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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: 2 LA 89/05
Rechtsgebiete: BAföG


Vorschriften:

BAföG § 27 Abs. 1 S. 2
BAföG § 28 Abs. 3
BAföG § 29 Abs. 3
1. Vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Auszubildenen unberührt lassen, können angesichts des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG rechtfertigen.

2. Vertragsbeziehungen zwischen Familienangehörigen können auch ausbildungsrechtlich nur dann anerkannt werden, wenn der Vertrag als solcher und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten dem zwischen fremden Dritten Üblichen entspricht.

3. Schulden können nach § 28 Abs. 3 BAföG nur dann berücksichtigt werden, wenn der Schuldner auch ernstlich mit der Geltendmachung rechnen muss. Auch insoweit kann auf die Rechtsprechung der Finanzgerichte zum sogenannten Fremdvergleich zurückgegriffen werden, um die Ernsthaftigkeit des Vertragsverhältnisses und insbesondere der Rückforderung sicher zu beurteilen.

4. Ein Härtefall i.S.d. § 29 Abs. 3 BAföG setzt voraus, dass über den Vermögenseinsatz hinaus wesentliche Nachteile eintreten, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 2 LA 89/05

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Ausbildungsförderung, Rückforderung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 29. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 15. Kammer - vom 13. Juli 2005 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin beruft sich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO. Nach den Darlegungen der Klägerin liegen die Zulassungsgründe nicht vor.

Die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ist nicht ernstlich zweifelhaft (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG sind vom Vermögensbegriff Gegenstände ausgenommen, soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe Beschl. v. 16.02.2000 - 5 B 182/99 -, NJW 2003, 2625) können unter den Begriff eines Verwertungshindernisses "aus rechtlichen Gründen" im Sinne dieser Vorschrift auch rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen fallen. Allein entscheidend ist jedoch, ob ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff rechtlich und tatsächlich - ganz oder teilweise - objektiv möglich ist oder nicht. Vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können somit angesichts des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung, wonach individuelle Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, "wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen" (§ 1 Hs. 2 BAföG), die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht rechtfertigen. So liegt der Fall hier.

Ein unterstelltes zwischen der Klägerin und ihren Großeltern (vertreten durch den Vater der Klägerin als Vermögensverwalter) vereinbartes Treuhandverhältnis ändert an der objektiven Möglichkeit der Klägerin, auf das auf ihren Namen angelegte Terminfestgeld- und das Sparkonto Zugriff nehmen zu können, nichts. Als Kontoinhaberin war sie gegenüber der Ökobank forderungsberechtigt. Rechtliche Einschränkungen bestanden insoweit nicht. Unerheblich ist die behauptete Verpflichtung, das Guthaben allein für Zwecke der Großeltern zu nutzen. Dieser Umstand stellt weder die Kontoinhaberschaft noch die Verfügungsberechtigung der Klägerin gegenüber der Ökobank in Frage. Derjenige, der eine Bank anweist, einen bestimmten Betrag einem fremden Konto gutzuschreiben, verliert mit der Ausführung seine Rechte gegen die Bank in Bezug auf das Zugewendete und verschafft damit zugleich dem Kontoinhaber ein entsprechendes Recht gegen die Bank aus der Gutschrift. Daher ist auch unerheblich, aus welchen Mitteln der Klägerin das Guthaben zugeflossen ist und ob den handelnden Mitarbeitern der Bank klar war, "dass der Reichtum nicht von der Klägerin kam". Die Befreiung von der Zinsabschlagsteuer war nur möglich, wenn es sich nicht um "offizielle" Treuhandkonten handelte. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Vater der Klägerin als ihr Bevollmächtigter verfügungsberechtigt war.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen der Härteregelung des § 29 Abs. 3 BAföG nicht erfüllt sind.

Durch Anwendung der Härteregelung darf die Grundentscheidung des Gesetzgebers, Vermögen oberhalb der Freigrenzen für die Ausbildung einsetzen zu müssen, nicht unterlaufen werden (BVerwG, Urt. v. 13.06.1991 - 5 C 33.87 -, BVerwGE, 88, 303, 308 f.). Dies wäre aber der Fall, wenn nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG - wie ausgeführt - vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen unberührt lassen, die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht, aber die Anwendung der Härteregelung des § 29 Abs. 3 BAföG rechtfertigten. Sinn der Regelung des § 29 Abs. 3 BAföG ist es, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrunde liegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können. Die Minderung des nach § 27 Abs. 1 BAföG einzusetzenden Vermögens zur Finanzierung der Ausbildung ist die typische Folge des gesetzgeberischen Zwecks, nur Vermögen bis zu bestimmten Freigrenzen gemäß § 29 Abs. 1 BAföG freizulassen. Ein Härtefall kann daher mit dem Vermögenseinsatz als solchem nicht begründet werden. Ein Härtefall setzt vielmehr voraus, dass über den Vermögenseinsatz hinaus wesentliche Nachteile eintreten, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind. Hierzu gehören wirtschaftliche Verwertungshindernisse, die es dem Auszubildenden, wenn auch nicht rechtlich aber tatsächlich unmöglich machen, das Vermögen einzusetzen, so dass seine Ausbildung gefährdet ist. Entsprechendes gilt, wenn die Verwirklichung der Vermögensverwertung sich als mehr oder weniger schwerwiegender Verstoß gegen die Regeln der wirtschaftlichen Vernunft darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.06.1991, a.a.O., S. 308). Ein solcher Fall ist hier ersichtlich nicht gegeben. Auch besondere Lebensumstände der Klägerin, wie z.B. Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Familienangehörigen, die bei Vermögensanrechnung nicht erfüllt werden können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Altersvorsorge der Großeltern der Klägerin war offensichtlich bei Vermögensanrechnung nicht gefährdet. Dies wird auch von der Klägerin nicht behauptet.

Auf die vom Verwaltungsgericht in den Vordergrund gestellten Überlegungen (S. 16 f. UA), dass an den Nachweis eines Treuhandverhältnisses und einer daraus resultierenden "unbilligen Härte" i.S.d. § 29 Abs. 3 BAföG zur Verhinderung von Missbrauch durch leicht zu fingierende Treuhandbindungen strenge Maßstäbe anzulegen seien, kommt es nach alledem nicht an. Insoweit sei jedoch darauf hingewiesen, dass bei Anlegung von "offiziellen" Treuhandkonten wohl nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Verwertungshindernis i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG bestanden hätte, allerdings mit der Folge, dass eine Befreiung von der Zinsabschlagsteuer nicht hätte erfolgen dürfen. Dass dieser Weg unter Mitwirkung der Klägerin nicht beschritten wurde, gereicht ihr ausbildungsförderungsrechtlich zum Nachteil. Insoweit gilt für die Ausbildungsförderung im Ergebnis nichts anderes als für das Steuerrecht. Im Steuerrecht gilt, dass Vertragsbeziehungen zwischen Familienangehörigen steuerbegünstigend nur dann anerkannt werden, wenn der Vertrag als solcher und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten dem zwischen fremden Dritten Üblichen entspricht (siehe hierzu BFH, Beschl. v. 25.06.2002 - X B 30/01 -, JURIS). Nur so ist die erforderliche Trennung der Vermögens- und Einkommenssphären von Eltern, Großeltern und Kindern gewährleistet. Die Klägerin kann sich deshalb gerade nicht darauf berufen, dass bei intakten Familienverhältnissen Absicherungen und formelle Vereinbarungen unüblich sind.

Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht erkannt, dass die Klägerin grob fahrlässig gehandelt hat, weil sie bei Antragstellung unvollständige bzw. unrichtige Vermögensangaben gemacht hat, so dass die Voraussetzungen für eine Rückforderung gemäß §§ 45, 50 SGB X vorliegen. Auch wenn sie der festen Überzeugung war, dass ihr das Vermögen ausbildungsrechtlich nicht zuzurechnen sei, hätte sie die auf ihren Namen angelegten Konten angeben und dem Beklagten die Prüfung der Rechtsfrage überlassen müssen.

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten) ist nicht gegeben, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen im Wesentlichen geklärt sind und es danach - wie ausgeführt - nur darauf ankommt, ob es der Klägerin rechtlich und tatsächlich objektiv möglich war, auf das auf ihren Namen angelegte Vermögen zuzugreifen und ob, über die Verwendung des Vermögens hinaus, der Einsatz für sie eine unbillige Härte war.

Danach stellen sich die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen in einem Berufungsverfahren nicht oder sind bereits hinreichend geklärt, so das auch eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht in Betracht kommt. Gemäß § 28 Abs. 2 BAföG ist maßgebend für die Wertbestimmung des Vermögens der Zeitpunkt der Antragstellung. Veränderungen zwischen Antragstellung und Ende des Bewilligungszeitraums bleiben unberührt (§ 28 Abs. 4 BAföG). Deshalb ist es unerheblich, dass die Klägerin nach Antragstellung das Vermögen ihren Großeltern zurückübereignet hat und dass das Finanzamt das Vermögen den Großeltern (rückwirkend) zugerechnet hat.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weicht auch nicht von einer Entscheidung des OVG Münster (Urt. v. 13.03.1984 - 16 A 434/83 -, FamRZ 1985, 22) ab. Das Gericht setzt sich in dieser Entscheidung im Rahmen des § 28 Abs. 3 BAföG mit der Frage auseinander, ob zu den Schulden im Sinne dieser Vorschrift auch Forderungen gehören, die noch nicht konkretisiert und fällig sind. Das Verwaltungsgericht hat dem gegenüber an den Nachweis eines Treuhandverhältnisses im Rahmen des § 29 Abs. 3 BAföG strenge Anforderungen gestellt. Ungeachtet dessen können Schulden nach § 28 Abs. 3 BAföG nur dann berücksichtigt werden, wenn der Schuldner auch ernstlich mit der Geltendmachung rechnen muss. Auch insoweit kann auf die Rechtsprechung der Finanzgerichte zum sogenannten Fremdvergleich zurückgegriffen werden, um die Ernsthaftigkeit des Vertragsverhältnisses und insbesondere der Rückforderung sicher zu beurteilen (so auch VG Aachen, Urt. v. 05.07.2005 - 5 K 3571/04 -, JURIS).

Eine Divergenz (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

Das Verwaltungsgericht weicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2000 (- 5 B 182.99 -, a.a.O.) nicht im Sinne dieser Regelung ab. Es führt gerade unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr - zutreffend - auf Seite 13 des Urteilsabdrucks aus, dass rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen wie vertragliche Verbindungen und Beschränkungen, die kein zwingendes rechtliches Verwertungshindernis aufstellen und eine Verwertung nicht objektiv unmöglich machen, grundsätzlich nicht die Herausnahme aus dem Vermögensbegriff des § 27 BAföG rechtfertigen. Sie können allenfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei bleiben.

Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht gegeben.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass eine Beweisaufnahme unterlassen wurde, weil ihre Prozessbevollmächtigte keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat. Nach dem vom Verwaltungsgericht aufgestellten strengen Maßstab bezüglich des Nachweises eines Treuhandverhältnisses war aus Sicht des Gerichts eine Beweisaufnahme nicht erforderlich, weil auch eine schriftliche Bestätigung (Entsprechendes gilt für eine mündliche) der Treuhandabrede durch Treugeber und -händler nur ein Indiz sein könne. Notwendig sei eine Gesamtwürdigung anhand der Umstände des Einzelfalls (S. 17 f. UA). Die in die Würdigung des Gerichts eingestellten Gesamtumstände waren - für sich genommen - nicht streitig.

Die Entscheidung war auch keine Überraschungsentscheidung. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat vielmehr nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung Schriftsatznachlass erhalten und anschließend umfänglich vorgetragen.

Die Gehörsrüge ist nicht begründet. Richtig ist, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Schriftsatz des Beklagten vom 09. Juni 2004 erst zusammen mit dem Urteil erhalten hat. In diesem Schriftsatz setzt sich der Beklagte auf der Grundlage der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts mit den entscheidungserheblichen Fragen auseinander. Neue Tatsachen werden nicht vorgetragen. Soweit sich das Gericht der Argumentation des Beklagten angeschlossen hat, liegt darin kein Gehörsverstoß, auch wenn die Klägerin nicht die Möglichkeit zur Erwiderung hatte. Der Klägerin war bekannt, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts an den Nachweis eines Treuhandsverhältnisses strenge Anforderungen zu stellen sind. Das Gericht konnte davon ausgehen, dass die Sache ausgeschrieben ist und neue, entscheidungserhebliche Gesichtspunkte nicht mehr vorgetragen werden. Auch dem Zulassungsantrag sind solche nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird mit der Ablehnung des Zulassungsantrags rechtskräftig (§ 124 Abs. 2 Satz 4 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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