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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.04.2006
Aktenzeichen: 2 MB 5/06
Rechtsgebiete: GG, KiTaG SH, SGB VIII, SGB XII


Vorschriften:

GG Art. 6
KiTaG SH § 25 Abs. 2
SGB VIII § 90 Abs. 4
SGB VIII § 90 Abs. 4
SGB XII § 82 Abs. 2 Nr. 4
1. Kindergartenbeiträge sind nicht als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben i.S.v. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII anzusehen und daher bei der Bemessung des Anspruchs der Personensorgeberechtigten auf Ermäßigung des von ihnen zu leistenden Beitrags nicht vom Einkommen abzusetzen.

2. Berufsbedingte Fahrtkosten sind mit der Pauschale gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 lit. a) DVO zu § 82 SGB XII abgegolten.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 2 MB 5/06

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Kindergartenrecht - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 20. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 15. Kammer - vom 08. Februar 2006 geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin für ihre Kinder ... und ... vom 01. Februar 2006 bis 30. April 2006 eine Ermäßigung des Regelbeitrages für den Besuch der Kindertageseinrichtung in Höhe von 70 % zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die weitergehende Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Antragsgegner zu 70 %, die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu einem Viertel. Die übrigen Kosten trägt die Antragstellerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er sich gegen die vom Verwaltungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ausgesprochene vorläufige Verpflichtung, der Antragstellerin ab dem 01. Februar 2006 bis zum 30. April 2006 eine vollständige Übernahme der Kindertagesstättenbeiträge für ihre Kinder ... und ... zu bewilligen (Sozialstaffelermäßigung), wendet, soweit die Ermäßigung 60 % übersteigt, ist überwiegend begründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nur im tenorierten Umfang glaubhaft gemacht. Daher ist der angefochtene Beschluss zu ändern und der Entscheidungsausspruch neu zu fassen.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, beruht der Anspruch der Antragstellerin als Personensorgeberechtigte ihrer beiden Kinder auf Ermäßigung des von ihr zu leistenden Beitrags zu den Kosten der von den Kindern besuchten Kindertageseinrichtung auf § 90 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII i.V.m. § 25 Abs. 3 KiTaG und Abschnitt VI der Förderungsrichtlinien des Kreises ... zur Sicherstellung eines bedarfsgerechten Betreuungsangebotes in Kindertageseinrichtungen vom 30. November 2004. Wegen der Einzelheiten kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Auf die Problematik, dass Sozialhilfeempfänger, die volle Regelsätze im Sinne von § 28 SGB XII erhalten, nach Abschnitt VI Nr. 2.2 der Förderrichtlinien des Antragsgegners grundsätzlich von der Beitragspflicht befreit sind und lediglich die Kosten der Verpflegung tragen, während der Bedarf bei Personensorgeberechtigten mit Einkommen gemäß Nr. 2.1 der Richtlinien i.V.m. § 25 Abs. 3 KiTaG unter Berücksichtigung von 85 % der Regelsatzbeträge ermittelt wird, sie mithin schon dann einen Beitrag zu leisten haben, wenn ihr Einkommen diese verringerte Bedarfsgrenze um mehr als 5,10 Euro übersteigt, ist hier nicht näher einzugehen, denn das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich nur die dargelegten Gründe.

Mit seinen Darlegungen wendet der Antragsgegner sich zu Recht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Aufwendungen der berufstätigen Antragstellerin für die Kinderbetreuung in Höhe von 964,94 Euro, mithin die Kindergartenbeiträge, als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben im Sinne von § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII anzusehen und deshalb von dem Einkommen der Antragstellerin abzusetzen seien. Das ist nicht in Fortführung der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht zu begründen, dass die Kinderbetreuungskosten einer allein erziehenden Mutter gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG vom Einkommen abzusetzen seien (so VGH BW, Urt. v. 01.09.1992 - 6 S 2640/90 -; FEVS 43, 261; zustimmend Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl., § 76 Rdnr. 74 und Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 76 Rdnr. 40). Es mag vertretbar sein, im Zusammenhang mit der Prüfung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt die Absetzung der Betreuungskosten als "schlichte sozialhilferechtliche Bereinigung des Einkommens" einer Hilfesuchenden zu verstehen (so VGH BW, a.a.O.). Bei der Prüfung der Frage, ob das Einkommen für den lebensnotwendigen Unterhalt ausreicht, ist von Bedeutung, ob die Aufwendungen für Kinderbetreuung die Einkommenserzielung erst ermöglichen und daher damit im Sinne von § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG bzw. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII verbunden sind. Diese Auffassung lässt sich jedoch auf das Regelungsgefüge des § 25 Abs. 3 KiTaG nicht übertragen.

§ 25 Abs. 3 KiTaG fordert im Grundsatz einen angemessenen Beitrag der Personensorgeberechtigten zu den Kosten der Kindertageseinrichtung und macht Vorgaben für die Berechnung der zu gewährenden Ermäßigung. Die Anknüpfung an die Bedarfsgrenzen des Dritten Kapitels des SGB XII deutet zwar darauf hin, dass bei der Frage, welche Belastung durch die Beiträge zumutbar ist, auf die Grundsätze der Hilfe zum Lebensunterhalt abzustellen ist. Dementsprechend zieht der Antragsgegner nicht die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII, auf die § 90 Abs. 4 SGB VIII auch verweist, heran, und setzt gemäß § 82 Abs. 3 SGB XII 30 v. H. des Erwerbseinkommens ab, wendet also eine Regelung an, die ausdrücklich für die Einkommensberechnung bei der Hilfe zum Lebensunterhalt gilt, nicht hingegen für sonstige Leistungen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2000 - 12 L 1454/00 -, FEVS 52, 276). Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass diese Berechnung allein dem Ziel dient, die zumutbare Belastung durch die von den Personensorgeberechtigten zu entrichtenden Beiträge zu ermitteln. Das setzt - wie der Antragsgegner zu Recht geltend macht - eine tatsächliche Belastung durch die Beiträge voraus und steht einem Vorwegabzug dieser Beiträge vom Einkommen entgegen.

Eine andere Betrachtung ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten, wonach das Benachteilungsverbot des Art. 6 GG es im Steuerrecht gebietet, die durch erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 16.03.2005 - 2 BvL 7/00 -, E 112, 268 = NJW 2005, 2448). Diese Entscheidung ist zusätzlich auf das Gebot der horizontalen Steuergleichheit gestützt und lässt sich nicht ohne weiteres auf das Sozialleistungsrecht übertragen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber sowohl bei der Staffelung der Kindergartenentgelte wie auch bei der Bestimmung des hierfür maßgeblichen Einkommensbegriffs einen weiten Gestaltungsspielraum hat. § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII gibt weder einen bestimmten Einkommensbegriff vor, noch fordert er eine Abstufung unter Ausrichtung an der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (BVerwG, Beschl. v. 10.09.1999 - 11 BN 2.99 -, NJW 2000, 1129, 1130). Diese Auslegung und Anwendung einfachen Bundesrechts ist auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Die von Verfassungs wegen gebotene Schonung des familiären Existenzminimums bei einer (direkten) Besteuerung geht nicht mit den entsprechenden Anforderungen bei der Erhebung von Kindergartenentgelten einher. Diese Entgelte zählen vielmehr gerade zu dem Unterhaltsaufwand, für dessen Befriedigung der Familie durch die Einkommensbesteuerung nicht die finanziellen Mittel entzogen werden dürfen. Wenn bei der Bemessung der Kindergartenentgelte Unterschiede im Familieneinkommen pauschalierend durch Freibeträge berücksichtigt werden, mindert dies den finanziellen Bedarf der Familie, so dass ihr auf diesem Wege eine soziale Leistung zu Teil wird. Bei Gewährung derartiger sozialer Leistungen ist dem Maßstab des Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG dann genügt, wenn eine der Leistungsgewährung zugrunde liegende Differenzierung noch sachgerecht erscheint, so dass willkürliche Ungleichbehandlungen vermieden werden (BVerwG, Beschl. v. 10.09.1999, a.a.O.). Es erscheint nicht willkürlich, sondern im Gegenteil systemimmanent, wenn die Elternbeiträge, um deren Ermäßigung es geht, nicht als "Werbungskosten" von dem zu berücksichtigenden Einkommen abgezogen werden.

Danach ist die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgelegte Berechnung zugrunde zu legen. Das zu berücksichtigende Einkommen der Bedarfsgemeinschaft ist jedoch nicht um weitere Kosten der Kfz-Haltung zu vermindern. Die berufsbedingten Fahrtkosten sind mit der Pauschale gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 lit. a) DVO zu § 82 SGB XII abgegolten (vgl. OVG NRW, Urt. v. 20.06.2000 - 22 A 207/99 -, FEVS 52, 167; VGH BW, Urt. v. 12.06.1991 - 6 S 1182/90 -, FEVS 43, 200; OVG Brandenburg, Urt. v. 27.11.2003 - 4 A 220/03 -, ZFSH/SGB 2004, 238). Zwar mag es gerechtfertigt sein, Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die i.S.v. § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSGH bzw. § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nicht gesetzlich vorgeschrieben sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1981 - 5 C 12.80 -, FEVS 29, 373), als angemessene Beiträge im Sinne dieser Vorschrift vom Einkommen abzusetzen, wenn das Kraftfahrzeug (auch) dazu benötigt wird, Kinder in eine Kindertagesstätte zu fahren, es also zu einem sozialhilferechtlich anerkennenswerten Zweck gehalten wird (so OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.12.1988 - 4 B 373/88 -, FEVS 39, 419). Die Antragstellerin hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand ist nicht bekannt, ob nicht auch ohne Kraftfahrzeug eine Kindertagesstätte erreichbar wäre und die Kindertagesstätte in ... allein deshalb gewählt wurde, weil die Antragstellerin ohnehin zu ihrer Arbeitsstätte nach ... fährt. Dann aber wären die Kraftfahrzeugkosten - wie ausgeführt - mit der Pauschale abgegolten.

Somit ergibt sich nach der korrigierten Berechnung des Antragsgegners vom 27. März 2006 ein Einkommensüberhang von 100,07 Euro. Dies führt nach den Förderungsrichtlinien zu einer Ermäßigung des Regelbeitrags um 70 %.

Da allein über die Beschwerde des Antragsgegners gegen die vom Verwaltungsgericht getroffene Anordnung zu entscheiden ist, verbleibt es bei der zeitlichen Begrenzung der getroffenen Regelung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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