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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.01.2005
Aktenzeichen: 8 W 263/04
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 115
GKG § 65 Abs. 7
GKG § 65 Abs. 7 S. 1 Nr. 3
GKG § 65 Abs. 7 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

8 W 263/04

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 24.9.2004 - 12 O 267/04 -

am 7.1.2005

beschlossen:

Tenor:

Unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird der Klägerin für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe ab dem 1.8.2004 bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt, Neunkirchen, beigeordnet.

Gründe:

I. Die Klägerin hat die Beklagte im Wege der Stufenklage u.a. auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen und mit Einreichung der Klageschrift Prozesskostenhilfe beantragt, wobei sie den ausgefüllten Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen beigefügt hat. Das Landgericht hat Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, nach Eingang der Klageerwiderung, in der die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, eine von der Beklagten benannte Zeugin hinzugeladen und die Zeugin vernommen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat es der Klägerin aufgegeben, die eingereichte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu vervollständigen. Dem ist die Klägerin nachgekommen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht aus den Gründen des am selben Tage verkündeten Urteils den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, das Ergebnis der Beweisaufnahme sei bei der Entscheidung zu berücksichtigen gewesen, weil der Prozesskostenhilfeantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unvollständig und deshalb noch nicht entscheidungsreif gewesen sei.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.

II. Die zulässige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ist begründet. Der Klägerin ist die beantragte Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu bewilligen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung im maßgebenden Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 114 ZPO).

1. Die ZPO geht von der Konzeption aus, dass innerhalb des gerichtlichen Rechtsschutzes das Prozesskostenhilfeverfahren und das Hauptsacheverfahren selbstständig nebeneinander laufen. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist beschränkt auf die Prüfung, ob die Voraussetzungen der §§ 114, 115 ZPO vorliegen, ob also die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist und ob der Antragsteller bedürftig ist. In diesem Verfahren, das beschleunigt durchgeführt werden soll, ist daher (nur) zu prüfen, ob die beabsichtigte oder bereits anhängige Klage schlüssig ist; es ist nicht statthaft, über die Prozesskostenhilfebewilligung erst nach Verhandlung und Beweiserhebung in der Hauptsache zu entscheiden (BVerfG FamRZ 1992, 1151 f.; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114 Rn. 21a). Hat der Antragsteller die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unvollständig ausgefüllt oder fehlen Belege, so muss das Gericht unverzüglich eine Frist zur Vervollständigung setzen (OLG München MDR 1998, 559); ob eine anhängig gemachte Klage bereits vor Bewilligung von PKH zuzustellen ist, richtet sich nach § 65 Abs. 7 S. 1 Nr. 3, S. 2 GKG.

Diese Vorschriften für das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren hat das Landgericht nicht beachtet. Es hat vielmehr - ohne vorherige Bewilligung von Prozesskostenhilfe, ohne Anforderung eines Kostenvorschusses und ohne Glaubhaftmachung nach § 65 Abs. 7 GKG - die Klage zugestellt, Verhandlungstermin bestimmt und Beweis erhoben, ohne zuvor auf eine seiner Meinung nach erforderliche Vervollständigung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuwirken und über den Prozesskostenhilfe-Antrag zu entscheiden.

2. Es stellte sich deshalb die Frage, wie sich diese verfahrenswidrige Weiterführung des Hauptverfahrens auswirkte, ob insbesondere der Fortgang des Hauptverfahrens die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "hinreichender Erfolg" (§ 114 ZPO) in der Weise veränderte, dass das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme die Beurteilung der Erfolgsaussicht beeinflusste.

Dem Gesetz lässt sich darüber, von welcher Grundlage das Gericht bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfe-Antrag auszugehen hat, ausdrücklich nichts entnehmen. Weitgehend unstreitig ist nur, dass hinsichtlich der subjektiven Voraussetzung - der Bedürftigkeit - auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 119 Rn. 44 m.w.N.). Von welchem Zeitpunkt aus die objektive Voraussetzung - die Erfolgsaussicht - zu beurteilen ist, ist dagegen lebhaft umstritten.

Sind zwischen Antragstellung und Entscheidung Änderungen in der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts eingetreten, soll das Gericht die als zutreffend erkannte Rechtslage der Beurteilung der Erfolgsaussicht auch dann zugrunde legen müssen, wenn eine zunächst zweifelhafte Rechtsfrage erst im Lauf des Prozesskostenhilfeverfahrens durch eine höchstrichterliche Entscheidung hinreichend geklärt worden ist (BGH MDR 1982, 564 f.): Ein bedürftiger Verfahrensbeteiligter solle sich nicht darauf berufen dürfen, dass ihm die Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden können, wenn das Gericht über sein Gesuch vor der Klärung der Rechtslage entschieden hätte, weil das Gericht die Erfolgsaussicht nicht wider bessere Erkenntnis bejahen dürfe.

Für dem Antragsteller nachteilige Änderungen der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage zwischen frühester Entscheidungsreife und zeitlich nachfolgender Entscheidung werden verschiedene Auffassungen vertreten.

a) Nach einer Meinung soll auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen sein und zwar auch dann, wenn das Gericht eine Entscheidung verzögert hat und zwischenzeitlich aufgrund einer Beweisaufnahme feststeht, dass die Rechtsverfolgung, die zunächst erfolgversprechend schien, in Wirklichkeit von Anfang an ohne hinreichende Erfolgsaussicht war (vgl. die Nachweise bei Zöller/Philippi, a.a.O., § 119 Rn. 46; ebenso Wax in: MünchKomm, ZPO, 2. Aufl., § 114 Rn. 161; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, PKH und Beratungshilfe, 3. Aufl., Rn. 423 ff. m.w.N.; Schneider Rpfleger 1985, 430 ff.).

b) Andere Gerichte berücksichtigen dagegen eine zwischenzeitliche Veränderung der Tatsachengrundlage jedenfalls dann nicht, wenn das Gericht die Bewilligungsentscheidung durch nachlässige oder fehlerhafte Bearbeitung verzögert hat. Sie stellen in einem solchen Fall auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife ab (vgl. die Nachweise bei MünchKomm-Wax, a.a.O., § 114 Rn. 160, Fn. 242; Zöller/Philippi, a.a.O., § 119 Rn. 44, 46; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 422, Fn. 60; Stein/Jonas - Bork, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rn. 38, Fn. 150). Nicht gelten soll das allerdings, wenn die Partei eine ihr ungünstige Entscheidung der Vorinstanz über die Hauptsache nicht anficht. In diesem Fall soll das Gericht, das über die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden hat, die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht anders als die Vorinstanz beurteilen dürfen, weil die Beschwerde gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe nicht auf eine Erfolgsaussicht gestützt werden könne, die das nicht angegriffene Urteil verneint (Zöller/Philippi, a.a.O., § 119 Rn. 47 m.w.N.; a.A.: Stein/Jonas - Bork, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rn. 41).

3. Nach Auffassung des Senats darf bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung lediglich geprüft werden, ob die Klage im Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinreichend erfolgversprechend war. Eine verfahrenswidrig durchgeführte Beweisaufnahme ist ebenso wenig zu berücksichtigen wie der Umstand, dass die Partei die ihr nachteilige Entscheidung in der Hauptsache nicht angefochten hat. Das beruht auf dem verfassungsrechtlichen Gebot des chancengleichen und effektiven Rechtsschutzes.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der Staat muss den Zugang zu den Gerichten jedermann in gleicher Weise öffnen. Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (BVerfG NJW 1991, 413 unter 2. a). Die Anforderungen, die an die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gestellt werden, müssen sich jedoch an dem in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Gedanken der Rechtsschutzgleichheit orientieren, damit der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, nicht verfehlt wird (BVerfG NJW 2000, 1936, 1937).

Maßstab des Tatbestandsmerkmals "Aussicht auf Erfolg" (§ 114 ZPO) ist, wie sich bereits aus den verschiedenen Begriffen ablesen lässt, nicht der tatsächliche Erfolg der Prozessführung in der Hauptsache. Für die Bejahung der Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO genügt es, wenn das über das Gesuch entscheidende Gericht den Rechtsstandpunkt zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht wenigstens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. die Nachweise bei Stein/Jonas/Bork, a.a.O., § 114 Rn. 22). Das Gericht hat somit lediglich eine Prognoseentscheidung zu treffen, es darf nicht den tatsächlichen Erfolg (oder Misserfolg) in der Hauptsache abwarten. Wäre das nämlich der Fall, könnte Prozesskostenhilfe regelmäßig nur bewilligt werden, wenn der Unbemittelte ihrer gar nicht bedürfte. Denn im Fall einer erfolgreichen Prozessführung werden ihm keine Gerichtskosten und keine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen auferlegt, weil der Erfolg in der Hauptsache in der Regel mit der Kostentragungspflicht des Unterliegenden einhergeht (vgl. § 91 ZPO). Folgerichtig soll die Prozesskostenhilfe nicht den Erfolg in der Hauptsache prämieren, sondern den Rechtsschutz nur ermöglichen. Hiervon kann aber nicht die Rede sein, wenn über einen Bewilligungsantrag, der bei Befolgung der Vorschriften über das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren längst spruchreif gewesen wäre, erst zusammen mit der Hauptsache entschieden wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 3190, 3191). Ebenso wenig kann es für die Frage der Erfolgsaussicht, die aufgrund des Parteivortrags zu prognostizieren ist, eine Rolle spielen, ob der Bedürftige eine ihm nachteilige Entscheidung unangefochten lässt bzw. das Beschwerdegericht über weiter gehende, die Erfolgsaussichten beeinträchtigende Erkenntnisse verfügt, die zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife noch nicht vorlagen. Würden solche Umstände verwertet, liefe das auf eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Unbemittelten gegenüber dem Bemittelten hinaus.

Der Senat vermag sich deshalb im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit auch der Auffassung, dass eine verfahrenswidrig durchgeführte Beweisaufnahme bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht zu berücksichtigen ist, nicht anzuschließen (ebenso: Musielak/Fischer, ZPO, 4. Aufl., § 119 Rn. 14). Die Verwertung des dem Antragsteller nachteiligen Beweisergebnisses würde die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst unzulässigerweise in das summarische Prüfungsverfahren verlagern und damit der unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten Partei die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschweren (vgl. dazu BVerfG NJW 1991, 413; NJW-RR 2002, 1069; NJW-RR 2004, 61).

Hinzu tritt im vorliegenden Fall, dass das Landgericht eine Beweiserhebung über die Behauptungen der Beklagten angeordnet hat. Hierin tritt klar zu Tage, dass das Landgericht die Erfolgsaussichten der Klage zu jenem Zeitpunkt bejaht hat. Da kein Zweifel besteht, dass die Klägerin einer rechtzeitigen Aufforderung zur Vervollständigung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse jedenfalls bis zum 1.8.2004 nachgekommen wäre, hätte das die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerechtfertigt. Demgegenüber durfte die nach Durchführung der Beweisaufnahme gewonnene Erkenntnis, dass die Klage wegen Verjährung geltend gemachter Ansprüche im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg hat, unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten kein Grund mehr sein, der Klage die Erfolgsaussichten - nachträglich - abzusprechen (BVerfG NJW 2003, 3190, 3191).

Ende der Entscheidung

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