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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.07.2006
Aktenzeichen: 5 U 650/05
Rechtsgebiete: AKB


Vorschriften:

AKB § 12 (1) I. b
AKB § 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 26.10.2005 - 14 O 273/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Fahrzeugversicherung (Versicherungsschein-Nummer ...) wegen des Verlustes des versicherten Fahrzeugs, eines VW Touareg, mit dem amtlichen Kennzeichen ...1, in Anspruch. Die Parteien hatten dem Vertrag die ab Oktober 2002 gültigen Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB, Bl. 42 ff.) zugrunde gelegt. Das Fahrzeug besaß eines Verkaufswert von 36.900 EUR (Bl. 29 ff. d.A.). Sein Halter war der Ehemann der Klägerin.

Die Klägerin hat behauptet, ihr Ehemann habe das versicherte Fahrzeug im Sommer 2004 im Internet zum Verkauf angeboten. Daraufhin habe sich ein Interessent gemeldet, der sich als "Mr. Ant.R." ausgegeben habe. Mit ihm habe ihr Ehemann sich auf einen Preis von 38.000 EUR geeinigt. Die Übergabe des Fahrzeugs habe nach Übersendung eines auf den Kaufpreis lautenden Schecks am Flughafen Köln/Bonn erfolgen sollen.

Der Scheck sei dann auch eingegangen. Im Anschluss daran habe der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug vereinbarungsgemäß am Flughafen Köln/Bonn abgestellt und eine Kopie des Kaufvertrages sowie sämtliche Fahrzeugschlüssel, nicht hingegen den im Besitz der finanzierenden Bank befindlichen Fahrzeugbrief, an dem hierfür zuständigen Serviceschalter im Flughafengebäude zur Abholung durch einen "Mr. Aug." hinterlegt. Eine sich so bezeichnende Person habe die Schlüssel auch tatsächlich gegen Vorlage eines Reisepasses dort abgeholt und sei mit dem Fahrzeug davongefahren.

Nachträglich habe sich herausgestellt, dass der zur Einlösung bei der Bank eingereichte Scheck dem wahren Berechtigten gestohlen worden sei, so dass es zu einer Rückbelastung gekommen sei.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dieser Geschehensablauf sei als ein von der Kaskoversicherung gedeckter Trickdiebstahl zu werten. Denn der angebliche Käufer habe sich durch seine Täuschung nur die Voraussetzungen für eine spätere Wegnahme des Fahrzeugs verschafft. Durch die Einbehaltung des Fahrzeugbriefs habe die Klägerin im Übrigen weiterhin Mitgewahrsam an dem Fahrzeug gehabt; er sei später gebrochen worden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.900 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2005 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 703,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, das Abhandenkommen des Fahrzeugs sei nach den von der Klägerin geschilderten Umständen nicht versichert. Die Klägerin sei schlicht betrogen worden.

Das Landgericht Saarbrücken hat die Klage durch Urteil vom 26.10.2005 - 14 O 273/05 - mit der Begründung abgewiesen, eine versicherte Entwendung liege nicht vor. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie rügt, die angefochtene Entscheidung habe die Hingabe eines ungedeckten Schecks nicht zutreffend gewürdigt; gerade darin habe der Trick bestanden, sich die Gelegenheit zur Wegnahme zu verschaffen. Der Ehemann der Klägerin habe aufgrund der Zurückbehaltung des Fahrzeugbriefs Mitgewahrsam behalten, so dass bei der Übernahme des Fahrzeugs am Flughafen Köln/Bonn lediglich eine Lockerung des Gewahrsams bestanden habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.900 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2005 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 703,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Landgericht Saarbrücken hat der Klägerin zu Recht und mit in jeder Hinsicht zutreffender und umfassender Begründung einen Anspruch auf Entschädigung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag nach § 12 (1) I. b), § 13 AKB versagt. Schon wenn man den von der Klägerin geschilderten Geschehensablauf zugrunde legt, ist kein Versicherungsfall eingetreten.

Die Fahrzeugversicherung umfasst nach § 12 (1) I. b) den Verlust des Fahrzeugs durch Entwendung, insbesondere Diebstahl und Unterschlagung. Nicht versichert ist der Verlust des Fahrzeugs durch Betrug (BGH, Urt. v. 27.11.1974 - IV ZR 117/73 - VersR 1975, 225; OLG Düsseldorf, NVersZ 2001, 514; OLG Jena in NversZ 1999, 86; OLG Karlsruhe NversZ 1998, 129; OLG Hamm, VersR 199, 490). Was der Versicherungsvertrag der Parteien unter einer "Entwendung", insbesondere einem Diebstahl oder einer Unterschlagung (durch eine andere Person als diejenige, der das Fahrzeug zur Veräußerung überlassen wurde, § 12 (1) I. b) Satz 2 AKB) versteht, ist durch Auslegung zu ermitteln. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer - ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse - bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH, Urt. v. 13.07.2005 - IV ZR 83/04 - VersR 2005, 1417 m.w.N.). Verwenden Allgemeine Versicherungsbedingungen einen Ausdruck, den die Rechtssprache mit einem fest umrissenen Begriff verwendet, so ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (Römer/Langheid, VVW, 2. Aufl., v. § 1 Rdnr. 18 m.w.N.). Das gilt umso mehr, wenn auch die allgemeine Sprache dem Ausdruck keinen unterschiedlichen Inhalt gibt (BGH, Urt. v. 08.12.1999 - IV ZR 40/99 - VersR 2000, 311). § 12 (1) I. b) AKB schützt den Versicherungsnehmer vor einer "Entwendung" durch Diebstahl. Unter einem Diebstahl versteht die Rechtssprache - nicht anders als die Alltagssprache - den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Dabei genügt der Bruch von Mitgewahrsam. Ein Gewahrsamsbruch setzt allerdings immer voraus, dass die tatsächliche Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers gegen oder ohne den Willen ihres Inhabers aufgehoben oder beeinträchtigt wird. Ein Einverständnis mit dem von dem Täter erstrebten oder erlangten Gewahrsam schließt eine Wegnahme aus (BGH St 4, 199;). Das gilt auch dann, wenn dieses Einverständnis durch Täuschung erlangt worden ist (BGH St 18, 321; BGH, Urt. v. 27.11.1974 - IV ZR 117/73 - VersR 1975, 225). Gerade für Vorgänge im Zusammenhang mit einer gescheiterten Veräußerung des Fahrzeugs kann der verständige Versicherungsnehmer dies den Bedingungen unschwer entnehmen: Überlässt ein Versicherungsnehmer sein Fahrzeug einem Dritten "zur Veräußerung", so ist dessen Zueignung durch den Dritten von der Versicherung ausgeschlossen (§ 12 (1) 1.b Satz 2 AKB). Die auch einem Laien ohne weiteres einsichtige Interpretation der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ergibt folglich zwingend, dass eine einvernehmliche vollständige Aufhebung der Sachherrschaft über das versicherte Fahrzeug - völlig unabhängig von einem fortbestehenden "Eigentum" oder einem fortbestehenden "Besitz" an das Fahrzeug betreffenden Dokumenten - den Versicherungsschutz ausschließt. Jeder verständige Versicherungsnehmer wird dies auch ohne weiteres als Inhalt seines Versicherungsvertrages anerkennen: ihm soll Schutz geboten werden vor einem von ihm nicht voll beherrschbaren Risiko; freiwillig eingegangene, von jedem vernünftigen Marktteilnehmer überschaubare und beherrschbare Risiken soll der Versicherungsnehmer selbst, nicht die Gemeinschaft der Versicherten, tragen.

Gibt der Inhaber des Gewahrsams eines versicherten Fahrzeugs allerdings nur Teile seiner Sachherrschaft frei, liegt also lediglich eine Lockerung des Gewahrsams vor, der folglich zwar leichter gebrochen werden kann aber immer noch "gebrochen" werden muss, so gewährt der Versicherungsvertrag Deckung (BGH, Urt. v. 27.11.1974 - IV ZR 117/73 - VersR 1975, 225; OLG Frankfurt, NversZ 2000, 1050). Von einem solchen "Trickdiebstahl" kann allerdings nur ausgegangen werden, wenn der Gewahrsamsinhaber einen Gewahrsamsrest behält, sich der Herrschaft über die versicherte Sache folglich nicht vollständig und endgültig begeben hat. Davon ist nicht auszugehen.

Die Klägerin, repräsentiert durch ihren Ehemann, hat durch die Bereitstellung des abhanden gekommenen Fahrzeugs am Flughafen Köln-Bonn und die Überlassung der Fahrzeugschlüssel an den vermeintlichen Kaufinteressenten durch Täuschung veranlasst jegliche Sachherrschaft an der versicherten Sache bewusst aufgegeben. Allein der angeblich redliche Käufer des Fahrzeugs war mit Überlassung der Fahrzeugschlüssel und Bezeichnung des Abstellorts in der Lage, das Fahrzeug der Klägerin an sich zu nehmen und zu entfernen. Diese Möglichkeit ist ihm - zweifelsfrei - durch die von ihrem Ehemann repräsentierte Klägerin freiwillig verschafft worden. Dass dieses Einverständnis durch List erzielt worden ist, ist unerheblich. Das Fahrzeug sollte faktisch durch den vermeintlich redlichen Erwerber oder eine von ihm beauftragte Person übernommen und fortbewegt werden. Bei diesem Erwerber sollte es auf Dauer verbleiben. Damit hat die Klägerin - wenn auch aufgrund eines Irrtums - bewusst und willentlich den Schutz aufgegeben, den ihr die tatsächliche Herrschaft über das Fahrzeug, vermittelt hat.

Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass die das Fahrzeug finanzierende Bank mittelbaren Besitz an dem Fahrzeug gehabt haben mag. Mittelbarer Besitz stellt ein Rechtsverhältnis dar (§ 868 BGB), begründet aber keine tatsächliche Mitherrschaft im Sinne eines Mitgewahrsams mit demjenigen, der auf die Sache allein unmittelbar räumlich einzuwirken in der Lage war (BGH St 18, 221; OLG Karlsruhe NVersZ 1998, 129). Das war allein der Ehemann der Klägerin.

Der Annahme Entwendung durch Diebstahl steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin den Fahrzeugbrief zurückbehalten hat und damit möglicherweise dokumentieren wollte, ihr Eigentum an dem Fahrzeug noch nicht aufgegeben zu haben. Versichert ist auch das Fahrzeug gegen einen Gewahrsamsbruch, nicht gegen eine Eigentumsübertragung. Versichert ist auch nicht die tatsächliche Herrschaft über den Kraftfahrzeugbrief. Das in den Bedingungen - § 12 (1) I. b AKB - zum Ausdruck kommende Verständnis einer Entwendung der versicherten Sache verdeutlicht, dass es um den Schutz des Gewahrsams als einer rein tatsächlichen Gewalt über die Sache geht, deren Reichweite sich nach der natürlichen Anschauung des täglichen Lebens beurteilt, ohne dass dabei die Legitimation ihrer Innehabung eine Rolle spielen würde (BGH, Urt. v. 27.11.1974 - IV ZR 117/73 - VersR 1975, 225; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 26. Aufl., § 272, Rdnr. 25 m.w.N.). Tatsächlich einwirken auf das Fahrzeug konnten allerdings lediglich die Klägerin und ihr Ehemann. Nach der Verkehrsanschauung geht diese Möglichkeit vollständig dadurch verloren, dass der angebliche Erwerber selbst oder eine andere Person auf dessen Geheiß nach Erhalt der Schlüssel mit unbekanntem Ziel vom Flughafen Köln-Bonn wegfuhr. Von diesem Zeitpunkt an bestand keinerlei Zugriffsmöglichkeit mehr. Die Zurückbehaltung des Fahrzeugbriefs hat daran nichts geändert. Er war und blieb ein Dokument, das ein Indiz für die Stellung der Klägerin als Eigentümerin war, nicht aber ein solches für ihre Möglichkeit, Herrschaft über das Fahrzeug auszuüben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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