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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.08.2002
Aktenzeichen: 14 A 239/00
Rechtsgebiete: GG, AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
GG Art. 16 a Abs. 2
AuslG § 45 Abs. 1
AuslG § 46 Nr. 2
AuslG § 48 Abs. 3
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 58 Abs. 1
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 1
AsylVfG § 26 a Abs. 1
AsylVfG § 55 Abs. 1
1. Ein Asylsuchender, der über einen sicheren Drittstaat einreist, aber weder unmittelbar an der Grenze noch später zur Rückreise in einen sicheren Drittstaat verpflichtet wird, kann sich zwar nicht auf das Individualgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG berufen, ihm steht aber bis zum bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein einfaches Bleiberecht zu. Dieses Bleiberecht gewährleistet, dass vor einer in Betracht zu ziehenden Abschiebung in den Herkunftsstaat die Frage der politischen Verfolgung im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG geprüft wird.

2. Aus dieser "relativen Schutzposition" ergibt sich für den um Abschiebungsschutz Nachsuchenden eine vergleichbare Vorwirkung seines (verbleibenden) Asylantrages wie aus Art. 16 a Abs. 1 GG, so dass auch ihm eine Einreise ohne erforderliches Visum nicht als unerlaubt vorgehalten werden kann. Eine allein darauf gestützte Ausweisung ist rechtswidrig.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 14 A 239/00

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Aufhebung der Ausweisungsverfügung

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 14. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 29. August 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2000 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der am 14.10.1972 geborene Kläger ist indischer Staatsangehöriger. Er reiste seinen eigenen Angaben zufolge am 18.05.2000 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 21.05.2000 in L. von der Polizei ohne Ausweispapiere angetroffen wurde. Sein Begleiter teilte lt. polizeilichem Protokoll mit, dass der Kläger in den nächsten Tagen einen Asylantrag habe stellen wollen.

Mit Bescheid vom 22.05.2000 wies die Beklagte den Kläger für die Dauer von drei Jahren aus und forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland bis spätestens zum 24.05.2000 zu verlassen. Für den Fall, dass er seiner freiwilligen Ausreisepflicht nicht nachkomme, werde er nach Indien abgeschoben. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Kläger weder über einen gültigen Nationalpass noch über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge und demzufolge unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Damit habe er sich zugleich gemäß § 92 Abs. 1 AuslG strafbar gemacht. Durch diese Verstöße werde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 45 Abs. 1 AuslG beeinträchtigt. Es müsse verhindert werden, dass der Kläger ständig unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland einreise; aus generalpräventiver Sicht gelte es, anderen indischen Staatsangehörigen von vornherein unmissverständlich deutlich zu machen, dass die unerlaubte Einreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet nicht hingenommen werden könne.

Am 30.05.2000 stellte der Kläger bei der Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in H. einen Asylantrag, woraufhin er dort eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erhielt und verpflichtet wurde, zunächst in der Aufnahmeeinrichtung H. zu wohnen. Gegen die Ablehnung des Asylantrages mit Bescheid vom 09.06.2000 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht in M.; zeitgleich erhob er am 22.06.2000 Widerspruch gegen die Ausweisungsverfügung der Beklagten. Mit Zuweisungsentscheidung der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes S. in H. vom 04.07.2000 wurde der Kläger aufgefordert, in der Gemeinschaftsunterkunft A. im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde im Landkreis A. zu wohnen.

Nachdem die Beklagte den bereits nach A. übersandten ausländerrechtlichen Vorgang von dort zurückerhalten hatte, entschied sie am 31.07.2000 über den klägerischen Widerspruch und half diesem hinsichtlich der erlassenen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ab. Die für die Dauer von drei Jahren ausgesprochene Ausweisung wurde unter die Bedingung gestellt, dass der Kläger bestands- bzw. rechtskräftig nicht als Asylberechtigter anerkannt wird bzw. dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht feststellt, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen. Im Rahmen der Begründung wurde festgestellt, dass der Kläger nach wie vor den Status eines Asylbewerbers habe, weil gegen die Ablehnung des Asylantrages fristgerecht Rechtsmittel eingelegt wurde. Der Kläger habe sich jedoch vor seiner Festnahme bereits eine Woche in Deutschland aufgehalten, ohne ein Asylbegehren vorzubringen; auch nach Erlass der Ausweisungsverfügung habe er erst acht Tage später tatsächlich einen Asylantrag gestellt. Bei einem erkennbaren Asylbegehren bei seiner Festnahme und auch bei der nachfolgenden Befragung durch die Kriminalpolizei wäre es zum Erlass der Ausweisungsverfügung nicht gekommen. Der Erlass der Ausweisungsverfügung sei auch verhältnismäßig, der Kläger habe tatsächlich die Möglichkeit gehabt, sein Asylbegehren zu verfolgen und auch den Ausgang des Verfahrens abzuwarten.

Mit Urteil vom 21.08.2000 wies das Verwaltungsgericht M. die Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid rechtskräftig ab.

Am 30.08.2000 hat der Kläger gegen die Ausweisungsverfügung Klage erhoben. Bezugnehmend auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren weist er nochmals darauf hin, dass er nach Deutschland gekommen sei, um hier die Anerkennung als Asylberechtigter zu beantragen. Dies habe er bei seinem Aufgreifen auch zum Ausdruck gebracht. Statt einen Asylantrag aufzunehmen, habe man eine Ausweisungsverfügung erlassen. Im Übrigen reiche allein die illegale Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht aus, um die sofortige Ausweisung eines Ausländers zu rechtfertigen, da diese im Zusammenhang mit einer Asylantragstellung regelmäßig vorkomme. Eine solche Vorgehensweise würde letztlich dem Großteil der nach Deutschland einreisenden Asylbewerber die Möglichkeit nehmen, tatsächlich Asyl zu beantragen. Auch dem Kläger werde so die Möglichkeit genommen, sein Asylbegehren zu verfolgen und den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. Dieses individuelle Interesse überwiege auf jeden Fall die behördlicherseits vorgebrachten Interessen der Bundesrepublik Deutschland.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22.05.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist unter Bezugnahme auf den Inhalt der ergangenen Bescheide nochmals darauf hin, dass der Kläger weder bei seiner Festnahme noch bei der anschließenden Gewahrsamsnahme unmissverständlich ein Asylbegehren vorgetragen habe. Warum er dies erst am 30.05.2000 getan habe, sei weder dargelegt noch sonst nachvollziehbar. Den Vorgaben des § 48 Abs. 3 AuslG habe man im Rahmen des Widerspruchsbescheides Rechnung getragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig und begründet.

Die angefochtene Ausweisungsverfügung vom 22.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechen, § 113 Abs. 1 VwGO.

Nach § 45 Abs. 1 AuslG kann ein Ausländer von der zuständigen Ausländerbehörde ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Hat der Ausländer einen Asylantrag gestellt, kann er gemäß § 48 Abs. 3 AuslG nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter abgeschlossen wird. Die einzelnen Ausweisungsgründe, aus denen insbesondere nach Maßgabe des § 45 Abs. 1 AuslG ausgewiesen werden kann, sind in § 46 AuslG aufgeführt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer ausländerrechtlichen Ausweisungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, mithin der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Dies gilt auch bei Änderung der Sach- und Rechtslage während des Widerspruchsverfahrens (ständige Rechtsprechung des BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 23/96 -; Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17/97 - E 106, 351 m. w. N.).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ausländerbehörde der Beklagten, die das Ausweisungsverfahren auch nach Stellung eines Asylantrages und Unterbringung des Klägers in H. (S.) fortgeführt hat, weiterhin örtlich zuständig war und ob es bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bei ausländerrechtlichen Ausweisungsmaßnahmen auf den Zeitpunkt der Ausgangsverfügung oder den der Widerspruchsentscheidung ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1997 - 1 C 25/96 - NVwZ-RR 1997, 751 m.w.N.). Auf jeden Fall erweist sich die angegriffene Ausweisungsverfügung schon deshalb als rechtswidrig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 45 Abs. 1, 46 AuslG nicht gegeben waren.

Die angegriffene Ausweisungsmaßnahme wird lediglich auf die zu einer "Kann-Ausweisung" ermächtigende Grundnorm des § 45 Abs. 1 AuslG gestützt. Dabei geht die Beklagte davon aus, dass der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt, weil er ohne die erforderlichen Papiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und sich hier - jedenfalls bis zur Stellung seines Asylantrages und Erhalt der Aufenthaltsgestattung nach AsylVfG - auch ohne eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung aufgehalten habe. Dies stelle einen Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften dar, die ihrerseits dem Schutze der öffentlichen Sicherheit dienten.

Diese Subsumtion verkennt das Verhältnis der generalklauselartigen Grundnorm des § 45 Abs. 1 AuslG zu den einzelnen Ausweisungsgründen, die in § 46 AuslG als Regelbeispiele aufgeführt sind. Die in § 46 AuslG ausdrücklich geregelten speziellen Sachverhalte sind abschließend in dem Sinne, dass ein bestimmter hier behandelter Lebenssachverhalt nicht mehr unter § 45 Abs. 1 AuslG gefasst werden kann, wenn § 46 AuslG die Ausweisung aufgrund eben dieses Sachverhaltes an bestimmte Voraussetzungen knüpft, die möglicherweise im Einzelfall aber nicht vorliegen. So scheidet ein Rückgriff auf § 45 Abs. 1 AuslG aus, wenn der jeweilige Lebenssachverhalt einen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 46 Nr. 2 AuslG beinhaltet (GK AuslR, § 45 AuslG, Rd-Nr. 42 ff, 46 und 75 m.w.N.). Zusätzlich erfüllt § 46 Nr. 2 AuslG mit Blick auf § 45 Abs. 1 AuslG eine Maßstabsfunktion: ein Sachverhalt, der dennoch unter § 45 Abs. 1 AuslG subsumiert werden kann und soll, darf nicht als nur vereinzelte oder geringfügige Beeinträchtigung öffentlicher Interessen anzusehen sein (GK a.a.O. Rd.-Nr. 48).

Ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG ist vorliegend nicht gegeben.

Der dem Ausländer zur Last gelegte Verstoß muss rechtswidrig begangen worden sein (GK a.a.O.,§ 46 AuslG Rd-Nr. 65). Dabei trifft es zu, dass ein strafbares Verhalten - und damit auch eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt im Sinne der §§ 1, 3, 58 Abs. 1 und 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG - regelmäßig keinen nur geringfügigen Verstoß darstellt (BVerwG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 C 9/94 -, DVBl. 1997, 189 ff.; GK a.a.O., Rd.-Nr. 48) und folglich als Ausweisungsgrund anzuerkennen ist. Schon nach der Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 durfte die Einreise eines Ausländers ohne die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung allerdings dann nicht als illegal bzw. rechtswidrig gewertet werden, wenn er als Asylbewerber unmittelbar aus dem (angeblichen) Verfolgerland eingereist war. Nach dieser Rechtsprechung gebot es bereits das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG (a.F.), dass die Asylsuchenden eines sonst erforderlichen Sichtvermerks nicht bedürfen und die Einreise als einheitlicher Lebensvorgang auch nicht gedanklich aufgeteilt werden kann in eine erlaubte Asyleinreise und eine unerlaubte asylunabhängige Einreise. Dieses Asylgrundrecht gewährte politischen Flüchtlingen grundsätzlich ein Recht auf Einreise und Aufenthalt zur Durchführung des Asylverfahrens. Die einfachgesetzlichen Vorschriften sahen entsprechend die Erteilung einer Aufenthaltsgestattung zum Zwecke der Durchführung des Verfahrens vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.1981 - 1 C 169/79 -, E 62, 215 ff; Urteile vom 03.06.1997 - 1 C 1/97 und 1 C 18/96 -, NVwZ 1998, 187, 189, jeweils zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F.; GK a.a.O., § 46 Rd.-Nr. 76).

Das individuelle Grundrecht auf Asyl des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. besteht mit Art. 16 a Abs. 1 GG n.F. fort. Die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Vorwirkungen und Einwirkungen des Asylrechts auf die aufenthaltsrechtliche Stellung und das Verfahren von Asylbewerbern können allerdings nicht ohne Weiteres übernommen werden, soweit Art. 16 a Abs. 2 GG n.F. eine Berufung auf dieses Individualgrundrecht für diejenigen Asylbewerber ausschließt, die aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreisen, in denen die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist und damit den persönlichen Geltungsbereich des Art. 16 a Abs. 1 GG beschränkt (BVerfGE 94, 49 ff). Insoweit schließt § 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG auch die Anerkennung als Asylberechtigter aus.

In seiner Grundsatzentscheidung vom 14.05.1996 hat das BVerfG hierzu unter anderem ausgeführt: "Wer aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 a II 1 GG einreist, bedarf des Schutzes der grundrechtlichen Gewährleistung des Abs. 1 in der Bundesrepublik Deutschland nicht, weil er in dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können. Der Ausschluß vom Asylgrundrecht ist nicht davon abhängig, ob der Ausländer in den Drittstaat zurückgeführt werden kann oder soll. Ein Asylverfahren findet nicht statt. Es entfällt auch das als Vorwirkung eines grundrechtlichen Schutzes gewährleistete vorläufige Bleiberecht. Hieran knüpft Art. 16 a II 3 GG die Folge, daß in den Fällen des S. 1 aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden können. ... Bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat kann der Ausländer sich gemäß Art. 16 a II 1 GG nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Er hat deshalb keinen Anspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung, ob er Inhaber des Grundrechts aus Art. 16 a I GG ist, und demzufolge auch kein vorläufiges Bleiberecht als Vorwirkung des grundrechtlichen Schutzes." (BVerfGE 94, 49, 87, 105). Die Drittstaatenregelung greift immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen durch die Verfassung oder das Gesetz bestimmten sicheren Drittstaat eingereist sein kann; es muss nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich dabei handelt. Da nach der derzeit geltenden Rechtslage alle angrenzenden Staaten sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereister Ausländer folglich auch dann von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, wenn sein Reiseweg nicht im Einzelnen bekannt ist (BVerfG a.a.O. S. 94). Hiervon ausgehend wird die o.g. Rechtsprechung des BVerwG zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (a.F.) heute so ausgelegt, dass eine erlaubte Einreise "unmittelbar aus dem Verfolgerstaat" nur dann vorliegen kann, wenn sie nicht zuvor über sichere bzw. sonstige Drittstaaten geführt hat (GK a.a.O., § 58 AuslG Rd-Nr. 37 ff, 45; Jakober / Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 58 Rd.-Nr. 30). Dies hätte zur Folge, dass der Kläger trotz des später geäußerten Asylantrages von vorneherein vom Grundrecht auf Asyl ausgeschlossen und folglich seine Einreise unerlaubt i.S.d. § 58 AuslG gewesen wäre.

Nach Auffassung Rotkegels im GK AsylVfG kann von einem Ausschluss des Asylrechtes - und dessen Vorwirkungen - aber nur dann auszugehen sein, wenn feststeht, dass ein sicherer Drittstaat auf dem Einreiseweg liegt und ein solcher Drittstaat zur Rück- (Auf-) nahme des Ausländers bereit ist. Nur sofern die Rückübernahmeabkommen, die die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Anrainerstaaten abgeschlossen hat, auch die Fälle eines ungeklärten Einreiseweges erfassen, könne der Prämisse des BVerfG gefolgt werden, dass ein auf dem Landweg eingereister Ausländer von der Berufung auf das Asylgrundrecht ausgeschlossen ist (GK AsylVfG, Art. 16 a GG, Rd.-Nr. 113). Die Rücknahmebereitschaft des Drittstaats bleibe mithin auch nach Ergehen der Entscheidungen des BVerfG "das A und O der Drittstaatenklausel" (GK a.a.O., Rd.-Nr. 115 m.w.N.).

Ein bestimmter Drittstaat oder gar die Rücknahmebereitschaft irgendeines Drittstaates, durch den der Kläger gereist sein muss, konnte offenbar auch vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht festgestellt werden. Ginge man mit Rotkegel davon aus, dass die Drittstaatenregelung mangels Rückkehrmöglichkeit dann nicht zur Anwendung kommt, wäre der Ausschluss vom Grundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG einschließlich seiner Vorwirkungen, die zur Annahme einer erlaubten Einreise führen, nicht zu begründen.

Zudem zeigt die Erfahrung der gerichtlichen Praxis, dass während des Bundesamtsverfahrens und häufig genug noch im gerichtlichen Verfahren um das Eingreifen der Drittstaatenregelung des Art. 16 a Abs. 2 GG gestritten wird, sei es über den konkreten Reiseverlauf (Land- oder Luftweg) oder die einzelnen Modalitäten. Insofern würden die betroffenen Asylbewerber quasi nachträglich mit einem Einreiseverbot belegt, wenn erst nach weitergehenden Ermittlungen und rechtlichen Diskussionen während des Asylverfahrens festgestellt worden ist, dass eine Berufung auf das Asylgrundrecht schließlich nicht in Frage kommen soll. Dies würde bedeuten, die Legalität der Einreise vom nicht voraussehbaren Ausgang eines späteren Verfahrens abhängig zu machen, das im Zeitpunkt der Einreise selbst noch nicht erkennbar ist (so jedenfalls zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F.: BVerwG vom 15.05.1984 - 1 C 59/81 -, NVwZ 1984, 591).

Welcher dieser Auffassungen zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Demjenigen Asylsuchenden, der weder unmittelbar an der Grenze (§ 18 AsylVfG) noch später zur Rückreise in einen sicheren Drittstaat gezwungen werden kann, steht jedenfalls ein einfaches Bleiberecht zu, weil sein Asylantrag gemäß § 13 Abs. 2 AsylVfG auch die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG umfasst und dieses gewährleistet, dass vor einer nunmehr in Betracht zu ziehenden Abschiebung in den Herkunftsstaat die Frage der politischen Verfolgung wenigstens im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG geprüft wird (BVerfG a.a.O. S. 97; GK a.a.O. Rd.-Nr. 116). Aus dieser "relativen Schutzposition" muss sich für den um Abschiebungsschutz Nachsuchenden eine vergleichbare Vorwirkung seines (verbleibenden) Asylantrages ergeben wie aus Art. 16 a Abs. 1 GG. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass dieser Asylbewerber wegen einer formal unerlaubten Einreise in seinen Heimatstaat ausgewiesen oder jedenfalls zurückgeschoben wird, obwohl er gerade aus diesem Staat wegen bereits erlittener oder drohender politischer Verfolgung geflohen war und deshalb u.U. Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beanspruchen kann. Um diese Schutzposition nicht zu gefährden, sieht § 55 Abs. 1 AsylVfG auch im Falle der unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat vor, dass der Ausländer mit Stellung des Asylantrages eine Aufenthaltsgestattung erhält. Eine solche ist auch dem Kläger erteilt worden.

Nach alldem bleibt für den Kläger, der zwar über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, zur Rückkehr in einen solchen aber nicht verpflichtet werden kann, festzustellen, dass er auf Grund seiner Asylantragstellung einschließlich der daran anknüpfenden Bleibe- und Verfahrensrechte nicht unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Dabei kommt es nicht darauf an, dass im Ergebnis sowohl die Wirkungen des Art. 16 a Abs. 1 GG als auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bestandskräftig verneint worden sind.

Für die anzunehmende Vorwirkung bleibt schließlich auch unerheblich, dass der Kläger erst zwölf Tage nach seine Einreise und acht Tage nach Erlass der Ausweisungsverfügung seinen Asylantrag gestellt hat. Tatsächlich mag darin ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten aus § 13 Abs. 3 AsylVfG liegen, denn bei fehlenden Einreisepapieren ist der Asylantrag an der Grenze zu stellen und bei unerlaubter Einreise hat sich der Asylbewerber unverzüglich bei einer der im Gesetz genannten Stellen zu melden. Dieser Verstoß beträfe jedoch nicht die Art der Einreise, sondern allein die eventuell schuldhaft verzögerte Antragstellung. Die Verzögerung selbst belief sich nur auf einen kurzen Zeitraum, der ohnehin nicht geeignet wäre, nachträglich die Annahme eine illegalen Einreise zu rechtfertigen (vgl. BVerwGE 62, 215 ff: Antrag erst 18 Tage nach Einreise wird als Verzögerung "nur um eine kurze Zeitspanne" gewertet). Schließlich handelt es sich bei diesem Verstoß weder um eine strafbare Handlung noch um eine Ordnungswidrigkeit (vgl. §§ 92 ff AuslG und §§ 84 ff AsylVfG), so dass er allein auch nicht geeignet sein dürfte, den Tatbestand eines nicht nur geringfügigen Verstoßes i.S.d. § 46 Nr. 2 AuslG zu begründen (BVerwG a.a.O.: "Die Verletzung der Meldepflicht ... stellt einen Ordnungsverstoß, nicht aber einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund ... dar.").

Die angegriffene Ausweisungsverfügung ist nach alledem rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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