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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.10.2009
Aktenzeichen: 1 O 24/09
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO
Vorschriften:
BauGB § 1 Abs. 7 | |
VwGO § 162 Abs. 1 |
2. Der Fall, dass ein Bürger ein Privatgutachten vorlegt, um dem von einer Behörde präsentierten Sachverstand waffengleich zu begegnen, ist anders zu beurteilen, als die Verteidigung eines bereits vorprozessual erstellten Gutachten durch die Verwaltung im Laufe eines anhängigen Prozesses. Für eine solche Stellungnahme, die keine neuen gutachterlichen Feststellungen enthält, kann grundsätzlich keine Kostenerstattung beansprucht werden.
3. Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines prozessbegleitend eingeholten Privatgutachtens gelten besonders strenge Anforderungen. Betrifft ein im Prozess vorgelegtes Gutachten Fragen, die zuvor schon im Rahmen eines Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplanes untersucht worden sind, sind die Kosten dafür grundsätzlich von der Gemeinde zu tragen.
4. Fragen der Einzelhandelsentwicklung im Ortszentrum kann die planende Gemeinde aus eigener Ortskenntnis und unter Berücksichtigung eines zuvor erarbeiteten Einzelhandelkonzepts beantworten.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
Az.: 1 O 24/09
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Baugenehmigung
hier: Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung
hat der Einzelrichter des 1. Senats des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 15. Oktober 2009 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers werden der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 8. Kammer - vom 28.08.2009 und der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 02.09.2009 geändert.
Der Kostenfestsetzungsantrag der Beigeladenen vom 29.06.2009 wird abgelehnt.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Über die Beschwerde entscheidet gemäß § 66 Abs. 6 S. 1 GKG der Einzelrichter.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten, die für die Beauftragung der "Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH" (GMA) entstanden sind.
Die Kosten von sog. Privatgutachten sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, nur "in Ausnahmefällen" als außergerichtliche Kosten nach § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2006, 4 KSt 1003.06 u.a., NJW 2007, 453). Die Einholung eines Privatgutachtens kann als notwendig anerkannt werden, wenn ein Beteiligter mangels ausreichender eigener Sachkunde die sein Begehren tragenden Behauptungen nur mit Hilfe des eingeholten Gutachtens darlegen und unter Beweis stellen kann. Der Inhalt des Gutachtens muss auf die Förderung des jeweiligen Verfahrens zugeschnitten sein. Weiter muss die jeweilige Prozesssituation die Einholung des Gutachtens herausfordern (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 24.07.2008, 4 KSt 1008.07 u.a., JurBüro 2008, 597 sowie - zur Rechtslage nach § 91 ZPO - Herget, in: Zöller, ZPO, 2007, § 91 Rn. 13 zum Stichwort "Privatgutachten" [S. 368]).
Diese (Ausnahme-) Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beigeladene hat schon kein Gutachten vorgelegt, sondern lediglich eine 4-seitige "Stellungnahme" der GMA vom 26. März 2009 in das Verfahren eingeführt, die die "Einschätzung" der Beigeladenen stützen sollte, dass "es zur Sicherung der Einzelhandelspotentiale der neuen Ortsmitte erforderlich ist, (Lebensmittel-)Einzelhandel an Standorten außerhalb der Ortsmitte auszuschließen" (Schriftsatz vom 27.03.2009, S. 3). Diese entspricht auch inhaltlich keinem Gutachten; sie orientiert sich an der (zuvor vom Kläger vorgelegten) "Markt-, Standort-und Wirkungsanalyse" der Bulwien Gesa AG vom 03.02.2009 und verteidigt - darauf jeweils Bezug nehmend - die zuvor im GMA-Gutachten vom Januar 2006 getroffenen Feststellungen. Neue gutachterliche Feststellungen - insbesondere zu der Frage, ob die sog. Ortsmitte "keinen zu schützenden zentralen Versorgungsbereich i. S. d. § 9 Abs. 2 a BauGB aufweise" (Ss. der Beigeladenen vom 13.10.2009, S. 2) - enthält die Stellungnahme vom 26.03.2009 nicht.
Dem Argument der Beigeladenen, sie verfüge nicht über die ausreichende Sachkunde, um dem vom Kläger vorgelegten Gutachten entgegenzutreten (Ss. vom 13.10.2009, S. 3), kann nicht gefolgt werden. Die Sachkunde zum Vorhandensein und zur Schutzfähigkeit eines in der sog. Ortsmitte vorhandenen zentralen Versorgungsbereichs erwächst schon aus der Ortskenntnis, darüber hinaus auch aus dem im Januar 2006 eingeholten und der Ortsplanung einschließlich der dieser vorausgegangenen Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) zugrunde gelegten GMA-Einzelhandelskonzept. Die Beigeladene war im Hinblick darauf auch aus Gründen der "Waffengleichheit" (vgl. Olbertz, in: Schoch u. a., VwGO, Losebl.-Komm., Stand Okt. 2008, § 162 Rn. 28) nicht auf die (erneute) Beauftragung eines Sachverständigen angewiesen. Die in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle der Erstattungsfähigkeit der Kosten von Privatgutachten betreffen i. d. R. Fälle, in denen ein Bürger ein solches Gutachten veranlasst hat, um dem von einer Behörde präsentierten Sachverstand "waffengleich" zu begegnen, nicht dagegen die - hier gegebene - Konstellation, in der ein bereits vorliegendes (vorprozessuales) Gutachten der Verwaltung im Laufe eines anhängigen Prozesses durch eine ergänzende "Stellungnahme" verteidigt wird.
Soweit sich die Beigeladene zur Begründung ihres Erstattungsbegehrens auf den Beschluss des Senats vom 29.09.1998 (1 O 52/98) bezieht, verfängt dies nicht. In jenem Fall ging es um die Feststellung von (Lärm-)Immissionen, die zuvor noch nicht festgestellt worden waren. Vorliegend lag schon ein Einzelhandelskonzept mit Aussagen vor, die die "Einschätzung" der Beigeladenen stützten. Hinzu kam - nach Vorlage der "Markt-, Standort- und Wirkungsanalyse" der Bulwien Gesa AG vom 03.02.2009 - nur eine "Stellungnahme", die - ohne neue sachliche Feststellungen - auf das Einzelhandelskonzept vom Januar 2006 (dort S. 21, 26, 30, 61 und 62) Bezug nahm. Die GMA-"Stellungnahme" vom 26.03.2009 ist der Sache nach lediglich eine Argumentationshilfe der bisher für die Beigeladene tätigen Gesellschaft zur Erwiderung auf den vorherigen Schriftsatz des Klägers. Dies belegt auch die "Anmerkung" zum Grundstück ... (S. 4 der "Stellungnahme").
Vorliegend kommt hinzu, dass die Beigeladene die - kostenrelevante - "Stellungnahme" der GMA eingeholt hat, um ihren (szt. schon in Kraft getretenen) Bebauungsplan Nr. 40 zu verteidigen. Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines prozessbegleitend eingeholten Privatgutachtens gelten besonders strenge Anforderungen (Olbertz, a.a.O., § 162 Rn. 30; VGH München, Beschl. v. 19.03.2008, 8 M 07.1134, NVwZ-RR 2008, 738 m. w. N.). Die Beigeladene hat im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplans das Abwägungsmaterial umfassend zu ermitteln und in ihre Abwägung einzustellen (§ 1 Abs. 6 und 7 BauGB). Hierzu gehören auch Feststellungen zu den Einzelhandelspotentialen in der sog. Ortsmitte. Die Kosten für diese Ermittlungen sind von der Gemeinde zu tragen. Nichts anderes kann hinsichtlich der Sachverständigenkosten gelten, die sich die Gemeinde aufzuwenden entschließt, um ihre Planung in einem gerichtlichen Verfahren zu "unterstreichen" oder zu "verteidigen". (S. 3 des Ss. Der Beigeladenen vom 13.10.2009).
Der Beschwerde war nach alledem stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Erinnerungsverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG). Eine Streitwertfestsetzung ist deshalb nicht erforderlich.
Der Beschluss ist gem. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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