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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 08.05.2003
Aktenzeichen: 1 KN 9/02
Rechtsgebiete: BauGB, LBO SH, LNatSchG SH, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1
BauGB § 34
BauGB § 9 Abs. 4
LBO SH § 6
LBO SH § 92 Abs. 1 Nr. 4
LNatSchG SH § 11 Abs. 1 S. 1
LNatSchG SH § 11 Abs. 2
LNatSchG SH § 18 Abs. 1
LNatSchG SH § 53 Abs. 7
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
1. Allein der Hinweis auf evtl. Verstöße gegen Bestimmungen des Natur- und Landschaftsschutzes begründet nicht die Antragsbefugnis i. S. d. § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO, weil damit nur Gemeinwohlbelange angesprochen werden.

2. Neben der Antragsbefugnis ist für die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. Dieses fehlt, wenn der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) verbessern kann. In einem Fall, in dem sich eine planerisch zugelassene Bebauung bei Zugrundelegung des § 34 BauGB nicht "einfügen" würde, ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

3. Ein Bebauungsplan, der eine geltende Landschaftsschutzverordnung missachtet, ist wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig (Bestätigung der bisherigen Rspr. des Senats). Ist der kartografischen Darstellung des Geltungsbereichs nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, ob ein Grundstück (noch) zum Schutzgebiet der Landschaftsschutzverordnung gehört, gilt diese Fläche im Zweifel als nicht betroffen.

4. Der Schutzzweck einer Landschaftsschutzverordnung ist funktionslos geworden, soweit er sich auf eine Fläche erstreckt, die eine tatsächlich und rechtlich - durch Errichtung genehmigter Bauten - verfestigte bauliche Entwicklung aufweist, so dass die Ziele des Landschaftsschutzes dort auf absehbare Zeit nicht mehr erreichbar sind.

5. Liegt ein Teil des Plangebiets innerhalb des Gewässerschutzstreifens, führt dies nicht zur Nichtigkeit des Bebauungsplans, wenn für diesen Teil eine sog. "Befreiungslage" vorliegt, m. a. W., eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zu erteilen ist.

6. Eine Unterschreitung der Abstandsflächen durch örtliche Bauvorschrift ist aus besonderen städtebaulichen Gründen gerechtfertigt sein, wenn ein Ortsteil eine erhaltenswerte bauhistorische Bedeutung oder Eigenart aufweist. Diese Eigenart kann in der An- und Zuordnung der Gebäude in einer historischen "Vorstadt" gegeben sein.

7. Eine Abstandsflächenunterschreitung kann durch örtliche Bauvorschriften nur insoweit zugelassen werden, als dies der Wahrung historisch gewachsener Baustrukturen dient. Dort, wo eine erhaltenswerte Vorprägung des betroffenen Bereichs fehlt, ist demnach eine örtliche Bauvorschrift zur Abstandsflächenunterschreitung nicht zulässig. Örtliche Bauvorschriften gestatten grundsätzlich keine "künstliche" (historisierende) Erweiterung einer tatsächlich gar nicht überlieferten Baustruktur. Ausnahmen können allenfalls in Betracht kommen, wenn - etwa - fehlende städtebauliche Zusammenhänge (lückenschließend) rekonstruiert werden oder prägende "Stadtsilhouetten" erhalten werden sollen.


Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 1 KN 9/02

Verkündet am: 08. Mai 2003

In dem Normenkontrollverfahren

wegen Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 73

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung am 08. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ... und den Richter am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Ziffer 3.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 73 der Antragsgegnerin wird für die Gebiete Nr. 5 c und 5 d für nichtig erklärt.

Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt 1/4, die Antragsgegnerin 3/4 der Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweiligen Vollstreckungsschuldnerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Gültigkeit des Bebauungsplanes Nr. 73 der Antragsgegnerin für den Bereich ... / ....

Sie ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung im ersten Obergeschoss (Nordost-Ecke) des Hauses ... in ... . An die Nordgrenze des Grundstücks der Wohnanlage schließt sich der Geltungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans an, der westlich durch die ..., nördlich durch den ..., östlich durch den ... und südlich durch den ... See begrenzt wird.

Das im Geltungsbereich des Bebauungsplans - in nordseitiger Nachbarschaft zur Eigentumswohnanlage der Antragstellerin gelegene - früher vorhandene zwei- bis dreigeschossige Wohnhaus ... 4 ist abgebrochen worden. Der Bebauungsplan sieht für die frei gewordene Fläche die Gebietsart "Mischgebiet" vor. Das zulässige Maß der Bebauung soll drei Vollgeschosse plus ein (um 2 m zurückspringendes) Staffelgeschoss betragen, das durch ein Flachdach mit maximal 15° Dachneigung überdeckt werden kann. Als maximale Firsthöhe sind 14,5 m vorgesehen. Die bebaubare Fläche (Baufenster) weist - ausgehend von der ... - eine Länge von 65 m und eine Breite von 16 m auf. An der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin verläuft die Baugrenze in einem Abstand von 5,5 m zur Grenze. Dazu heißt es in den textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan (Teil B):

"3.1 In den MI-Baugebieten mit der abweichenden Bauweise (a) ist eine Unterschreitung der Abstandsflächen gemäß der festgesetzten überbaubaren Flächen aus besonderen städtebaulichen Gründen (§ 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO) möglich.

3.2 Abweichungen bis zu 1,5 m sind von allen Baulinien und Baugrenzen zulässig, wenn diese durch vertikale gebäudegliedernde Elemente bedingt sind. Dabei sind die Abweichungen von den Baulinien beschränkt auf untergeordnete gebäudegliedernde Gebäudeteile (wie Treppenhäuser, Vordächer, Erker und überdachte Passagen)."

In der Begründung zum Bebauungsplan wird ausgeführt:

" 1.7 ... Die vorhandene Bausubstanz ist extrem heterogen zusammengesetzt und bietet auf dem kleinen Umgriff des hier zu betrachtenden Bebauungsplans einen Rundgang durch die 'Baukunst' der letzten beiden Jahrhunderte. Der Bereich der Riemannstraße ist geprägt durch eine historische Substanz teilweise einfacher Kulturdenkmale ... , aber auch durch Leerstand und langsamen Verfall (siehe z. B. Riemannstraße 4) ..."

" 3.3 Art und Maß der Nutzung werden innerhalb des Betrachtungsraums der Riemannstraße im Wesentlichen durch den tradierten Nutzungscharakter (Mischgebiet mit I bis III Vollgeschossen) und den Vorgaben des Flächennutzungsplans bestimmt. ... Zur weitgehenden Wahrung der historischen additiven Baustrukturen werden in der Riemannstraße Baulinien festgesetzt, die mit den vis a vis liegenden Strukturen der einfachen Kulturdenkmäler korrespondieren. Ergänzend dazu erfolgt die Festsetzung der abweichenden Bauweise gemäß Text Nr. 3.1 (offene Bauweise mit verminderten seitlichen Grenzabständen), die ebenfalls auf der Grundlage der ortstypischen historischen Situation in Kombination mit der traditionell 'brandgassenbildend' zurückspringenden Baulinie entwickelt wurde.

Die beabsichtigte vollständige Neugestaltung des Flurstücks 58/3 erlaubt auf Grund der für das Plangebiet untypischen Grundstückstiefe einen Wechsel der Gebäudeorientierung vom Straßenraum zum Seeufer hin.

Der hier vorgesehene Gebäudekörper mit III Vollgeschossen (inklusive der Möglichkeit zur Errichtung eines Staffelgeschosses im Gebiet 5 c) fügt sich in die gutachterliche Gesamtentwicklungskonzeption zur Nachverdichtung der historischen Parzellenstruktur 'Tourismuskonzept A-Stadt' ein. ..."

" 3.4 Der hier zu betrachtende Gesamtbereich liegt im Einzugsbereich der Gestaltungssatzung ... . Zu den abweichenden Gestaltungszielen der B-Plan-Festsetzungen Nr. 73 für die Gebietsteile 5 a, 5 c, und 5 d (MI-2-Gebäudeanlage) ist anzumerken, dass das Gestaltungsziel hier darin besteht, einen modernen Baukörper zu entwickeln, der sich über die abgestufte Traufenfestsetzung in die Höhenentwicklung des Umgebungsschutzbereiches Riemannstraße einfügt und dessen maximale Traufhöhe an den beiden Endpunkten des Gebäudes nur geringfügig über den Traufhöhenbegrenzungen der Gestaltungssatzung für den Bereich 3 'Historische Vorstädte' liegt. Außerdem ist anzumerken, dass eine Traufhöhenbegrenzung für die beiden mittleren Gebietsteile (5 b und 5 c) nicht erforderlich ist, da diese keinen Bezug zum Straßenraum haben und es hier im Zusammenhang mit der Satteldach- bzw. stärker geneigten Flachdachfestsetzung statt dessen erforderlich ist, die maximale Firsthöhe der Gebäudeteile festzusetzen. ..."

Die Antragsgegnerin beschloss die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 73 Ende 1999. Die im Aufstellungsverfahren erhobenen Einwendungen der Antragstellerin blieben unberücksichtigt. Am 13. Dezember 2000 beschloss die Antragsgegnerin den Bebauungsplan Nr. 73 als Satzung.

Im Hinblick darauf, dass der südliche Teil des Plangebietes im Bereich der Landschaftsschutzverordnung "Holsteinische Schweiz" vom 10. Juni 1965 gelegen ist, beantragte die Antragsgegnerin am 11. Januar 2001 die Entlassung von (am ... See gelegenen) Teilflächen aus dem Landschaftsschutz sowie die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Errichtung von baulichen Anlagen im Gewässer- und Erholungsschutzstreifen; dazu nahm die Untere Naturschutzbehörde des Kreises Ostholstein am 18. Juni 2001 Stellung.

Der Bebauungsplan Nr. 73 trat nach Ausfertigung und Bekanntmachung am 15. September 2001 in Kraft.

Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin ging am 28. Juni 2002 beim Oberverwaltungsgericht ein.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, sie sei im Hinblick auf die im Bebauungsplan zugelassene Unterschreitung der nach § 6 LBO vorgeschriebenen Abstandsfläche antragsbefugt. Ohne den streitigen Bebauungsplan sei die geplante Bebauung des Grundstücks ... 4 unzulässig. Der Bebauungsplan enthalte Abwägungsmängel. Besondere städtebauliche Gründe, die die zugelassene Unterschreitung der Abstandsflächen nach den textlichen Festsetzungen in Ziffer 3.1 rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Ihren nachbarlichen Interessen sei in der Abwägung nicht das erforderliche Geweicht beigemessen worden. Indem die Planbegründung auf die "historischen additiven Baustrukturen" verweise, würden - sinnvoll - nur die vorderen, zur ... hin belegenen Teile des Grundstücks ... 4 angesprochen. Der rückwärtige Grundstücksteil sei nie bebaut gewesen. Als örtliche Bauvorschrift trage die zugelassene Abstandsflächenunterschreitung enteignenden Charakter. Sie sei damit nichtig. Zur Begründung der in Ziffer 3.2 der textlichen Festsetzungen zugelassenen Abweichungen von bis zu 1,5 m von allen Baugrenzen werde in der Begründung des Bebauungsplans kein Wort verloren. Insofern habe überhaupt keine Abwägung stattgefunden. Die Planung eines derart massiven und hohen Baukörpers, wie er für das Grundstück ... 4 zugelassen werde, widerspreche den selbst gesteckten Planungszielen der Antragsgegnerin. Danach habe eine landschaftsverträgliche und sich in den historischen Kontext einfügende Bebauung entstehen sollen. Ein landschaftsverträglicher Übergang zum See werde nicht geschaffen. Kritisch hätten sich insoweit auch Träger öffentlicher Belange geäußert. Eine Höhen- oder Baumassenreduzierung des Gebäudes sei im Planaufstellungsverfahren nicht erfolgt; unverändert betrage die Firsthöhe 14,5 m. Statt eines Vollgeschosses werde nunmehr ein Staffelgeschoss vorgesehen. Dies sei "Etikettenschwindel". Die Abwägungsmängel seien auch offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Der Kern der Abwägung sei berührt, so dass eine Heilung nicht in Betracht komme. Der Bebauungsplan verstoße zudem gegen höherrangiges Recht. Der südöstliche Teil der auf dem Grundstück ... 4 ausgewiesenen Bauflächen liege im Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung vom 10. Juni 1965. Eine Entlassung aus dem Landschaftsschutz sei nicht in Aussicht gestellt worden. Ferner lägen Flächen innerhalb des Gewässer- und Erholungsschutzstreifens, ohne dass eine Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 3 LNatSchG vorliege. Es sei nicht ausreichend, wenn die Erteilung einer solchen Genehmigung lediglich in Aussicht gestellt werde.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bebauungsplan Nr. 73 der Antragsgegnerin für nichtig zu erklären, soweit dieser Festsetzungen für das Grundstück ... 4 (Gebiete 5 a bis 5 d) trifft.

Der Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hält den Antrag für unzulässig. Durch die Nichtigkeit des angegriffenen Bebauungsplans könne sich die Rechtsposition der Antragstellerin nicht verbessern, da die planerisch zugelassene Bebauung auch gemäß § 34 BauGB zulässig sei. Hinsichtlich der zulässigen Unterschreitung der Abstandsflächen enthalte der Bebauungsplan lediglich eine Angebotsplanung. Die Antragstellerin könne sich auf eine Abstandsflächenunterschreitung nicht berufen, da auch ihre Wohnanlage bis auf wenige Meter an die Grenze des nördlich angrenzenden Grundstücks ... 4 heranreiche und damit eklatant gegen geltendes Abstandsflächenrecht verstoße.

Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen und dort Fotos gefertigt; wegen der Ergebnisse wird auf das Erörterungs- und Ortsterminsprotokoll vom 16. April 2003 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung sind die Landschaftsschutzverordnung "Holsteinische Schweiz" nebst Karte sowie die Bauakte zur Wohnanlage der Antragstellerin im Original vorgelegt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verfahrensvorgänge des Beklagten, ferner auf die im Ortstermin gefertigten Fotoaufnahmen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 5 AGVwGO SH statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig (unten 1), jedoch nur in dem aus dem Entscheidungstenor ersichtlichen Umfang begründet (unten 2).

1) Der Normenkontrollantrag ist innerhalb der Frist nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO gestellt worden. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt (unten a); insbesondere fehlt dem Normenkontrollantrag nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (unten b). Seiner Zulässigkeit steht auch nicht der Einwand einer eigenen "eklatanten" Abstandsflächenunterschreitung entgegen (unten c).

a) Die Antragsbefugnis im Sinne des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO ist gegeben. Nach dieser Vorschrift kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Dafür genügt nicht allein der Hinweis auf evtl. Verstöße gegen Bestimmungen des Natur- und Landschaftsschutzes, weil damit nur Gemeinwohlbelange angesprochen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1987, 4 NB 1.87, NVwZ 1988, 728) Die Antragstellerin hat eine (mögliche) Verletzung eigener Rechte dargetan. Sie hat - als unmittelbare "Nachbarin" des Plangebietes - hinreichend substantiierte Tatsachen dafür vorgetragen, dass sie durch die in den Gebieten 5 a bis 5 d Bebauungsplanes Nr. 73 zugelassene Bebauung in eigenen (subjektiven) Rechten verletzt sein könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 - 4 CN 2.98 -, BauR 1999, 134/135). Auf die im genannten Bereich zugelassene "massive" Neubebauung in unmittelbarer Nachbarschaft ihres Grundstücks müsste die Antragstellerin in einer Weise (baurechtlich) Rücksicht nehmen , wie es zuvor nicht der Fall war. Sie müsste insbesondere eine Bebauung unter "verkürzter" Einhaltung der Abstandsvorschriften hinnehmen.

b) Der Antragstellerin fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für ihren Normenkontrollantrag, das neben der Antragsbefugnis gegeben sein muss.

Der Ansicht der Antragsgegnerin, der Antragstellerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie ihre Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern könne, so dass die Inanspruchnahme des Gerichts nutzlos sei (vgl. dazu Urt. d. Senats v. 28.01.1992 - 1 K 14/91 -, m.w.N.), ist nicht zuzustimmen. Nach den - maßgeblichen - Umständen des vorliegenden Falles (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.08.1987 - 4 N 3.86 -, BVerwGE, 78, 85) ist nicht zu erkennen, dass die - planerisch - zugelassene Bebauung des Grundstücks ... 4 sich auch ohne den Bebauungsplan nach Maßgabe des § 34 BauGB "einfügen" würde. Der im betreffenden Baubereich vorhandene Bestand gibt - insbesondere im rückwärtigen, von der Straßenfront der ... entfernteren Grundstücksbereich - keinen hinreichenden Rahmen für eine Bebauung in gleichem Umfang und gleicher Weise vor, wie sie im angegriffenen Plan zugelassen wird. Dies belegen sowohl die bei den Planunterlagen befindlichen Bestandsaufnahmen als auch die in der Planzeichnung des Bebauungsplans Nr. 73 eingetragenen (z. T. als "entfallend" gekennzeichneten) Bauten als auch die bei der Ortsbesichtigung gefertigten Fotoaufnahmen. - Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin ist auch nicht durch die Stellung eines die zulässigen Grenzen des Bebauungsplanes ausnutzenden Bauantrages entfallen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zum Stand des Baugenehmigungsverfahrens hat die Antragstellerin (weiterhin) die Möglichkeit, gegen die Zulassung einer baulichen Nutzung ihres Nachbargrundstücks auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. 73 vorzugehen. Für das Rechtsschutzinteresse genügt es, dass sich im Falle der Nichtigkeit des Bebauungsplanes ihre rechtlichen Möglichkeiten, die von ihr bekämpfte bauliche Anlage zu verhindern, deutlich verbessern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1996 - 4 NB 26.96 -, BRS 58 Nr. 46); dies ist der Fall.

c) Der Zulässigkeit des Antrags der Antragstellerin kann - schließlich - auch nicht der Einwand entgegengesetzt werden, diese rüge die im Bebauungsplan (Ziffern 3.1 und 3.2) zugelassenen Abstandsflächenunterschreitungen und halte zugleich mit ihrer Wohnanlage die abstandsrechtlichen Vorschriften (§ 6 LBO) nicht ein. Es entspricht - zwar - der Rechtsprechung des Senats, dass derjenige sich treuwidrig verhält, der die Abstandsflächenunterschreitung eines Nachbarvorhabens angreift, aber selbst - und sei es auch aufgrund einer Befreiung - die erforderliche Abstandsfläche nicht einhält (vgl. Beschl. v. 30.11.1999, 1 M 122/99, NordÖR 2000, 427). Im vorliegend Fall ist jedoch eine Abstandsflächenunterschreitung durch die Wohnanlage der Antragstellerin nicht festzustellen. Die Antragsgegnerin hat ihre gegenteilige Annahme nicht substantiiert, obwohl sie dazu nach der diesbezüglichen Erörterung im Ortstermin am 16. April 2003 Gelegenheit hatte (vgl. S. 2, vorl. Satz des Protokolls). Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte - ohne Dispens erteilte - Baugenehmigung der Wohnanlage vom 27. Dezember 1983 vermittelt keinerlei Ansatzpunkt für die Annahme eines (szt.) baurechtlich nicht ausreichenden Grenzabstandes. Für die vorgelegten Bauakten und die genehmigten Bauzeichnungen gilt das Gleiche; es spricht vielmehr alles dafür, dass die abstandsrechtlichen Bestimmungen des § 6 Abs. 6 LBO beachtet worden sind. Die Wohnanlage der Antragstellerin ist an der dem Grundstück ... 4 zugewandten Seite zweigeschossig. Die - weitere - Frage, ob eine (unterstellte) Abstandsflächenunterschreitung durch die Wohnanlage der Antragstellerin mit der durch den angegriffenen Bebauungsplan (in Ziffer 3.1 der textlichen Festsetzung) zugelassenen Unterschreitung überhaupt vergleichbar wäre, kann danach auf sich beruhen.

d) Soweit die Antragstellerin den in der Antragsschrift vom 27. Juni 2002 (S. 2) formulierten Normenkontrollantrag in der mündlichen Verhandlung auf die das Grundstück ... 4 betreffenden Teilbereiche 5 a bis 5 d des Bebauungsplans Nr. 73 konzentriert hat, liegt darin eine - im Hinblick auf die Gründe des Antrages unbedenkliche - Klarstellung des Antragsbegehrens.

2) Der Normenkontrollantrag ist (nur) hinsichtlich der die Gebiete Nr. 5 c und 5 d des Bebauungsplans Nr. 73 begründet; im darüber hinaus gehenden Umfang ist der Antrag abzulehnen.

Die Anforderungen an ein rechtmäßiges Planaufstellungsverfahren sind beachtet worden (unten a). Aus der Landschaftsschutzverordnung vom 10. Juni 1965 (unten b) und der - von der Antragstellerin kritisierten - Lage von Teilflächen des Plangebietes im sog. Gewässerschutzstreifen (unten c) sind keine Planungsfehler abzuleiten. Die planerische Abwägung ist allerdings hinsichtlich der zugelassenen Unterschreitung des Grenzabstandes in den - das Grundstück ... 4 betreffenden - Gebieten 5 c und 5 d des angegriffenen Bebauungsplans rechtlich zu beanstanden (unten d).

a) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planaufstellungsverfahrens (§§ 1 - 3 BauGB) hat die Antragstellerin nicht erhoben; solche sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Der Bebauungsplan entspricht den Zielen des Flächennutzungsplans vom 13. Januar 1977 (§ 8 Abs. 2 BauGB); er ist darüber hinaus konform mit dem Entwurf des neuen Flächennutzungsplans (siehe Ziff. 1.4 der Planbegründung).

b) Die Landschaftsschutzverordnung" Holsteinische Schweiz" vom 10. Juni 1965 (i. d. F. der 1. Änderung vom 25. März 1980) führt nicht zur Unwirksamkeit des angegriffenen Bebauungsplanes. Der Antragstellerin ist zwar - im rechtlichen Ansatz - darin zu folgen, dass ein Bebauungsplan, der eine geltende Landschaftsschutzverordnung missachtet, wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig ist (Urt. des Senats vom 17.06.1999, 1 K 7/98 NordÖR 2000, 423 f.; vgl. auch OVG Frankfurt/O., Beschl. v. 21.06.1996, 3 D 15/94.NE, NuR 1997, 98 f.). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber kein derartiger Mangel festzustellen.

Dabei kann offen bleiben, ob die genannte Landschaftsschutzverordnung nach Ablauf der in § 62 Abs. 2 LVwG SH bestimmten Frist noch Gültigkeit besitzt. Auch wenn dies der Fall sein sollte, ist aus der - in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten - Verordnung einschließlich der kartografischen Darstellung ihres Geltungsbereichs nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, dass die im südlichen Bereich des Bebauungsplans Nr. 73 gelegenen Grundflächen am ... See zum Schutzgebiet der Landschaftsschutzverordnung gehören (vgl. § 53 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 LNatSchG). Angesichts des gewählten Maßstabes (1 : 25.000) und der "Stärke" der Abgrenzungslinie auf der Schutzgebietskarte ist unbestimmt, ob die Landflächen am ... See (jenseits der "...") noch dem Landschaftsschutz unterliegen; für diesen Fall gelten diese Flächen gem. § 53 Abs. 7 S. 2, 2. Hs. LNatSchG im Zweifel als nicht betroffen. Der Senat folgt insoweit der Beurteilung des Kreises Ostholstein, wie sie in dem - vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes eingeholten - Schreiben der Naturschutzabteilung vom 18. Juni 2001 niedergelegt worden ist.

Abgesehen davon wäre der Schutzzweck der Landschaftsschutzverordnung (vgl. § 18 Abs. 1 LNatSchG) in dem vom Bebauungsplan Nr. 73 betroffenen Bereich aufgrund der inzwischen tatsächlich und rechtlich - durch Errichtung genehmigter Bauten - verfestigten Situation auf absehbare Zeit nicht mehr erreichbar. Die Flächen liegen im (innerstädtischen) Siedlungsbereich von ... und sind baulich und gärtnerisch gestaltet; die "..." wird "allein durch die Nähe der Kurverwaltung von vielen Touristen genutzt" (Ziff. 1.6 a. E. der Planbegründung). Dies hat auch der Eindruck bei der Ortsbesichtigung bestätigt. Die Verordnung zur Sicherung der Ziele des Landschaftsschutzes in der Holsteinischen Schweiz ist somit in diesem Bereich funktionslos geworden.

c) Der - von der Antragstellerin (weiter) gerügte - Umstand, dass ein Teil des Plangebiets innerhalb des Gewässerschutzstreifens i. S. d. 11 Abs. 1 S. 1 LNatSchG liegt, führt ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Bebauungsplans.

Die Antragsgegnerin hat diesen Umstand bei der Planaufstellung berücksichtigt (Ziff. 6 der "Hinweise" im textlichen Teil des Bebauungsplans, vgl. auch Ziff. 1.4 a. E., Ziff. 3.5 der Planbegründung) und darauf verwiesen, dass (u. a.) für die Baufelder 5 c und 5 d des MI-2-Gebietes (Grundstück ... 4) eine Ausnahmegenehmigung der Unteren Naturschutzbehörde in Aussicht gestellt worden ist (Schreiben des Kreises Ostholstein vom 25. Mai 2000, Oz. 16.5 der Verfahrensakte). Damit liegt - zwar - noch keine ausdrückliche Zulassung einer einzelnen baulichen Anlage i. S. d. § 11 Abs. 2 LNatSchG vor. Das Vorliegen einer sog. "Befreiungslage" ist - indes - auf der planerischen Ebene als ausreichend anzusehen; sie ist nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 Nr. 4 LNatSchG auch gegeben. Der Bebauungsplan enthält damit eine - auch aus naturschutzrechtlicher Sicht - realisierbare planerische Festsetzung. Die im Rahmen der Ortsbesichtigung festgestellte Situation vor Ort zeigt, dass die in den Gewässerschutzstreifen hinein reichenden Bauflächen 5 c und 5 d des Bebauungsplans innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile liegen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme i. S. d. § 11 Abs. 2 Nr. 4 LNatSchG liegen damit objektiv vor; dies genügt für die hier anzustellende Normüberprüfung.

d) Die von der Antragstellerin angegriffene textliche Festsetzung in Ziffer 3.1 ist allein hinsichtlich der Gebiete 5 c und 5 d (betr. das Grundstück ... 4) durchgreifenden Bedenken ausgesetzt (unten [4]). Im übrigen ist die planerische Abwägung (§ 1 Abs. 6 BauGB) nicht zu beanstanden (unten [1]-[3]).

[1] Für die Bebauung der - "vorderen", straßenseitigen - Gebiete 5 a und 5 b des Grundstücks ... 4 wird ebenso, wie es für die "rückwärtigen" Gebieten 5 c und 5 d der Fall ist, in Ziffer 3.1 des textlichen Teil des Bebauungsplans eine Unterschreitung der Abstandsflächen zugelassen. Damit wird zwar von den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse abgewichen (§ 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BauGB; vgl. Stüer, Handbuch des öff. Baurechts, 3. Aufl., Rn. B 635), diese Abweichung ist in diesem Bereich aber gemäß § 9 Abs. 4 BauGB i. V. m. 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO als örtliche Bauvorschrift aus besonderen städtebaulichen Gründen gerechtfertigt. Soweit in der Überschrift zu Ziffer 3.0 des textlichen Teils des Bebauungsplans auf die Rechtsgrundlagen in §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, 22, 23 BauNVO Bezug genommen wird, ist dies im Hinblick auf die in Ziffer 3.1 ausdrücklich angeführte Vorschrift in § 91 Abs. 1 Nr. 4 LBO unschädlich.

Die im Bebauungsplan zugelassene Abweichung bezieht sich auf die (Teil-)Gebiete 4, 5 und 6, die an der ... - bis Einmündung Bleekergang - liegen; diese Gebiete bilden einen "Ortsteil" i. S. d. § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO. Eine erhaltenswerte bauhistorische Bedeutung oder Eigenart des Ortsteils kann gerade auch in der An- und Zuordnung der Gebäude gesehen werden. Die in der Planbegründung (Ziffer 3.3) angegebene Erwägung, in den genannten (Teil-)Gebieten in Korrespondenz zu den an der ... ("vis a vis") historisch gewachsenen Baustrukturen verminderte seitliche Grenzabstände vorzusehen, ist als tragfähiger Abwägungsgrund anzuerkennen. Das überplante Gebiet gehört zur historischen "Vorstadt" ... und war traditionell "in einer Tiefe von etwa 50 m von der ... aus mit kleinteiliger Blockrandbebauung mit geringen Grenzabständen bebaut" (Ziff. 1.6 der Planbegründung).

[2] Auch die Festsetzungen zur zulässigen Anzahl der Vollgeschosse und zur Gebäudehöhe (Trauf- bzw. Firsthöhe) für das Grundstück ... 4 sind nicht zu beanstanden; sie beruhen - als solche - auf einer rechtlich nicht angreifbaren planerischen Abwägung.

Was die zulässige Zahl der Vollgeschosse anbetrifft, hat sich die Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren ausführlich mit den dagegen vorgebrachten Bedenken auseinandergesetzt und - im Hinblick darauf - keine vier-, sondern nur eine dreigeschossige Bauweise zugelassen. Damit wahrt die planerische Vorgabe - noch - den Rahmen dessen, den die vormals vorhandene Bebauung in diesem Bereich zog (vgl. Ziff. 1.6 der Planbegründung).

Nichts anderes ergibt sich letztlich für die Gebäudehöhe: Die insoweit bestimmte maximale Firsthöhe von 14,5 m übersteigt zwar die Höhe früherer bzw. benachbarter Baulichkeiten, doch ist insoweit die vorhandene, zum See hin abfallenden Topographie zu berücksichtigen, die auch anhand des in der mündlichen Verhandlung präsentierten Modells (vgl. Foto Nr. 12 des Ortstermins) deutlich wurde. Durch die Bestimmung von Höhenlagepunkten gemäß Ziffer 2.2 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan wird die Trauf- und Firsthöhenbegrenzung wirksam gesichert (§ 18 Abs. 1 BauNVO). Soweit - (nur) im Gebiet 5 c - gemäß Ziffer 9.5 der textlichen Festsetzung ein - um mindestens zwei Meter zurückgesetztes - Staffelgeschoss (vgl. § 2 Abs. 4 S. 2 LBO) zugelassen wird, ändert dies die maximal zugelassene Firsthöhe nicht. Die Antragsgegnerin ist im Übrigen im Rahmen der nach § 1 Abs. 6 BauGB erfolgenden Abwägung berechtigt, bei der planerischen Bestimmung der Gebäudehöhe von der "Vorgabe" früherer oder benachbarter Bebauung abzuweichen, soweit allein dadurch keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für Nachbargrundstücke entstehen. Allgemeine Gesichtspunkte der Stadtbildgestaltung sind insoweit unergiebig. Eine allein durch die Höhe der zugelassenen Baulichkeiten zu begründende Abwägungserheblichkeit im Hinblick auf private (nachbarliche) Belange ist nicht zu erkennen.

[3] Schließlich ergeben sich gegen die in Ziffer 3.2 der textlichen Festsetzungen zugelassene Abweichung von Baugrenzen, sofern diese durch "vertikale gebäudegliedernde Elemente" bedingt sind, keine Bedenken. Dies entspricht der Regelung in § 6 Abs. 7 LBO.

[4] Die in den Ziffern 3.1 der textlichen Festsetzung zugelassene Unterschreitungen der Abstandsflächen ist - demgegenüber - rechtlich fehlerhaft, soweit sie die (Teil-)Gebiete 5 c und 5 d des Bebauungsplans betrifft. Die Antragsgegnerin hat diesbezüglich die Grenzen der Ermächtigung zum Erlass örtlicher Bauvorschriften i. S. d. § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO überschritten.

In dem genannten Planbereich sind in Anbetracht der - vor Planaufstellung vorhandenen - (früheren) Situation keine Gesichtspunkte zu erkennen, die im Rahmen des § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO eine geringere Abstandstiefe bzw. die Abweichung von Baugrenzen rechtfertigen könnte. Das Grundstück ... 4 (Flurstück 58/3) war im südwestlichen Bereich - rückwärtig der (früheren, inzwischen abgebrochenen) Altbebauung - frei von jeder Bebauung. Die historische und eng aneinander liegende Bebauung in der "Vorstadt" war (und ist) nur entlang der Straßenzüge ..., Voßstraße und ... vorhanden. Rückwärtig der Straßenfront nimmt die strukturbildende Bebauungsdichte ab (vgl. auch Ziff. 1.6 der Planbegründung).

Örtliche Bauvorschriften i. S. d. § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO knüpfen an historische oder sonstwie erhaltenswerte Gegebenheiten an; damit bringt bereits der Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck, dass eine - bauplanungsrechtliche - Abstandsflächenunterschreitung nur zulässig ist, wenn und soweit dies der Wahrung historisch gewachsener Baustrukturen dient (vgl. Beschl. des Senats v. 01.02.2000, 1 M 132/99, NordÖR 2001, 184, Ls. 1). Daraus folgt umgekehrt, dass die örtliche Zulassung einer Abstandsflächenunterschreitung nach § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO dann nicht in Betracht kommt, wenn eine erhaltenswerte Vorprägung des betroffenen Bereichs fehlt. Die "Verlängerung" einer (engen) Straßenrandbebauung in den rückwärtigen Grundstücksbereich ist folglich nur möglich, wenn auch der rückwärtige Bereich an der erhaltenswerten Baustruktur teilhat, wie dies z. B. in den Fällen der Lübecker "Ganghäuser" der Fall ist. Ist der rückwärtige Baubereich demgegenüber nicht historisch vorgeprägt, kann auf der Grundlage der in § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO enthaltenen Ermächtigung grundsätzlich keine "künstliche" (historisierende) Erweiterung einer tatsächlich gar nicht überlieferten Baustruktur erreicht werden. Ausnahmen können allenfalls in Betracht kommen, wenn - etwa - fehlende städtebauliche Zusammenhänge (lückenschließend) rekonstruiert werden oder prägende "Stadtsilhouetten" erhalten werden sollen (vgl. zum letztgenannten Fall OVG Lüneburg, Urt. v. 26.02.2003, 1 LC 75/0, NordÖR 2003, 242 f.). Für den Regelfall muss es dabei bleiben, dass gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO eine Unterschreitung der in § 6 LBO vorgeschriebenen Abstandstiefen nur insoweit zugelassen werden darf, als die Eigenart des jeweiligen baulichen Bereichs (gerade) durch die Unterschreitung der Grenzabstände beeinflusst wird. Die Reichweite des § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO wird verlassen, wenn "bei Gelegenheit" des Erlasses einer für einen bestimmten Bereich zulässigen örtlichen Bauvorschrift eine über den vorgefundenen Bestand hinausgehende enge Bebauung zulässig "gemacht" wird (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: Okt. 2002, § 86 LBO, Rn. 100).

Die vorstehenden Grundsätze werden durch systematische Erwägungen - zusätzlich - gestützt: Durch die Einhaltung ausreichender Bauabstände wird eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung der Baugrundstücke sowie der Wohnfriede gesichert und Erfordernissen des Brandschutzes Rechnung getragen; dies sind auch planungsrechtlich relevante Gesichtspunkte (vgl. Stüer, a.a.O.; Domning/Möller/Suttkus, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, Stand: Nov. 2002, § 6 LBO, Rn. 5, 6). Einschränkungen brauchen sie nur hinzunehmen, soweit dies mit Blick auf andere (gleichwertige) Ziele des öffentlichen Planungsrechts gerechtfertigt ist.

Nach § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO bestand - danach - keine Möglichkeit, im vorliegenden Fall (auch) für den rückwärtigen Bereich der an der ... gelegenen Grundstücke eine Unterschreitung der allgemeinen Abstandsvorschriften zuzulassen, da dieser zuvor niemals von einer derartigen Baustruktur geprägt war. Der Kreis Ostholstein hat in seiner Stellungnahme vom 25.05.2000 (zu 3 c) bereits hervorgehoben, dass eine Abstandsflächenunterschreitung für "Neubauten" unzulässig ist; für die in den Planbereichen 5 c und 5 d gelegenen Bauflächen, die zuvor unbebaut waren, ist von einem "Neubau" i. S. d. Stellungnahme auszugehen. Weder aus der historischen Bauentwicklung noch aus dem von der Antragsgegnerin zusammengestellten Abwägungsmaterial sind Gesichtspunkte zu entnehmen, die - ausnahmsweise - eine Ausweitung der "engen" Baustruktur in dem - durch eine leichte Hanglage zum See gekennzeichneten, zuvor bebauungsfreien - Grundstücksbereich rechtfertigen könnten, der von den Teilgebieten 5 c und 5 d des Bebauungsplans Nr. 73 betroffen ist. Die in der Planbegründung (Ziff. 3.4) enthaltenen Ausführungen zur Traufhöhe und zur "abgetreppten" Höhenentwicklung der Baukörper im Bereich der sog. Stadtbucht sind für die Zulassung einer Abstandsflächenunterschreitung im Ansatz unergiebig. Das Ziel einer baulichen "Nachverdichtung" (s. Ziff. 3.3 der Planbegründung) liegt außerhalb der Anwendungsvoraussetzungen des § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO. In der mündlichen Verhandlung haben sich ebenfalls keine neuen Aufschlüsse ergeben; soweit (dort) auf engzeilige Bebauungsstrukturen bis an das Seeufer (sog. "Wassergassen") verwiesen worden ist, sind damit Baubereiche in der (zentralen) Altstadt (ab ...), nicht - wie vorliegend - in der Vorstadt angesprochen. Ansatzpunkte für eine rekonstruierende Lückenschließung sind hier nicht zu entdecken.

Die planerische Festsetzung in Textziffer 3.1 des Bebauungsplans wird auch nicht durch § 22 Abs. 4 BauNVO getragen. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin sich auf diese Bestimmung nicht berufen hat (vgl. dazu zuletzt ihren Schriftsatz vom 05.05.2003, S. 2), gilt die genannte Bestimmung nur für besondere Bauformen; Fälle, in denen es - wie hier - um den Schutz erhaltenswerter Baustrukturen geht, werden von 22 Abs. 4 BauNVO nicht erfasst (vgl. Wiechert, in: Große-Suchsdorf u. a., Niedersächsiche Bauordnung, 2002, § 56 Rn. 25).

Der aufgezeigte Rechtsfehler ist gemäß § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB auch beachtlich. Da er die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 Nr. 4 LBO betrifft, die - wie nach den vorstehenden Ausführungen (abschließend) feststeht - fehlen, kommt eine Fehlerbehebung i. S. d. § 215 a Abs. 1 BauGB nicht in Betracht. Die Ziffer 3.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 73 war daher - wie im Tenor geschehen - für die Planbereiche 5 c und 5 d für nichtig zu erklären.

Im übrigen bleibt der Normenkontrollantrag ohne Erfolg.

3) Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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