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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.12.2004
Aktenzeichen: 1 LA 129/04
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, VwGO, VwVfG
Vorschriften:
AsylVfG § 78 Abs. 3 | |
AuslG § 53 Abs. 6 S. 1 | |
VwGO § 138 Nr. 2 | |
VwGO § 86 Abs. 1 | |
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2 |
2) Ist in einem vorangegangenen Verfahren bereits bestandskräftig über das (Nicht-) Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung unter Würdigung eines dazu vorgelegten Gutachtens entschieden worden, begründet die Vorlage weiterer Gutachten grundsätzlich keinen Wiederaufgreifensanspruch, wenn diese Gutachten lediglich eine nochmalige Bewertung bereits bekannter Tatsachen enthalten. Solche Gutachten sind kein "neues Beweismittel". i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG.
3) Ein Wiederaufgreifensanspruch muss wegen seiner die Bestands- und Rechtskraft durchbrechenden Wirkung auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Gerade im Bereich wertender Beurteilungen und Einschätzungen muss der Mißbrauchsmöglichkeit vorgebeugt werden, durch immer weitere gutachtliche Äußerungen als "neue Beweismittel" ein Verfahren ständig wieder aufgreifen zu können.
4) Gutachten sind nur dann als neue Beweismittel i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG anzuerkennen, wenn sie ihrerseits auf neuen Beweismitteln beruhen.
5) Das Gericht hat ärztliche Stellungnahmen kritisch zu würdigen; dazu gehört die Prüfung, ob die Stellungnahmen auf einer Grundlage beruhen, die sich zum bekannten Schicksal und den bisherigen Angaben der Klägerin widerspruchsfrei verhält. Ein Grundsatz dahingehend, dass solchen Stellungnahmen entweder zu glauben ist oder dass sie zum Anlass für eine weitere (gerichtliche) Sachaufklärung oder Beweiserhebung genommen werden müssen, besteht nicht (ebenso bereits Beschl. des 4. Senats v. 14.10.2002, 4 L 200/02, NordÖR 2003, 331 Ls.).
6) Abschiebungsschutz i. S. d. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG kann nicht schon dann beansprucht werden, wenn eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird, es muss hinzukommen, dass diese Erkrankung im Einzelfall dergestalt auftritt, dass infolge fehlender natürlicher, zeitabhängiger Eigenheilkraft und einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit im Abschiebezielstaat außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden und/oder (sonstige) existenzbedrohende Zustände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Insoweit sind die Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland zu berücksichtigen.
7) In medizinischer und therapeutischer Hinsicht muss sich ein Ausländer auf den allgemein üblichen Standard in seinem Heimatland verweisen lassen.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
Az.: 1 LA 129/04
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Anerkennung als Asylberechtigte(r), Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 29. Dezember 2004 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 01. Dezember 2004 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Gegenstandswert wird für das Antragsverfahren auf 1.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Sie bezieht sich auf den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO genannten Zulassungsgrund. Dieser ist nicht gegeben; eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht festzustellen.
Die Beweisanträge aus dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 18.11.2004 (S. 1 und 2) sind verfahrensrechtlich einwandfrei abgelehnt worden (§ 86 Abs. 2 VwGO; vgl. S. 2 der Verhandlungsniederschrift vom 01.12.2004 sowie insbes. S. 12-13 der Urt.-Gründe). Die Ansicht der Klägerin, den Beweisanträgen hätte (doch) "nachgegangen werden müssen", ist für das Vorliegen eines Gehörsverletzung i. S. d. § 138 Nr. 3 VwGO unergiebig.
Die Ablehnung der Beweisanträge wird auch sachlich vom Prozessrecht gestützt. Das Verwaltungsgericht muss nur über die für seine Entscheidung erheblichen Fragen Beweis erheben. Solche lagen hier nicht vor.
Ausgehend davon, dass das vorliegende Verfahren das zweite Folgeverfahren der Klägerin ist, wobei über die Frage eines krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses (PTBS) im vorangegangenen Verfahren VG 4 A 116/04 bereits - ausdrücklich - entschieden worden ist (vgl. das dort ergangene Urt. v. 15.07.2004, S. 5-8 sowie die in jenem Verfahren vorgelegte Stellungnahme der Fachklinik Schleswig vom 01.04.2004), kam der Vorlage weiterer (Privat-)Gutachten (vom 15.09.2004 [Dr. med. Fiedler] bzw. vom 26.11.2004 [Dr. med. Hollub]) schon keine Relevanz i. S. d. - hier anzuwendenden - § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu.
Das Verwaltungsgericht hat zu dieser Frage - zu Gunsten der Klägerin - angenommen, dass neue Beweismittel vorliegen (S. 9 d. Urt.-Abdr.). Demgegenüber ist festzustellen, dass die vorgelegten Gutachten lediglich eine nochmalige Bewertung bereits vorhandener Tatsachen enthalten. Ein Wiederaufgreifensanspruch muss wegen seiner die Bestands- und Rechtskraft durchbrechenden Wirkung auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Gerade im Bereich wertender Beurteilungen und Einschätzungen muss der Missbrauchsmöglichkeit vorgebeugt werden, durch die Vorlage immer weiterer gutachtlicher Äußerungen als "neue Beweismittel" ein Verfahren ständig wieder aufgreifen zu können. Dem entsprechend sind neue Sachverständigengutachten grundsätzlich nur dann als neue Beweismittel i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG anzuerkennen, wenn sie selbst auf neuen Beweismitteln beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.07.1989, 7 C 78.88, NJW 1990, 199 f., m. w. N.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Stellungnahme Dr. Fiedler stützt sich auf "Dokumente" aus den vorangegangenen Verfahren (S. 1-2) sowie auf die Schilderungen der Klägerin und deren Beobachtung (S. 5). Neue Tatsachen oder Untersuchungsmethoden sind nicht angewandt worden. Damit erschöpft sich diese Stellungnahme darin, dass die bisherigen - schon bekannten - Fakten lediglich anders bewertet werden, als es die Beklagte und das Gericht in den vorangegangenen Verfahren getan haben-. Dies genügt nicht für ein "neues Beweismittel" i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, das Grundlage für ein Wiederaufgreifen des zuvor rechts- und bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens sein kann.
Vor dem Hintergrund dieser aus § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG abzuleitenden Rechtslage war die im erstinstanzlichen Verfahren beantragte Beweiserhebung bereits - rechtlich - unerheblich.
Die zur Ablehnung der Beweisanträge im erstinstanzlichen Urteil angeführten Gründe sind indes auch unabhängig davon rechtlich nicht zu beanstanden:
Das Verwaltungsgericht hat die vorgelegten (weiteren) fachärztlichen Stellungnahmen pflichtgemäß kritisch gewürdigt; ein Grundsatz dahingehend, dass solchen Stellungnahmen entweder zu glauben ist oder dass sie zum Anlass für eine weitere (gerichtliche) Sachaufklärung oder Beweiserhebung genommen werden müssen, besteht nicht (OVG Schleswig, Beschl. v. 14.10.2002, 4 L 200/02, NVwZ 2003, Beil. Nr. I 10, 86 ff. = NordÖR 2003, 331 Ls.).
Das Verwaltungsgericht hat sich nicht - wie die Klägerin meint - über den medizinischen Sachverstand in den vorgelegten Stellungnahmen hinweggesetzt, sondern lediglich nachgeprüft, inwieweit der Inhalt dieser Stellungnahmen auf einer Grundlage beruht, die sich zum bisher bekannten Schicksal der Klägerin und ihren Angaben in den vorangegangenen Verfahren widerspruchsfrei verhält. Dies konnte nicht festgestellt werden (s. S. 10 d. Urt.-Abdr.). Soweit das Verwaltungsgericht eine Stellungnahme für "tendenziös" hält und - bzgl. der Suizidthematik - nicht als tatsachenfundiert betrachtet (S. 12 a.a.O.), wird damit - ebenfalls - kein dem medizinischen Sachverstand vorbehaltener Bereich berührt. Es ist damit nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den vorgelegten Stellungnahmen nicht gefolgt ist.
Es bestand auch kein Anlass zu weiterer Beweiserhebung oder Sachaufklärung.
Eine Verletzung der allgemeinen Sachaufklärungspflicht gem. § 86 Abs. 1 VwGO könnte vorliegend nicht zur Berufungszulassung führen. Anders als im Fall des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wo - allgemein - ein "Verfahrensmangel" zulassungsbegründend ist, kommt es gem. §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, 138 Nr. 3 VwGO nur darauf an, ob die beantragte Beweiserhebung unterbleiben durfte. Das ist der Fall:
Die Ablehnung der Beweisanträge ist im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten bei einer (unterstellt vorhandenen) posttraumatischen Belastungsstörung in Aserbaidschan (S. 13 der Urt.-Gründe des VG und die dort angegebenen Erkenntnisquellen) gerechtfertigt. Abschiebungsschutz i. S. d. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG kann nicht schon dann beansprucht werden, wenn eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird, es muss vielmehr hinzukommen, dass diese Erkrankung im Einzelfall dergestalt auftritt, dass infolge fehlender natürlicher, zeitabhängiger Eigenheilkraft und einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit im Abschiebezielstaat außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden und/oder (sonstige) existenzbedrohende Zustände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 06.09.2004, 18 B 2661/03, Juris). Derartiges ist nicht einmal den von der Klägerin selbst vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen zu entnehmen. Soweit in der vorgelegten Stellungnahme (Dr. Fiedler, S. 8) ein "unkalkulierbares Suizidrisiko" bzw. eine "weitere Verschlechterung der Erkrankung" prognostiziert wird, werden diese Thesen nicht näher begründet; sie berücksichtigen zudem in Aserbaidschan bestehende Behandlungsangebote nicht. Es wird auch nicht erwogen, dass dort - anders als hier - die sprachliche und kulturelle Verständigung gewährleistet ist, der Zugang zur (unterstellt erkrankten) Klägerin also keines Dolmetschers bedarf.
Das Verwaltungsgericht hat für eine schwere existenzielle Gefährdung der Klägerin auch ansonsten keine Anhaltspunkte feststellen können. Sie sind - wie anzumerken ist - im vorliegenden Fall auch nicht gegeben. Die Klägerin muss sich im Übrigen auf den in medizinischer und therapeutischer Hinsicht allgemein üblichen Standard in ihrem Heimatland verweisen lassen.
Soweit ihre Rückführung nach Aserbaidschan - als solche - mit gesundheitlichen Problemen verbunden sein sollte, lägen diese außerhalb des Schutzbereichs des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG. In Fällen von (unterstellten) psychische Erkrankungen kann bei Rückführungen eine fachärztliche Begleitung organisiert werden.
Weitere Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, hat die Klägerin nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 S. 4 AsylVfG).
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 RVG.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Ende der Entscheidung
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