tat am 29.5.1999 einen Unfall erlitten hat.

2.

Durch den Unfall ist allerdings keine eine Leistungspflicht der Beklagten auslösende Invalidität eingetreten. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 23.11.2002, das auf einer eingehenden klinischen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers und einer Prüfung der dem Sachverständigen zur Verfügung gestellten ärztlichen Befunde beruht. Nach dem Gutachten des Sachverständigen hat der Unfall vom 29.5.1999 zu einer Distorsion des linken Handgelenks mit Riss des triangulären Diskus geführt, die folgenlos verheilt sei. Weder habe sie zu einer wesentlichen Funktionsminderung im Bereich des linken Handgelenks geführt, noch eine muskuläre Artrophie verursacht. Folgeerscheinungen - in Form einer Sekundärarthrose oder einer Deformierung des Handgelenks oder des Radioulnargelenks seien nicht festzustellen. Die konservative Behandlung durch den sachverständigen Zeugen Dr. ... - alsbald nach dem Unfall - hätten zur völligen Beschwerdefreiheit des linken Handgelenks geführt. Spätere - nach dem August 1999 aufgetretene - Befindlichkeitsstörungen des Klägers beruhten auf unfallunabhängigen Veränderungen durch ein HWS - und ein Carpaltunnelsyndrom. Eine messbare Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers auf Grund des Unfalls habe ab September 1999 nicht mehr bestanden. Das Gutachten des Sachverständigen stimmt mit seinen Befunden ebenso überein wie mit den Befunden des sachverständigen Zeugen Dr. ... Einwände gegen das Gutachten hat auch der Kläger nicht erhoben. Der Senat ist folglich davon überzeugt, dass der nachgewiesene Unfall des Klägers nicht zur Invalidität geführt hat.

E.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709, 710, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert entspricht den von dem Kläger gestellten Verlangen.

Ende der Entscheidung

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