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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.06.2006
Aktenzeichen: 1 LA 69/06
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 1
1. Exilpolitischen Aktivitäten sind im Hinblick auf eine Rückkehrgefährdung nicht entscheidungserheblich, wenn nicht einmal Anhaltspunkte dafür dargelegt werden, dass der Kläger dabei identifiziert worden ist.

2. Die Frage, ob ein Ausländer wegen seiner exilpolitischen Tätigkeiten in Deutschland gefährdet wäre, ist in verallgemeinerungsfähiger Weise nicht klärungsfähig; insoweit kommt es auf die Ermittlung und Bewertung der individuellen Umstände seines Einzelfalls an.

3. Eine flächendeckende Überwachung exilpolitischer Aktivitäten durch syrische Agenten in Deutschland ist nicht anzunehmen. Diese konzentrierten ihre Ressourcen auf die als gefährlich erachteten Regimegegner. Dazu muss eine als "antisyrisch" eingeschätzte Tätigkeit mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit vorliegen. Die Prognose, ob einem Syrer wegen exilpolitischer Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren drohen, hängt davon ab, ob die betroffene Person -im Einzelfall- von den syrischen Sicherheitskräften wegen ihrer herausgehobenen Betätigung als gefährlicher Regimegegner eingestuft werden wird.

4. Befindet sich das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung, gelten für die Darlegung des Zulassungsgrundes der Grundsatzbedeutung aus tatsächlichen Gründen erhöhte Anforderungen. Der pauschale Hinweis auf eine "verschärfte" Gefährdungslage genügt nicht.

5. Arabische oder kurdische Veröffentlichungen im Internet können verfolgungsrelevant werden, soweit diese nach Syrien hineinwirken. Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr ergibt sich für den Einzelnen aber nur, wenn er als Verfasser von (Internet-)Artikeln einen Bekanntheitsgrad als Regimegegner erlangt hat und mit regimefeindlichen oder "antisyrischen" Artikeln explizit hervortritt.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 1 LA 69/06

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Asyl, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 02. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 17. Januar 2006 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AsylVfG gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Sein Prozesskostenhilfeantrag ist deshalb wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).

1) Die aufgeworfene, als grundsatzbedeutsam erachtete Frage (S. 4 u. des Zulassungsantrags), "ob ausschließlich 'Aktivisten der ersten Reihe' ... mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchten müssen oder auch nach dem März 2004 die Teilnahme an Demonstrationen, bei denen der Betroffene identifiziert worden ist und Veröffentlichungen im Internet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit" eine Rückkehrgefährdung begründen, führt nicht zur Berufungszulassung.

a) Im Zulassungsantrag müsste - zunächst - im Einzelnen dargelegt sein, dass die Frage im konkreten Einzelfall entscheidungsrelevant ist. Dies ist nicht der Fall. Der Kläger verweist zwar darauf, dass seine exilpolitischen Aktivitäten bzw. Äußerungen im Internet bis Dezember 2005 dokumentiert seien, sich das Verwaltungsgericht aber zur "grundsätzlichen Einschätzung" nur auf Erkenntnismittel bis zum März 2004 gestützt habe und die späteren Erkenntnisquellen, aus denen sich eine "verschärfte" Gefährdungssituation von Kurden in Syrien ergebe, unberücksichtigt gelassen habe. Hinsichtlich der - in der o. a. Frage enthaltenen - Annahme, dass der Kläger bei Demonstrationen identifiziert worden sei, fehlt aber eine Darlegung - wenigstens - der Anhaltspunkte, dass dies der Fall (gewesen) sein könnte. Die "Listen" der exilpolitischen Aktivitäten (Schreiben vom 21.05.2003, 04.05.2004, 15.12.2005 sind insoweit unergiebig (auch die dazu erstinstanzlich eingereichten Fotos bzw. die Videoaufnahme). Der Name des Klägers wird nur in einem (vorgelegten) Internet-Ausdruck i. Z. m. der Gedenkveranstaltung für den Schriftsteller Sabri genannt.

b) Selbst wenn angenommen wird, dass diese - wenigen - Angaben für eine Identifizierbarkeit des Klägers - nach entsprechender Ausforschung durch syrische Geheimdienste - genügen, führt die o. a. Fragestellung nicht zur Berufungszulassung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Eine grundsatzbedeutsame Fragestellung liegt nur vor, wenn ihrer Klärung eine verallgemeinerungsfähige Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinaus zukommt. Das ist vorliegend nicht der Fall.

aa) Die Frage, ob der Kläger, der sich selbst nicht als "Aktivist der ersten Reihe" sieht, bei einer Rückkehr nach Syrien wegen seiner exilpolitischen Tätigkeiten in Deutschland gefährdet wäre, ist in einer verallgemeinerungsfähigen Weise nicht klärungsfähig. Für die Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefährdung kommt es maßgeblich auf die Ermittlung und Bewertung der individuellen Umstände seines Einzelfalls an.

Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil (S. 12) zur Verfolgungsrelevanz exilpolitischer Aktivitäten insoweit auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.07.2003 bezogen, der inhaltlich mit dem (zuvor im Urteil [S. 11] berücksichtigten) Lagebericht vom 14.07.2005 übereinstimmt. Danach ist keine flächendeckende Überwachung exilpolitischer Aktivitäten in Deutschland anzunehmen; die syrischen Stellen unterschieden bei exilpolitisch Tätigen zwischen Führungspersönlichkeiten, Aktivisten, einfachen Sympathisanten und Mitläufern. Die syrischen Geheimdienste konzentrierten ihre Ressourcen auf die als gefährlich erachteten Regimegegner. Dazu muss eine als "antisyrisch" eingeschätzte Tätigkeit mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit vorliegen. In der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 25.04.2003, 1 LB 230/01) und anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.07.2003, 1 LA 172/02 und Urt. v. 27.05.2003, 2 L 539/99; VGH Mannheim, Urt. v. 06.09.2001, A 2 S 2249/98; OVG Bremen, U. v. 13.04.2000 - 2 A 466199.A; OVG Münster, Urt. v. 21.04.1998, 9 A 6597/95.) ist - damit übereinstimmend - entschieden worden, dass die Prognose, ob einem Syrer wegen exilpolitischer Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren drohen, davon abhängt, ob die betroffene Person - im Einzelfall - von den syrischen Sicherheitskräften wegen ihrer herausgehobenen Betätigung als gefährlicher Regimegegner eingestuft werden wird.

Nichts anderes gilt - im Einzelfall - auch für den Kläger, der exilpolitisch nicht in "der ersten Reihe" tätig war.

Befindet sich das Verwaltungsgericht, wie vorliegend, in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung, gelten für die Darlegung des Zulassungsgrundes der Grundsatzbedeutung aus tatsächlichen Gründen erhöhte Anforderungen (vgfl. VGH Kassel, Beschl. v. 13.09.2002, 8 ZU 944/00.A, InfAuslR 2002, 156). Es genügt nicht, der Beurteilung des Verwaltungsgerichts in seinem Urteil (S. 11 u. - 12 des Urt.-Abdr.) pauschal - in ihrem Faktenkern nicht eindeutige - Einschätzungen entgegenzusetzen, die aus dem Vorfall vom 14.03.2004 in Nordost-Syrien eine "verschärfte" Gefährdungslage für Kurden ableiten.

bb) Unter den o. g. Voraussetzungen können - im Einzelfall - auch Veröffentlichungen im Internet verfolgungsrelevant werden. Das Internet wirkt -hinsichtlich bestimmter arabischer oder kurdischer Web-Seiten - nach Syrien hinein und wird insoweit staatlich überwacht (Lagebericht des AA v. 14.07.2005, S. 10 f.; Hajo/Savelsberg, Gutachten v. 06.09.2005 an das VG Magdeburg). Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr ergibt sich für den Einzelnen aber nur, wenn er als Verfasser von (Internet-)Artikeln einen Bekanntheitsgrad als Regimegegner erlangt hat und mit regimefeindlichen oder "antisyrischen" Artikeln explizit hervortritt. Dabei gilt der Beurteilungsmaßstab, der auch ansonsten für die Abgrenzung asylrechtlich relevanter von nicht relevanter exilpolitischer Aktivität bedeutsam ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.07.2003, 2 LA 172/02, Juris). Auch hier lässt sich - jeweils - nur im Einzelfall klären, ob eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefährdung gegeben ist; eine verallgemeinerungsfähige (grundsatzbedeutsame) Klärung ist dazu nicht möglich. Anzumerken ist, dass die Namensnennung des Klägers im Internet keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefährdung begründet.

2) Der Kläger kann gem. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO - unter dem Aspekt einer Gehörsverletzung - ebenfalls keine Berufungszulassung beanspruchen.

a) Er beanstandet zu Unrecht, dass sich das Verwaltungsgericht nur auf "ältere Erkenntnisquellen" gestützt und aktuelle (nach März 2004 entstandene) "Einschätzungen" der Gefährdung wegen exilpolitischer Aktivitäten nicht zur Kenntnis genommen habe. Das Gegenteil ergibt sich sowohl aus der - in die mündliche Verhandlung einbezogenen - Liste der Erkenntnismittel (Stand 10/2005) als auch aus den in den Gründen des erstinstanzlichen Urteils ausdrücklich genannten Erkenntnisquellen (Lagebericht des AA v. 14.07.2005, Gutachten Hajo/Savelsberg v. 23.08.2005 [S. 11 d. Urt.-Abdr.], Gutachten Hajo/Savelsberg v. 16.01. und v. 06.09.2005 [S. 13 d. Urt.-Abdr.]). Soweit der Kläger weitere Erkenntnisquellen "vermisst" (Auskünfte des AA v. 10.11. und v. 17.06.2004; Stellungnahme ai vom 09.06.2005 an Schweiz. Asylrekurskommission), ergibt sich daraus kein Gehörsverstoß. Das Verwaltungsgericht muss sich nicht mit allen Erkenntnisquellen ausdrücklich befassen, sondern kann sich auf diejenigen beschränken, die für seine Überzeugung leitend waren (§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO).

b) Anzumerken bleibt, dass das Verwaltungsgericht auch unter dem Aspekt der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht keine weiteren Ermittlungen vorzunehmen brauchte. Der Kläger rügt keinen Aufklärungsmangel, sondern - letztlich - nur, dass das Verwaltungsgericht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefährdung anders beurteilt als er. Darin liegt kein Zulassungsgrund.

3) Weitere Zulassungsgründe hat der Kläger nicht dargelegt. Der Zulassungsantrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 1VwGO abzulehnen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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