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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 2 MB 165/04
Rechtsgebiete: BaföG


Vorschriften:

BaföG § 24 Abs 1
BaföG § 25 Abs 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 2 MB 165/04

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Ausbildungs- und Studienförderungsrecht - Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 25. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht - Einzelrichterin der 15. Kammer - vom 01. November 2004 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab Januar 2005 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache - längstens bis einschließlich August 2005 - Ausbildungsförderung in Höhe von 437,-- Euro/mtl. zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller 11% und der Antragsgegner 89%. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... aus ... beigeordnet, soweit es um die Anrechnung eines Betrages von 342,-- Euro auf das zu berücksichtigende Einkommen geht. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist überwiegend begründet.

Mit Beschluss vom 01. November 2004 hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache höhere Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) unter Berücksichtigung weiterer Freibeträge zu gewähren. Der Bewilligungsbescheid des Antragsgegners vom 27. August 2004 sei nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner habe den Bedarf des Antragstellers mit 569,-- Euro/ mtl. zutreffend ermittelt. Das Begehren des Antragstellers, einen Freibetrag für Unterhaltsleistungen seines Vaters an die Kindesmutter anzuerkennen, könne keinen Erfolg haben, weil die Kindesmutter eigenes Einkommen habe, das die maßgebliche Grenze überschreite. Die Zahlungen des Vaters des Antragstellers an den Insolvenzverwalter könnten nicht berücksichtigt werden, weil das Gesetz Beträge zur Schuldentilgung nicht als abzugsfähig ansehe.

Mit seiner Beschwerde wendet der Antragsteller sich nicht gegen die Bedarfsermittlung, sondern macht weiterhin geltend, dass vom Einkommen seines Vaters zusätzliche Freibeträge abzusetzen seien und ihm ab September 2004 Ausbildungsförderung in Höhe von 491,-- Euro zustünde. Unter Berücksichtigung der dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, hat das Begehren überwiegend Erfolg.

Soweit der Antragsteller meint, dass für die jetzige Ehefrau seines Vaters gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG ein zusätzlicher Freibetrag in Höhe von 480,-- Euro anzusetzen sei, hält der Antragsgegner dem zutreffend entgegen, dass der jetzige Ehegatte des Vaters über den Freibetrag ausschließendes Einkommen verfügt(e). Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BAföG mindern die Freibeträge nach Satz 1 sich um das Einkommen des Ehegatten. Ebenso wie beim Vater des Antragstellers bezüglich dessen Einkommens ist auch für die Freibetragsermittlung gemäß § 24 Abs. 1 BAföG grundsätzlich auf die Verhältnisse des Jahres 2002 abzustellen. Aus dem Vortrag, dass der Vater des Antragstellers seit September 2001 erneut verheiratet ist und seine jetzige Ehefrau im Jahre 2004 zunächst Arbeitslosengeld und seit dem 01. September 2004 Krankengeld von kalendertäglich 32,68 Euro erhält, ist zu schließen, dass diese auch im Jahre 2002 Einkommen erzielte, dass den Freibetrag ausschließt. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn gemäß § 24 Abs. 3 BAföG auf die aktuellen Einkommensverhältnisse abzustellen wäre.

Der Antragsteller hat auch keinen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 435,-- Euro für seine Mutter, die geschiedene Ehefrau seines Vaters. Diese ist zwar unterhaltsberechtigt, so dass an sich ein Freibetrag in dieser Höhe gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG in Betracht käme, doch ist auch hier Satz 2 dieser Vorschrift anzuwenden. Das Einkommen der Mutter des Antragstellers übersteigt den Freibetrag. Dabei sind die Unterhaltszahlungen des Vaters noch nicht einmal berücksichtigt. Deswegen führt der Umstand, dass der Vater des Antragstellers seiner früheren Ehefrau Unterhalt in Höhe von 300,-- Euro/mtl. zahlt, der Antragsteller aber - wie er vorträgt - keinen Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter durchsetzen kann, nicht zu einer unbilligen Härte im Sinne von § 25 Abs. 6 BAföG. Eine unbillige Härte liegt schon deswegen nicht vor, weil die Unterhaltszahlungen des Vaters an die Mutter gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 4 BAföG i.V.m. § 2 Nr. 6 EinkommensV kein Einkommen der Mutter darstellen und somit nicht nach § 11 Abs. 4 BAföG auf den Bedarf des Antragstellers angerechnet werden.

Der Antragsteller meint ferner, es sei zu berücksichtigen, dass sein Vater für die bei der Mutter lebende Schwester des Antragstellers Unterhalt in Höhe von 199,-- Euro/mtl. zahle, ohne dass ausgeführt wird, welche Konsequenzen daraus herzuleiten wären. Diesen Unterhaltsleistungen wird im Bewilligungsbescheid dadurch Rechnung getragen, dass beiden Elternteilen je zur Hälfte der Freibetrag gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zugerechnet wird. Das steht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.1983 - 5 C 113.81 -, E 67, 280). Die Frage, ob eine andere als die gleichmäßige Aufteilung vorzunehmen ist, wenn das Einkommen des einen Elternteils so gering ist, dass es bereits durch den für ihn nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG anzusetzenden, um die Pauschbetragshälften des § 25 Abs. 3 Satz 1 BAföG erhöhten Freibetrag aufgezehrt wird, bei dem anderen Elternteil aber nach der Anwendung des § 25 Abs. 1 und 3 BAföG noch Einkommen vorhanden ist, stellt sich hier nicht, denn diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

Die Beschwerde des Antragsteller hat hingegen Erfolg, soweit es um die Berücksichtigung der vom Vater des Antragstellers in dessen Insolvenzverfahren vorgenommene Schuldentilgung bei der Ermittlung des maßgeblichen Einkommens geht. Insoweit sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG kann zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

§ 25 Abs. 6 BAföG setzt als Tatbestand voraus, dass eine allein die Freibeträge nach § 25 Abs. 1, 3 und 4 BAföG berücksichtigende Einkommensanrechnung zu einer unbilligen Härte führen würde (BVerwG, Urt. v. 17.07.1998 - 5 C 14.97 - Buchholz 436.36 § 25 BAföG Nr. 13). Der Zweck der Vorschrift besteht darin, eine unbillige Härte für den Einkommensbezieher zu vermeiden, die ihm um der Ausbildung des Kindes willen nicht zugemutet werden soll (Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 25 TZ 40). Das Vorliegen einer unbilligen Härte ist grundsätzlich nach dem Grad der Gefährdung der Ausbildung zu beurteilen; ist trotz einer außergewöhnlichen Belastung der Eltern zu erwarten, dass sie den angerechneten Einkommensbetrag dem Auszubildenden in zumutbarer Weise zur Verfügung stellen können und werden, so ist eine Härtesituation im Sinne dieser Vorschrift nicht gegeben (Rothe/Blanke, a.a.O., TZ 42.1). Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die Fortsetzung seiner Ausbildung ohne Anrechnung des von seinem Vater im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgetretenen Betrages auf das zu berücksichtigende Einkommen ernsthaft gefährdet ist. Über das Vermögen des Vaters ist am 17. September 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. In Verbindung mit dem Antrag des Vaters auf Restschuldbefreiung gemäß § 287 InsO hatte der Vater bereits am 15. Mai 2002 für den Fall der gerichtlichen Ankündigung der Restschuldbefreiung seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abgetreten. Durch Beschluss vom 05. April 2004 hat das Amtsgericht Pinneberg - Insolvenzgericht - die Restschuldbefreiung für den Schuldner gemäß § 291 InsO angekündigt. Jedenfalls seit Februar 2003 ist ein pfändbarer Anteil der Rente des Vaters in Höhe von durchweg 242,-- Euro/mtl. auf dem Konto des Treuhänders eingegangen. Dieser Teil des Einkommens ist der Verfügungsgewalt des Vaters entzogen, bei Nichtleistung droht die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 296 Abs. 1 InsO. Es kann dahinstehen, ob diese Zahlungen an den Treuhänder zwangsläufige Aufwendungen im Sinne von § 33 EStG darstellen (vgl. dazu FG B-Stadt, Urt. v. 20.11.2003 - III 333/02 -, Juris m.w.N.). Zwar nennt § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG beispielhaft außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33 b EStG als Begründung einer unbilligen Härte, gleichwohl ist die Prüfung, ob die Freistellung des Betrages zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich ist, in jedem Fall unabhängig von der und ohne Rücksicht auf die steuerliche Wertung vorzunehmen (Rothe/Blanke, a.a.O., TZ 43). Danach liegen hier die Voraussetzungen des § 25 Abs. 6 BAföG vor, weil der Vater des Antragstellers in der Verwendung des erzielten Einkommens rechtlich so beschränkt ist, dass er es nicht für Lebensunterhalt und Ausbildung einsetzen kann. Die Aufwendungen beruhen zwar auf einer Entscheidung des Vaters, die jedoch in ihrer Wirkung und Bedeutung über die Eingehung einer vertraglichen Verbindlichkeit hinausgeht und wegen der angestrebten Restschuldbefreiung der Schaffung einer neuen Existenzgrundlage des Schuldners dient (vgl. BFH, Urt. v. 09.05.1995 - III R 244/94 -, BFHE 181, 12 = NJW 1997, 542 zu § 33 Abs. 2 EStG). Diese Aufwendungen schmälerten das verfügbare Einkommen des Vaters des Antragstellers nicht nur in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Berechnungszeitraum, sondern ebenso in dem Bewilligungszeitraum, auf den bei Anwendung von § 25 Abs. 6 BAföG abzustellen ist (vgl. Rothe/Blanke, a.a.O., TZ 43.3 und 45).

Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 6 BAföG ist eine Ermessensentscheidung zu treffen. Da es Sinn und Zweck des § 25 Abs. 6 BAföG ist, unbillige Härten zu vermeiden, prägt der Begriff der unbilligen Härte den Zweck der Ermessensermächtigung entscheidend und bestimmt maßgeblich das Steuerungsprogramm für das Ermessen sowie die hierfür beachtlichen Kriterien. Neben diesem Zweck, unbillige Härten zu vermeiden, sind andere für die Einräumung eines Freibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG bedeutsame Ermessensgesichtspunkte nicht ersichtlich. So lassen sich keine Gründe finden, die es rechtfertigen könnten, gegen den Ermächtigungszweck einen weiteren Teil des Einkommens trotz sonst eintretender unbilliger Härte nicht anrechnungsfrei zu lassen. Einerseits gibt § 25 Abs. 6 BAföG nur dann, wenn und soweit eine Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde, die Ermessensdirektive vor, einen weiteren Teil des Einkommens anrechnungsfrei zu lassen; andererseits soll aber auch immer dann, wenn und soweit eine Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde, ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei gelassen werden (BVerwG, Urt. v. 17.07.1998, a.a.O.). Daher ist es gerechtfertigt, trotz der Anwendung einer Ermessensvorschrift die beantragte Verpflichtung - wenn auch vorläufig - im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusprechen. Dadurch wird nicht das von dem Antragsgegner auszuübende Ermessen ersetzt. Im einstweiligen Anordnungsverfahren ist für den Regelungsinhalt § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO maßgebend. Es hängt von der Art des Antragsbegehrens und den Umständen des Einzelfalles ab, welche Anordnung das Gericht zu treffen hat. Weil die einstweilige Anordnung nicht über den Hauptsacheanspruch selbst entscheidet, sondern nur über den Zwischenraum bis zu dessen Entscheidung, ist das Gericht im Eilverfahren nicht an das in der Hauptsache anzuwendende materielle Recht gebunden und kann auch Anordnungen treffen, die nach dem auf den Hauptsacheanspruch anzuwendende materiellen Recht nicht möglich sind (vgl. BayVGH, Beschl. v. 06.08.2003 - 12 CE 03.840 -, Juris; Puttler in Sodan/Zickow, VwGO, § 123 Rn. 108, 110; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 160; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 123 Rn. 28; Bader/Funke/Kaiser-Kunze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 123 Rn. 59). Da die Einschränkung der Ausbildungsförderung das Grundrecht des Antragstellers auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) berührt, weil dadurch die Fortsetzung der Ausbildung gefährdet ist, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG den Erlass der begehrten Regelungsanordnung; zugleich ergibt sich daraus der zusätzlich erforderliche Anordnungsgrund.

Da es allein um die Sicherung der Fortsetzung der Ausbildung des Antragstellers geht, kommt eine rückwirkende Verpflichtung des Antragsgegners in diesem Verfahren nicht in Betracht; vielmehr ist lediglich eine vorläufige Regelung für die Zukunft zu treffen. Der gestellte Antrag ist bei Anrechnung eines weiteren Betrages von 342,-- Euro auch im Übrigen nur teilweise begründet. Der vom Antragsgegner ermittelt Einkommensüberhang von 608,99 Euro vermindert sich auf 266,99 Euro. Dieses die Freibeträge übersteigende Einkommen bleibt gemäß § 25 Abs. 4 Nr. 1 und 2 BAföG zu 55% (146,84 Euro) anrechnungsfrei, so dass ein anzurechnendes Einkommen des Vaters in Höhe von 120,15 Euro verbleibt. Unter Berücksichtigung des anzurechnenden Einkommens der Mutter des Antragstellers in Höhe von 12,09 Euro folgt daraus, dass auf den Gesamtbedarf von 569,-- Euro ein Förderungsbetrag von 437,-- Euro zu gewähren ist.

Aus den Gründen zur Entscheidung in der Sache bestehen hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO lediglich teilweise, so dass dem Antragsteller zugleich insoweit Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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