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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2007
Aktenzeichen: 1 LA 67/07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs 3 S 1
AsylVfG § 78 Abs 4 S 4
AufenthG § 60 Abs 1
AufenthG § 60 Abs 3
1) Hat das Verwaltungsgericht eine Tatsachenfrage unter Bezugnahme auf eine vorliegende Auskunftslage beantwortet, muss sich aus einem auf deren Grundsatzbedeutung gestützten Zulassungsantrag ergeben, zu welchen konkreten Fragen die Auskunftslage weiteren Klärungsbedarf hervorruft und wie dieser klärungsfähig ist.

2) Allein aus dem Hinweis auf Übergriffe und die Einschränkung von Rechten christlicher Rückkehrer durch Vertreter der beiden Kurdenparteien KDP und PUK, die im Nordirak faktisch Staatsaufgaben wahrnehmen, ergibt sich kein Aussagegehalt über eine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Christen oder zum Christentum konvertierter Menschen im Irak bzw. im Nordirak.

3) Die (überwiegend für die Städte Mossul und Dohuk berichteten) islamistischen Aktivitäten der kurdisch-islamischen Union (KIU) ergeben keinen Klärungsbedarf bzgl. einer flächendeckenden nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Christen im Nordirak.

4) Die Schwierigkeiten, die Anzahl und die Intensität aller gerade auf das Schutzgut Religion gerichteten Verfolgungshandlungen, gegen die Schutz weder von staatlichen noch von nichtstaatlichen Stellen zu erlangen ist, zu erfassen und diese zur Größe der betroffenen Gruppe in Beziehung zu setzen, erfordern zur Frage einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Christen im Irak eine differenzierte und auf bestimmte Tatsachenfragen konzentrierte Darlegung.

5) Wegen Drogenhandels droht im Irak nach dem Dekret Nr. 3 der Interimsregierung des Irak (Iraqi Interim Goverment [IIG]) vom 08. August 2004 die Todesstrafe, wenn der Drogenhandel mit dem Ziel der Finanzierung oder Unterstützung des Sturzes der irakischen Regierung durch Gewalt erfolgt ist.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

Az.: 1 LA 67/07

In der Verwaltungsrechtssache des

Streitgegenstand: Widerrufs der Anerkennung als Asylberechtigter hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 30. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 16. August 2007 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert wird für das Antragsverfahren auf 1.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AsylVfG sind nicht gegeben.

Die im Zulassungsantrag - zum Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG -aufgeworfenen Fragen, "ob zum Christentum übergetretenen Muslims aus dem Nordirak bei Rückkehr religiös motivierte Verfolgung droht", und "ob praktizierende Christen im Nordirak religiös motivierter Verfolgung unterliegen", sind hinsichtlich des (grundsatzbedeutsamen) Klärungsbedarfs nicht hinreichend dargelegt.

Im Falle eines auf die Grundsatzbedeutung einer tatsächlichen Fragestellung gestützten Zulassungsantrages ist darzulegen, dass die Frage im konkreten Einzelfall entscheidungsrelevant ist und in der bisherigen ober- bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt ist und dass - und ggf. wie - sie klärungsfähig ist; weiter muss die aufgeworfene Frage Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinaus haben. Soweit das erstinstanzliche Gericht die aufgeworfene Frage unter Bezugnahme auf eine vorliegende Auskunftslage beantwortet hat, muss sich aus dem Zulassungsantrag ergeben, zu welchen konkreten Fragen diese Auskunftslage weiteren Klärungsbedarf hervorruft.

Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht.

Während - einerseits - im erstinstanzlichen Urteil zur Frage der Situation praktizierender Christen bzw. zum Christentum konvertierter Menschen im Irak bzw. im Nordirak auf die Auskunftsquelle "GIGA" ("German Institute of Global and Area Studies" / "Institut für Nahost-Studien", Hamburg) vom 12. März 2007 an das VG Köln Bezug genommen worden ist, um zu belegen, dass Christen im Nordirak keiner staatlichen oder regionalpolitischen Verfolgung unterliegen (S. 9 des Urt.-Abdr.), wird - andererseits - im Zulassungsantrag lediglich ausgeführt, dass aber "einiges" dafür spreche, dass im Nordirak jedenfalls eine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Konvertiten bestehe. Belegt wird die Annahme nur mit einem - unspezifizierten - Hinweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.01.2007, wo es im Text (S. 22) heißt, dass eine "Fluchtbewegung von Christen aus Bagdad, Basra und Mossul in die Region Kurdistan-Irak" gebe. Dort sei es "in jüngster Zeit zu Übergriffen und der Einschränkung von Rechten christlicher Rückkehrer durch Vertreter der beiden Kurdenparteien KDP und PUK gekommen, die in dieser Region faktisch Staatsaufgaben wahrnehmen." Aus dieser Textstelle ist kein Aussagegehalt über eine nichtstaatliche "Gruppenverfolgung" von Christen oder Konvertiten im Nordirak zu gewinnen.

Die im Schriftsatz vom 28.10.2007 enthaltene Behauptung, die Auskunft des "GIGA" ("German Institute of Global and Area Studies" / "Institut für Nahost-Studien", Hamburg) vom 12. März 2007 an das VG Köln sei nicht in das Verfahren eingeführt worden, trifft nicht zu; sie ist in der am 18.07.2007 übersandten Erkenntnismittelliste (S. 3; Dok.-Nr. 692) aufgeführt und auch in den Gründen des erstinstanzlichen Urteils (S. 9 d. Abdr.) berücksichtigt worden.

Der - weitere - Hinweis auf das Urteil des VG Stuttgart vom 30.04.2007 (A 2 K 12940/05; veröff. bei Juris) ergibt ebenfalls weder einen solchen Hinweis noch einen hinreichend konkreten Ansatzpunkt für entsprechenden Klärungsbedarf. Das VG Stuttgart nimmt in seinem Urteil auf eine Erkenntnisquelle Bezug (UNHCR, Hintergrundinformation zur Situation der christlichen Bevölkerung im Irak, Stand Juni 2006, S. 6 [diese ist auch vorliegend berücksichtigt worden, s. Nr. 667 der erstinstanzlichen Erkenntnismittelliste]), aus der sich eine "starke Präsenz der kurdisch-islamischen Union (KIU)" mit überwiegenden Aktivitäten in den Städten Mossul und Dohuk ergebe. Aus dem Originaltext dieser Quelle (S. 10), der nahezu wörtlich in die Urteilsgründe der zitierten Entscheidung übernommen worden ist, ergibt sich nicht, dass die KIU-Aktivitäten (oder ähnliche Vorkommnisse) den Nordirak sozusagen "flächendeckend" erfassen. In dem zitierten Urteil des VG Stuttgart ist die - jüngere - Auskunft des GIGA (a.a.O.) vom 12.03.2007 noch nicht berücksichtigt worden, in der es heißt, dass die Christen im Nordirak keiner staatlichen oder regionalpolitischen Verfolgung unterliegen (S. 13); differenzierend wird dort weiter ausgeführt (S. 15/16), dass

"... der Alltag innerhalb der kurdischen Gebiete zunehmend islamisiert wird, d. h., dass die kurdische Regionalregierung sich ebenfalls dem Druck, mit den Maßgaben der muslimischen Religion kompatible Ergebnisse herzustellen oder doch deren Herstellung zu fördern, nicht gänzlich entziehen kann. Immer noch ist das Leben in den kurdischen Gebieten, im Verhältnis zu den mehr fundamentalistischen Verhältnissen in weiten Teilen des 'Zentraliraks', wesentlich liberaler und freier, doch kommt es auch dort zu einer gleichsam schleichenden Islamisierung der täglichen Verhältnisse, aus der sich dann als Reflex ergibt, dass die Christen in einen weiteren Abstand zur muslimischen kurdischen Bevölkerung gelangen, als sie diesen bislang hatten."

Vor dem Hintergrund dieser - aktuellen und auch erstinstanzlich verarbeiteten -Auskunftslage hätte es einer differenzierteren und auf einzelne Tatsachenfragen konzentrierten Darlegung bedurft, in welcher Hinsicht die Frage einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Christen bzw. Konvertiten im Nordirak durch einzelne Gruppierungen weiterer Aufklärung bedarf. Dies gilt unbeschadet der - allgemeineren -Frage, ob in anderen Teilen als im Nordirak lebende Christen einer Gruppenverfolgung von Seiten bestimmter islamistischer Kräfte als "nichtstaatliche Akteure" ausgesetzt sind. Zu dieser - angesichts der Schwierigkeiten, die Anzahl und die Intensität aller gerade auf das Schutzgut "Religion" gerichteten Verfolgungshandlungen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch nichtstaatlichen Herrschaftsorganisationen zu erlangen ist, zu erfassen und dieser zur Größe der betroffenen Gruppe (Christen im Irak) in Beziehung zu setzen - umstrittenen Frage (vgl. dazu [einerseits] VGH München, Urt. v. 08.02.2007, 23 B 06.30883, Juris, und [andererseits] OVG Koblenz, Beschl. v. 24.01.2005, 10 A 10001/05, Juris, und Urt. v. 10.10.2006, 10 A 10785/05, AS 33, 391 ff.) ist im Zulassungsantrag des Klägers keine klärungsfähige und -bedürftige Fragestellung dargelegt worden.

Die im Schriftsatz vom 28.10.2007 vertretene Ansicht, die "kurdischen Parteien" seien nicht in der Lage, Schutz vor Anschlägen auf religiöse Minderheiten zu bieten, ist zu undifferenziert, um einen tatsächlichen Klärungsbedarf zu begründen. Zum einen wäre zu fragen, inwieweit sich die Betroffenen selbst schützen können, zum anderen kommt es nicht auf die "kurdischen Parteien", sondern auf die irakischen (staatlichen) Sicherheitskräfte und auch darauf an, inwieweit (daneben) die internationale Militärallianz den Schutz religiöser Minderheiten gewährleisten kann. Ein solcher Schutz kann angesichts des heimtückischen Vorgehens der im Irak aktiven, sich oftmals nur als "islamistisch" bezeichnenden Terroristen nicht lückenlos sein; das ist indes im Rahmen des Abschiebungsschutzes nach § 60 AufenthG auch nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.07.1991, 9 C 154.90, BVerwGE 88, 367/372; BVerfG, Beschl. v. 23.01.1991, 2 BvR 902/85 u. a.. BVerfGE 83, 216/235 f. sowie Beschl. v. 10.07.1989, 2 BvR 502/86 u. a., BVerfGE 80, 315/341; zur Situation im Irak s. auch VGH München, Urt. v. 15.02.2007, 13a B 06.31062, Juris [insbes. Tz. 40 ff.]; Urt. des Senats v. 18.05.2006, 1 LB 117/05, Juris).

Die "vorsorglich" begehrte Zulassung der Berufung wegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) kommt nicht in Betracht, weil kein divergenter Tatsachen- oder Rechtssatz dargelegt oder ersichtlich ist, auch nicht in dem - vom Kläger angesprochenen - Sinne einer "nachträglichen" Divergenz (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 21.01.2000, 2 BvR 2125/97, InfAuslR 2000, 308/310; BVerwG, Beschl. v. 21.02.2000, 9 B 57.00, Juris).

Der Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG liegt - schließlich - ebenfalls nicht vor. Der Kläger hat erstinstanzlich - zwar - vorgetragen, dass er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vom Amtsgericht Kiel zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei und dass er sich - deswegen - "nicht vorhersehbar" der Gefahr ausgesetzt sehe, im Irak deswegen nochmals, u. U. mit dem Tode bestraft zu werden (Schriftsatz vom 14.12.2004, S. 4-5); die zweite Verurteilung zu einer 4-jährigen Freiheitsstrafe war Gegenstand der mündlichen Anhörung des Klägers durch das Verwaltungsgericht (s. Protokoll des VG vom 16.08.2007, S. 2). Demgegenüber hat der Kläger das, was er jetzt zur Begründung seines Zulassungsantrages angibt - sein Vater habe darüber (also [wohl] über die Verurteilungen]) die irakischen Behörden informiert -, erstinstanzlich nicht vorgetragen. Das hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 13.10.2007 (S. 2) zutreffend hervorgehoben. Soweit der Kläger demgegenüber auf seinen Schriftsatz vom 09.06. 2006 verweist, in dem ausgeführt wird, ihm drohe aufgrund seines "im Irak durch seine Familie bekannt gewordenen Drogenhandels" die Todesstrafe, ist diese Angabe derart vage, dass daraus weder abgeleitet werden kann, wann und wo dies bekannt geworden ist noch entnommen werden kann, was der Kläger - ausdrücklich - erstmals im Zulassungsverfahren behauptet, dass "sein Vater die irakischen Behörden informiert" habe. Auf dieser Grundlage bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass, sich damit näher auseinanderzusetzen.

Was der Kläger erstinstanzlich vorgetragen hat, hat das Verwaltungsgericht zur Kenntnis genommen und erwogen (s. Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, S. 2; Entscheidungsgründe, S. 9). Unter Gehörsgesichtspunkten ist es nicht erforderlich, dass sich das Gericht mit dem erstinstanzlichen Vorbringen ausführlicher auseinandersetzt.

Unabhängig davon hätte es zur Frage, ob dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak die Todesstrafe droht, weiterer Darlegungen bedurft; die pauschale Behauptung, dass dies der Fall sei, genügt nicht: Im (erstinstanzlich eingeführten) Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.01.2007 (S. 24, zu II.S.e) heißt es, dass die Todesstrafe nur bei "spektakulären Strafverfahren" verhängt werde. Die Todesstrafe nach dem "Iraqi Penal Code" (IPC) war nach der Entmachtung Saddams durch die Order Nr. 7 der "Coalition Provisional Authority" (CPA) am 10. Juni 200S suspendiert worden (veröff. im Internet unter www.aina.org/books/cpapenalcode.htm). Durch des Dekret Nr. S der Interimsregierung des Irak ("Iraqi Interim Goverment" [IIG]) vom 08. August 2004 ist die Todesstrafe für bestimmt Delikte wieder eingeführt worden, darunter für Drogenhandel mit dem Ziel der Finanzierung oder Unterstützung des Sturzes der Regierung durch Gewalt ("drug trafficking with the aim of financing or abetting the overthrow of the government by force"; Abschnitt 2 des Dekrets auf der Grundlage von Art. 190 IPC; vgl. den Bericht: "Iraq: Unjust and unfair: The death penalty in Iraq" von amnesty international [20.04.2007]; veröffentlicht im Internet unter web.amnesty.org/library/Index/ENGMDE140142007). Danach ist im Falle des Klägers nicht damit zu rechnen, dass er im Irak der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt sein wird, denn es ist weder dargelegt worden noch ersichtlich, dass der von ihm (wiederholt) begangene und in Deutschland abgeurteilte Drogenhandel gerade mit dem Ziel der Finanzierung oder Unterstützung des Sturzes der irakischen Regierung durch Gewalt erfolgt ist.

Der Zulassungsantrag ist nach alledem anzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 b AsylVfG, §§ 154 Abs. 1VwGO.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 RVG .

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).



Ende der Entscheidung

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