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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.03.2006
Aktenzeichen: Ss (B) 2/06
Rechtsgebiete: OWiG, StPO, StGB, StVO, StVG


Vorschriften:

OWiG § 46
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 80 a Abs. 1
OWiG § 84 I
StPO § 206a
StPO § 264
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
StGB § 52
StGB § 53
StVO § 23 Abs. 1
StVO § 23 Abs. 1 a
StVG § 24 a I
Die Rechtskraft eines Bußgeldbescheids wegen verbotener Benutzung eines Mobiltelefons (§ 23 Abs. 1a StVO) steht der Ahndung eines auf derselben Fahrt begangenen Verstoßes gegen die 0,5 Promille-Grenze (§ 24a Abs. 1 StVG) entgegen.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

Ss (B) 2/06 Ss (B) 3/06 In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 24. März 2006 gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG durch die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 29. August 2005 aufgehoben und das Verfahren gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den - einschlägig wegen Trunkenheit im Verkehr vorbestraften - Betroffenen wegen fahrlässiger Teilnahme am Straßenverkehr unter einer alkoholischen Beeinträchtigung von 0,47 mg/l AAK zu einer Geldbuße von 500,-- Euro verurteilt und ein Fahrverbot von 3 Monaten verhängt.

Den Einwand des Betroffenen, dem hiesigen Verfahren stehe das Doppelverfolgungsverbot entgegen, weil er wegen Benutzen eines Mobiltelefons auf derselben Fahrt bereits rechtskräftig mit einer Geldbuße belegt worden sei, hat das Gericht zurückgewiesen mit der Erwägung , es möge zwar insoweit Tateinheit im Sinne des § 52 StGB gegeben sein. In prozessualer Hinsicht sei die dazukommende vorsätzliche Tat - das Telefonieren - nicht geeignet, von derselben Tat im prozessualen Sinne zu sprechen.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen Verstoßes gegen das Doppelverfolgungsverbot (§ 84 OWiG, Art. 103 Abs. 3 GG).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme zu der Rechtsbeschwerde vom 9. Januar 2006 Folgendes ausgeführt:

Aus den Urteilsgründen erschließt sich, dass

- der Alkoholgenuss des Betroffenen den bei ihm die Atemalkoholkontrolledurchführenden Polizeibeamten aufgefallen war, weil er während der seinem Anhalten vorangegangenen Fahrt ein Mobiltelefongerät <unter Verstoß gegen § 23 I a StVO > benutzt hatte,

- wegen dieser Ordnungswidrigkeit gegen ihn ein gesondertes Bußgeldverfahren durchgeführt worden war, er darin mit einer Geldbuße von0 EUR belegt wurde,

- der entsprechende Bußgeldbescheid vor dem Urteilsspruch bereits rechtskräftig geworden ist.

Aufgrund des im dortigen Verfahren rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheides steht das "Doppelbestrafungsverbot" der hier verfolgten und zur Aburteilung gelangten Ordnungswidrigkeit entgegen.

Nach § 84 I OWiG kann, wenn über die Tat als Ordnungswidrigkeit rechtskräftig entschieden worden ist, dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

Der Begriff der "Tat" richtet sich dabei nach dem prozessualen Tatbegriff des § 264 StPO, welcher auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren Geltung hat (Steindorf in Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Auflage, § 84 Rn. 3; Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 84 Rn. 5 und vor § 59 Rn. 50 ff.). "Tat" in diesem Sinne ist ein bestimmter Lebensvorgang, ein bestimmtes "geschichtliches" Ereignis, innerhalb dessen der Betroffene - zumindest - einen Bußgeldtatbestand verwirklicht hat. Ein solcher einheitlicher geschichtlicher Vorgang liegt vor, wenn einzelne Lebenssachverhalte und Verhaltensweisen inhaltlich so miteinander verknüpft sind, dass sie nach der Lebensauffassung eine Einheit bilden dergestalt, dass ihre Behandlung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde (u.a. BGHSt 23, 141 ff. (144 ff.); NStZ-RR 2003, 82; Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 264 Rn. 2, 3, Leipziger Kommentar-Gollwitzer, StPO, 10. Auflage, § 264 Rn. 5; Göhler, a.a.O., vor § 59 Rn. 50 a - jeweils mit weiteren Nachweisen).

Macht eine Verwaltungsbehörde eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand ihrer bußgeldrechtlichen Untersuchung, so trifft sie auch eine umfassende "Kognitionspflicht". Der geschichtliche Vorgang ist deshalb erschöpfend im Hinblick auf verwirklichte Bußgeldtatbestände zu untersuchen. Ergeht schließlich ein Bußgeldbescheid über die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne und wird dieser rechtskräftig, so tritt damit eine Sperrwirkung hinsichtlich der Verfolgung aller Bußgeldtatbestände ein, die in der Tat im verfahrensrechtlichen Sinne liegen, unabhängig davon, ob sie seinerzeit erkannt oder übersehen worden sind (Steindorf in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 84 Rn. 3). Verfolgbar bleiben mithin lediglich Vorgänge, die mit der Tat im verfahrensrechtlichen Sinne, die Verfahrensgegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Bußgeldverfahrens gewesen sind, weder in einem äußeren noch in einem inneren Zusammenhang stehen und deshalb selbständige Taten im verfahrensrechtlichen Sinne darstellen (Steindorf in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 84Rn. 49).

Vorliegend ist der zuvor rechtskräftig sanktionierte Verkehrsordnungsverstoß gemäß § 23 I a StVO während der hier zur Aburteilung gestellten Fahrt unter Alkoholeinfluss begangen worden. An der äußeren und inneren Verknüpfung beider Verhaltensverstöße im Rahmen eines einheitlichen äußeren Lebenssachverhaltes bestehen keine Zweifel:

Das Führen des Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss i.S.d. § 24 a I StVG und das teils zeitgleiche Verwenden des Mobiltelefons i.S.d. § 23 I a StVO beruhen auf sich überlagernden Willensbetätigungen des Betroffenen, und sie stellen sich als zeitgleicheinheitliches Handeln der Außenwelt dar, welches in materiellrechtlicher Sicht beide Verkehrsverstöße als tateinheitlich begangen qualifiziert.

Zudem kam es für den Betroffenen zu einer zweifachen Sanktionierungssituation, weil sachwidrig und den Regelungsbereich Art. 103 III GG ebenfalls berührend zwei Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen ihn angelegt wurden. Auch dadurch ist er in seinen Rechten verletzt: Art. 103 III GG verbürgt den Grundsatz der Einmaligkeit der(Straf-)Verfolgung. Diese Garantie erstreckt sich nicht nur auf den Schutz vor mehrmaliger Sanktionierung, sondern soll ihrem Sinngehalt her auch die Belastungen des einzelnen durch mehrere gegen ihn geführte Verfahren wegen desselben geschichtlichen Vorgangs verhindern (vgl. BGH NStZ 1991, 548 f. m.w.N.).

Dem schließt sich der Senat an.

Im Hinblick auf die Urteilsausführungen bedarf noch Folgendes der ergänzenden Erörterung

Zwar ist der prozessuale Tatbegriff, von dem das Gericht zunächst richtigerweise ausgeht, im Verhältnis zum materiellen Recht grundsätzlich selbständig.

Was jedoch eine einheitliche Handlung i.S. des § 52 StGB ist, stellt stets auch eine einheitliche prozessuale Tat dar (vgl. BGHSt 8, 92, 94;13, 21, 23; 26, 284,285; 29, 288, 292; 38, 37; 41, 385, 389; Meyer-Goßner, a.a.O., § 264 Rn. 6 m.w.N.). Umgekehrt sind i. S. des § 53 StGB sachlichrechtlich selbständige Taten grundsätzlich auch prozessual selbständig. Solche tatmehrheitlich begangenen Taten können aber - ausnahmsweise - zu einer prozessualen Tat i.S. des § 264 StPO verknüpft werden, wenn zwischen ihnen eine unlösbare innere Verknüpfung besteht. Auf die Voraussetzungen für eine solche Verknüpfung kam es indes vorliegend nicht an, da bereits von Tateinheit i.S. des § 52 StGB auszugehen war.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 27. April 2004 - 1 StR 466/03 - (StV 2005, 256) geboten. Der Bundesgerichtshof hatte dort darüber zu entscheiden, ob zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und der gleichzeitig begangenen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von berauschenden Mitteln Tatidentität i.S. des § 264 StPO besteht, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht. Er hat diese Frage unter Hinweis darauf, dass die beiden Tatbestände in ihrer Struktur nicht ineinander greifen, die Verkehrsordnungswidrigkeit nicht den Zweck verfolge, die Betäubungsmittel zu transportieren oder sonst den Besitz aufrechtzuerhalten und die Mitnahme der Betäubungsmittel sich andererseits auch nicht auf die Fahrtätigkeit als solche beziehe, verneint.

Gerade die in jener Entscheidung genannten Voraussetzungen sind vorliegend aber erfüllt:

Beide Ordnungswidrigkeiten knüpfen an den Fahrvorgang an. Das Telefonieren ist nur während, nicht aber außerhalb des Fahrvorgangs verboten. Die Fahrtätigkeit schafft erst die Voraussetzung für die Begehung der Ordnungswidrigkeit nach § 23 Abs. 1 a StVO und kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ordnungswidrigkeit der Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt entfiele. Die beiden Tatbestände greifen auch in ihrer Struktur ineinander.

Nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids wegen des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 StVO durfte daher eine Verurteilung im vorliegenden Verfahren nicht mehr erfolgen (§ 84 Abs. 1 OWiG). Das Urteil war daher aufzuheben und das Verfahren gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 206 a StPO, welcher in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 206 a Rn. 6), einzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.

Von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Landeskasse konnte nicht gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO abgesehen werden, denn das Verfahrenshindernis ist bereits vor der Übersendung der Bußgeldakte an das Gericht eingetreten und es ist dem Betroffenen (straf)prozessual nicht vorzuwerfen, dass er dadurch, dass er den Bußgeldbescheid wegen Benutzung des Mobiltelefons hat rechtskräftig werden lassen und nur gegen den anderen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hat, zur Entstehung des Verfahrenshindernisses beigetragen hat. Denn die Bußgeldbehörde hätte die Doppelverfolgung durch Erlass eines beide Ordnungswidrigkeiten zusammenfassenden Bußgeldbescheides verhindern können (zu den Voraussetzungen der Ermessensvorschrift vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 467 Rn. 18 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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