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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.03.2003
Aktenzeichen: 14 A 363/02
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 1
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 49 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 50 Abs. 1
AuslG § 50 Abs. 2
AuslG § 50 Abs. 5
AuslG § 57 Abs. 2
1. Keine Erledigung der ausländerrechtlichen Abschiebungsanordnung durch Vollzug

2. Zum Erlass einer Abschiebungsanordnung gegenüber einem in Haft befindlichen, vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer

3. Auf den Erlass einer Abschiebungsandrohung kann nur unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise verzichtet werden. Das Vorliegen der Voraussetzungen, die eine Abschiebung oder die Anordnung einer Abschiebungshaft rechtfertigen, reichen für den Verzicht nicht.

4. Die Gründe für den Verzicht sind bei der Begründung der Abschiebungsanordnung darzulegen.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 14 A 363/02

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Ausländerrecht

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 14. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 25. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter am VG Riehl, den Richter am VG Bleckmann, die Richterin am VG Nordmann sowie die ehrenamtliche Richterin Meyer und den ehrenamtlichen Richter Potzahr für Recht erkannt:

Tenor:

Die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Beklagten vom 23.08.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2002 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Der am ... geborene Kläger ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 10.02.1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Gewährung politischen Asyls. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG nicht vorliegen; zugleich setzte es eine Ausreisefrist und drohte die Abschiebung nach Armenien an. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom 07.06.1996 abgewiesen (14 A 201/94); das Urteil wurde am 27.07.1996 rechtskräftig. Im März 1997 wurde er in Abschiebehaft genommen, von wo aus er am 06.05.1997 einen Folgeantrag stellte. Der Antrag wurde am 12.05.1997 abgelehnt, ohne dass eine neue Abschiebungsandrohung erging. Am 23.05.1997 wurde der Kläger durch die Ausländerbehörde ... abgeschoben.

Nach erneuter Einreise Mitte August 2002 wurde der Kläger am 21.08.2002 in ... von der Polizei aufgegriffen und, weil er keine Papiere bei sich hatte, vorläufig festgenommen. Auf Antrag des Beklagten erging am 22.08.2002 ein Beschluss des Amtsgerichts Bad Schwartau, mit welchem eine dreimonatige Sicherungshaft angeordnet wurde (bestätigt vom Landgericht Lübeck mit Beschluss vom 11.09.2002).

Mit Verfügung vom 23.08.2002 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus und ordnete gleichzeitig die Abschiebung an. Gegen den am 03.09.2002 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 27.09.2002 Widerspruch und trug vor, dass er eine Aufenthaltsgenehmigung für Spanien habe und dorthin ausreisen wolle. Auf den am 08.10.2002 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ordnete das Gericht mit Beschluss vom 11.10.2002 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsanordnung des Beklagten an, soweit daraus eine Abschiebung nach Armenien erfolgen sollte. Grund für die gerichtliche Anordnung war die Feststellung, dass der Beklagte in rechtswidriger Weise auf die gesetzlich vorgeschriebene Abschiebungsandrohung unter Benennung eines Zielstaates verzichtet hatte (14 B 74/02).

Noch am gleichen Tag wurde der Beschluss sowohl dem Beklagten als auch der Zentralen Ausländerbehörde ... - Abschiebehaftanstalt - per Fax zugesandt, wo der Kläger untergebracht war. Trotzdem wurde der Kläger am 12.10.2002 nach Armenien abgeschoben. Laut Vermerk des Beklagten ist das Fax im Verwaltungsgebäude der Zentralen Ausländerbehörde nicht mehr zur Kenntnis genommen worden.

Mit Schreiben vom 20.10.2002 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mit, dass er von seinem Mandanten von der Abschiebung erfahren habe. Der Beklagte müsse etwaige Konsequenzen übernehmen. Die darauf hin vom Beklagten eingeholte fachaufsichtliche Stellungnahme des Innenministeriums kam u.a. zu dem Ergebnis, dass der Beschluss des Gerichts vom 11.10.2002 der dort bekannten Rechtslage entspreche und schlug vor, im Rahmen des ausstehenden Widerspruchsbescheides zu begründen, warum von der Abschiebungsandrohung abgesehen worden sei. Es sei mehr als unglücklich, dass der Kläger trotz Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs tags darauf abgeschoben worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2002 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.08.2002 zurück. Neben den rechtlichen Ausführungen zur Ausweisung begründete er nunmehr, warum die nach § 50 Abs. 1 AuslG vorgeschriebene Androhung der Abschiebung nebst Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich gewesen sei. Man habe befürchtet, dass der Kläger "untertauchen" und sich seiner Abschiebung entziehen werde. Er sei bereits im Jahre 1997 nach der Ablehnung seines Asylantrages für mehrere Monate untergetaucht, so dass man ihn nach seinem Aufgreifen in Abschiebungshaft habe nehmen und abschieben müssen. Zudem habe er bei seiner Anhörung vor dem AG Bad Schwartau falsche Angaben über seine erneute Einreise gemacht, indem er behauptete, erst wenige Tage zuvor ohne Visum per Flugzeug von Moskau eingereist zu sein. Dies könne nicht stimmen, weil an deutschen Flughäfen alle aus nicht Schengen-Staaten einreisenden Passagiere kontrolliert würden und er deshalb aufgrund der INPOL-Ausschreibung am Flughafen festgenommen worden wäre. Schließlich verfüge der Kläger hier weder über einen Wohnsitz noch habe er soziale Bindungen.

Dagegen hat der Kläger am 30.12.2002 Klage erhoben.

Er beantragt,

die im Bescheid vom 23.08.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2002 enthaltene Abschiebungsanordnung aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den diesbezüglichen Inhalt des angefochtenen Bescheides.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten 14 A 201/94, 14 B 74/02, 14 B 86/02 sowie 14 A 340/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung ist zwar weder im Ausländergesetz noch im LVwG vorgesehen, stellt aber jedenfalls dann, wenn ihr keine Abschiebungsandrohung gemäß § 50 Abs. 1 AuslG vorangegangen ist, eine als Verwaltungsakt einzuordnende Vollzugsmaßnahme dar (Hess. VGH, Beschluss vom 12.02.1986 in EZAR 224 Nr. 11; Funke-Kaiser in GK AuslR § 49 Rd. 37 f und § 50 Rd. 88), die mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Klagegegenstand ist gemäß § 79 Abs. 1. Nr. 1 VwGO der angefochtene Ausgangsbescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

Dem Kläger steht auch ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage zur Seite, da sich die im Ausgangsbescheid enthaltene und nunmehr angefochtene Abschiebungsanordnung durch den Vollzug der Abschiebung noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht erledigt hat. Die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung - oder wie hier einer Abschiebungsanordnung - kann lediglich insofern zu einer Erledigung führen, als dass sie "verbraucht" ist und im Falle der Wiedereinreise nicht mehr Grundlage für eine erneute Abschiebung sein könnte (zur Ausnahme bei § 71 Abs. 5 AsylVfG vgl. VGH Mannheim, Beschluss v. 19.09.01 - 11 S 2099/01 - in AuAS 2002, 104, nach Juris; Funke-Kaiser in GK AuslR, § 50 Rd. 79). Dieser "Verbrauch" stellt sich aber lediglich als Wegfall der sachlichen, tatsächlichen Beschwer dar, indem die Regelungswirkung der angefochtenen Maßnahme entfällt, lässt aber eine fortdauernde rechtliche Beschwer unberührt. Allgemein wird deshalb die Erledigung eines Verwaltungsaktes verneint, solange nach dessen Vollziehung andere Normen noch rechtliche Folgen an seine Existenz knüpfen oder solange noch eine Rückgängigmachung der Vollziehung in Betracht kommt und sinnvoll erscheint (vgl. Kopp / Schenke, VwGO 12. Aufl., § 113 Rd. 102 m.w.N.). Auch von einer Abschiebungsandrohung ( bzw. -anordnung) geht nach erfolgtem Vollzug noch eine rechtliche Beschwer aus; sie besteht darin, die Abschiebung nachträglich zu legitimieren (Funke-Kaiser in GK AuslR, § 50 Rd. 81). So löst eine erfolgte Abschiebung eine Einreise- und Aufenthaltssperre nach § 8 Abs. 2 S. 2 AuslG aus, ohne dass ihre Rechtmäßigkeit im Rahmen der Befristungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 S. 3 AuslG - jedenfalls nach Eintritt der Bestandskraft - noch geprüft würde. Allein dieser Umstand rechtfertigt es, von einer Erledigung abzusehen und die Aufhebung der Abschiebungsandrohung ( bzw. -anordnung) nicht als sinnlos anzusehen (Hess. VGH, Urteil v. 17.02.1997 - 12 UE 1739/95 - in AuAS 1997, 175 nach Juris m.w.N.).

Hiervon ausgehend macht es auch für den Kläger Sinn, die Anfechtung der Abschiebungsanordnung zu betreiben und den Eintritt der Bestandskraft des Ausgangsbescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides insoweit zu verhindern. Indem der Beklagte den Verzicht auf eine Abschiebungsandrohung noch im Widerspruchsbescheid und damit nach Durchführung der Abschiebung und nach "Verbrauch" der Abschiebungsanordnung inhaltlich begründete, hat er selbst zu erkennen gegeben, dass es ihm auch nach Vollziehung der Abschiebungsanordnung noch auf ihre Rechtmäßigkeit und damit auf ihre legitimierende Wirkung hinsichtlich der Abschiebung ankommt. Ob daneben noch andere Gründe existieren, die für den Kläger eine Einreise- und Aufenthaltssperre nach § 8 Abs. 2 S. 2 AuslG auslösen könnten, kann außer Betracht bleiben, weil auf Antrag für jeden einzelnen dieser Gründe über eine Befristung seiner Wirkung zu entscheiden und dabei auch die bis dahin verstrichene Zeit zu berücksichtigen wäre. Ob für den Kläger darüber hinaus noch Erfolgsaussichten für die Geltendmachung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruches in Form einer Rückgängigmachung der Abschiebung bestehen (vgl. dazu den Beschluss 14 B 86/02) und er auch deshalb ein schützenswertes Interesse an der Aufhebung der Abschiebungsanordnung hat, kann deshalb ebenfalls dahinstehen.

Die Klage ist auch begründet. Die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 23.08.2002 erweist sich auch in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2002 als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Die Abschiebungsanordnung ist im Ausländerrecht mit Ausnahme des § 34a AsylVfG nicht geregelt. In welchen Fällen sie dennoch unverzichtbar ist, ist im Einzelnen umstritten, Einigkeit besteht aber darüber, dass ihr Erlass jedenfalls nicht unzulässig ist (Funke-Kaiser in GK AuslR, § 49 Rd. 32 ff m.w.N.). Ihre Rechtmäßigkeit hängt davon ab, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abschiebung selbst erfüllt sind. Insbesondere muss der betroffene Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig und ihm die Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist und Benennung eines Zielstaates wirksam angedroht worden sein (vgl. schon zur alten Rechtslage BVerwG, InfAuslR 1986, 311 ff.).

Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Kammer im Verfahren 14 B 74/02 Folgendes ausgeführt:

"Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner unerlaubten Einreise im August 2002 vollziehbar ausreisepflichtig ist, § 42 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AuslG. Eine Abschiebungsandrohung ist hingegen nicht ergangen. Nach Maßgabe des § 50 Abs. 1 und 2 AuslG soll die Abschiebung allerdings schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht und dabei der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Nach § 50 Abs. 5 AuslG bedarf es in den Fällen des § 49 Abs. 2 Satz 1 AuslG (ausnahmsweise) keiner Fristsetzung.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften durfte der Antragsgegner vorliegend nicht auf eine Abschiebungsandrohung verzichten. Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass eine richterlich angeordnete Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 AuslG, in die der Antragsteller bereits am 22.08.2002 und damit noch vor Erlass einer ausländerbehördlichen Maßnahme genommen wurde, einen Fall des § 49 Abs. 2 S. 1 AuslG darstellt, so dass gemäß § 50 Abs. 5 AuslG jedenfalls auf die Fristsetzung im Rahmen der Abschiebungsandrohung hätte verzichtet werden dürfen. Hiergegen spricht, dass eine die Abschiebung sichernde Haft erst dann angeordnet werden darf, wenn sämtliche anderen Voraussetzungen für die Abschiebung vorliegen - sie also nicht ihrerseits erst zur Begründung der Voraussetzungen einer Abschiebung herangezogen werden darf (dies müsste konsequenter Weise auch dann gelten, wenn das zuständige Amtsgericht trotz Fehlens einer Abschiebungsandrohung bereits Sicherungshaft angeordnet hat). Erst wenn die Erforderlichkeit der Überwachung der Ausreise des betroffenen Ausländers - aus anderen Gründen - festgestellt worden ist und daraufhin auch eine Abschiebung als zwangsweise Durchsetzung der überwachungsbedürftigen Ausreisepflicht gemäß § 49 Abs. 1 AuslG erfolgen darf, kann zu deren Sicherung nach Maßgabe des § 57 Abs. 2 AuslG Sicherungshaft angeordnet werden (GK AuslR § 49 RdNr. 16 und § 50 RdNr. 105; auch die Sicherungshaft in Betracht ziehend: Hailbronner, AuslR, § 50 RdNr. 28 - vgl. dann aber RdNr. 20 a -; Renner, AuslR, § 49 RdNr. 5 m.w.N.).

Aber auch wenn man die Sicherungshaft insoweit ausreichen lassen wollte, bliebe es bei der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der hier ausgesprochenen Abschiebungsanordnung, weil keine Gründe ersichtlich sind, aus denen heraus auf eine Abschiebungsandrohung insgesamt hätte verzichtet werden dürfen. § 50 Abs. 5 S. 1 AuslG erlaubt ausdrücklich nur das Absehen von einer Fristsetzung und nicht zugleich von der kompletten Abschiebungsandrohung. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig; die in § 50 Abs. 2 S. 2 AuslG vorgeschriebene Ankündigung der Abschiebung ersetzt nicht die Androhung, sondern lediglich eine im Einzelfall nicht erforderliche Fristsetzung (Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 28.08.1991 - 4 M 118/91 -; Renner, AuslR, § 50 RdNr. 11). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Abschiebungsandrohung im Übrigen entbehrlich sei, wenn sich der betroffenen Ausländer in Haft befindet und insofern gar keine Möglichkeit hätte, sich die Androhung zur Warnung gereichen zu lassen und binnen einer gesetzten Frist freiwillig auszureisen. Zweck der Androhung ist es nicht allein, eine freiwillige Ausreise zu ermöglichen; sie beinhaltet darüber hinaus generell die Ankündigung, dass und von welchem Zeitpunkt an mit einer Abschiebung zu rechnen ist. Dies soll es dem betroffenen Ausländer ermöglichen, noch diejenigen Angelegenheiten zu regeln, die der Regelung vor dem Verlassen des Bundesgebietes bedürfen (BVerwG, InfAuslR 1986, 311, 313). Ein solches Bedürfnis besteht auch bei inhaftierten Ausländern (vgl. Renner, AuslR, § 50 RdNr. 12). Hinzu kommt, dass die Abschiebungsandrohung auch stets den Zielstaat bezeichnen soll, selbst wenn es sich um den Heimatstaat des betroffenen Ausländers handelt (vgl. Hailbronner AuslR, § 50 RdNr. 13; Renner, AuslR, § 50 RdNr. 15). Diese Vorgabe dient der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, damit der betroffene Ausländer ggf. noch die Möglichkeit hat, in Bezug auf einen konkreten Abschiebezielstaat Einwendungen geltend zu machen.

Aber auch wenn man trotz dieser Erwägungen eine Abschiebungsandrohung aus den Gründen des § 50 Abs. 5 AuslG oder aus anderen, allgemeineren Gründen heraus ausnahmsweise für entbehrlich hielte und sich die Ausländerbehörde im Einzelfall auf eine Anordnung beschränken dürfte, so hätte sie diesen Verzicht auf jeden Fall im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens zu begründen (Hailbronner, AuslR, § 50 RdNr. 25; GK AuslR, § 50 RdNr. 91). Zumindest eine solche Begründung ist der Antragsgegner schuldig geblieben. Die angegriffene Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 23.08.2002 benennt weder eine Frist noch begründet sie, warum auf deren Benennung bzw. insgesamt auf eine Androhung verzichtet wird.

Dieser rechtswidrige Verzicht auf die vollständige Abschiebungsandrohung wurde vorliegend auch nicht dadurch geheilt, dass der Antragsgegner stattdessen die in § 50 Abs. 5 S. 2 AuslG zwingend vorgeschriebene Ankündigung der Abschiebung mindestens eine Woche vorher vorgenommen hätte. Zweck dieser Vorgabe ist es, den berechtigten Belangen der abzuschiebenden Ausländer Rechnung zu tragen, indem ihnen die Abschiebung noch während ihrer Haftzeit mindestens eine Woche vorher angekündigt wird, damit sie Gelegenheit haben, ihre Angelegenheiten im Bundesgebiet zu regeln und / oder etwaige Rechtsbehelfe gegen die Abschiebung einzulegen (OVG HH, Beschluss vom 15.04.1996 in EZAR 042, Nr. 1 m.w.N.). Insofern wird auch von denjenigen Stimmen, die einen vollständigen Verzicht der Abschiebungsandrohung für zulässig erachten, darauf hingewiesen, dass einem in Haft befindlichen Ausländer die Möglichkeit bleiben muss, gegen die - fristlose - Abschiebungsankündigung Einwendungen im Hinblick auf das vorgesehene Zielland geltend zu machen. Diesen Voraussetzungen kann eine Abschiebungsankündigung gerecht werden, wenn sie das Zwangsmittel der Abschiebung in Form eines Verwaltungsaktes festsetzt (vgl. Hailbronner, AuslR, § 50 RdNr. 20 a. E.). Dass eine über die Abschiebungsanordnung hinausgehende, gesonderte Ankündigung der Abschiebung durch den Antragsgegner ergangen wäre, die diesen Anforderungen gerecht würde, lässt sich nicht feststellen. Laut Antragsteller wurde lediglich mündlich und ohne Benennung eines Zielstaates eine Abschiebung in der 41. Woche angekündigt - allerdings nur gegenüber seiner Schwester.

Nach alledem erweist sich die angegriffene Abschiebungsanordnung als letzte behördliche Maßnahme vor der tatsächlichen Abschiebung jedenfalls deshalb als offensichtlich rechtswidrig, weil sie keinerlei Erwägungen zum Verzicht auf eine voranzustellende Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung enthält und weil die zuständige Ausländerbehörde den Zielstaat der Abschiebung auch sonst in keiner der dem Gericht zugänglich gemachten schriftlichen Verlautbarungen benennt."

Die aufgezeigten Mängel führen auch vorliegend und unter Berücksichtigung des Inhalts des Widerspruchsbescheides zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Abschiebungsanordnung.

Dabei ist zu Gunsten des Beklagten davon auszugehen, dass er trotz des faktischen Vollzuges der Abschiebungsanordnung im Zuge des Widerspruchsverfahrens noch befugt war, die bis dahin fehlende schriftliche Begründung in den Widerspruchsbescheid aufzunehmen, weil - wie oben dargelegt - die Anordnung durch den Vollzug noch nicht erledigt war und weil im Rahmen des Vorverfahrens eine eigenständige neue Prüfung erfolgt, die dem Ausgangsbescheid nach § 79 Abs. 1 S. 1 VwGO erst seine endgültige Fassung gibt.

Der Widerspruchsbescheid führt ergänzend lediglich an, dass von einer Abschiebungsandrohung hätte abgesehen werden dürfen, weil in Anbetracht der Erfahrungen beim Kläger damit zu rechnen gewesen sei, dass er untertauchen und sich einer Abschiebung entziehen werde; zudem habe er über seine Einreise falsche Angaben gemacht. Diese Begründung kann zwar geeignet sein, von einer Überwachungsbedürftigkeit der Ausreise i.S.d. § 49 AuslG und vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Haftanordnung i.S.d. § 57 Abs. 2 AuslG auszugehen, besagt aber nichts über die ausnahmsweise Zulässigkeit des Verzichts einer Abschiebungsandrohung i.S.d. § 50 Abs. 1 und 2 AuslG. Die bereits im Verfahren 14 B 74/02 angeführten Zwecke der Abschiebungsandrohung zeigen vielmehr, dass auch einem in Haft befindlichen Ausländer rechtzeitig bekannt gegeben werden muss, ob, wann und wohin er abgeschoben werden soll und dass deshalb die Gründe des § 49 und des § 57 AuslG, die zur Anordnung der Abschiebungshaft geführt haben, keinesfalls gleichzeitig einen Verzicht auf die vorgeschriebene Abschiebungsandrohung mit angemessener Fristsetzung und Zielstaatsbenennung rechtfertigen müssen (vgl. Funke-Kaiser in GK AuslR, § 50 Rd. 95 ff m.w.N.); ein Verzicht kommt vielmehr nur in ganz eng begrenzten, atypischen Fällen in Betracht, "die signifikant aus dem Spektrum der Normalfälle herausfallen und die insbesondere in zeitlicher Hinsicht eine besondere Dringlichkeit begründen" (vgl. Funke-Kaiser in GK AuslR, § 50 Rd. 90). Auch die ergänzend heranzuziehende landesrechtliche Vorschrift des § 250 Abs. 1 LVwG i.V.m. §§ 236 Abs. 1 S. 2, 229 Abs. 2 LVwG zeigt, dass ein vollständiger Verzicht auf die Zwangsmittelandrohung nur unter ganz engen Voraussetzungen und nur im Ermessenswege in Frage kommt, nämlich bei Vorliegen einer gegenwärtigen, nicht anders abzuwehrenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder dann, wenn eine rechtswidrige Tat oder mit Geldbuße bedrohte Handlung anders nicht verhindert werden kann.

Eine solche besondere Ausnahmesituation ist vom Beklagten nicht dargelegt worden, insbesondere ist nicht ersichtlich, warum eine Abschiebungsandrohung aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen sein sollte, nachdem der Kläger am 21.08. festgenommen und erst am 12.10.2002 abgeschoben wurde. Dem Beklagten wäre es durchaus möglich gewesen, nach Feststellung der schon von Gesetzes wegen bestehenden Ausreisepflicht in der gebotenen Reihenfolge zunächst eine Abschiebungsandrohung mit angemessener Ausreisefrist und Zielstaatsbezeichnung zu erlassen (ggf. zunächst unter Verzicht auf die zugleich verfügte Ausweisung, mit der die Abschiebungsandrohung auch nicht gemäß § 50 Abs. 1 S. 2 AuslG verbunden werden musste), um damit zugleich die Voraussetzungen für die sodann zu beantragende Abschiebungshaft zu schaffen und anschließend die weiteren Ausreise- oder Abschiebungsvorbereitungen zu treffen. Schließlich ist auch das Vorliegen einer gegenwärtigen, anders nicht abzuwehrenden Gefahr oder das Bevorstehen einer rechtswidrigen Tat oder mit Geldbuße bedrohten Handlung, die anders als durch sofortigen Erlass der Abschiebungsanordnung nicht verhindert werden konnte, weder ersichtlich noch geltend gemacht.

Auf die Frage der Verzichtbarkeit einer Fristsetzung i.S.d. § 50 Abs. 5 AuslG kommt es, wie schon im Beschluss 14 B 74/02 dargelegt, bei alledem nicht an, weil nicht nur von der Setzung einer Frist, sondern von der gesamten Abschiebungsandrohung abgesehen wurde, was für den Betroffenen einen erheblichen Unterschied in der rechtlichen Belastung ausmacht (vgl. Funke-Kaiser in GK AuslR, § 50 Rd. 88 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Sie ist gemäß § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Ende der Entscheidung

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