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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 6 UF 121/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 513 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

6 UF 121/04

verkündet am 21. Juli 2005

In der Familiensache

wegen Forderung

hat der 6. Zivilsenat - Senat für Familiensachen I - des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2005 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Jochum sowie die Richter am Oberlandesgericht Sittenauer und Neuerburg

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 3. Dezember 2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - in Homburg - 9 F 345/04 - teilweise dahingehend abgeändert, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

und

Entscheidungsgründe:

I.

Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Die Klägerin, die während der Ehe eine - zwischenzeitlich abgeschlossene - Umschulung zur Krankenschwester begonnen hatte, erhielt vom Beklagten Ehegattenunterhalt. Im Jahr 2001 beliefen sich entsprechende Zahlungen auf 8.808 DM (monatlich 734 DM); zudem bezog die Klägerin eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 22.126 DM. Da sie auf Drängen des Beklagten, der bis 31. Oktober 2001 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war und seit dem 1. November 2001 seinen Wohnsitz in Frankreich hat, die Anlage U unterzeichnet hatte, musste sie die Unterhaltszahlungen auch entsprechend versteuern. Der Beklagte hatte sich allerdings verpflichtet, die Klägerin von steuerlichen Nachteilen freizustellen.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass sich im Jahr 2001 ihre Einkommensteuer- und Kirchensteuerschuld um 1.079,91 EUR erhöht habe, weil sie die Unterhaltszahlungen als Einkommen habe versteuern müssen. Diesen Betrag nebst Zinsen hat die Klägerin mit ihrer am 20. August 2004 eingereichten Klage geltend gemacht.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, dass das Amtsgericht - Familiengericht - in Homburg im Hinblick darauf, dass er seinen Wohnsitz in Frankreich habe, nicht zuständig sei. Im Übrigen sei bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen, dass der Sonderabzug der Unterhaltszahlungen, der die hier in Rede stehende Steuerpflicht der Klägerin ausgelöst habe, durch die Verlegung des Wohnsitzes nach Frankreich bereits zum 31. Oktober 2001 geendet habe, so dass lediglich 7.340 DM zusätzlich hätten versteuert werden müssen. Dementsprechend sei auch der Ausgleichsanspruch geringer. Außerdem hat der Beklagte wegen eines Betrages von 381,84 EUR hilfsweise die Aufrechnung erklärt. Er hat insoweit geltend gemacht, dass die Klägerin ihre Zustimmung zur Zusammenveranlagung für die Jahre 1998 und 1999 erst nach mehrfacher Mahnung durch den vom Beklagten beauftragten Rechtsanwalt erteilt habe, so dass sie die dadurch entstandenen Kosten als Verzugsschaden zu erstatten habe.

Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, dass sie von dem Beklagten nicht darüber informiert worden sei, dass seine Steuerpflicht in Deutschland schon zum 31. Oktober 2001 geendet habe. Dadurch sei ihr die Möglichkeit genommen worden, darauf hinzuwirken, dass auch nur ein entsprechend geringerer Unterhaltsbetrag Grundlage der Steuerberechnung geworden sei. Zum Ersatz der Anwaltskosten sei sie nicht verpflichtet, weil der Beklagte seine jetzigen Prozessbevollmächtigten bereits beauftragt habe, entsprechend tätig zu werden, als sich die Klägerin noch nicht in Verzug befunden habe.

Das Familiengericht hat in dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird, unter Abweisung der weitergehenden Klage den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 899,93 EUR nebst Zinsen zu zahlen.

Gegen die Verurteilung richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Der Beklagte trägt vor, dass es sich bei dem hier geltend gemachten Ausgleichsanspruch nicht um einen Unterhaltsanspruch i. S. von Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ handle. Außerdem regt er an, die Revision zuzulassen, da der Rechtsstreit Fragen der Auslegung des EuGVÜ aufwerfe, die einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof bedürften. Im Übrigen habe das Familiengericht übersehen, dass dem Mahnschreiben vom 29. Januar 2002 bereits ein Aufforderungsschreiben vom 21. Dezember 2001 (Bl. 43 f d. A.) vorausgegangen sei, auf das die Klägerin trotz Fristsetzung nicht reagiert habe, so dass sie in Verzug geraten sei, wodurch eine zusätzliche anwaltliche Tätigkeit erforderlich geworden sei, die Gebühren ausgelöst habe.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet, denn das erstinstanzliche Urteil kann im Umfang der Anfechtung schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Familiengericht zu Unrecht seine internationale Zuständigkeit angenommen hat.

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich vorliegend allein aus Art. 5 Nr. 2 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates - im folgenden EuGVVO) ergeben, dessen Voraussetzungen im Streitfall jedoch nicht erfüllt sind.

Diese Verordnung ist vorliegend anwendbar. Sie ist am 1. März 2002 in Kraft getreten (Art. 76 EuGVVO) und findet nach Art. 66 Abs. 1 EuGVVO auf solche Klagen Anwendung, die, wie im Streitfall, nach dem Inkrafttreten erhoben bzw. aufgenommen worden sind.

Nach Art. 5 Nr. 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte in einem anderen Mitgliedsstaat seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt. Der Senat ist der Auffassung, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nicht als Unterhaltssache im Sinne dieser Regelung anzusehen ist.

Die EuGVVO ist autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und Zielsetzungen auszulegen [vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2004 - C 433/01 zur Auslegung des Brüsseler EWG - Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 - EuGVÜ -, das durch die EuGVVO - außer im Verhältnis zu Dänemark - (vgl. FA-FamR/Rausch, 5. Aufl., Kapitel 15, Rz. 91) ersetzt wurde und, was die vorliegende Zuständigkeitsfrage betrifft, in Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ dieselbe Regelung enthielt wie Art. 5 Nr. 2 EuGVVO (s. a. Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., Art. 5 EuGVVO, Rz. 10)]. Nach der Systematik der Verordnung stellt die Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, den allgemeinen Grundsatz dar und die hiervon abweichenden Zuständigkeitsregelungen sind keiner Auslegung zugänglich, die über die in der Verordnung ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. EuGH, a. a. O., m. w. N.). Dabei beruht die in Art. 5 Nr. 2 EuGVVO getroffene Ausnahmeregelung auf der Erwägung, dass der Unterhaltskläger in Unterhaltsverfahren als die schwächere Partei angesehen wird, da von Unterhaltszahlungen häufig die Befriedigung grundlegender Lebensbedürfnisse abhängt, so dass ihm eine alternative Zuständigkeitsgrundlage geboten werden soll (vgl. EuGH, a. a. O.; BGH, FamRZ 2002, 21; Albers in Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Art. 5 EuGVVO, Rz. 18).

Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass der vorliegend geltend gemachte Ausgleichsanspruch eine Unterhaltssache im Sinne von Art. 5 Nr. 2 EuGVVO darstellt. Denn dieser Anspruch dient nicht dazu, Lebensbedürfnisse in einer bestimmten Zeit zu befriedigen, sondern er soll gewährleisten, dass dem unterhaltsberechtigten Ehegatten aus der ihm abverlangten Zustimmungserklärung zur Durchführung des begrenzten Realsplittings keine Nachteile entstehen. Es handelt sich somit um einen Anspruch eigener Art, der - anders als der Unterhaltsanspruch - nicht davon abhängig ist, dass die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und die Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten gegeben sind (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - XII ZR 108/02 -; FamRZ 1985, 1232; OLGR Saarbrücken 2002, 227), und bei dem auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Anspruchsteller sich in einer schwächeren Position befindet, die es als gerechtfertigt erscheinen ließe, ihm eine weitere Zuständigkeitsgrundlage zu verschaffen.

Der Senat kann auf der Grundlage der vorliegend für richtig erachteten Auslegung des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO entscheiden und ist insbesondere nicht befugt, selbst die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art. 68, 234 EG-Vertrag vorzulegen, da die Entscheidung noch mit der hier zuzulassenden Revision (s. u.) angefochten werden kann.

Nach alledem fehlt es an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte mit der Folge, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist. Die Regelung des § 513 Abs. 2 ZPO rechtfertigt keine andere Beurteilung, da die dort vorgesehene Einschränkung der Berufungsangriffe dahingehend, dass die Berufung nicht auf die Rüge der örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gestützt werden kann, die hier in Rede stehende Frage der internationalen Zuständigkeit nicht berührt (vgl. BGHZ 157, 224).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird unter den Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) zugelassen. Zur Fortbildung des Rechts ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen und Gesetzeslücken auszufüllen. Hierher gehören diejenigen Rechtsstreitigkeiten, in denen es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht und eine Vorlage an der EuGH nach Art. 68 Abs. 1, 234 Abs. 2 und Abs. 3 EG-Vertrag in Betracht kommt, es sei denn, der Bundesgerichtshof hätte die materielle Vorlagepflicht bereits verneint (vgl. Wenzel, NJW 2002, 3353, 3355, m. w. N.), was in Bezug auf die vorliegende Auslegungsfrage, soweit ersichtlich, nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass die hier vertretene Auslegung des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO in Bezug auf den Ausgleichsanspruch nicht eindeutig geklärt scheint, nachdem der Bundesgerichtshof diesem in einer Entscheidung einen unterhaltsrechtlichen Charakter beigemessen und ihn - im Geltungsbereich des § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO - dem gleichen Schutz unterstellt hat wie er auch einem Unterhaltsanspruch zukommt (BGH, FamRZ 1997, 544). Eine gewisse Schutzfunktion dürfte aber auch die Regelung des Art. 5 Nr. 2 EuGVVO beinhalten.

Ende der Entscheidung

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