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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 31.05.2006
Aktenzeichen: 5 U 605/05
Rechtsgebiete: ZPO, B-BUZ


Vorschriften:

ZPO § 531 Abs. 1
B-BUZ § 1 Abs. 1
B-BUZ § 2 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Kläger gegen das am 10.10.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 12 O 374/03 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 53.239,20 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Versicherungsschein-Nr.: ...; Bl. 10 d.A.) geltend.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem Jahr 1999 eine Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungsschein-Nr. ...; Bl. 10 d.A.). Laut der Vertragsurkunde ist für den Fall der Berufsunfähigkeit Beitragsbefreiung sowie eine monatliche Rente von 1.500,- DM für den Zeitraum 01.08.1999 bis 01.08.2027 vereinbart. Dem Versicherungsvertrag liegen - unter anderem - die Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (B-BUZ - Bl. 13 f d.A.) zu Grunde. Danach besteht ein Anspruch auf Rentenzahlung und Beitragsbefreiung, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall zu mindestens 50% voraussichtlich außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die auf Grund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 B-BUZ).

Der Kläger, der nach einer Umschulung über eine - im Herbst 1998 abgeschlossene - Ausbildung als Altenpfleger verfügt, war in diesem Beruf bis zum 31.01.2002 tätig, wobei er zuletzt stellvertretender Bereichsleiter eines Pflegebereichs im Sparkassehaus des Pflegezentrums S.-Spital am W-See des N. war. Danach absolvierte er einen einmonatigen Ausbildungskurs zum Flugbegleiter. In der Zeit von März 2002 bis Januar 2003 war er bei der AIR B. beschäftigt. Sein Nettoeinkommen - welches sich unter anderem aus Grundgehalt, Flugstundenzulage, Provision Bordverkauf, pauschalierten Reisekostenersatz, Uniformreinigungspauschale und Fahrtkostenzuschuss zusammensetzte (vgl.: Bl. 292, 264-269 d.A.) - betrug in den Monaten Mai 2002 bis Oktober 2002 durchschnittlich 1.957,32 EUR / Monat. Ab dem 25.10.2002 war der Kläger wegen eines Guillain-Barré-Syndroms arbeitsunfähig geschrieben. Seit Ende September / Anfang Oktober 2002 leidet er an einer Polyneuropathie und einer erworbenen Immunschwäche. Am 23.01.2003 wurde eine HIV-Infektion bei ihm festgestellt. Seit dem 01.02.2003 ist der Kläger als Stellvertretender Bereichsleiter im Pflegedienst der Stadt N. im N. vollschichtig beschäftigt. Zu Beginn dieser Tätigkeit hat er netto 1.417,60 EUR verdient (Bl. 270 d.A.); spätestens seit Mai 2004 erhält er 1.518,06 EUR ausgezahlt (Bl. 131, 115 d.A.).

Unter dem 03.01.2003 zeigte der Kläger der Beklagten den Versicherungsfall - erstmals - an. Mit Schreiben vom 14.04.2003 lehnte diese Leistungen aus dem Versicherungsvertragsverhältnis unter Verweis auf seine Tätigkeit als stellvertretender Bereichsleiter im Pflegedienst ab (Bl. 42 f d.A.).

In der Klageschrift hat der Kläger die Ansicht vertreten, ihm stünden die vertraglich vereinbarten Leistungen auf Rentenzahlung und Beitragsbefreiung seit dem 01.11.2002 zu. Zur Begründung hat er - lediglich - behauptet, er könne auf Grund seiner Erkrankungen spätestens seit diesem Zeitpunkt seinen Beruf als Flugbegleiter nicht mehr ausüben. Bei jedweden körperlichen Anstrengungen, die gerade im Luftraum noch zusätzlich belastend wirkten, leide er an starken Schmerz- und Ermüdungszuständen, welche es ihm unmöglich machten, seine bisherige Tätigkeit weiter auszuüben. Ferner hat er angekündigt, in der mündlichen Verhandlung einen auf Zahlung von 9.203,25 EUR gerichteten Antrag und zwei Feststellungsanträge zu stellen.

Die Einzelrichterin hat in der Ladungsverfügung (Bl. 56 d.A.) darauf hingewiesen, dass die Klage nicht schlüssig sei und dies ausführlich begründet. In der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2005 (Bl. 89 f d.A.) hat das Landgericht ein klageabweisendes Versäumnisurteil (Bl. 91 f d.A.) erlassen. Dieses Urteil wurde dem Kläger am 17.05.2005 mit dem Formularblatt des Landgerichts Saarbrücken LZ15 "Wichtige Hinweise zum Versäumnisurteil" (Bl. 136 d.A.) zugestellt. Am 31.05.2005 hat der Kläger Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Zur Begründung hat er sich auf seine Ausführungen in der Klageschrift berufen und - wegen der notwendigen Ergänzungen zu dieser Klageschrift - Fristverlängerung beantragt. Diese wurde ihm bis zum 14.06.2005 bewilligt. Mit Schriftsatz vom 29.08.2005 (Bl. 107 ff d.A.), eingegangen bei Gericht am 01.09.2005, hat der Kläger seinen auf Zahlung gerichteten Klageantrag erweitert. Des weiteren hat er einen typischen Arbeitstagablauf unter Darlegung der anfallenden Tätigkeiten geschildert sowie mit der Berufsausübung verbundene - von ihm krankheitsbedingt nicht mehr zu ertragende - besondere körperliche Belastungen dargelegt. Er hat ferner die Ansicht vertreten, dass er nicht auf die Tätigkeit als Stellvertretender Bereichsleiter im Pflegedienst verwiesen werden könne. Dazu hat er behauptet, dass er als Flugbegleiter ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von brutto 3.003,29 EUR bzw. netto 2.341,74 EUR erhalten habe, während er als Stellvertretender Bereichsleiter im Pflegedienst lediglich brutto 2.407,08 EUR bzw. netto 1.518,09 EUR verdiene.

Der Kläger hat beantragt,

1. das Versäumnisurteil vom 09. Mai 2005 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.075,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 766,93 EUR seit dem 2. der Monate November 2002 bis einschließlich August 2005 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab dem 1. September 2005 eine Berufsunfähigkeitsrente von monatlich im voraus 766,93 EUR nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. der jeweiligen Folgemonate zu zahlen,

4. festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Lebensversicherungsvertrag samt Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag mit der Nr. ... seit dem 01. November beitragsfrei ist.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 09. Mai 2005 aufrechtzuerhalten und die erweiterte Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat nach am 12.09.2005 durchgeführter mündlicher Verhandlung das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die erweiterte Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand davon auszugehen sei, dass der Kläger nicht berufsunfähig im Sinne der vereinbarten Bedingungen sei. Denn die Beklagte dürfe diesen auf die nunmehr von ihm konkret ausgeübte Tätigkeit verweisen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er rügt die Feststellung des Landgerichts, dass die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Verweisungsberuf anzusehen sei. In der Berufungsbegründungsschrift hat er zur Begründung seinen erstinstanzlichen Vortrag, er habe als Flugbegleiter ein durchschnittliches Monats-Brutto-Einkommen in Höhe von 3.003,29 EUR bzw. ein durchschnittliches Monats-Netto-Einkommen von 2.341,74 EUR bezogen, so dass eine unzumutbare Einkommenseinbuße vorliege, wiederholt. Nach Vorlage sämtlicher Gehaltsabrechnungen (Flugbegleiter) durch die Beklagte, hat er einen - den Zeitraum Mai 2002 bis Oktober 2002 umfassenden - durchschnittlichen Nettozufluss von 1.957,32 EUR als zutreffend anerkannt.

Zudem trägt er vor, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen habe, dass - jedenfalls für ihn - die Berufsausübung im Pflegedienst eine geringere Wertschätzung habe als die Tätigkeit als Flugbegleiter. Denn als Flugbegleiter könne er eine Vielzahl von Städten und Ländern besuchen sowie seine vorhandenen Sprachkenntnisse ausschöpfen. Besonderes Motiv für seinen Berufswechsel sei ferner gewesen, dass ihm die Tätigkeit als Flugbegleiter die Möglichkeit eröffnet habe, wesentlich mehr Geld zu verdienen als die Tätigkeit im Pflegebereich.

Seinen erstinstanzlichen Vortrag ergänzend trägt er vor, dass im Falle der Fortsetzung seiner Tätigkeit als Flugbegleiter mit einer jährlichen Erhöhung seines Einkommens von 3% bis 5% zu rechnen gewesen sei. Auch hätte er in der Zukunft ein um 185,--EUR erhöhtes Grundgehalt bezogen, da er "auch jedenfalls in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergegangen wäre" (Bl. 287 d.A.). Entgegen der Ansicht der Beklagten dürften auch die in den Abrechnungen aufgeführten Positionen "Uniform-Reinigung, Fahrkostenzuschuss, Reisekostenzuschuss" bei dem Einkommensvergleich nicht unberücksichtigt bleiben. Die Beträge seien pauschal und ohne Kostennachweis geleistet worden. Es habe sich daher um selbständige Gehaltsbestandteile gehandelt. Der auf den Gehaltsabrechnungen eingetragene Freibetrag von 413,--EUR habe keinerlei Einfluss auf sein Nettoentgelt. Im Übrigen sei dieser steuerliche Freibetrag bis heute eingetragen. Im Bereich des Nettoverdienstes betrage die Einkommensminderung daher 28%. Dies sei nicht mehr hinzunehmen.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10.10.2005, Az.: 12 O 374/03, aufzuheben,

2. das ergangene Versäumnisurteil vom 09.05.2005 aufzuheben,

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.075,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 766,93 EUR seit dem 2. der Monate November 2002 bis einschließlich August 2005 zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab dem 1. September 2005 eine Berufsunfähigkeitsrente von monatlich im voraus 766,93 EUR nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. der jeweiligen Folgemonate zu zahlen,

5. festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Lebensversicherungsvertrag samt Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungsvertrag mit der Nr. ... seit dem 01. November beitragsfrei ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens. Ergänzend verweist sie auf § 531 Abs. 1 ZPO.

Entscheidungsgründe:

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Denn auf der Grundlage des sich nunmehr im Berufungsverfahren darstellenden Sach- und Streitstands scheiden Ansprüche des Klägers auf Versicherungsleistungen aus, da er sich auf den von ihm konkret ausgeübten Beruf als Stellvertretender Bereichsleiter im Pflegedienst verweisen lassen muss und somit nicht bedingungsgemäß berufsunfähig ist.

Nach § 1 Abs. 1 der zwischen den Parteien geltenden Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (B-BUZ) erbringt der Versicherer die vertraglich vereinbarten Versicherungsleistungen, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer zu mindestens 50% berufsunfähig wird. Nach § 2 Abs. 1 B-BUZ liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die auf Grund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Ob der Kläger - wie von ihm behauptet - seit dem 01.11.2002 infolge Krankheit außer Stande ist, den von ihm zuletzt ausgeübten Beruf als Flugbegleiter auszuüben, kann offen bleiben. Denn die Beklagte verweist den Kläger zu Recht auf den von ihm tatsächlich ausgeübten Beruf als Stellvertretenden Bereichsleiter im Pflegedienst als zumutbaren Verweisungsberuf. Dass diese Tätigkeit der Ausbildung und Erfahrung des Klägers entspricht, steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger macht auch nicht geltend, seit der Aufnahme dieser Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen zur konkreten Berufsausübung nicht imstande gewesen zu sein. Sie entspricht ferner seiner bisherigen Lebensstellung.

Die "bisherige Lebensstellung" eines Versicherten wird im Wesentlichen geprägt durch die von ihm erzielte Vergütung und die soziale Wertschätzung, die ihm seine bisherige konkrete berufliche Tätigkeit vermittelt hat (BGH, Urt. v. 11.11.1987 - IVa ZR 240/ 86 - VersR 1988, 234; Senat, Urt. v. 08.01.2003 - 5 U 910/01-77 - VersR 04, 54; Prölss/Martin/Voit/Knappmann, VVG, 27. Aufl., Rdnr. 30). Dem Versicherten soll der wirtschaftliche und soziale Status, den er auf der Grundlage seiner beruflichen Qualifikation erreicht hat, im Wesentlichen bewahrt bleiben. Daher darf der Versicherer den Versicherten nicht auf einen Vergleichsberuf verweisen, der zu einer spürbaren Schmälerung seiner Einkünfte führen würde und der in seinem Ansehen dem seiner bisherigen Tätigkeit nicht entspricht (BGH, Urt. v. 17.09.1986 - IVa ZR 252/84 - VersR 1986, 1113). Die Spürbarkeit einer Einkommenseinbuße lässt sich nicht einheitlich nach Prozentsätzen oder absoluten Zahlen festlegen, sondern nur unter Berücksichtigung der Höhe des Einkommens. Denn denjenigen, der nur über ein bescheidenes Monatseinkommen verfügt, trifft ein Einkommensverlust von z.B. 30% in der Regel hart, während dies denjenigen, der über ein hohes Monatseinkommen verfügt, möglicherweise überhaupt nicht berührt (BGH, Urt. v. 17.09.1986 - IVa ZR 252/84 - a.a.O.). Zu vergleichen ist das Einkommen, das der Versicherte in seinem zuletzt ausgeübten Beruf "in gesunden Tagen" - also ohne Berücksichtigung einer Beeinträchtigung durch eine fortschreitende Krankheit oder durch Kräfteverfall - erzielen konnte, mit dem Einkommen, dass er - ebenfalls ohne Berücksichtigung einer etwaigen gesundheitlichen Beeinträchtigung - mit der Vergleichstätigkeit erzielen kann (Prölss/Martin/Voit/Knappmann, a.a.O., Rdnr. 31). Dieser Vergleichsbetrachtung darf regelmäßig nicht lediglich ein - einmaliger - Monatsverdienst zu Grunde gelegt werden. Notwendig ist vielmehr das Abstellen auf einen repräsentativen Zeitraum (vgl.: Senat, Urt. v. 08.01.2003 - 5 U 910/01 - a.a.O.; Prölss/Mar-tin/Prölss/Voit/Knappmann, VVG, a.a.O., § 2 BUZ Rdnr. 33). Denn die Lebensstellung wird nicht durch einen einmaligen Verdienst, sondern nur durch das über einen längeren Zeitraum hinweg tatsächlich erwirtschaftete Einkommen geprägt. Dieser Zeitraum ist immer auf den konkreten Einzelfall bezogen zu ermitteln (BGH; Urt. v. 22.10.1997 - IV ZR 259/96 - NJW-RR 98, 239; Senat, Urt. v. 08.01.2003 - 5 U 910/01 - a.a.O.).

Streitig ist, ob das Brutto- oder das Nettoeinkommen zu vergleichen ist. Der BGH hat beides für zulässig erachtet (BGH, Urt. v. 22.10.1997 - IV ZR 259/96 - a.a.O.). Dem Vorzug zu geben ist nach der Auffassung des Senats ein Vergleich der Nettoeinkommen. Denn die Lebensstellung des Versicherungsnehmers ist durch die konkrete Möglichkeit der Verwendung der Mittel geprägt. Im Übrigen wird die beruflich begründete bisherige Lebensstellung des Versicherten von allen Vergütungsbestandteilen bestimmt, die im weitesten Sinn als Arbeits- oder Leistungsentgelt und nicht als Entschädigung für tatsächlich entstandene Aufwendungen zu betrachten sind. Spesen, Zulagen und Zuschläge sind daher als Einkommen nur dann zu berücksichtigen, wenn ihnen - typischerweise - keine entsprechenden Ausgaben gegenüberstehen (vgl.: OLG Hamm, VersR 1992, 1338; van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 2. Aufl. § 14 Rdnr. 231). Fraglich - da auf die bisherige Lebensstellung abzustellen ist - ist, ob - bei Fortführung des Berufs erwartete - Einkommenssteigerungen berücksichtigungsfähig sind. Die Lebensstellung prägen können sie jedenfalls nur dann, wenn ihr Eintritt als sicher prognostiziert werden kann. Hingegen darf grundsätzlich berücksichtigt werden, dass sich bei der neuen Tätigkeit der Verdienst in einem überschaubaren Zeitraum zukünftig - maßgeblich - sicher erhöhen wird. Denn die Zulässigkeit einer Verweisung setzt nicht die Gleichheit des durch Arbeit erzielten Einkommens sondern die Vergleichbarkeit der Lebensstellung voraus, die sich ein Versicherter auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit verschafft hat oder verschaffen kann (Senat, Urt. v. 08.01.2003 - 5 U 910/01 - a.a.O.).

Neben diesen reinen Einkommensgesichtspunkten ist die Wertschätzung der Tätigkeiten als Vergleichskriterium heranzuziehen. Ein die Wertschätzung beeinflussender Faktor ist das Ansehen des Berufs in der Öffentlichkeit. Maßgeblich ist insoweit eine objektive Beurteilung; rein subjektive Vorstellungen sind ohne Bedeutung (Terbille/Höra, MAH, a.a.O., § 25 Rdnr. 112). Zudem können in die Vergleichsbetrachtung auch nicht kommerzialisierte persönlichkeitsbezogene Vor- und Nachteile einer beruflichen Tätigkeit - wie z.B. örtliche und zeitliche Bedingungen der Tätigkeit; Möglichkeiten, die eigenen Begabungen zu verwirklichen; Abwechslungsreichtum der Tätigkeit; soziale Kontakte - einbezogen werden, da auch diese Faktoren die Lebensstellung entscheidend mitgestalten (Senat, Urt. v. 10.04.2002 - 5 U 562/01-38 - NJW-RR 03, 528).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat sich die Lebensstellung des Klägers, die er sich in der Zeit vor dem von ihm behaupteten Eintritt der Berufsunfähigkeit zu erwirtschaften vermocht hat, durch die Ausübung seiner Tätigkeit im Pflegedienst nicht spürbar zu seinem Nachteil verändert.

Der Kläger erhielt als Flugbegleiter in dem Zeitraum Mai 2002 bis Oktober 2002 von seiner Arbeitgeberin durchschnittlich 1.957,32 EUR / Monat ausgezahlt. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten erstmals im Berufungsverfahren vorgelegten Gehaltsabrechnungen, deren Richtigkeit der Kläger ausdrücklich anerkannt (§ 288 ZPO) hat. Allerdings haben die Parteien dies erstinstanzlich nicht vorgetragen. Ihre Angaben haben insoweit "neue" Tatsachen zum Inhalt. Dies steht ihrer Zulassung jedoch nicht entgegen, da sie unstreitig sind (BGH, Urt. v. 18.11.2004 - IX ZR 22/703 - NJW 05, 291-293; Senat, Urt. v. 18.01.2006 5 U 197/05-16). Die umfangreich diskutierten, die Zurückweisung verspäteten Vorbringens sowie die Hinweispflichten des Landgerichts betreffenden Ausführungen der Parteien und des erstinstanzlichen Gerichts, sind daher nicht - mehr - entscheidungserheblich.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist aber nicht dieser Durchschnittsverdienst dem gebotenen Vergleich des von ihm vor dem (behaupteten) Eintritt des Versicherungsfalls erzielten Einkommens mit dem von ihm im Vergleichsberuf erzielten und erzielbaren Einkommen zu Grunde zu legen. Vielmehr sind der in dem Auszahlungsbetrag enthaltene Fahrtkostenzuschuss, der Reiskostenersatz und die Uniformreinigungspauschale in Abzug zu bringen. Denn bei diesen Leistungen handelt es sich nicht um Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung und damit um selbständige Gehaltsbestandteile, sondern um Kostenersatz für typischerweise mit der Berufsausübung verbundene notwendige Aufwendungen, die durch die Vergütung grundsätzlich gerade nicht abgegolten sind (vgl.: Schaub/Koch, Arbeitsrecht-Handbuch, 10. Aufl., § 85 Rdnr. 2 ff; juris PK-BGB/Hausch, 2. Aufl., § 611 Rdnr. 171; Münchener Kommentar BGB, 4. Aufl. § 611 Rdnr. 890 ff). So trägt die als "Reisekostenersatz" bezeichnete Pauschale der Erfahrungstatsache Rechnung, dass ein Arbeitnehmer, der ungewöhnlich lange von seiner Wohnung abwesend ist, in aller Regel auf die Einnahme von teurer zu beschaffenden Mahlzeiten und - je nach Zeitdauer - den Bezug einer zusätzlichen Unterkunft angewiesen ist. Dies trifft auch auf den Kläger zu, da sich berufsbedingte längere Abwesenheitszeiten von zu Hause eindeutig aus seinen Gehaltsabrechnungen und der von ihm vorgelegten "Anlage zum Arbeitsvertrag für Flugbegleiter" ergeben. Die Uniformreinigungspauschale trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger während seiner Arbeitszeit Dienstkleidung zu tragen hat und der Arbeitgeber wegen der mit der Einführung von Dienstkleidung verbundenen betrieblichen Interessen nicht nur für deren Beschaffung sondern auch für deren Unterhaltung Sorge zu tragen hat. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit darauf, dass eine Verpflichtung zur Reinigung der Uniform nicht bestehe. Denn auf die zweckentsprechende Verwendung kommt es regelmäßig nicht an (OLG Köln, NJW-RR 99, 1479). Darüber hinaus besteht kein Zweifel daran, dass eine Uniform zumindest gelegentlich gereinigt und die zur Uniform gehörenden Hemden regelmäßig gereinigt/gewaschen werden müssen. Auch der Einwand, die Pauschale werde unabhängig von einem Nachweis gezahlt, vermag eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Sinn und Zweck einer Pauschale ist es gerade, den Beschäftigten dieses Nachweises zu entheben (Schaub, a.a.O., § 85 Rdnr. 27). Sinn und Zweck einer Pauschale ist es hingegen nicht, tatsächlichen Aufwand in einen Lohnbestandteil umzufunktionieren.

Unter Abzug des dem Kläger geleisteten Aufwendungsersatzes ergibt sich ein monatlicher Durchschnittsverdienst von 1.633,47 EUR, der sich wie folgt errechnet:

Mai 2002:

1.491,10 EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 207,92 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 27,50 EUR; Reisekostenersatz Inland: 25,00 EUR; Reisekostenersatz Ausland: 131,92 EUR) ergibt 1.283,18 EUR.

Juni 2002:

2110,81 EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 326,50 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 77,-- EUR; Reisekostenersatz Inland: 94,08 EUR; Reisekostenersatz Ausland: 44,-- EUR + 87,92 EUR) ergibt 1.784,31 EUR.

Juli 2002:

1.923,30 EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 363,12 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 60,50 EUR; Reisekostenersatz Inland: 141,10 EUR; Reisekostenersatz Ausland: 138,02 EUR) ergibt 1.560,18 EUR.

August 2002:

1.964,-- EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 395,55 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 71,50 EUR; Reisekostenersatz Inland: 159,50 EUR; Reisekostenersatz Ausland: 83,40 EUR + 57,65 EUR) ergibt 1.568,45 EUR.

September 2002:

2.341,74 EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 363,81 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 55,-- EUR; Reisekostenersatz Inland: 230,09 EUR; Reisekostenersatz Ausland: 14,91 EUR + 40,31 EUR) ergibt 1.977,93 EUR.

Oktober 2002:

1.913,-- EUR (ausgezahlter Betrag) abzüglich 286,22 EUR (Uniform-Reinigung: 23,50 EUR; Fahrkostenzuschuss: 49,50 EUR; Reisekostenersatz Inland: 168,-- EUR; Reisekostenersatz Ausland: 45,22 EUR) ergibt 1.626,78 EUR.

Demgegenüber verdient der Kläger in dem konkreten Verweisungsberuf 1.518,06 EUR. Auf diesen Betrag - und nicht auf das bei Aufnahme der Tätigkeit erzielte Nettoeinkommen - ist auch abzustellen, da als sicher zu prognostizierende Einkommenserhöhungen (hier: regelmäßige Einkommenserhöhung bei Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe) bei der Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen sind (vgl.: Senat, Urt. v. 08.01.2003 - 5 U 910/01 - a.a.O.). Dies bedeutet eine Einkommenseinbuße von 7%, die von dem Kläger hinzunehmen ist (vgl.: BGH, Urt. 22.10.1997 - IV ZR 259/96, a.a.O.; OLG Köln, VersR 2001, 1225 sowie die zahlreichen Nachweise bei Prölss/Martin/Voit/Knappmann, a.a.O., § 2 BUZ Rdnr. 31).

Mangels Erheblichkeit muss die Frage, ob in dem vor dem Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübten Beruf als sicher prognostizierte Einkommenserhöhungen veranschlagt werden dürfen, nicht entschieden werden. Denn auch bei Zugrundelegung der Behauptung des Klägers, sein Einkommen als Flugbegleiter wäre jährlich um 3% - 5% gestiegen, wäre die Einkommenseinbuße wegen der auch dann noch insgesamt geringen Einkommensreduzierung hinzunehmen. Die Behauptung des Klägers, sein Arbeitsvertrag wäre in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergegangen, mit der Folge, dass sein Grundgehalt nicht 800,--EUR sondern 985,--EUR betragen hätte, ist völlig ohne Substanz und daher unbeachtlich. Zudem fehlt jeglicher konkreter Sachvortrag dazu, dass diese Perspektive auch verlässlich war.

Selbst bei Zugrundelegung des dem Kläger bei Aufnahme der Pflegetätigkeit gezahlten Nettogehalts von 1.417,60 EUR ergäbe sich lediglich eine Einkommensreduzierung von 13 %. Diese wäre von dem Kläger ebenfalls hinzunehmen (vgl.: BGH, Urt. 22.10.1997 - IV ZR 259/96, a.a.O.).

Ebenfalls nicht entschieden werden muss die Frage, ob der von dem Kläger gewählte 6-Monats-Zeitraum für den Einkommensvergleich maßgeblich sein kann oder ob ein längerer Zeitraum zur Eruierung der "bisherigen Lebensstellung" herangezogen werden muss. Denn da der Kläger bereits vor der Aufnahme des Beruf des Flugbegleiters bei seiner jetzigen Arbeitgeberin mit demselben Tätigkeitsfeld beschäftigt war, hatte er vor dem Berufswechsel ein der derzeitigen Vergütung - in etwa - entsprechendes Gehalt bezogen, weshalb sich bei Berücksichtigung eines längeren Zeitraums die prozentuale Verringerung des Einkommens noch vermindern würde.

Zwischen dem Beruf des Pflegers und dem Beruf des Flugbegleiters besteht auch kein soziales Gefälle, so dass der Kläger durch die Ausübung der Pflegetätigkeit keinen sozialen Abstieg erleidet. Denn bei dem Pflegeberuf handelt es sich um einen Ausbildungsberuf. Demgegenüber handelt es sich bei der Flugbegleitertätigkeit "nur" um einen Anlernberuf. Im Übrigen wird dem Pflegeberuf in der Öffentlichkeit auf Grund der damit verbundenen körperlichen und seelischen Belastungen keine geeignete Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht als jenem eines Flugbegleiters.

Die Möglichkeit der Verweisung scheitert auch nicht daran, dass der Kläger selbst dem Beruf des Flugbegleiters einen besonders hohen Wert zuschreibt, da dieser Beruf ihm die Möglichkeit geboten habe seine Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden und fremde Städte und Länder zu besuchen. Zwar können im Einzelfall auch derartige berufliche Begleitumstände für die "bisherige Lebensstellung" prägend sein. Vorliegend sind sie jedoch nicht so gewichtig, dass sie eine Einkommensreduzierung von "lediglich" 7 % als nicht mehr zumutbar qualifizieren könnten. Zudem hat der Kläger selbst vorgetragen, dass für ihn der Berufswechsel wegen der höheren Verdienstmöglichkeiten besonders attraktiv war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3, 9 ZPO. Der Streitwert ist in Höhe des bezifferten Rückstandes der verlangten Rente (26.075,62 EUR) zuzüglich 80% des 3,5 fachen Jahresbetrags der Rente (3,5 x 9.203,16 EUR x 0,80 = 25.768,84 EUR) zuzüglich 80% des 3,5 fachen Jahresbetrags der Beitragsleistung (3,5 x 498,12 EUR x 0,80 = 1.394,74 EUR) anzusetzen (vgl.: BGH, Beschl. v. 17.05.2000 - IV ZR 294/99 - VersR 01, 600; Senat, Urt. v. 9.11.2005 - 5 U 50/05-6). Damit ergibt sich insgesamt ein Streitwert von 53.239,20 EUR.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Denn die Rechtssache besitzt weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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