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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.06.2002
Aktenzeichen: 15 A 366/02
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 27
SGB VIII § 39
Auch Großeltern, die die Vollzeitpflege für ihre Enkelkinder übernommen haben, können Pflegegeld nach Maßgabe der Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe (LUVO) beanspruchen.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 15 A 366/02

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Kinder- und Jugendhilfe sowie Jugendförderungsrecht-Gewährung von Pflegegeld

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 15. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter Frau .... und Herrn .... für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid vom 05.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2002 wird aufgehoben, soweit er Pflegegeld versagt.

Insoweit wird der Beklagte verpflichtet, für den Zeitraum vom 01.09.2000 bis 30.04.2002 weitere 4.477,75 € Pflegegeld zu bewilligen und ab 01.05.2002 weitere 228,-- € Pflegegeld zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des den Klägern zustehenden Pflegegeldes für die Pflege ihres Enkelkindes.

Aufgrund des rechtskräftigen Urteils der Kammer vom 05. September 2001 ist der Beklagte verpflichtet, den Klägern Jugendhilfeleistungen gemäß §§ 27, 33 SGB VIII für die Betreuung ihres am 02. Februar 1998 geborenen Enkelkindes für die Zeit ab 01. September 2000 zu gewähren.

Durch Bescheid vom 05.09.2002 bewilligte der Beklagte den Klägern Pflegegeld. Die Höhe des Pflegegeldes ermittelte der Beklagte jedoch nicht anhand der Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe (Lebensunterhalt - Verordnung - LuVO -), sondern anhand einer Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter der Kreise des Landes Schleswig-Holstein. Diese Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft sieht für den Fall der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII durch Großeltern ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 175 % des Regelbedarfs der jeweiligen Altersstufe nach der Regelunterhaltsverordnung vor. Wird jedoch Pflegegeld nach der LuVO gezahlt, so wird zusätzlich zu dem Betrag von 175 % des Regelbedarfs ein Grundbetrag in Höhe des Regelbetrags der 2. Altersstufe gezahlt. In der Erstfassung der LuVO vom 20. Juli 1992 (GVOBl. Schleswig-Holstein 92, S. 451) wird dieser Betrag der 2. Altersstufe als "Erziehungsbeitrag" bezeichnet. Spätere Fassungen enthalten diese Bezeichnung nicht mehr, sondern sprechen von einem "Grundbetrag". Der Grundbetrag der 2. Altersstufe hat im Jahr 2000 bis Juni 2001 einschließlich 431,-- DM betragen, in der Zeit vom 01.07.2001 bis 31.12.2001 444,-- DM und in der Zeit ab 01.01.2002 228,-- € monatlich.

Durch den Bescheid vom 05.09.2002 bewilligte der Beklagte das Pflegegeld für die Zeit vom 01.09.2000 bis 30.04.2002 jeweils ohne Berücksichtigung des Grundbetrages der 2. Altersstufe nach der Regelbetragsverordnung. Die Grundbeträge der 2. Altersstufe belaufen sich für den Zeitraum 01.09.2000 bis 30.04.2002 einschließlich auf insgesamt 4.477,75 €. Dieser Betrag ergibt sich nach Addition der DM-Beträge von 6.974,-- DM für die Zeit von September 2000 bis Dezember 2001 einschließlich und anschließender Umrechnung in 3.565,75 € sowie unter zusätzlich Addition der in der Zeit vom 01.01.2002 bis 30.04.2002 einschließlich nicht gezahlten Beträge von 912,-- €.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger Widerspruch eingelegt am 02.10.2002. Die Kläger vertreten die Auffassung, ihnen als Großeltern müsse ebenfalls ein Pflegegeld berechnet anhand der LuVO gezahlt werden.

Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22.10.2002 als unbegründet zurück. Der Beklagte führte aus, das Pflegegeld sei für Großeltern um den einfachen Betrag der 2. Altersstufe nach der Regelbetragsordnung zu kürzen, da einerseits eine Selbstbindung der Verwaltung bestehe, andererseits aber davon ausgegangen werden müsse, dass Großeltern ihr Enkelkind unentgeltlich betreuen würden. Daher stehe Großeltern jeweils nur der Ersatz materieller Aufwendungen zu, der mit 175 % des Regelbetrags der jeweiligen Altersstufe nach der Regelbetragsverordnung zu bemessen sei.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger Klage erhoben am 22.11.2002.

Die Kläger sind der Auffassung, auch für sie als Großeltern müsse das Pflegegeld für die Pflege des Enkelkindes nach der LuVO berechnet werden.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum vom 01.09.2000 bis zum 30.04.2002 weitere 4.477,75 € zu bewilligen und ab 01.05.2002 monatlich weitere 228,-- € Pflegegeld zu bewilligen unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2002, soweit eine weitere Bewilligung abgelehnt wurde.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte beruft sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge und auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Akte zum Verfahren 15 A 333/00.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 05.09.2002 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2002 ist rechtswidrig, soweit er den Klägern beim Pflegegeld für die Pflege des Enkelkindes die Berücksichtigung des Grundbetrages der 2. Altersstufe versagt und verletzt die Kläger insoweit in ihren Rechten.

Die Kläger haben einen Anspruch auf Pflegegeld unter Berücksichtigung der LuVO gemäß § 39 SGB VIII. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst der vom Jugendhilfeträger sicherzustellende Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses auch die Kosten der Erziehung. Die Leistungen selbst sollen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen und in monatlichen Pauschalbeträgen gewährt werden. Diese Pauschalbeträge für laufende Leistungen sollen von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festgesetzt werden (vgl. §§ 39 Abs. 4, 5 SGB VIII).

Hiervon hat der Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Der Landesgesetzgeber hat bereits durch die Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe vom 20.07.1992 auf der Grundlage des § 36 Abs. 3 Nr. 2 des Jugendförderungsgesetzes vom 05.02.1992 verordnet, dass bei der Gewährung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 39 Abs. 5 SGB VIII die Verordnung zur Berechnung des Regelunterhalts (heute Regelbetrag) anzuwenden ist. Die LuVO hat lediglich insoweit eine Veränderung erfahren, als gegenüber der Anfangsregelung, wonach Leistungen in Höhe von 200 % der jeweiligen Altersstufe zu zahlen waren, heute (ab 01.01.1996) nur noch 175 % des Regelbedarfs der Altersstufe zugrunde zu legen sind.

Damit handelt es sich bei der LuVO um eine Regelung nach Landesrecht, durch die die Höhe des Pauschalbetrages für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 39 Abs. 5 iVm Abs. 1 SGB VIII festgesetzt wird. Die Kläger haben danach neben dem Betrag in Höhe von 175 % des Regelbetrages der entsprechenden Altersstufe auch einen Anspruch auf den Pauschalbetrag nach dem Grundbetrag der zweiten Altersstufe. Zwar ist gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 2. HS SGB VIII die Möglichkeit geschaffen worden, bei Besonderheiten des Einzelfalles gegenüber dem monatlichen Pauschalbetrag abweichende Leistungen zu gewähren; der Umstand, dass die Pflege durch Großeltern geleistet wird, ist jedoch gerade kein besonderer Einzelfall im Sinne des § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (vgl. Wiesner, Kommentar zum SGB VIII § 39 Rdr. 10, Rdr. 25; Schellhorn, Kommentar zum KJHG § 39 Rdr. 18 m.w.N.). Abweichende Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls sind in erster Linie möglich, wenn aus unterschiedlichen Gründen ein Mehrbedarf besteht. Keine zu berücksichtigende Besonderheit des Einzelfalles ist regelmäßig die Verwandtschaft oder Verschwägerung der Pflegeperson mit dem Kind oder Jugendlichen (vgl. Wiesner a.a.O. Rdr. 34; siehe auch Schellhorn a.a.O. m.w.N.).

Soweit der Beklagte hier die Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter der Kreises des Landes Schleswig-Holstein vom 26.05.1999 angewandt hat, sind diese hier unanwendbar. Durch diese Empfehlungen zur Zahlung von Pflegegeld für Vollzeitpflege bei Großeltern wird den Großeltern, die ihre Enkelkinder pflegen, ein Teil des Anspruchs gemäß § 39 SGB VIII versagt. Es war aber gerade die Intention des 1991 in Kraft getretenen SGB VIII, neben der Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes oder Jugendlichen auch die Kosten der Erziehung abzudecken. Die Kosten der Erziehung gehören gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ausdrücklich zum notwendigen Unterhalt.

Damit ist hier den Klägern ein Pflegegeld nach der LuVO zu zahlen, ohne dass der Beklagte wegen des Umstandes, dass hier Großeltern ihr Enkelkind pflegen, eine Kürzung vornehmen könnte. Der Beklagte hat daher, wie auch in seinen Richtlinien über die Gewährung von Pflegegeld für junge Menschen in Familienpflege festgeschrieben, ein Pflegegeld auf der Basis der LuVO auszukehren.

Da die den Klägern zusätzlich zustehenden Beträge für den abgeschlossenen Zeitraum 01.09.2000 bis 30.04.2002 einschließlich in Höhe von 4.477,75 € feststehen, war der Beklagte insoweit unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, das Pflegegeld zu bewilligen und ab 01.05.2002 weiterhin monatlich 228,-- € Pflegegeld zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 VwGO.

Ende der Entscheidung

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