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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: 15 B 57/02
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO, BSHG


Vorschriften:

SGB VIII § 39 Abs. 6
VwGO § 123 Abs. 1
BSHG § 22
Anteilige Anrechnung des Kindergeldes auf das Pflegegeld auch bei Pflegepersonen, die dadurch keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt mehr erhalten; hier: Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 15 B 57/02

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 15. Kammer - am 13. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe:

Der Antrag,

den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab August 2002 nicht mehr anteilig das Kindergeld auf das Pflegegeld für die von der Antragstellerin betreuten Kinder .......... anzurechnen, ist zwar gemäß § 123 Abs. 1 zulässig, er ist jedoch nicht begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung eines bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine solche Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich sind demnach die Darlegung eines sicherungsfähigen und bedürftigen Rechtes (Anordnungsanspruch) und die Darlegung einer drohenden Beeinträchtigung (Anordnungsgrund).

Hier fehlt es an einem Anordnungsanspruch.

Der Antragsgegner war gemäß § 39 SGB VIII (KJHG) verpflichtet, bei der Berechnung des Pflegegeldes das Kindergeld anteilig zu berücksichtigen. Insofern heißt es in § 39 Abs. 6 SGB VIII:

Wird das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 des Einkommenssteuergesetzes bei der Pflegeperson berücksichtigt, so ist ein Betrag in Höhe der Hälfte des Betrages der nach § 66 des Einkommenssteuergesetzes für ein erstes Kind zu zahlen ist, auf die laufenden Leistungen anzurechnen (Satz 1). Ist das Kind oder der Jugendliche nicht das älteste Kind in der Pflegefamilie, so ermäßigt sich der Anrechnungsbetrag für dieses Kind oder diesen Jugendlichen auf ein Viertel des Betrages, der für ein erstes Kind zu zahlen ist (Satz 2).

Dem Antragsgegner wird vom Gesetz keine Möglichkeit eingeräumt, hiervon abzuweichen. Eine solche ist auch nicht im Wege der Auslegung zu erkennen.

Die Antragstellerin verweist darauf, dass das Sozialamt das Kindergeld als ihr Einkommen berücksichtigt, so dass sie - die Antragstellerin - keine ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt mehr erhält und daher durch die anteilige Anrechnung beim Pflegegeld doppelt benachteiligt werde. Aus diesem Grunde dürfe nach ihrer Auffassung eine Berücksichtigung des Kindergeldes durch den Antragsgegner nicht erfolgen. Diese Rechtsauffassung der Antragstellerin wird zwar von der von der Antragstellerin beigefügten Entscheidung des VG Arnsberg vom 09. März 2000, NDV-RD 2000, 113, gestützt. Nach der dort vertretenen Auffassung ist wegen der vom Gesetz nicht gewollten doppelten Anrechnung des Kindergeldes - einerseits im Rahmen der Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht, andererseits im Rahmen der Sozialhilfeleistungen - § 39 Abs. 6 SGB VIII im Wege der teleologischen Reduktion in den Fällen nicht anzuwenden, in denen die kindergeldberechtigte Pflegeperson laufend Hilfe zum Lebensunterhalt erhält und das Kindergeld zur Deckung des eigenen Bedarfs benötigt. Zur Begründung zieht das VG Ansbach den Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift heran.

Die Kammer vermag sich dieser Auffassung jedoch nicht anzuschließen, da eine solche Auslegung nicht nur im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des Gesetzes steht, sondern auch zum Ziel des Gesetzes, wie es sich aus seiner Entstehungsgeschichte und der den Regelungen des SGB zugrunde liegenden Systematik ergibt.

Die jetzige Fassung des § 39 Abs. 6 SGB VIII zur anteiligen Anrechnung des Kindergeldes auf das Pflegegeld wurde aufgrund des zum 01. Januar 1996 neu geordneten Familienleistungsausgleichs notwendig und erfolgte dann durch das 2. SGB VIII - Änderungsgesetz. Nach der Regierungsbegründung (BT-Drs 11/5948, S. 77) sollte das Kindergeld ursprünglich als zweckbestimmte und zweckidentische Leistung bei der Berechnung des Pflegegeldes immer angerechnet werden. Mit der Regelung in § 39 Abs. 6 SGB VIII sollten die Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, die sich aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung im früheren Recht und aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Frage ergaben, ausgeräumt werden. Die Regelung war dann mehrfach geändert worden. Während nach der ursprünglichen Fassung des Absatzes 6 der volle Betrag maßgebend war, der bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf jedes Kind entfiel, wobei die eigenen Kinder der Pflegefamilie mit zu berücksichtigen waren, erfolgte sodann durch das erste SGB VIII - Änderungsgesetz lediglich für das erste Kind eine volle Anrechnung. Nach der jetzigen Fassung der Vorschrift darf das Kindergeld aber nur noch angerechnet werden, wenn das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 Einkommenssteuergesetz bei der Pflegeperson berücksichtigt ist, also die Pflegeperson Bezugsberechtigte ist. Kindergeld, das einem anderen Kindergeldbezugsberechtigten zukommt, ist im Rahmen des § 39 SGB VIII nicht zu berücksichtigen. Die Anrechnung des Kindergeldes nach § 66 Einkommenssteuergesetz bzw. § 6 des Kindergeldgesetz erfolgt nur anteilig. Diese Anrechnungsvorschrift ist zwingend und abschließend. Ein Abweichen von ihr ist auch dann nicht zulässig, wenn besondere Verhältnisse vorliegen.

Da die Leistungen zum Unterhalt dem Kind oder Jugendlichen, das Kindergeld jedoch den Pflegeeltern selbst zusteht, sah das Bundesverwaltungsgericht vor Einführung dieser ausdrücklichen Regelung zur Anrechnung in Ermangelung einer spezifischen Rechtsgrundlage im JWG die Anrechnung des Kindergeldes auf das Pflegegeld früher nicht ohne weiteres als zulässig an. Es hielt eine solche Verfahrensweise im Einzelfall nur dann für zulässig, wenn das Kindergeld sichtbar an das Kind weitergereicht wurde. Das Kindergeld soll aber nach § 6 SGB I die wirtschaftlichen Belastungen des Unterhaltspflichtigen mindern und wird deshalb zu demselben Zweck gewährt wie Leistungen zum Unterhalt nach § 39 SGB VIII. Der Systematik des jeweiligen Buches des Sozialgesetzbuchs folgend hat der Gesetzgeber jedoch jeweils andere Bezugsberechtigte für das Kindergeld einerseits und die Leistungen nach § 39 KJHG andererseits bestimmt. Durch die gesetzliche Regelung der Anrechenbarkeit des Kindergeldes in § 39 Abs. 6 SGB VIII hat der Gesetzgeber Hinderungsgründe für die sozialpolitisch und rechtssystematisch gebotene Anrechnung zur Vermeidung der sich hieraus ergebenden Doppelleistungen für denselben Zweck beseitigt und eine unabhängig von der Wirtschaftsweise der jeweiligen Pflegefamilie einheitliche Verfahrensweise erreicht. Der Gesetzgeber ging bei dieser Regelung davon aus, dass es durch die Anrechnung des Kindergeldes nicht zu einer Kürzung der verfügbaren finanziellen Mittel der Familie kommen wird, da der künftig auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten anzusetzende Bedarf zu höheren Leistungen als vorher führt. Dass diese Erwartungen eingetreten sind, zeigt sich spätestens bei einem Vergleich zwischen dem nach § 39 SGB VIII zu gewährenden Pflegegeld und dem Bedarf des Pflegekindes, wie er sich aus den Regelsätzen nach § 22 BSHG ergibt.

Die Höhe des zu gewährenden Pflegegeldes umfasst nach § 39 Abs. 1 SGB VIII neben dem notwendigen Unterhalt auch die Kosten der Erziehung und nach § 39 Abs. 2 SGB VIII einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung des Kindes oder des Jugendlichen. Ferner sind nach § 39 Abs. 3 SGB VIII Beihilfen oder Zuschüsse insbesondere zur Erstausstattung einer Pflegestelle, bei wichtigen persönlichen Anlässen sowie für Urlaubs- und Ferienreisen des Kindes oder des Jugendlichen zu gewähren. Die hiernach errechneten Pflegesätze - auch im Falle der von der Antragstellerin betreuten vier Kinder - liegen weit über den Regelsätzen nach § 22 BSHG. So beträgt beispielsweise das Pflegegeld für ........... ab dem Juli 2002 588,50 Euro monatlich, während sie nach den für Schleswig-Holstein geltenden Regelsätzen nach § 22 BSHG lediglich einen monatlichen Sozialhilfebedarf von 147,-- Euro hätte. Bereits dieser Vergleich zeigt, dass eine "Doppelanrechnung" im eigentlichen Sinne nicht erfolgt, sondern dass vielmehr das für Kinder und Jugendliche gezahlte Kindergeld anteiliger Bestandteil der Berechnung des Pflegegeldes ist, lediglich also einen Rechenbetrag darstellt, um eine Doppelleistung für denselben Zweck zu vermeiden, ohne dass dieses etwa zur Folge hätte, dass nun das Kind seinerseits durch diese Berechnung sozialhilfebedürftig werden würde. Insofern hat auch das VG Arnsberg in der genannten Entscheidung (zutreffend) darauf hingewiesen, dass auch dort die teilweise Anrechnung des Kindergeldbetrages nicht dazu führte, dass das betreffende Kind sozialhilferechtlich bedürftig wurde. Auch in dem von ihm entschiedenen Fall- wie im Regelfall immer - überstieg der von den Leistungen nach § 39 SGB VIII auf die materiellen Aufwendungen entfallene Teil auch noch nach Abzug der nach § 39 Abs. 6 SGB VIII maßgeblichen Kindergeldbeträge den einschlägigen sozialhilferechtlichen Bedarf des Kindes.

Nach alledem vermag die Kammer nicht zu erkennen, inwiefern die zur Vermeidung von Doppelleistungen für denselben Zweck in § 39 Abs. 6 SGB VIII eingeführte Anrechnung des Kindergeldes im Rahmen des Pflegegeldes zu einem vom Gesetzgeber nicht intendierten Ergebnis führen könnte. Durch die vom VG Arnsberg aaO für erforderlich gehaltene teleologische Reduktion würde ein über eine Auslegung hinausgehendes unzulässiges Abweichen von einer zwingenden Gesetzesvorschrift erfolgen, ohne dass sich hierfür nach Sinn- und Zweck, Systematik oder Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine Begründung finden ließe.

Selbst wenn man aber gleichwohl einen Anordnungsanspruch mit der in der Entscheidung des VG Arnsberg aaO vertretenen Argumentation für möglich hielte, gilt folgendes: Im Hinblick auf den Anordnungsanspruch müsste die aufgrund summarischer Prüfung vorzunehmende Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage ergeben, dass ein Obsiegen in der Hauptsache zumindest überwiegend wahrscheinlich ist, wobei an die Prognose der Erfolgsaussichten besondere Anforderungen zu stellen sind, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache (vorläufig) vorwegnehmen würde (vgl. z.B. OVG Schleswig NVwZ RR 1992, 387). Dies ist aber nach den vorherigen Ausführungen nicht anzunehmen.

Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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