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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.01.2008
Aktenzeichen: 8 U 301/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
a. Die Prozessführungsbefugnis ist eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist und für deren Bejahung des ausreicht, dass ihre Voraussetzungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen.

b. Zur pflichtgemäßen Ermessensausübung bei einer Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.


SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

8 U 301/07

Verkündet am 10.1.2008

In dem Rechtsstreit

wegen Räumung

hat der 8. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13.12.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Gaillard, den Richter am Oberlandesgericht Barth und den Richter am Oberlandesgericht Wiesen

für Recht erkannt

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 19. April 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 9.O.311/06 - wie folgt abgeändert:

Die Klage ist zulässig.

II. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit der Klage wird die Sache - unter Aufhebung des Verfahrens - an das Landgericht Saarbrücken zurückverwiesen.

III. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht Saarbrücken vorbehalten.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Der Wert der Beschwer der Parteien übersteigt 20.000,-- € nicht.

Gründe:

A.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten, seinem Sohn aus erster Ehe mit der am 22.5.1994 verstorbenen H2 C., Räumung und Herausgabe des von diesem innegehaltenen Teils des vormals elterlichen Anwesens.

Gemäß Ehe- und Erbvertrag vom 11.1.1985 (Bl. 57 ff) ist der Beklagte neben seinen beiden Schwestern Erbe zu 1/3 nach seiner Mutter geworden und wurde dem Kläger im Vermächtniswege das lebenslängliche unentgeltliche Wohnungsrecht an dem ehelichen Anwesen in der <Straße, Nr.> in W. zur Alleinbewohnung und Alleinbenutzung unter Ausschluss der Eigentümer eingeräumt. Weiter wurde Testamentsvollstreckung angeordnet und der Kläger zum Testamentsvollstrecker bestimmt.

Die Beteiligten haben unter dem 28.1.1993 sowie dem 28.4.1994 weitere Erbverträge geschlossen, gemäß denen Abänderungen bzw. Ergänzungen hinsichtlich der Ausgestaltung der eingeräumten Rechte vorgenommen wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtungen der Vertragsurkunden verwiesen (vgl. Bl. 62 ff sowie Bl. 6 ff).

Der Kläger bewohnt die Erdgeschosswohnung des Haupthauses und hat in der Vergangenheit andere, vormals von den Schwestern des Beklagten bewohnte Räumlichkeiten des Anwesens zum Teil vermietet; der Beklagte nutzt seit vielen Jahren - schon zu Lebzeiten seiner Mutter - ein angebautes Nebengebäude sowie den vorderen, durch das vordere Tor zugänglichen Teil der entlang der östlichen Grundstücksgrenze befindlichen Scheune als Werkstatt und Ausstellungsraum für seinen Antiquitätenhandel.

Aufgrund Antrages der <Bankbezeichnung> wurde die Zwangsverwaltung des Grundbesitzes angeordnet und am 2.1.2007 eingetragen. Die der Zwangsverwaltung zu Grunde liegende Grundschuld geht dem Wohnrecht des Klägers im Rang vor. Das Zwangsverwaltungsverfahren wurde zwischenzeitlich durch Beschluss des Amtsgerichts Saarlouis vom 26.7.2007 (Bl. 262) wieder aufgehoben.

Mit vorgerichtlichem Schreiben vom 16.9.2004 (Bl. 14) hat der Kläger den Beklagten wegen persönlicher Differenzen zur Räumung bis 30.3.2005 aufgefordert, was ohne Erfolg geblieben ist.

Zur Begründung seines Räumungsbegehrens hat sich der Kläger auf sein Wohnrecht sowie die Zerrüttung des Verhältnisses mit dem Beklagten berufen. Er hat die Ansicht vertreten, dass die angeordnete Zwangsverwaltung seinen Anspruch nicht berühre und etwaige Vereinbarungen des Zwangsverwalters mit dem Beklagten ihn nicht binden würden.

Durch das angefochtene Urteil (Bl. 205 ff), auf dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dem Kläger fehle im Hinblick auf die Anordnung der Zwangsverwaltung die erforderliche Prozessführungsbefugnis; das aktive und passive Prozessführungsrecht sei auf den Zwangsverwalter übergegangen.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, der sein Räumungsbegehren weiterverfolgt. Entgegen der Ansicht des Erstrichters hält er die Klage für zulässig und insbesondere die Prozessführungsbefugnis des Klägers für gegeben. Er ist der Auffassung, dass die Wohnung des Beklagten nicht in die Zwangsverwaltung aufgenommen worden sei und dem Zwangsverwalter zudem auch kein Duldungstitel ihm gegenüber zugestanden habe. Im Übrigen stehe seine Prozessführungsbefugnis jedenfalls nach zwischenzeitlicher Aufhebung der Zwangsverwaltung außer Frage.

Der Kläger beantragt (Bl. 246, 285),

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Beklagten zu verurteilen, den von ihm innegehaltenen Teil des Anwesens <Straße, Nr.> in W., nämlich das gesamte auf der östlichen Seite an das Haupthaus (sogenanntes Schloss XXX) angebaute Nebengebäude sowie den vorderen, durch das vordere Tor zugänglichen Teil der entlang der östlichen Grundstücksgrenze befindlichen Scheune, genutzt als Wohnstatt und Ausstellungs- sowie Lagerraum für den vom Beklagten betriebenen Antiquitätenhandel zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Der Beklagte beantragt (Bl. 242, 278, 285),

die Berufung des Klägers zurückzuweisen;

vorsorglich: die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

Er verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 13.12.2007 (Bl. 285 f) verwiesen.

B.

Die Berufung des Klägers ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.

In der Sache hat sie dahingehend Erfolg, dass der Rechtsstreit im Hinblick auf die - entgegen der Ansicht des Erstrichters gegebene - Zulässigkeit der Klage nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 ZPO zur Sachentscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen wird.

Insoweit beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO (vgl. § 513 ZPO). Zu Unrecht ist der Erstrichter von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen, indem er unter rechtsfehlerhafter Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften und unter Verkennung der vollstreckungsrechtlichen Beziehungen zwischen die Zwangsverwaltung betreibendem Grundschuldgläubiger und nachrangigem Wohnungsrechtsinhaber, insbesondere des Erfordernisses eines Duldungstitels (vgl. BGH NJW 2003, 2164/2165), die Prozessführungsbefugnis des Klägers im Hinblick auf die angeordnete Zwangsverwaltung verneint hat.

Unabhängig davon wurde die Zwangsverwaltung zwischenzeitlich durch Beschluss des Amtsgerichts Saarlouis vom 26.7.2007 wieder aufgehoben und vermag schon von daher heute die Prozessführungsbefugnis des Klägers nicht zu beeinträchtigen, was letztendlich entscheidungserheblich ist. Insoweit handelt es sich - worauf der Senat bereits mit Verfügung vom 7.12.2007 (Bl. 275) hingewiesen hat - bei der Prozessführungsbefugnis des Klägers nämlich um eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Berufungs- wie in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist und für deren Bejahung es ausreicht, dass ihre Voraussetzungen - wie hier - im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen (vgl. BGH NJW 2000, 738 f.; NJW-RR 1993, 442/443). Die Prozessführungsbefugnis des Klägers steht folglich außer Frage.

Die Klage ist auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig, was im Hinblick auf § 538 Abs. 2, Satz 2 ZPO festzustellen war. Diesbezügliche Mängel der Klage sind weder dargetan noch sonst wie ersichtlich.

Soweit die Klage danach zulässig ist, war auf den Antrag des Beklagten hin, der ausreicht (vgl. § 538 Abs. 2, Satz 1, letzter HS. BGB) und noch bis zur Schließung der mündlichen Verhandlung gestellt werden kann (vgl. Saarländ. OLG NJW-RR 2003, 573), der Rechtsstreit - unter Aufhebung des Verfahrens - zur Sachentscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen, zumal sich das Landgericht darauf beschränkt hat, zur Prozessführungsbefugnis des Klägers - die es verneint hat - Stellung zu nehmen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass § 538 Abs. 2 ZPO eine Ausnahmeregelung ist, die den Grundsatz der Prozessbeschleunigung durchbricht. Er hält die Zurückverweisung der Sache hier jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen für sachdienlich und angebracht, da nicht ersichtlich ist, dass das Interesse an einer schnelleren Erledigung gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz überwiegt (vgl. BGH NJW 2000, 2024; OLG Karlsruhe MDR 2005, 1368; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., Rn. 7 zu § 538). Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger mit der vorliegenden Räumungsklage nach vorgerichtlichem Räumungsbegehren mehr als ein Jahr zugewartet hat und ferner nicht ersichtlich ist, dass die Räumlichkeiten von ihm überhaupt benötigt werden.

Zudem ist die Sache noch nicht entscheidungsreif. Insoweit wird neben der Klärung des Umfangs des klägerischen Wohnungsrechtes - bei welcher Frage der Senat dazu neigt, ebenso wie das Landgericht in dem Parallelverfahren (9.O.112/05; vgl. Urteil vom 11.10.2006, S. 7 = Bl. 329 dieser Akte) den erbvertraglichen Vereinbarungen keine Beschränkung entnehmen zu wollen - auch den weiteren Einwänden des Beklagten, das Räumungsbegehren erfolge aus sachfremden Gründen und sei rechtsmissbräuchlich, sowie, langjähriger, bereits zu Lebzeiten der Mutter ausgeübter Besitz und Nutzung begründeten ein Besitzrecht, nachzugehen sein. In diesem Zusammenhang wird das Landgericht - wie noch nicht geschehen - die Hintergründe des klägerischen Räumungsverlangens, die behaupteten Zusammenhänge zur gescheiterten Eigentumsübertragung auf den Kläger und den Streit um die Testamentsvollstreckung sowie die Grundlagen des langjährigen Besitzes und der Nutzung des Beklagten hinsichtlich der fraglichen Gebäudeteile weiter aufzuklären haben.

Dem Landgericht war ferner die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorzubehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 775 Nr. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den erforderlichen Voraussetzungen fehlt (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1, Ziff. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Wert der Beschwer beider Parteien (vgl. hierzu MünchKomm-Rimmelspacher, ZPO, Rn. 28 vor § 511 ZPO m. w. N.) wurde im Hinblick auf § 26 Ziff. 8 EGZPO festgesetzt, § 3 ZPO. Eine Anwendung von § 8 ZPO kam insoweit nicht in Betracht, da diese Vorschrift nicht für ähnliche Nutzungsverhältnisse - außer den ausdrücklich angeführten Pacht- und Mietverhältnissen - gilt (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., Rn. 2 zu § 8 ZPO).

Ende der Entscheidung

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