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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 2 LB 40/04
Rechtsgebiete: BSHG, VwGO


Vorschriften:

BSHG § 67
BSHG § 77
VwGO § 124 Abs. 1
VwGO § 6 Abs. 1
1) Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter i.S.v. § 6 VwGO gebunden; eine daraufhin eingelegte Berufung ist statthaft.

2) Landesblindengeld ist Einkommen i.S.d. Sozialhilferechts, soweit es demselben Zweck wie die begehrte Sozialhilfe dient. Das ist bei der Blindenhilfe der Fall.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 LB 40/04

verkündet am 29.09.2004

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 04. Februar 2004 geändert.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung von Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG.

Der am 01. Januar 1941 geborene Kläger ist blind. Seit dem 01. Januar 2002 erhält er (gekürztes) Landesblindengeld in Höhe von 450,-- Euro/Monat. Zum 01. März 2002 kündigte er Lebensversicherungen und erhielt daraus insgesamt 41.452,89 Euro. Seine am 07. Oktober 1936 geborene Ehefrau schloss mit Wirkung vom 01. Mai 2002 eine private Rentenversicherung ab, auf die der Kläger einen Betrag in Höhe von 35.000,-- Euro zahlte. Seit dem 01. Juni 2002 erhält die Ehefrau des Klägers aus dieser Versicherung eine Rente in Höhe von monatlich 216,67 Euro. Zusätzlich bezieht sie aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente in Höhe von 632,06 Euro. Der Kläger erhält eine monatliche Rente von 1.219,93 Euro sowie eine Zusatzrente in Höhe von 41,20 Euro.

Der Kläger stellte am 18. September 2002 beim Amt Schlei einen Antrag auf Blindenhilfe. Unter Berücksichtigung der oben genannten Rentenbezüge wurde in einer Berechnung festgestellt, dass das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau um 182,46 Euro unter der maßgeblichen Einkommensgrenze lag.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Blindenhilfe mit der Begründung ab, dass die Beträge, die der Kläger aus den Lebensversicherungen erhalten habe, als Vermögen zu berücksichtigen seien. Nach Abzug des geschützten Vermögens in Höhe von 4.705,-- Euro sei das restliche Vermögen in Höhe von 36.747,89 Euro für die Blindenhilfe in Höhe von 129,-- Euro/monatlich einzusetzen. Die teilweise Verwendung der Beträge zum Abschluss einer Rentenversicherung könne nicht anerkannt werden. Die Alterssicherung des Klägers und seiner Ehefrau sei durch Renteneinkünfte gesichert. Der dagegen vom Kläger am 08. November 2002 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2003 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 24. Juni 2003 Klage erhoben und geltend gemacht, dass er Anspruch auf Blindenhilfe habe, soweit das Landesblindengeld gekürzt worden sei. Die aus den Lebensversicherungen erlangten Beträge dürften nicht als Vermögen entgegengehalten werden. Der Einsatz dieses Vermögens stelle eine Härte nach § 88 Abs. 3 BSHG dar. Die Lebensversicherungen seien zum Zwecke der Alterssicherung abgeschlossen worden. Hierzu seien die Beträge auch verwandt worden. Sie hätten dazu gedient, eine zusätzliche Rente für die Ehefrau zu erlangen, damit eine angemessene Alterssicherung bzw. eine angemessene Lebensführung im Alter gewährleistet sei. Das gegenwärtige Einkommen sei erheblich geringer als das zur Zeit der Erwerbstätigkeit. Außerdem müssten blindheitsbedingte Aufwendungen berücksichtigt werden. Dafür seien das Blindengeld und die Blindenhilfe erforderlich. Selbst mit der durch Einsatz der Beträge aus der Lebensversicherung abgeschlossenen Rente für seine Ehefrau lägen sie immer noch unter der sozialhilferechtlichen Einkommensgrenze. Wenn auch § 88 Abs. 2 Nr. 1 a BSHG dem Wortlaut nach hier nicht anwendbar sei, müsse jedoch die besondere Wertung der Privilegierung einer Altersvorsorge auch im Rahmen der Prüfung nach § 88 Abs. 2 BSHG besonders gewürdigt und berücksichtigt werden. Wenn nach dieser Vorschrift bereits ein der Altersversorgung dienendes Vermögen, das mit zusätzlichen staatlichen Leistungen angesammelt worden sei, als Vermögen nicht angerechnet werden dürfe, sei insbesondere das Vermögen anrechnungsfrei, welches aus eigenen Mitteln und ohne zusätzliche staatliche Leistungen erlangt worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 22. Oktober 2002 und den Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Blindenhilfe zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und sich weiterhin darauf berufen, dass das aus der Kündigung der Lebensversicherungen erlangte Vermögen zu berücksichtigen sei.

Durch Urteil des Einzelrichters vom 04. Februar 2004 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, an den Kläger Blindenhilfe unter Berücksichtigung von Vermögen in Höhe von 1.747,89 Euro aus Lebensversicherungen sowie eventuell noch nicht angegebenem weiteren Vermögen zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Renteneinkünfte des Klägers und seiner Ehefrau unter der Grenze des § 81 Abs. 2 BSHG lägen, so dass ihr Einkommen der Gewährung von Blindenhilfe nicht entgegenstehe. Auch die 35.000,-- Euro, die der Kläger in die Rentenversicherung für seine Ehefrau eingezahlt habe, stünden seinem Anspruch auf Blindenhilfe nicht entgegen. Zwar werde nach § 28 Abs. 2 BSHG Hilfe in besonderen Lebenslagen nicht gewährt, wenn dem Hilfesuchenden oder seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen zuzumuten sei. Zum Vermögen gehöre nach § 88 Abs. 1 BSHG der aus den Lebensversicherungen erlangte Betrag abzüglich des Schonvermögens. Die 35.000,-- Euro, die in den Rentenvertrag zugunsten der Ehefrau des Klägers geflossen seien, seien jedoch nicht zu verwerten, denn dieser Betrag sei bei Antragstellung nicht mehr vorhanden gewesen. Der Kläger könne diesen auch nicht nach § 528 BGB von seiner Ehefrau zurückfordern, denn er sei in die Rentenversicherung geflossen. Selbst wenn seine Ehefrau den Vertrag kündigen könnte, bestünde für den Kläger selbst keine Möglichkeit an diesen Betrag heranzukommen, denn er sei im Rahmen seiner Unterhaltsverpflichtung seiner Ehefrau und zur Alterssicherung seiner Ehefrau eingesetzt worden. Das schließe eine Rückforderung aus.

Im Übrigen könne dieser Betrag nicht als Vermögen entgegengehalten werden, weil seine Verwertung eine besondere Härte nach § 88 Abs. 3 BSHG darstelle. Der in die Rentenversicherung eingezahlte Betrag sei verbraucht worden, um eine angemessene Alterssicherung zu erreichen. Hier könne nicht eingewandt werden, dass die Einkommensgrenze des § 81 Abs. 2 BSHG so hoch liege, dass sie eine Angemessenheit der Sicherung übersteige und Vermögenseinsatz keine unzumutbare Härte darstellen würde. Dem Kläger könne auch nicht entgegengehalten werden, dass eine unzumutbare Härte schon deswegen zu versagen sei, weil er den Betrag, statt ihn für sich zu verwenden, im Hinblick darauf, dass dann Blindenhilfe zu gewähren sei, an seine Ehefrau gegeben habe. Dem Beklagten sei zuzustimmen, dass eine unzumutbare Härte dann nicht angenommen werden könne, wenn durch doloses Zusammenwirken des Hilfesuchenden mit einer anderen Person Vermögensverschiebungen stattgefunden hätten, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt würden, wie beispielsweise durch Scheingeschäft, durch gesetzwidrige oder sittenwidrige Rechtsgeschäfte. In diesen Fällen wäre das Vermögen ohnehin dem Hilfesuchenden zuzurechnen mit der Folge, dass er sich nach der Maßgabe des Bundessozialhilfegesetzes auf dieses Vermögen verweisen lassen müsste. Hier liege ein solches sittenwidriges Verhalten nicht vor, denn der Kläger sei gerade in Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung seiner Ehefrau gegenüber tätig geworden.

Das Verwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung gemäß § 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.

Der Beklagte hat gegen die ihm am 13. Februar 2004 zugestellte Entscheidung am 12. März 2004 Berufung eingelegt und diese am 08. April 2004 begründet. Die Begründungsschrift ist dem Kläger am 19. April 2004 zugestellt worden. Der Kläger hat am 29. September 2004 Anschlussberufung eingelegt.

Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die in die private Rentenversicherung eingezahlten 35.000,-- Euro als Vermögen des Klägers zu berücksichtigen seien und insoweit eine unzumutbare Härte gemäß § 88 Abs. 3 BSHG nicht vorliege. Nach Angaben der Versicherungsgesellschaft sei der private Rentenversicherungsvertrag kündbar. Selbst wenn der Betrag nicht an den Kläger direkt ausgezahlt werden würde, wäre er im Rahmen der Bedarfs- und Einsatzgemeinschaft mit seiner Ehefrau als Vermögen zu berücksichtigen. Im Falle der Auszahlung an die Ehefrau bestünde jedenfalls ein Rückforderungsanspruch des Klägers gemäß § 528 BGB. Dieser Anspruch sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht durch die Verwendung des Betrages für die private Rentenversicherung zugunsten der Ehefrau des Klägers ausgeschlossen. Der Unterhalt der Ehefrau des Klägers sei derzeit durch ihre eigene gesetzliche Rente sowie die Renteneinkünfte ihres zum Unterhalt verpflichteten Ehemannes gewährleistet. Auch für den Fall des Todes des Klägers wäre der Lebensunterhalt der Ehefrau ohne die private Rentenversicherung ausreichend abgesichert. Zusätzlich zu ihrer eigenen Rente hätte sie einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung in Höhe von weiteren 731,96 Euro.

Der Beklagte meint, selbst ohne Kündigungsmöglichkeit müsse die in die Versicherung eingezahlte Summe hinsichtlich des Klägers berücksichtigt werden, weil er anrechenbares Vermögen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung zugunsten einer Person eingezahlt habe, bei der auf Grund der engen Bindung davon auszugehen sei, dass sie von den Umständen der Vermögensumschichtung und der beabsichtigten Antragstellung Kenntnis gehabt habe. Die Verwertung der 35.000,-- Euro stelle entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch keinen atypischen Fall dar, der unter die Härteregelung des § 88 Abs. 3 BSHG falle. Insbesondere werde durch die Verwertung nicht gemäß § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert. Der Einsatz des Vermögens würde nicht zu einer ungerechtfertigten Verschlechterung der bisherigen Lebensverhältnisse des Klägers und seiner Ehefrau führen. Die angemessene Lebensführung sei aus dem laufenden Einkommen sichergestellt. Das bisherige zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendige Einkommen beruhe nicht auf Einkünften, die aus dem Vermögen flössen. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts würde der Einsatz des Vermögens auch nicht die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschweren. Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau bereits Rentner seien. Eine Alterssicherung habe durch die Einzahlung der Lebensversicherungsbeiträge während der Zeit der Berufstätigkeit stattgefunden. Die für die Zeit der Rente während des Berufslebens angesparten Beträge seien nunmehr ergänzend zu den laufenden Rentenzahlungen gemäß ihrem Bestimmungszweck zu verwerten. Die Umschichtung der angesparten Beiträge in der Form, dass statt des nunmehr nach und nach einzusetzenden Vermögens eine Rentenversicherung abgeschlossen werde, die eine monatliche Auszahlung zur Folge habe, die zusammen mit den anderen Einkünften weniger als 200,-- Euro unter der hoch angesetzten Einkommensgrenze der Blindenhilfe liege, sei von der Härtefallregelung nicht umfasst. Auf Grund des gemeinsamen Einkommens von fast 1.900,-- Euro und dem zusätzlich gezahlten Blindengeld in Höhe von 450,-- Euro sei davon auszugehen, dass die Absicherung durch das sukzessive Aufbrauchen des angesparten Vermögens bereits ausreichend vorhanden gewesen sei.

Zudem könne für die Bestimmung einer angemessenen Alterssicherung entgegen dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht von der hoch angesetzten Einkommensgrenze des § 67 BSHG ausgegangen werden. Der Begriff der angemessenen Alterssicherung finde sich ebenfalls in § 69 b BSHG. Dort werde er in dem Sinne verstanden, dass eine angemessene Versorgung im Alter dann vorliege, wenn die Inanspruchnahme von Hilfe zum Lebensunterhalt voraussichtlich überflüssig sein werde. Diese Grenze sei durch das gemeinsame Einkommen der Eheleute deutlich überschritten. Für die blindenspezifischen Bedürfnisse werde zudem ein anrechnungsfreies Blindengeld in Höhe von 450,-- Euro/Monat gezahlt, das unabhängig von Einkommen und Vermögen gewehrt werde. Die besonderen materiellen und immateriellen Bedürfnisse des Klägers seien damit ohne die Zugrundelegung der besonders hohen Einkommensgrenze des § 67 BSHG bei der Ermittlung der angemessenen Alterssicherung berücksichtigt.

Die Leitvorstellung der Blindenhilfe würden entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts durch die Berücksichtigung der 35.000,-- Euro nicht verletzt. Vom Kläger werde kein wirtschaftlicher Ausverkauf gefordert und die Unterstützung des Selbsthilfebestrebens werde nicht gehindert. Das Verwaltungsgericht habe ebenfalls unzutreffenderweise nicht berücksichtigt, dass die private Rente an die Ehefrau des Klägers ausgezahlt werde, die nicht selbst blind sei, weshalb vorrangig ihr Bedarf zu betrachten sei. Auch ohne den Abschluss der privaten Rentenversicherung habe für die Ehefrau bereits eine angemessene Alterssicherung bestanden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 04. Februar 2004 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Oktober 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2003 zu verpflichten, Blindenhilfe in Höhe von 129,-- Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Berufung des Beklagten für nicht statthaft, weil sie durch den Einzelrichter nicht wirksam zugelassen worden sei. Im Übrigen macht er geltend, das Verwaltungsgericht habe die Vorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG zutreffend interpretiert und auf die Leitvorstellungen des Sozialhilferechtes abgestellt, nach denen blinde Menschen gegenüber Empfängern einer Hilfe für den Lebensunterhalt privilegiert seien. Das Gericht habe folgerichtig die erhöhte Einkommensgrenze als gesetzliche Wertung herangezogen, um den angemessenen Lebensunterhalt um Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG zu bestimmen. Die Lebensversicherung, aus deren Auszahlung die 35.000,-- Euro stammten, sei Bestandteil der betrieblichen Altersvorsorge gewesen, die nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung gefördert worden sei. Bereits zu Arbeitszeiten habe er, der Kläger, das Geld angelegt, um sich auch im Alter einen angemessenen und seiner krankheitsbedingten Bedürfnissen entsprechende Lebensführung zu sichern. Mit der nunmehr abgeschlossenen Rentenversicherung, die konstant sei und den wirtschaftlichen Schwankungen nur bedingt unterliege, führe er diese Altersvorsorge lediglich fort. Mithin sei es eine unbillige Härte, wenn das Geld, das er, der Kläger, für die Altersvorsorge bestimmt habe, zu seinen Lasten berücksichtigt werden würde. Das Verwaltungsgericht habe auch zutreffend festgestellt, dass er mit dem Abschluss des Rentenversicherungsvertrages seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau nachgekommen sei. Zudem sei die Vorstellung lebensfremd, dass das Geld aus der Rentenversicherung lediglich der Ehefrau zugute komme. Dabei sei nachvollziehbar, dass die Versicherung auf die Ehefrau abgeschlossen worden sei, um diese auch für die Zeit nach seinem, des Klägers, Tod, finanziell abzusichern.

Die Ausführungen des Beklagten zur Auslegung und Höhe einer angemessenen Lebensführung gingen ersichtlich fehl. Der Beklagte übersehe, dass es hier um eine Hilfe in besonderer Lebenslage und nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt ginge. Vom Verwaltungsgericht sei überzeugend dargelegt worden, dass die Blindenhilfe über die dem Sozialhilferecht ursprünglich zugrunde liegende Existenzsicherung und des Elementarschutzes hinausgehe. Soweit der Beklagte unterstelle, die Umschichtung sei zur Erlangung öffentlicher Hilfen erfolgt, werde das zurückgewiesen.

Zur Begründung seiner Anschlussberufung trägt der Kläger vor, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, im maßgeblichen Zeitraum sei noch einzusetzendes Vermögen vorhanden gewesen, unzutreffend sei. Daher sei der Klage uneingeschränkt zu entsprechen.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten haben vorgelegen; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Einzelrichter des Verwaltungsgerichts zugelassene Berufung ist statthaft.

Gemäß § 124 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten die Berufung gegen End- und Teilurteile u.a. zu, wenn sie vom Verwaltungsgericht zugelassen wird. Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vorliegen. Verwaltungsgericht in diesem Sinne ist nach der Gesetzessystematik grundsätzlich die Kammer und nicht der Einzelrichter. Zwar tritt der Einzelrichter nach einer gemäß § 6 Abs. 1 VwGO vorgenommenen Übertragung des Rechtsstreits an die Stelle der zunächst zuständigen Kammer und ist damit Gericht erster Instanz im prozessualen Sinne (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 6 Rn. 14; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 6 Nr. 9; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 6 Rn. 6; Konisch in Sodan/Ziekow, VwGO, § 6 Rn. 66, 71). § 6 Abs. 1 VwGO schließt aber die Übertragung u.a. aus, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Gleichwohl ist es möglich, dass der Einzelrichter im Einklang mit den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung und als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG über eine Rechtssache entscheidet, der er grundsätzliche Bedeutung beimisst und daher die Berufung zulässt. Zum einen kann das der Fall sein, wenn der Einzelrichter die Bedeutung der Sache anders einschätzt als die Kammer. Eine Rückübertragung ist dann nicht möglich, weil § 6 Abs. 3 VwGO dafür eine wesentliche Änderung der Prozesslage verlangt. Zum anderen stellt § 6 Abs. 3 VwGO die Rückübertragung in das Ermessen des Einzelrichters. Auch wenn dieses Ermessen unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Rückübertragungspflicht reduziert sein kann (vgl. Konisch, a.a.O., Rn. 98; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kunze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 6 Rn. 19), schließt das die Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters in Fällen grundsätzlicher Bedeutung und bei beabsichtigter Abweichung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht von vornherein aus. Daher ist nicht der Auffassung zu folgen, dass der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 bestimmte Einzelrichter nicht "Verwaltungsgericht" im Sinne von § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO und das Oberverwaltungsgericht nicht an die Zulassung gebunden sei (so jedoch VGH BW, Beschl. v. 15.10.2003 - 7 S 558/03 -, DÖV 2004, 172).

Für die Statthaftigkeit der Berufung kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Fall die nur ausnahmsweise gegebenen Voraussetzungen für eine Einzelrichterentscheidung vorliegen oder - im Gegenteil - darin ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zu sehen ist. Ein wesentlicher Verfahrensmangel dieser Art eröffnete dem Berufungsgericht lediglich die Möglichkeit, die angefochtene Entscheidung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wäre aber nicht gehindert, selbst eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. zur anderen Rechtslage bei der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des originären Einzelrichters gemäß §§ 568 Satz 1, 574, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO BGH, Beschl. v. 14.02.2003 - IX a ZB 53/03 -, NJW 2003, 1254; Beschl. v. 10.11.2003 - II ZB 14/02 -, NJW 2004, 448).

Die Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 3 VwGO sind erfüllt.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Blindenhilfe durch Bescheid vom 22. Oktober 2002 ist rechtmäßig. Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt § 67 Abs. 1 BSHG in Betracht. Danach ist Blinden zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe zu gewähren, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Dass der Kläger die persönlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, ist nicht umstritten. Nach der Neubemessung des Landesblindengeldes durch das Landesblindengeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Mai 1997 (GVOBl. Seite 313) für die Zeit ab 01. Januar 2002 auf einen Betrag von 450,00 Euro monatlich verbleibt eine Differenz zwischen der gewährten gleichartigen Leistung und dem in § 67 Abs. 2 BSHG genannten Betrag von 579,00 Euro für die Zeit vom 01. Juli 2002 an. Dem danach möglichen Anspruch steht jedoch § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 76, 77, 81 Abs. 2 und 88 BSHG entgegen.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BSHG wird Hilfe in besonderen Lebenslagen (nur) gewährt, soweit dem Hilfesuchenden und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des Abschnitts 4 nicht zuzumuten ist. Dem Kläger und seiner Ehefrau ist bereits auf Grund der vom Verwaltungsgericht aus dem Verwaltungsverfahren übernommenen Feststellungen die Aufbringung der Mittel aus dem Vermögen zumutbar. Nach § 88 Abs. 1 BSHG ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Der Kläger hat aus dem Rückkauf seiner Lebensversicherungen einen Betrag von insgesamt 41.452,89 Euro erlangt. Bei Zugrundelegung der Auffassung, dass der für den Rentenvertrag der Ehefrau verwendete Betrag von 35.000,00 Euro außer Betracht zu bleiben hat, verbleibt nach Abzug des gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 DVO geschützten Vermögens in Höhe von 4.705,00 Euro ein verwertbarer Betrag von 1.747,89 Euro. Das danach einsetzbare Vermögen reichte aus, um den Bedarf des Klägers zu decken, so dass die Klage schon deswegen uneingeschränkt abzuweisen wäre. Das würde selbst dann gelten, wenn der Kläger sein Vermögen während des Verwaltungsverfahrens nach und nach zur Bedarfsdeckung verbraucht haben sollte. Auch für die Blindenhilfe gilt der allgemeine Grundsatz, dass der gerichtlichen Nachprüfung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung zu Grunde zu legen ist (BVerwG, Urt. v. 14.05.1969 - VC 167.67 -, FEVS 16, 321). In diesem Verfahren geht es danach allein um den vom Kläger geltend gemachten Anspruch für die Zeit vom 01. September 2002 bis Ende Mai 2003, mithin um einen Betrag von 9 x 129,00 Euro = 1.161,00 Euro. Auf die übrigen vom Verwaltungsgericht angestellten Überlegungen zum Einsatz vorhandenen Vermögens kommt es demnach nicht an.

Der Senat ist an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass bei der Verpflichtung zur Hilfeleistung (jedenfalls) Vermögen von 1.747,89 Euro zu berücksichtigen sei, gebunden, denn insoweit ist das Urteil rechtskräftig geworden. Der Beklagte hat zwar zunächst uneingeschränkt Berufung eingelegt, in der Begründung aber deutlich gemacht, dass er sich gegen diesen Teil der Entscheidung, durch den allein der Kläger beschwert ist, nicht wendet. Die - unselbständige - Anschlussberufung des Klägers steht dem Eintritt der Rechtskraft ebenfalls nicht entgegen, denn sie ist unzulässig. Nach § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Anschließung zulässig bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift. Die am 29. September 2004 zu Protokoll erklärte Anschließung wahrt diese Frist nicht.

Die Klage ist aber auch unabhängig von der Frage, ob einsetzbares Vermögen vorhanden war, in vollem Umfang abzuweisen, denn - anders als vom Verwaltungsgericht und vom Beklagten angenommen - ist dem Kläger die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen zumutbar.

Nach § 79 Abs. 1 BSHG ist bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen dem Hilfesuchenden und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen eine bestimmte Einkommensgrenze nicht übersteigt. An die Stelle des in dieser Vorschrift genannten Grundbetrages tritt bei der Blindenhilfe nach § 67 BSHG gem. § 81 Abs. 2 BSHG ein erhöhter Grundbetrag. Unter Einbeziehung der gesondert anzusetzenden Kosten der Unterkunft hat der Beklagte daraus zutreffend eine Einkommensgrenze in Höhe von 2.292,32 Euro ermittelt. Dem ist ein anrechenbares Renteneinkommen des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 2.109,86 Euro gegenüber gestellt worden. Dabei hat der Beklagte das dem Kläger gewährte Landesblindengeld in Höhe von monatlich 450,00 Euro nicht berücksichtigt. Das widerspricht den Regelungen der §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 BSHG. Nach § 76 Abs. 1 BSHG gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme einiger ausdrücklich genannter (öffentlich-rechtlicher) Leistungen. Danach kann auch das Landesblindengeld Einkommen im Sinne des Sozialhilferechts sein. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG hängt das von der Art der begehrten Hilfe ab. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall dem selben Zweck dient. Diese Zweckidentität von Landesblindengeld und Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 BSHG ist gegeben. Das Landesblindengeld ist eine den Zivilblinden als Hilfe zu ihrer sozialen Einordnung gewidmete Versorgungsleistung des Landes und tritt an die Stelle der Blindenhilfe nach § 67 BSHG (vgl. Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl., § 67 Rdnr. 2 m.w.N.). Es ist daher bei der Prüfung eines Anspruchs auf Blindenhilfe als Einkommen zu berücksichtigten (vgl. Brühl, a.a.O., § 77 Rdnr. 26 m.w.N.). Unter Einbeziehung des Landesblindengeldes stand dem Kläger und seiner Ehefrau im maßgeblichen Zeitraum ein Einkommen von 2.559,86 Euro zur Verfügung, das die Einkommensgrenze um 267,54 Euro überstieg. Damit konnte der geltend gemachte Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 BSHG in Höhe von 129,00 Euro gedeckt werden. Dies ist dem Kläger auch zuzumuten.

Soweit das zu berücksichtigende Einkommen - wie hier - die maßgebende Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel nach § 84 Abs. 1 BSHG in angemessenem Umfang zuzumuten. Das Tatbestandsmerkmal "in angemessenem Umfang" ist als unbestimmter Rechtsbegriff zu werten (vgl. Kramer in LPK-BSHG, 6. Aufl., § 84 Rdnr. 3 sowie Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 84 Rdnr. 9 jeweils m.w.N.). Die Ausübung von Ermessen durch den Träger der Sozialhilfe ist danach bei Anwendung dieser Vorschrift ausgeschlossen. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind nach Satz 2 dieser Vorschrift vor allem die Art des Bedarfs, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen des Hilfesuchenden und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Danach liegen hier keine Anhaltspunkte vor, nach denen dem Kläger und seiner Ehefrau die Aufbringung der Mittel nicht zumutbar wären. Auch nach Abdeckung des geltend gemachten Bedarfs verbleibt ihnen ein Einkommen, das über der in § 81 Abs. 2 BSHG bestimmten Grenze liegt. Vor allem aber kann nicht außer Acht bleiben, dass mit der Blindenhilfe bzw. dem Landesblindengeld kein konkreter akuter Bedarf zu decken ist, sondern die Mittel in erster Linie zur Befriedigung nicht näher bezeichneter - auch immaterieller - Bedürfnisse des Blinden gewährt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 2 VwGO. Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit haben ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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