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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 2 LB 71/04
Rechtsgebiete: BSHG, SGB IX


Vorschriften:

BSHG § 39 Abs. 1
BSHG § 40 Abs. 1 Nr. 8
SGB IX § 55
SGB IX § 58
1. Es ist zulässig, dass Träger der Sozialhilfe häufig auftretende Bedarfslagen durch Richtlinien regeln; diese müssen Raum lassen für eine am individuellen Bedarf orientierte Betrachtung.

2. Zum Anspruch auf Übernahme der Betreuungskosten einer Ferienmaßnahme im Rahmen der Eingliederungshilfe.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 LB 71/04

verkündet am 16.03.2005

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Sozialhilferecht (Kostenübernahme der Freizeitmaßnahme der AWO) - Berufungsverfahren -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 10. Kammer - vom 28. April 2004 geändert und der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2002 verpflichtet, die Übernahme der Kosten der zusätzlichen Betreuung im Rahmen der integrativen Freizeitmaßnahme der Klägerin bei der Arbeiterwohlfahrt in ... in der Zeit vom 08. bis zum 21. Juli 2002 zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten einer Ferienmaßnahme für die Klägerin.

Die am 15. April 1986 geborene Klägerin ist sei ihrer Geburt schwerst mehrfachbehindert; sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Klägerin lebt bei ihren Eltern und besucht eine Schule für Geistigbehinderte in .... Einmal wöchentlich nimmt sie an einer Freizeitgruppe des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte teil. Im Sommer 2000 und im Sommer 2001 hatte sie jeweils für die Dauer von 14 Tagen zusammen mit behinderten und nicht behinderten Kindern an einer von der Arbeiterwohlfahrt veranstalteten Ferienfreizeit in ... teilgenommen.

Am 18. Februar 2002 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Kosten für die Ferienmaßnahme der AWO in ... für die Zeit vom 08. bis 21. Juli 2002 im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte. Durch Bescheid vom 08. April 2002 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass entsprechend den Richtlinien über Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen des Sozialministers des Landes Schleswig-Holstein eine Bezuschussung nur alle 2 Jahre möglich sei. Die Klägerin nahm dennoch an der Freizeitmaßnahme teil; die von ihr geforderten Kosten wurden von den Eltern verauslagt. Den Widerspruch vom 22. April 2002 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2002 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde erneut auf die Richtlinien und Rundschreiben über Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen für Jugendliche verwiesen. Im Übrigen wurde ausgeführt, dass der Klägerin die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch die wöchentliche Teilnahme einer Freizeitgruppe des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte ermöglicht werde. Auch werde sie, die Klägerin, ihren Fähigkeiten entsprechend geschult, so dass auch dadurch ihr Zusammensein mit Gleichaltrigen sichergestellt sei.

Die Klägerin hat am 14. August 2002 Klage erhoben und geltend gemacht, sie habe einen Anspruch auf Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere durch Maßnahmen, die geeignet seien, den behinderten Menschen die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder diese vorzubereiten und Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen und Einrichtungen, die der Geselligkeit der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienten. Außerhalb der Schulzeit sei sie im Hause ihrer Eltern nicht in der Lage, ihre Freizeit aus eigener Initiative zu gestalten. Sie habe keine Geschwister und sei vollständig auf die Hilfe der Eltern angewiesen. Ohne Hilfe könne sie weder das Haus verlassen noch an irgendwelchen Freizeitaktivitäten Gleichaltriger teilnehmen. Der Vater sei berufstätig und stehe so während des Tages für ihre Belange so gut wie nicht zur Verfügung. Ihre Mutter sei ihrerseits stark behindert. Diese könne sie, die Klägerin, zwar im Haushalt versorgen und betreuen, sei jedoch auf Grund der eigenen Behinderung nicht in der Lage, Freizeitaktivitäten außerhalb des Hauses für die Klägerin sicherzustellen. Daher besuche sie einmal in der Woche nachmittags eine Freizeitgruppe der AWO. Dort treffe sie mit anderen behinderten Kindern zusammen, jedoch nicht mit nichtbehinderten Kindern. Während der Ferien finde diese Freizeitgruppe nicht regelmäßig statt, so dass sie in dieser Zeit - insbesondere in den 6-wöchigen Sommerferien - keinerlei Möglichkeit der Freizeitgestaltung habe. Ohne die beantragte Maßnahme werde sie in den Sommerferien nur zu Hause bei den Eltern bleiben können, wo sie über 6 Wochen nicht mit anderen Kindern zusammentreffe. Bei der Ferienmaßnahme erfahre sie Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auch mit nichtbehinderten Kindern. Sie sei mit Hilfe der persönlichen Eins-zu-Eins-Betreuung in der Lage, an Aktivitäten der Kinder teilzuhaben und sei in die Gemeinschaft voll integriert. Die Ansicht des Beklagten, die Maßnahme auf Grund der Richtlinien über Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen abzulehnen, sei unzutreffend und weder sach- noch interessengerecht. Die Richtlinien seien im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Angemessenheit der Notwendigkeit der Maßnahme nicht maßgeblich. Der Richtlinie sei gerade nicht zu entnehmen, dass Freizeitmaßnahmen im Einzelfall nicht auch jährlich zu bewilligen seien. Zum einen sei die Richtlinie seit langem überholt, zum anderen handele es sich um eine interne Richtlinie der Sozialhilfeträger, die für eine gerichtliche Entscheidung nicht maßgeblich sei. Auf Grund der besonderen Gegebenheiten der speziellen Behinderung sei hier eine Einzelfallentscheidung zu treffen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für die integrative Freizeitmaßnahme der Arbeiterwohlfahrt in ... in der Zeit vom 08. bis 21. Juli 2002 zu tragen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat auf die Gründe der angefochtenen Bescheide verwiesen und darüber hinaus geltend gemacht, er sehe zwar, dass die Freizeitmaßnahme für die Klägerin wünschenswert sei, könne jedoch die Erforderlichkeit der jährlichen Teilnahme nicht erkennen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, inwiefern sie im Gegensatz zu anderen Behinderten im besonderen Maße auf eine jährliche Teilnahme einer Freizeitmaßnahme als Eingliederungshilfe angesehen sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. April 2004 als unbegründet abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Klägerin sei zwar eingliederungshilfeberechtigt i.S.d. §§ 39, 40 BSHG, habe aber keinen Anspruch auf Bewilligung der Übernahme der Betreuungskosten für die Freizeitmaßnahme in... für die Zeit vom 08. bis 21. Juli 2002 im Rahmen der Eingliederungshilfe. Diese Ferienmaßnahme stelle grundsätzlich eine unter § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG fallende Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX dar. Auf die Maßnahme im Jahre 2002 bestehe nur dann ein Anspruch, wenn sie zwingend geboten sei - eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Das sei nicht der Fall. Die Verweigerung der Kostenübernahme durch den Beklagten für das Jahr 2002 sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe nicht dargelegt und nicht begründet, aus welchen besonderen - in ihrer Person liegenden - Gründen der Beklagte zu einem Abweichen von der in den von ihm angewandten Richtlinien vorgezeigten Verwaltungspraxis, die Kosten einer solchen Maßnahme maximal alle 2 Jahre zu übernehmen, gezwungen sein sollte. Die bei den Akten befindlichen Stellungnahmen und die Beschreibung der Eltern der Klägerin über die positiven Reaktionen auf die Ferienmaßnahme zeigten deutlich, dass diese Ferienmaßnahme zweifelsfrei für die Klägerin wünschenswert und positiv sei; es sei jedoch nicht ersichtlich, dass diese für die Eingliederung der Klägerin unbedingt erforderlich sei; dies sei jedoch Voraussetzung für einen Anspruch auf ein Abweichen von den Richtlinien auf Bewilligung der Kostenübernahme bezüglich der jährlichen Teilnahme. Die Tatsache, dass die Klägerin Einzelkind sei und wenig Kontakt mit Nichtbehinderten habe, rechtfertige nicht ein Abweichen von den Richtlinien. Auch andere Behinderte lebten nicht zwangsläufig mit gesunden Geschwistern in einer Lebensgemeinschaft. Der Anspruch könne auch nicht darauf gestützt werden, dass der Beklagte die Kosten für die Ferienmaßnahme sowohl im Jahre 2000 als auch im Jahre 2001 übernommen habe.

Durch Beschluss vom 30. September 2004 hat der Senat auf Antrag der Klägerin die Berufung zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Frage der Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 BSHG im Ermessen des Beklagten liege und mithin eine Ermessensreduzierung auf Null erforderlich sei, um eine gerichtliche Änderung der Entscheidung des Beklagten vornehmen zu können, gehe fehl. Bei ihr, der Klägerin, lägen die Voraussetzungen des § 2 SGB IX vor. Damit seien die Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1, 40 BSHG keine Ermessensleistung. Vielmehr sei Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht bestehe, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Die Eingliederungshilfe nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG sei eine "Muss-Leistung" mit Rechtsanspruch des behinderten Menschen, wenn die Behinderung nicht nur vorübergehend und wesentlich sei, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls Aussicht bestehe, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Ausschließlich im Falle des § 39 Abs. 1 Satz 2 BSHG sei die Eingliederungshilfe als Kann-Leistung ausgestaltet.

Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehöre u.a. die Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft i.S.d. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG. Diese Hilfe umfasse vor allem auch Maßnahmen, die geeignet seien, den behinderten Menschen die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder diese entsprechend vorzubereiten i.S.d. § 19 a.F. EingliederungshilfeVO. § 19 EingliederungshilfeVO sei mit Wirkung zum 01. Juli 2001 aufgehoben und ausdrücklich in das SGB IX, § 58, aufgenommen worden, weil diese Hilfe ihrer besonderen Bedeutung wegen zu Recht bereits im Gesetz selbst geregelt worden sei. Dieser grundlegenden Auffassung des Gesetzgebers, die entsprechenden Leistungen mit Aufnahme in das Gesetz "aufzuwerten", sei nicht zuletzt Berücksichtigung zu schenken. Gemäß §§ 55, 58 Ziff. 1 und 2 SGB IX umfassten dann auch die Hilfen zur Teilnahme am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, vor allem Hilfen zur Förderung und Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen sowie Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienten. Auf diese Leistung habe sie, die Klägerin, einen Anspruch dem Grunde nach.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BSHG habe der Sozialhilfeträger über Form und Maß der Sozialhilfe zu entscheiden. Diese Entscheidung habe der Beklagte rechtlich fehlerhaft getroffen. Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts halte einer Überprüfung nicht Stand.

Es sei zwar nicht unzulässig, wenn der Beklagte bzw. das Land Schleswig-Holstein auftretende Bedarfslagen durch Richtlinien regelten. Derartige Richtlinien seien jedoch nur dann rechtmäßig, wenn sie Entscheidungen ermöglichten, die ausreichend Raum ließen für eine am individuellen Bedarf des hilfesuchenden behinderten Menschen orientierte Einzelfallentscheidung. Die vom Beklagten angewandte Richtlinie lasse zwar Ausnahmen grundsätzlich zu, mache dies jedoch von einer besonders eingehenden Begründung abhängig. Dies werde bereits der Bedarfslage nicht gerecht. Das Bundessozialhilfegesetz sehe keine zeitliche Beschränkung von Leistungen der Eingliederungshilfe - im Vorliegenden im Abstand von 2 Jahren - vor. Wenn die Richtlinie solcherlei zeitliche Einschränkungen beinhalte, möge dies zunächst nicht zu beanstanden sein. Jedoch könne die Richtlinie nicht darauf verweisen, dass die Begründung bei einer Ausnahme entsprechend eine besondere sein müsse. Selbstverständlich sei die Leistung der Eingliederungshilfe zu begründen; sofern die Richtlinie jedoch eine besondere Begründung für eine häufig wiederkehrende Leistung vorschreibe, stelle dies eine Einschränkung gegenüber den §§ 39, 40 BSHG sowie den Grundsätzen des BSHG dar. Dies sei so nicht zulässig. Es sei hier zu berücksichtigen, dass die 18 Jahre alte Richtlinie der besonderen Gewichtung, die der Gesetzgeber der Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben mit Einordnung der Leistungen in das SGB IX gegeben habe, in keiner Weise Rechnung trage und tragen könne.

Die Entscheidungen des Beklagen sowie des Verwaltungsgerichts berücksichtigten die individuelle Bedarfslage nicht angemessen. Entgegen der Auffassung des Gerichts lägen bei ihr, der Klägerin, besondere Umstände vor, die die beantragte Leistung der Eingliederungshilfe erforderlich machten. Die besondere Situation der Klägerin und ihrer Familie sei vom Vater der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals anschaulich und umfassend geschildert worden. Dies stelle das Verwaltungsgericht nicht in Abrede.

Sie, die Klägerin, sei Einzelkind und besuche die Schule für Geistigbehinderte. Sie habe mithin im Rahmen der Schule wie auch der Familie keinen Kontakt zu nichtbehinderten Kindern. Darüber hinaus sei ihre Mutter ebenfalls behindert und nicht in der Lage, die Freizeit der Klägerin in Form des Zusammentreffens mit anderen Kindern zu gestalten. Der Vater sei ganztägig berufstätig, so dass es auch ihm nicht möglich sei, einen Kontakt zu nichtbehinderten Kindern zu ermöglichen. Die Ferienzeit, um die es hier gehe, stelle für sie, die Klägerin, eine noch über die bereits dargestellte Situation hinausgehende Situation und Belastung dar. In der Zeit der Schulferien sei sie ausschließlich auf den Haushalt der Eltern beschränkt. Sie habe während dieser Zeit nicht einmal den Ausgleich des Schulbesuchs, bei dem sie auf ihre behinderten Mitschüler treffe. Diese Situation stelle für sie eine Isolation dar, die mit dem durch die Eingliederungshilfe verkörperten Rechtsanspruch auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht in Einklang zu bringen sei. Als 16jährige habe sie das nachvollziehbare und gerechtfertigte Bedürfnis, auch einmal ohne die Anwesenheit der Eltern etwas zu unternehmen und eine gewisse Eigenständigkeit zu entwickeln. Sie benötige diesen Freiraum nicht zuletzt, um einen Abnabelungsprozess von den Eltern einzuleiten, der in diesem Alter ganz selbstverständlich sein solle und nicht allein auf Grund der Behinderung verkannt werden dürfe. Insgesamt stelle sich ihre Situation und damit ihre eingliederungshilfeberechtigte Bedarfslage als eine besondere dar, der es im Rahmen der Entscheidung über die Kostenbewilligung für die Ferienfahrt Rechnung zu tragen gelte. Dabei gehe es nicht um die Kosten der Ferienmaßnahme an sich, die von den Eltern getragen worden seien. Gegenstand des Verfahrens seien ausschließlich die Kosten der erforderlichen Eins-zu-Eins-Betreuung, die sie, die Klägerin, auf Grund ihrer Behinderung benötige.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 10. Kammer - vom 28. April 2004 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 08. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2002 zu verpflichten, die Übernahme der Kosten der zusätzlichen Betreuung in der integrativen Freizeitmaßnahme der Klägerin bei der Arbeiterwohlfahrt in ... in der Zeit vom 08. bis zum 21. Juli 2002 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Eingliederungshilfe eine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen sei. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG sei die Eingliederungshilfe als Pflichtleistung zu gewähren, wenn und solange nach den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Hilfesuchenden die Aussicht bestehe, dass die in Absatz 3 näher beschriebene Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Entfalle diese Aussicht oder lasse die Art und Schwere der Behinderung nicht erwarten, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne, sei Eingliederungshilfe gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 BSHG nach pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens als Kann-Leistung zu gewähren. Damit werde mit Rücksicht auf diesen umfassenden Aufgabenkatalog und den weit gezogenen Kreis der Hilfeberechtigten klargestellt, dass sich die Eingliederungshilfe auf "aussichtsreiche" Fälle beschränke. Auf diese Weise solle eine Abgrenzung zu den reinen ("hoffnungslosen") Pflegefällen vorgenommen werden, bei denen eine Eingliederung im Sinne einer Aufgabenstellung des § 39 Abs. 3 BSHG nicht mehr in Betracht komme, sondern nur noch Hilfe zur Pflege nach §§ 68, 69 BSHG.

Eine abweichende Behandlung von den Richtlinien für Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen wegen einer besonderen Situation der Klägerin auf Grund weitgehender Isolation sei hier nicht erforderlich gewesen. Der Klägerin werde die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch die wöchentliche Teilnahme an der Freizeitgruppe des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte ermöglicht. Die Personalkosten für diese Freizeitgruppe würden aus Sozialhilfemitteln getragen, so dass bereits Leistungen für die Klägerin für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht würden. Des weiteren werde die Klägerin ihren Fähigkeiten entsprechend beschult, so dass auch dadurch ihr Zusammensein mit Gleichaltrigen sichergestellt sei. Durch diese Maßnahmen werde Isolation abgebaut bzw. vermieden.

Auch die Neufassung des § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG begründe keine abweichende Behandlung von den Richtlinien für Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen. Durch diese Neufassung sei keine Änderung von § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG erfolgt, sondern lediglich eine Präzisierung. § 55 SGB IX, auf den § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG n.F. verweise, regele i.V.m. § 58 SGB IX die Tatbestandsvoraussetzungen für Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Der bisher verwendete unbestimmte Rechtsbegriff der "Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft" in § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG a.F. werde jetzt durch die Verweisung auf §§ 55, 58 SGB IX präzisiert. Diese Präzisierung entspreche der bisherigen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft" in den Richtlinien für Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen.

Hinsichtlich des Leistungsumfangs würden weiterhin keine Vorgaben gemacht, jedoch enthalte § 59 SGB IX eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung, u.a. den Umfang der Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu regeln. Daraus gehe hervor, dass Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 58 Nr. 1 und 2 SGB IX nicht unbeschränkt gewährt werden sollten. Diese Beschränkung des Leistungsumfangs entspreche auch dem Grundsatz des § 3 BSHG, wonach die Angemessenheit der Kosten zu beachten sei. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bisher eine entsprechende Verordnung von der Bundesregierung nicht erlassen worden sei, sei deshalb auf die bestehenden Regelungen und Richtlinien zurückzugreifen, die den Leistungsumfang konkretisierten, also die in Rede stehenden Richtlinien für Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen. Diese Richtlinien seien im Rahmen der erforderlichen Gleichbehandlung als maßgeblich heranzuziehen, solange nicht gemäß § 59 SGB IX eine Verordnung der Bundesregierung erlassen werde, die anderweitige Aussagen zum Leistungsumfang enthalte.

Im Falle der Klägerin sei die Erforderlichkeit der jährlichen Teilnahme einer Ferienmaßnahme auch nach dem wiederholten Vorbringen nicht erkennbar. Die Klägerin habe auch jetzt nicht dargelegt, inwiefern sie im Gegensatz zu anderen Behinderten im besonderen Maße auf eine jährliche Teilnahme einer Freizeitmaßnahme als Eingliederungsmaßnahme angewiesen sei.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten haben vorgelegten; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf die beantragte Leistung. Daher ist das angefochtene Urteil zu ändern und die beantragte Verpflichtung auszusprechen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, bieten die Regelungen über die Eingliederungshilfe in §§ 39, 40 BSHG die Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Betreuungskosten für die Freizeitmaßnahme in B-Stadt/... für die Zeit vom 08. bis 21. Juli 2002. Diese Bestimmungen sind auf Ansprüche, die bis Ende 2004 entstanden waren, auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (BGBl. I 2003, 3022) anzuwenden, denn maßgeblich für die Entscheidung des Gerichts sind die Rechtsvorschriften, die sich im Zeitpunkt der Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen (BVerwGE 97, 79, 81 f.). Die Klägerin gehört zu dem von § 39 BSHG erfassten Personenkreis. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG in der ab dem 01. Juli 2001 geltenden Fassung ist Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei der Klägerin ist schon als Kleinkind eine Tetraspastik mit Entwicklungsretardierung diagnostiziert worden. Sie sitzt in einem Rollstuhl und ist rund um die Uhr auf intensive Pflege angewiesen. Sie ist nicht in der Lage zu sprechen oder ihren Bewegungsapparat gezielt einzusetzen.

Die Klägerin wurde zunächst von der Schulpflicht befreit und erhielt im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Eingliederungshilfen. So übernahm der Beklagte für die Klägerin und eine Begleitperson die Kosten für die Unterbringung und Betreuung während eines therapeutischen Lehrgangs durch den Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Schleswig-Holstein e.V. in der Zeit vom 02. bis zum 14. Juli 2000. Ab Juni 2000 übernahm der Beklagte die Kosten für die Teilnahme der Klägerin an der Integrativen Freizeitgruppe des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte. Die Kosten für zusätzliche Betreuungskräfte im Rahmen der Teilnahme der Klägerin an einer Ferienmaßnahme der AWO in ... übernahm der Beklagte für die Zeit vom 24. Juli bis 06. August 2000 sowie für die Zeit vom 23. Juli bis 05. August 2001. Wie schon das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, handelt es sich bei diesen Freizeitmaßnahmen um Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft i.S.v. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG sowie § 55 SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 Abs. 1 SGB IX u. a. Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern. Nach Absatz 2 Nr. 7 dieser Vorschrift geht es auch um Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Gemäß § 58 Nr. 1 und Nr. 2 SGB IX gehören dazu u.a. Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen sowie Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen. Diese Regelungen konkretisieren das Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. Dalichau in: Wiegand, SGB IX, § 55 Rdnr. 11).

Auf Maßnahmen dieser Art hat die Klägerin dem Grunde nach gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG einen Rechtsanspruch. Entgegen der Auffassung des Beklagten steht die Schwere der Behinderung der Klägerin nicht der Erwartung entgegen, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könnte. Das kann zwar bei anderen Leistungen i.S.v. § 40 Abs. 1 BSHG der Fall sein, etwa bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Hilfen zur Ausbildung für eine angemessene Tätigkeit (vgl. Senatsurteil v. 29.09.2004 - 2 LB 34/04 -). Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft können aber auch dann beansprucht werden, wenn nicht mit einer dauerhaften Entwicklung im Sinne einer Behebung der Behinderung zu rechnen ist, sondern es genügt, wenn mit der Maßnahme eine Milderung der Beeinträchtigung erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschluss v. 11.04.2003 - 2 MB 47/03 -, FEVS 55, 184; Götz in: Kossens/von der Heide/Maaß, Praxiskommentar zum Behindertenrecht - SGB IX -, 2002, § 55 Rdnr. 2). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. In den Berichten über die in den Jahren 2000 und 2001 durchgeführten Maßnahmen heißt es, dass die Klägerin lebhaften Gebrauch von den ihr gebotenen Situationen gemacht und sie freudig an den mannigfaltigen Aktivitäten und Projekten teilgenommen habe. Sie habe die vielen neuen Anregungen und Kontakte, die sich unabhängig von ihrer Behinderung gestalteten, genossen. Diese Ausführungen zeigen, dass die Ferienmaßnahme die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllen kann. Schon unter Anwendung der bis Ende Juni 2001 geltenden Regelung des § 19 EingliederungshilfeVO war anerkannt, dass Eingliederungshilfe in Form der Ermöglichung oder der Erleichterung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft eine Förderung von Kontakten auch und gerade zu nichtbehinderten Mitmenschen bedeutete, und zwar nicht nur zu nahestehenden Personen wie Familienangehörigen, sondern darüber hinaus zu allen Personen, die auf Grund gemeinsamer Interessen und Bedürfnisse dem Behinderten helfen können, das Gefühl für menschliche Isolierung zu überwinden (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 31.01.2002 - 4 LB 286/02 -, NDV-RD 2003, 33 m.w.N.). Die Regelung des § 58 Nr. 1 SGB IX geht auf § 19 Nr. 1 EingliederungshilfeVO zurück, ist jedoch mit dem allgemeinen Ziel der "Förderung" der Begegnung eher weiter gefasst als diese mit den isolierten Aufgaben der Ermöglichung, der Erleichterung oder der Vorbereitung der Begegnung und des Umgangs (Schütze in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 58 Rdnr. 3). Damit wird dem Gedanken Rechnung getragen, dass eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft für behinderte Menschen insbesondere im täglichen Umgang mit nichtbehinderten Menschen besteht. Wo solche Kontakte nicht bestehen, wird die Hilfe darauf auszurichten sein, sie herzustellen (Götz, a.a.O., § 58 Rdnr. 3 m.w.N.).

Ein Anspruch auf eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft besteht dann, wenn gemessen an den in § 55 SGB IX festgelegten Zielen und Aufgaben eine Bedarfssituation vorliegt, zu deren Deckung oder Ausgleich die Leistung sich eignet (Schütze, a.a.O., § 55 Rdnr. 8). Die Bedarfssituation ergibt sich aus den Lebensumständen der Klägerin. In den Ferienzeiten hat sie keinen Zugang zu Gleichaltrigen, sondern lebt in der Wohnung ihrer Eltern, tagsüber zusammen mit der ebenfalls körperlich behinderten Mutter. Den Eltern ist es an Werktagen nicht möglich, Kontakte mit anderen Jugendlichen zu vermitteln. Dass die Freizeitmaßnahme den Zielen des § 55 SGB IX dient, zeigen die Erfahrungsberichte aus den Jahren 2000 und 2001. Das wird auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Fraglich bleibt, ob die Klägerin auch für das Jahr 2002 einen Anspruch auf Übernahme der Kosten dieser Maßnahme hat. Gemäß § 4 Abs. 2 BSHG hat der Sozialhilfeträger über Form und Maß der Sozialhilfe grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Das gilt auch für die Eingliederungshilfe i.S.v. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 55 SGB IX (vgl. Senatsurteil v. 16.01.2002 - 2 L 25/01 -, SchlHA 2002, 242). Speziell zu Art und Umfang der zu gewährenden Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ergeben sich Vorgaben weder aus dem BSHG noch aus dem SGB IX. § 58 SGB IX regelt den Anspruch im Einzelfall, ohne den Umfang festzulegen (Dalichau, a.a.O., § 58 Rdnr. 8). Insbesondere gibt es weder Höchstgrenzen für diese Hilfeart noch eine Beschränkung etwa auf einen "vertretbaren Umfang" wie in § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG für die im Regelsatz für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens enthaltenen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RSVO) Leistungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Beziehungen zur Umwelt und zur Teilnahme am kulturellen Leben. Einen Anhaltspunkt bietet nur das in § 3 Abs. 1 Satz 1 BSHG enthaltene Individualisierungsgebot, wonach Art, Form und Maß der Sozialhilfe sich nach der Besonderheit des Einzelfalles richten, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Der Hilfebedarf des Hilfesuchenden ist grundsätzlich konkret zu ermitteln und die zu gewährende Hilfe danach zu bemessen (Senatsurteil v. 16.01.2002, a.a.O.; Dalichau, a.a.O., § 58 Rdnr. 9, jew. m.w.N.). Daraus folgt, dass der Sozialhilfeträger sein pflichtgemäßes Ermessen (nur) hinsichtlich der Frage auszuüben hat, welche (in welchem Umfang) Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 55 SGB IX nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, also nach dem individuellen Hilfebedarf des Hilfeempfängers, und unter Berücksichtigung seiner angemessenen Wünsche gewährt werden (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).

Eine Ermessensentscheidung dieser Art hat der Beklagte getroffen und in den angefochtenen Bescheiden auch begründet. Der Ermessensausübung hat er das Rundschreiben des Sozialministers des Landes Schleswig-Holstein vom 22. Januar 1976 mit den Richtlinien über Kuren, Erholungs- und Freizeitmaßnahmen zugrunde gelegt. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Es ist zulässig, dass Träger der Sozialhilfe häufig auftretende Bedarfslagen durch Richtlinien regeln. Derartige Richtlinien können im Interesse nicht nur des Hilfeträgers, sondern auch des einzelnen Hilfesuchenden liegen, da sie geeignet sind, für gleichgelagerte Fälle eine gleichartige Ermessensübung zu gewährleisten. Insoweit sind bestehende Richtlinien für den Sozialhilfeträger - anders als für die Gerichte - bindend. Die Anwendung solcher Richtlinien kann aber nur zu rechtmäßigen Entscheidungen im Einzelfall führen, wenn deren (notwendig) generalisierende Maßgaben Raum lassen für eine an dem individuellen Bedarf des Hilfesuchenden orientierte Betrachtung (OVG Lüneburg, a.a.O., m.w.N.).

Diesen Anforderungen werden die Richtlinien in Verbindung mit dem Erlass des Sozialministers vom 30. Juli 1984, auf den der Beklagte seine Entscheidung ebenfalls gestützt hat, gerecht. Nach Nr. 3.1.3 der genannten Richtlinien sollen Freizeitmaßnahmen in der Regel frühestens nach 2 Jahren wiederholt werden. Ausnahmen bedürfen einer besonders eingehenden Begründung. Auf die besondere Begründung wird lediglich dann verzichtet, wenn die Freizeitmaßnahme lediglich mit einem Betrag von 15,-- DM = 7,76 Euro/pro Tag bezuschusst wird. Gegen die Grundentscheidung, die Kosten von Freizeitmaßnahmen nicht jährlich zu übernehmen, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Zwar führt die Klägerin zu Recht an, dass das Bundessozialhilfegesetz keine zeitliche Beschränkung von Leistungen der Eingliederungshilfe vorsehe, doch folgt daraus nicht, dass Leistungen dieser Art ohne jede Einschränkung zu gewähren wären. Anhaltspunkte für den angemessenen Umfang der Förderung einer Begegnung und den Umgang von Hilfeberechtigten mit nichtbehinderten Personen ergeben sich aus dem üblichen Verhalten Nichtbehinderter (Senatsurteil v. 16.01.2002, a.a.O., m.w.N.). Dabei kann in generalisierender Weise die Annahme einfließen, dass Kontakte im familiären Umfeld bestehen oder jedenfalls ermöglicht werden können. Es ist daher nicht unangemessen, die in Rede stehende Hilfe in einem Zweijahresrhythmus zu gewähren. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch nicht zu beanstanden, dass die Richtlinie eine häufigere Bewilligung von einer besonderen Begründung abhängig macht. Damit wird dem Individualisierungsgrundsatz Rechnung getragen.

Die Klägerin hat hinreichend dargelegt und durch die Angaben ihres Vaters in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestützt, aus welchen besonderen in ihrer Person liegenden Gründen der Beklagte zu einem Abweichen von der in den Richtlinien vorgezeichneten Verwaltungspraxis gehalten ist. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin die Sommerferien als besondere Belastung erlebt, weil sie diese Tage zu Hause mit ihrer ebenfalls behinderten Mutter verbringt und keine Gelegenheit erhält, mit Gleichaltrigen zu verkehren. Auf diese Umstände hatten die Eltern der Klägerin auch schon in ihrer Widerspruchsbegründung hingewiesen. Da der Beklagte diesen Vortrag nicht gewürdigt und allein auf die Richtlinien verwiesen hat, ist die Ermessensentscheidung schon deswegen fehlerhaft. Der Beklagte hätte vielmehr zu prüfen gehabt, ob diese Gründe eine Ausnahme von dem Regelfall gebieten. Das ist auf Grund der benannten besonderen Lebenslage der Fall. Entgegen der vom Beklagten vorgetragenen Auffassung erlangt die Klägerin dadurch keine Besserstellung im Vergleich zu Behinderten in stationären Einrichtungen. Während dort in der Regel durchgehend Kontakte zu vielen behinderten und nichtbehinderten Menschen bestehen, erlebt die Klägerin ihre Situation - wie vom Vater nachvollziehbar geschildert - insbesondere in den Schulferien als Isolation. Durch fehlende Abwechselung treten Spannungen auf, die die Klägerin zusätzlich belasten. Die fehlende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft könnte zwar auch auf andere Weise als durch Ferienfreizeit ermöglicht werden, etwa durch ambulante Hilfen, doch kann die fehlende Ermessensentscheidung zugunsten der Klägerin nicht nachgeholt werden. Vielmehr ist nur noch die Frage zu beantworten, ob die tatsächlich durchgeführte Maßnahme der Eingliederungshilfe geeignet und angemessen ist. Das ist hier zu bejahen.

Dem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass es um die Übernahme der Kosten einer bereits durchgeführten Maßnahme geht, die vorläufig von den Eltern der Klägerin getragen wurden. Nach ihrem Zweck als Hilfe in gegenwärtiger Not ist Sozialhilfe nach Wegfall der Notlage grundsätzlich ausgeschlossen. Das Einsetzen der Sozialhilfe hängt davon ab, dass in dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt noch ein Bedarf angenommen werden kann. Abweichungen sind nach ständiger Rechtsprechung in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Deckt ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen nach Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe vom Vorliegen eines Hilfefalls, wirkt dies anspruchsvernichtend, wenn der Dritte endgültig leistet (BVerwG, Urt. v. 31.08.1995 - 5 C 9.94 -, E 99, 149, 156). Sollten die Kosten nur vorgeschossen und nicht mit befreiender Wirkung geleistet werden, darf die Deckung eines Bedarfs dem Hilfesuchenden dann nicht entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfe nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (BVerwG, Urt. v. 02.09.1993 - 5 C 50.91 -, E 94, 127 = FEVS 44, 322).

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist bei Behinderten unter 21 Jahren den in § 28 genannten Personen, d.h. auch den Eltern, die Aufbringung der Mittel in bestimmten Fällen nur bezüglich der Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Das gilt gemäß Nr. 3 dieser Vorschrift auch für Hilfe, die dem behinderten noch nicht eingeschulten Menschen die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll. Die Voraussetzungen dieser Regelung waren bei der Klägerin im Jahre 2002 nicht unmittelbar gegeben, weil die Klägerin eine Schule besuchte. Nach § 43 Abs. 2 Satz 5 2. HS können jedoch die Sätze 1 bis 4 in anderen Fällen Anwendung finden, wenn dies aus besonderen Gründen des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Die Anwendung kommt also nur ausnahmsweise in Betracht. Die Bestimmung lässt es zu, Härten Rechnung zu tragen (Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., § 43 Rdnr. 38). Eine Härte in diesem Sinne ist hier aufgrund der Lebensverhältnisse der Klägerin anzunehmen. Dementsprechend hat auch der Beklagte in Ausübung seines Ermessens die Regelung im Bescheid vom 18. Juli 2000 ausdrücklich angewandt und ist im Jahre 2001 in gleicher Weise verfahren, ohne auf die Einkommensverhältnisse einzugehen. Angesichts dessen braucht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weder unter dem Gesichtspunkt des Nachrangs der Sozialhilfe geklärt zu werden, ob die Eltern nach dem Unterhaltsrecht des BGB zur Tragung der entsprechenden Kosten zivilrechtlich verpflichtet sind, noch unter dem Gesichtspunkt der Bedarfsdeckung geprüft zu werden, ob sie die Kosten tatsächlich getragen haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.09.1993, a.a.O.), wenn sie - wie die Eltern der Klägerin - trotz Ablehnung der Kostenübernahme die Förderungsmaßnahme haben durchführen lassen und gleichzeitig im Namen des Kindes den Antrag auf Kostenübernahme auch auf dem Klagewege weiter verfolgt haben. Unter diesen Umständen kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Beweisaufnahme davon ausgegangen werden, dass die Eltern die Kosten nur vorschießen und nicht mit einer den Sozialhilfeträger befreienden Wirkung leisten wollten (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.09.1993, a.a.O.). Im Übrigen hat der Vater der Klägerin diese Annahme in der Berufungsverhandlung bestätigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 a.F. VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO nicht ersichtlich sind.

Ende der Entscheidung

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