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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 31.08.2006
Aktenzeichen: 1 MB 25/06
Rechtsgebiete: BauGB, LBO SH, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 15 Abs. 1
BauGB § 22 Abs. 2 S. 1
LBO SH § 74
VwGO § 123 Abs. 1
1. Gegen Vorhaben, die dem Genehmigungsfreistellungsverfahren (§ 74 LBO) unterfallen, kann ein baubehördliches Einschreiten nur beansprucht werden, wenn sie nachbarschützende Rechte betreffen und verletzen.

2. Auch eine "volle" Ausnutzung der Vorgaben des Bebauungsplans begründet keine Rücksichtslosigkeit; aus § 15 Abs. 1 BauNVO kann keine den Plan ergänzende Restriktion des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung abgeleitet werden

3. Die Festsetzung einer offenen Bauweise im Bebauungsplan vermittelt dem unmittelbar angrenzenden Grundstückseigentümer - und nur diesem - Nachbarschutz. Gleiches gilt für die Festsetzung der Hausform "Doppelhaus". Darüber hinaus kommt den genannten Festsetzungen keine nachbarschützende Wirkung zu. Mit der Planungsvorgabe "Doppelhaus" wird das Straßen- und Ortsbild planerisch gestaltet; dies betrifft ausschließlich öffentliche, nicht aber (bestimmte) nachbarliche Interessen.

4. Unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen ein Doppelhaus i. S. d. § 22 Abs. 2 BauNVO anzunehmen ist, wird die Situation in der Nachbarschaft in weitem Umfang bereits durch die planungsrechtlichen Vorgaben zum Maß der Nutzung und zur Zahl der zulässigen Wohneinheiten geprägt. Aus nachbarlicher Sicht wird es kaum einen Unterschied darstellen, ob zwei Wohneinheiten in einem Doppelhaus "übereinander" oder "nebeneinander" angeordnet sind.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 1 MB 25/06

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Bauordnungsverfügung - Stilllegungsverfügung (...-Straße) - Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO -

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 31. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 8. Kammer - vom 27. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert beträgt 7.500,-- Euro.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin erstrebt die sofort vollziehbare Stilllegung der Bauarbeiten der Beigeladenen zu 2) und 3) zur Errichtung von Wohngebäuden auf den Grundstücken ...-Str. 9-15. Sie ist Eigentümerin des den Baugrundstücken nordöstlich gegenüberliegenden Grundstücks ...-Str. 7. Zwischen ihrem Grundstück und den Bauparzellen liegt eine mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu Gunsten der Baugrundstücke belegte Parzelle 404.

Die Beigeladenen zu 3) wollen in der Weise bauen, dass auf dem Grundstück ...-Str. 9/9a als "Doppelhaushälfte" ein Wohngebäude mit zwei Wohneinheiten - mit je separatem Eingang - entsteht; die für ...-Str. 11 vorgesehene "Doppelhaushälfte" des Beigeladenen zu 2) wird eine Wohneinheit haben. Entsprechend ist auch die Bebauung für die Grundstücke ...-Str. 13/13a und 15 vorgesehen. Zwischen den beiden Bauvorhaben ...-Str. 9/9a, 11 ...-Str. 13/13a, 15 sind Carports geplant.

Die Grundstücke der Beigeladenen zu 2) und 3) liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans 09.04.00 - Teilbereich 1 "..." - der Beschwerdegegnerin, der für das betroffene Baufeld WA-13 eine offene, 2-geschossige Doppelhausbebauung festsetzt, wobei (lt. I. Ziff. 6 des Textteils) "je Gebäude nicht mehr als 2 Wohnungen zulässig" sind. Das Grundstück der Beschwerdeführerin liegt im Baufeld WA -14; dort ist offene Einzelhausbebauung festgesetzt.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die Beschwerdegegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zum Erlass einer sofort vollziehbaren Baustilllegung zu verpflichten, i. w. mit der Begründung abgelehnt, die planerische Festsetzung einer offenen Doppelhausbebauung entfalte keine nachbarschützende Wirkung. Unabhängig davon seien die Vorhaben der Beigeladenen zu 2) und 3) als Doppelhäuser planungsrechtlich zulässig und auch nicht rücksichtslos.

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Festsetzung "Doppelhaus" sei nachbarschützend und werde vorliegend missachtet. Schon auf dem Grundstück ...-Str. 9/9a (entsprechend ...-Str. 13/13a) seien zwei Wohneinheiten vorgesehen und damit ein Doppelhaus. Insgesamt entstehe auf den 4 Grundstücken ...-Str. 9 - 15 ein geschlossener "Baukomplex" mit 44 m Länge und 9 m Höhe, was erhebliche Einbußen an Licht, Luft und Sonne verursache.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden (§ 146 Abs. 4 S. 1 VwGO). Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gem. § 122 Abs. 2 S. 3 VwGO Bezug nimmt, abgelehnt. Im Beschwerdeverfahren werden keine (neuen) Argumente genannt; die dargelegten Beschwerdegründe begründen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO).

2. Die Beschwerdeführerin kann ein baubehördliches Einschreiten im begehrten Sinne nur beanspruchen, wenn die von den Beigeladenen zu 2) und 3) ausgeführten Bauvorhaben nachbarschützende Rechte betreffen und verletzen. Dass dies der Fall ist, ist auch den Beschwerdegründen nicht zu entnehmen.

a) Eine Verletzung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 BauNVO) durch die angegriffenen Bauvorhaben ist nicht festzustellen. Von den Planfestsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung weichen die Bauvorhaben - ersichtlich - nicht ab; der Beigeladene zu 2) hat dies durch eine schriftliche und i. e. gut nachvollziehbare Erläuterung seiner Architekten im erstinstanzlichen Verfahren belegt (Schriftsatz v. 26.07.2006 mit Anlagen). Auch eine - von der Beschwerdeführerin kritisierte - "volle" Ausnutzung der Vorgaben des Bebauungsplans (die nach den Berechnungen der Architekten nicht vorliegt) begründet keine Rücksichtslosigkeit (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 13.08.1982, III TG 24/82, BRS 39 Nr. 53). Aus § 15 Abs. 1 BauNVO kann keine den Plan ergänzende Restriktion des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung abgeleitet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.1995, 4 C 3.94, NVwZ 1995, 899).

Soweit die Beschwerdeführerin die Auswirkungen des (gesamten) "Baukomplexes" auf die Zufuhr von Licht, Luft und Sonne anspricht, bleibt auch dies unergiebig. Alle Abstandsvorschriften sind gewahrt. Die aus der "Sicht" der Beschwerdeführerin in südwestlicher Richtung entstehende Bebauung betrifft sie auch sonst nicht in schutzwürdigen Belangen; von dem Fall einer "Riegelwirkung" (vgl. BVerwG, Urt. vom 13.3.1981, 4 C 1.78, DVBl 1981, 928 und Urt. vom 23.5.1986, 4 C 34.85, DVBl 1986, 1271) ist die vorliegende Konstellation weit entfernt; weder entsteht ein "übergroßer" Baukörper noch wird die Beschwerdeführerin mit einem zu geringen Abstand zu den Neubauten konfrontiert.

b) Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass die planerische Festsetzung einer offenen Doppelhausbebauung keine nachbarschützende Wirkung entfaltet.

Allein der Hinweis darauf, es handele sich um eine "gebietsbezogene" Festsetzung, hilft der Beschwerdeführerin nicht weiter. Bei einer Festsetzung im Bebauungsplan kommt es darauf an, ob sie "handgreiflich" (gerade) die schutzwürdigen Interessen eines erkennbar abgegrenzten nachbarlichen Bereichs schützen will; dies ist - für jede Festsetzung gesondert - im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln (BVerwG, Urt. v. 28.10.1993, 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686). Soweit planerische Festsetzungen übergreifende, insbesondere den Belangen der Allgemeinheit zugewiesene städtebauliche Ziele verfolgen, kann daraus kein Dritt- bzw. Nachbarschutz abgeleitet werden.

Die Festsetzung einer offenen Bauweise im Bebauungsplan vermittelt dem unmittelbar angrenzenden Grundstückseigentümer - und nur diesem - Nachbarschutz (Fickert/Fieseler, BauNVO, 2002, § 22 Rn. 8). Die Beschwerdeführerin grenzt (in diesem Sinne) nicht unmittelbar an, da ihr Grundstück gegenüber der "Reihe" der Bauvorhaben der Beigeladenen zu 2) und 3) liegt.

Die Festsetzung der Hausform "Doppelhaus" (§ 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO) ist - im gleichen Sinne - nur für den Eigentümer des nächsten Doppelhauses nachbarschützend (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.07.2000, 10 B 127/00, Juris [Tz. 20]).

In ihrem darüber hinaus gehenden, allgemein "gebietsbezogenen" Sinn kommt ihr in aller Regel - wie auch vorliegend - keine nachbarschützende Wirkung zu. Die Festlegung der Hausform enthält keine planerische Aussage, die für das nachbarliche Austauschverhältnis von Bedeutung sein könnte. Mit der Planungsvorgabe "Doppelhaus" wird das Straßen- und Ortsbild planerisch gestaltet; dies betrifft ausschließlich öffentliche, nicht aber (bestimmte) nachbarliche Interessen (so auch VGH Mannheim, Beschl. v. 26.09.1991, 8 S 2258/91, Juris [Tz. 4], OVG Münster, Beschl. v. 06.02.1996, 11 B 3046/95, NVwZ-RR 1997, 277).

Es bedarf danach keiner Entscheidung, ob die Ansicht der Beschwerdeführerin zutrifft, dass die auf den Grundstücken ...-Str. 9-15 entstehenden Häuser keine Doppelhäuser i. S. d. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO sind. Selbst wenn dies so wäre, würde die Beschwerdeführerin nicht in ihren nachbarlich geschützten Rechtspositionen verletzt.

c) Ohne zu dem (begrifflichen) Streit um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Doppelhaus i. S. d. § 22 Abs. 2 BauNVO anzunehmen ist (s. dazu BVerwG, Urt. v. 22.02.2000, 4 C 12.98, BVerwGE 110, 355; VGH Kassel, Beschl. v. 04.06.1992, 4 TG 2815/91, BRS 54 Nr. 161; VGH Mannheim, Beschl. v. 26.09.1991, 3 S 1413/91, Juris), Stellung zu nehmen, sei angemerkt, dass die Position der Nachbarschaft in weitem Umfang bereits durch die planungsrechtlichen Vorgaben zum Maß der Nutzung und zur Zahl der zulässigen Wohneinheiten geprägt wird. Aus nachbarlicher Sicht wird es kaum einen Unterschied darstellen, ob zwei Wohneinheiten in einem Gebäude "übereinander" oder "nebeneinander" angeordnet sind, wenn sie denn - wie hier durch Teil B I Ziff. 6 des Bebauungsplans - planungsrechtlich zugelassen sind.

d)

1) Die Beschwerde ist nach alledem mit den Kostenfolgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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