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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: 21 A 262/02
Rechtsgebiete: Versorgungssatzung der Ärztekammer Schleswig-Holstein
Vorschriften:
Versorgungssatzung der Ärztekammer Schleswig-Holstein § 21 |
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Az.: 21 A 262/02
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Ruhegeld
hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 21. Kammer - ohne mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2002 durch den Richter am Oberverwaltungsgericht als Einzelrichter für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juni 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2001 verpflichtet, dem Kläger auf dessen Antrag vom 1. September 2000 Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der 1941 geborene Kläger begehrt die Bewilligung eines Ruhegeldes wegen Berufsunfähigkeit.
Der Kläger ist Unfallchirurg. Er war zuletzt als Oberarzt in einem Krankenhaus tätig. Am 19. Juli 1994 stellte er seine ärztliche Tätigkeit ein. Anschließend musste er sich einer Operation wegen eines Prostatacarcinoms unterziehen. Er ist seither arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Am 1. September 2001 beantragte der Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente beim Beklagten unter Hinweis auf § 21 der Vorsorgungssatzung (VersSa). In einem beigefügten ärztlichen Attest vom 30. August 2000 hieß es, die Berufsfähigkeit des Kläger sei nicht mehr gegeben, da er nach einer Prostatovesikulektomie an einer persistierte Harninkontinenz leide.
Die Beklagte wandte daraufhin ein, dass das Attest lediglich eine Einschränkung der körperlichen Integrität, nicht aber die Berufsunfähigkeit des Klägers bescheinige. Der Kläger übersandte daraufhin eine weitere ärztliche Stellungnahme, in der ausgeführt wird, dass eine drittgradige Harninkontinenz bestehe und der Kläger ständig Vorlagen tragen müsse, Hautreizungen und Geruchsbelästigungen entstünden und - schließlich - nach längerem Stehen oder Sitzen - Schmerzen im Beckenbodenbereich zu beklagen seien. Die Ausübung der Tätigkeit als Unfallchirurg sei mit dieser Erkrankung nicht möglich, und eine Verweisbarkeit auf andere ärztliche Tätigkeiten unmöglich. Der Zustand sei als bleibend anzusehen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin die Einholung eines Gutachtens, dass am 15. Januar 2001 vorgelegt wurde. Danach wurden die vom Kläger geschilderten Symptome in jeder Weise als glaubhaft angesehen. Es liege eine ausgeprägte Stressinkontinenz vor. Eine ärztliche Tätigkeit in der vorherigen Weise wie auch in artverwandter Weise erscheine unmöglich. Der Gutachter, um weitere Konkretisierung gebeten, ergänzte am 10. April 2001, für zwei Stunden täglich sei die Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit denkbar, sofern diese überwiegend sitzend, mit der Möglichkeit von Ruhepausen erfolge.
Mit Bescheid vom 7. Juni 2001 lehnte die Beklagte den Ruhegeld-Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, es müsse eine gänzliche Berufsunfähigkeit vorliegen, um das begehrte Ruhegeld zu bewilligen. Der Einschätzung, es sei nur noch eine zweistündige sitzende Tätigkeit täglich möglich, könne nicht gefolgt werden. Der Kläger müsse sich auf Tätigkeiten, die nicht regelmäßig mit längerem Stehen verbunden seien - etwa in der Verwaltung oder im Rahmen von gutachterlichen Aufgaben - verweisen lassen.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2001 als unbegründet zurück.
Am 11. Oktober 2001 ist die dagegen gerichtete Klage bei Gericht eingegangen. Der Kläger macht geltend, nach den bisher vorgelegten Gutachten stehe fest, dass Berufsunfähigkeit vorliege. Auf andere Tätigkeiten könnte nicht verwiesen werden. Patientenkontakt sei wegen der Beeinträchtigung infolge der Harnkontinenz nicht zumutbar. Zudem sei davon auszugehen, dass die Symptome sich bei einer neuen Tätigkeit noch verstärken und zu irreversiblen weiteren Beeinträchtigungen führen würden. Bemühungen, die Beeinträchtigungen durch ärztliche und physiotherapeutische Maßnahmen abzumildern, seien nicht gelungen. Andere Tätigkeiten seien auch auf Grund des inzwischen erreichten Alters nicht möglich.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juni 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2001 zu verpflichten, ihm Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das Ruhegeld könne nur bei der Unfähigkeit bewilligt werden, jegliche irgendwie geartete fortlaufende Tätigkeit, die eine ärztliche Fortbildung erfordere, auszuüben. Vorliegend sei nur von einer Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten auszugehen. Die Basisfunktionen des Klägers seien intakt und es gebe zahlreiche Hilfsmittel als Abhilfemöglichkeiten. Der Kläger müsse sich auch auf Tätigkeiten ohne Patientenkontakt verweisen lassen.
Durch Beschluss vom 6. Februar 2002 ist der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
Das Gericht hat eine Auskunft des Arbeitsamtes Schleswig bzw. des Landesarbeitsamtes Nord zu der Frage eingeholt, ob für den Kläger nach der derzeitigen Lage des relevanten Arbeitsmarktes eine realistische Vermittlungschance im Bereich nicht - kurativer ärztlicher Tätigkeit besteht. Wegen des Ergebnisses wird auf die - in der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2002 erörterten - Auskünfte des Arbeitsamtes Schleswig vom 12. April 2002 und des Landesarbeitsamts Nord vom selben Tage verwiesen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Klage konnte gemäß § 6 Abs. 1 VwGO der Einzelrichter entscheiden; einer erneuten mündlichen Verhandlung bedurfte es gemäß § 101 Abs. 2 VwGO nicht.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 7. Juni und 13. September 2001 sind rechtswidrig. Der Kläger kann Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit nach Maßgabe des § 21 der Satzung der Beklagten beanspruchen.
Die Beklagte hat - im Grundsatz zutreffend - in ihrer Klagerwiderung hervorgehoben, dass Berufsunfähigkeit im Sinne des § 21 VersSa nur vorliegt bei einer vollständigen Unfähigkeit, "jegliche irgendwie geartete fortlaufende Tätigkeit, die eine ärztliche Vorbildung ganz oder teilweise zur Voraussetzung hat", auszuüben. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung, der auch das Gericht folgt (vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 649, OVG Schleswig, Urteil vom 17. Dezember 1992, 3 L 87/92; OVG Münster, Urteil vom 25. Mai 1993, 5 A 167/91, VG Schleswig, Urteil vom 13. Dezember 2001, 12 A 35/01).
Die Beklagte hat - ausgehend davon - auch zutreffend ausgeführt, dass sich ein Arzt, der seine bisherige, konkret ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, auf jegliche andere ärztliche Tätigkeiten verweisen lassen muss, für die eine ärztliche Ausbildung erforderlich ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der bisherige Lebensstandard gesichert bleibt; erforderlich ist nur, dass die noch möglichen ärztlichen Leistungen die Existenz angemessen sichern. Insoweit ist auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen, wobei - ergänzend - Alter und Fachrichtung eines Arztes relevant sind. So muss sich ein spezialisierter Facharzt nicht ohne weiteres auf jedwede Tätigkeit in einer völlig anderen "Sparte" des Arztberufes verweisen lassen (vgl. VGH Kassel, a.a.O., OVG Lüneburg NJW 1996, 3097, VG Schleswig, Urteil vom 20. März 2001, 12 A 322/98).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist dem Kläger Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte geht in ihren Ablehnungsbescheiden zumindest von einer eingeschränkten Berufsfähigkeit des Klägers aus und leitet daraus ab, dass dem Kläger eine Verwaltungs- oder Gutachtertätigkeit (mit erforderlicher ärztlicher Vorbildung) noch möglich sei. Daraus ist - im Umkehrschluss - zu entnehmen, dass eine kurative ärztliche Tätigkeit des Klägers - mit Patientenkontakt - aufgrund der Krankheitssituation auch von der Beklagten nicht (mehr) in Betracht gezogen wird. Dem ist auf der Grundlage der im Vorverfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten auch aus der Sicht des Gerichts zuzustimmen.
Die - grundsätzlich in Betracht zu ziehende - Verweisung des Klägers auf nicht - kurative Tätigkeiten, wie sie die Beklagte im Auge hat, ist zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall nicht realistisch. Der (jetzt) 61-jährige (zur Zeit der Antragstellung 60-jährige) Kläger wird im Hinblick auf die maßgeblichen Verhältnisse des für ihn relevanten Arbeitsmarktes keine existenzsichernden Arbeitsmöglichkeiten mehr in Anspruch nehmen können, die eine ärztliche Vorbildung erfordern und im nicht - kurativen Bereich anzusiedeln sind. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus den eingeholten Auskünften des Arbeitsamtes und des Landesarbeitsamts . Während es in der zuerst genannten Auskunft noch heißt, "ein 61-jähriger Arzt (sei) äußerst schwer zu vermitteln" und es würden "keine realistischen Vermittlungsmöglichkeiten" gesehen, heißt es in der Auskunft des Landesarbeitsamts Nord, mit einer Einstellung des Klägers sei aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters von 61. Jahren nicht zu rechnen. Der Kläger hat - zusätzlich - durch das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schreiben des Kreiskrankenhauses vom 9. April 2002 belegt, dass auch im Bereich seines früheren Arbeitgebers keine anderweitigen ärztlichen Einsatzmöglichkeiten für ihn bestehen.
Ansatzpunkte, die die genannten Auskünfte in Frage stellen könnten, sind von der Beklagte nicht vorgetragen worden; sie sind - auch nach ihrer Erörterung in der mündlichen Verhandlung - für das Gericht nicht ersichtlich. Eine realistische Verweisungsmöglichkeit auf eine anderweitige ärztliche Tätigkeit - insbesondere - im nicht - kurativen Bereich scheidet damit für den Kläger aus.
Die lediglich denkbare Möglichkeit, dass der Kläger als selbständiger Arzt noch weiter tätig werden könnte, kann im Hinblick auf seine Krankheitssituation, die nach den vorgelegten - überzeugenden - Gutachten keine Besserung erwarten lässt, und im Hinblick auf sein Lebensalter ausgeschlossen werden.
Der Kläger ist nach alledem (vollständig) als berufsunfähig anzusehen, weil auch dann, wenn noch eingeschränkte Betätigungsmöglichkeiten verblieben, eine die Existenz sichernde Berufsausübungsmöglichkeit in der Lebenswirklichkeit für ihn nicht mehr bestünde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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