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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.08.2003
Aktenzeichen: 3 LB 18/03
Rechtsgebiete: BeamtVG, SGB VII


Vorschriften:

BeamtVG § 31 Abs 1 S 1
BeamtVG § 31 Abs 2 S 1 Halbs 1
BeamtVG § 31 Abs 2 S 2
SGB VII § 8 Abs 2
§ 31 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG ist im Wege des Umkehrschlusses zu entnehmen, dass ein Dienstunfall mangels "Zusammenhang mit dem Dienst" nicht vorliegt, wenn der Beamte von dem unmittelbaren und normalerweise benutzten Weg zwischen seiner Wohnung und der Dienststelle aus privaten Gründen nicht unwesentlich abweicht oder den Weg aus privaten Gründen erheblich unterbricht und der Unfall sich auf dem abweichenden Teil des Weges oder während der Unterbrechung ereignet
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

verkündet am: 22. August 2003

Az.: 3 LB 18/03

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Anerkennung als Dienstunfall

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2003 durch

den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts ...., den Richter am Oberverwaltungsgericht ...., die Richterin am Verwaltungsgericht .... sowie die ehrenamtlichen Richter .... und ....

für Recht erkannt: Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 25. November 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Dienstunfall.

Der seinerzeit in ..., ...., wohnhafte Kläger ist Polizeiobermeister und versah seinen Dienst bei der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung in Eutin. Am Samstag, dem 24. Juli 1999, sollte er dort seinen Dienst um 13.30 Uhr antreten. An diesem Tage verließ er seine Wohnung gegen 09.00 Uhr und fuhr - begleitet von Freunden - mit seinem Motorrad an den Strand von Scharbeutz. Dort brach er gegen 13.00 Uhr auf, um über die alte Trasse der Bundesstraße 76 in nördlicher Richtung seinen Dienstort zu erreichen. In Haffkrug wurde der Kläger bei einem Verkehrsunfall derart schwer verletzt, dass er zunächst dienstunfähig war.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2001 lehnte der Beklagte es ab, die beim Kläger durch den Verkehrsunfall entstandenen Körperschäden als Dienstunfall anzuerkennen. Da der Unfall sich nicht auf einem Weg ereignet habe, der als Verbindung zwischen Wohnort und Dienststelle anzusehen sei, fehle es an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Unfall und dem Dienst. Der Kläger habe sich zur Unfallzeit auf einem Weg befunden, der zeitlich und örtlich seiner Privatssphäre zuzurechnen sei. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 27. April 2001 - zugestellt am 30. April 2001 - als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 29. Mai 2001 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen geltend gemacht, er habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem unmittelbaren Weg zwischen seinem Wohnort und seinem Dienstort befunden. Nach der Verkehrslage am 24. Juli 1999 sei zu erwarten gewesen, dass er Eutin auf der von ihm gewählten Wegstrecke in kürzester Zeit erreicht hätte. Die Unterbrechung seines Weges durch den Strandbesuch habe vor dem Unfall gelegen und sei im Hinblick hierauf als unwesentlich anzusehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 23. Februar 2001 und 27. April 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Unfall vom 24. Juli 1999 als Dienstunfall anzuerkennen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat weiterhin die Ansicht vertreten, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Dienstunfalls nicht gegeben seien.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. November 2002 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung seines Unfalls als Dienstunfall (§ 31 Abs. 1 u. 2 BeamtVG). Entgegen der Auffassung des Beklagten sei es für das Vorliegen eines Dienstunfalls zwar unschädlich, dass der Kläger - dieses ist unstreitig - die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um mehr als 100% überschritten habe und den Unfall bei angepasster Geschwindigkeit hätte vermeiden können. Die Anerkennung eines Dienstunfalls setze jedoch voraus, dass sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg zwischen seiner häuslichen Unterkunft und seiner Dienststelle befunden und allenfalls einen üblichen oder zweckmäßigen Umweg gewählt hätte. Nur wenn der nach oder von der Dienststelle führende Weg im Dienst seine wesentliche Ursache habe, wenn also andere mit dem Dienst nicht zusammenhängende Ursachen für das Zurücklegen des Weges in den Hintergrund träten, sei bei einem Unfall, den ein Beamter auf dem Weg nach oder von der Dienststelle erleide, beamtenrechtlicher Unfallschutz zu gewähren. Eine derartige Kausalität zwischen dem Weg des Klägers und dem Dienst sei vorliegend nicht gegeben. Vielmehr habe der Kläger die am Unfalltage gewählte Wegstrecke aus privatem Interesse (Strandbesuch) zurückgelegt und sich somit aus persönlichen Gründen Gefahren ausgesetzt, die in keinem wesentlichen Zusammenhang mit seinem Dienst gestanden hätten. Schließlich griffen die vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 05. Mai 1998 - B 2 U 40/97 -R - für die gesetzliche Unfallversicherung entwickelten Grundsätze zum Aufenthalt an einem "dritten Ort" nicht zugunsten des Klägers ein. Denn - so das Verwaltungsgericht sinngemäß weiter - das diesbezügliche Beamtenversorgungsrecht unterscheide sich von dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung in wesentlicher Hinsicht. Aus dem letztgenannten Gesichtspunkt hat das Verwaltungsgericht der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Berufung gegen sein Urteil zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 13. Dezember 2002 zugestellte Urteil am 08. Januar 2003 Berufung eingelegt. Er meint, das Verwaltungsgericht habe die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze zum Aufenthalt an einem "dritten Ort" zu Unrecht nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt. Diese Grundsätze seien auf das Beamtenversorgungsrecht übertragbar. Denn der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des § 31 Abs. 2 BeamtVG einerseits sowie des § 8 Abs. 2 SGB VII andererseits sei nahezu gleich; der Sinn und Zweck beider Bestimmungen sei gleich. Es gebe keinen Grund, die nahezu identischen Regelungen unterschiedlich auszulegen, nur weil es sich einerseits um eine beamtenrechtliche und andererseits um eine sozialrechtliche Vorschrift handele. Wollte man die genannten Vorschriften dennoch unterschiedlich auslegen, so käme man jedenfalls im Ergebnis an § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht vorbei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 25. November 2002 zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, dass die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze zum Aufenthalt an einem "dritten Ort" auf das Beamtenversorgungsrecht nicht übertragbar seien, weil dieses sich insoweit in wesentlicher Hinsicht von dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung unterscheide.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien sowie des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten - diese haben dem Senat vorgelegen - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 130 b Satz 2 VwGO mit folgenden Maßgaben auf die - im Kern - zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils:

Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist (§ 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG). Als Dienst gilt auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1). Der Zusammenhang mit dem Dienst gilt als nicht unerbrochen, wenn der Beamte von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und der Dienststelle in vertretbarem Umfang abweicht, weil sein dem Grunde nach kindergeldberechtigtes Kind, das mit ihm in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anvertraut wird oder weil er mit anderen Berufstätigen oder in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von der Dienststelle benutzt (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG).

Es erscheint jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, dass das Vorliegen eines Dienstunfalls bereits deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger am Unfalltage die im Unfallbereich maßgebliche Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um mehr als 100% überschritten hat und den Unfall bei angepasster Geschwindigkeit hätte vermeiden können (vgl. hierzu Stegmüller/ Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 31, Erl. 11, Ziff. 3.4). Dem braucht der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit jedoch nicht weiter nachzugehen.

Der Vorschrift des § 31 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG ist im Wege des Umkehrschlusses zu entnehmen, dass ein Dienstunfall mangels "Zusammenhang mit dem Dienst" nicht angenommen werden kann, wenn der Beamte von dem unmittelbaren und normalerweise benutzten Weg zwischen seiner Wohnung und der Dienststelle aus privaten Gründen nicht unwesentlich abweicht oder den Weg aus privaten Gründen erheblich unterbricht und der Unfall sich auf dem abweichenden Teil des Weges oder während der Unterbrechung ereignet (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, a.a.O., Ziff. 6.1, mit Hinweis auf VwV Tz 31.2.2 u. 31.2.3; vgl. auch Först, GKÖD, BeamtVG, § 31, Rn 92; Kümmel/Ritter, BeamtVG, § 31, Rn 31). Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers vor. Er war am Unfalltage von dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und seiner Dienststelle (Weinbergstraße in Lübeck >Autobahn A 1 > AS Eutin > B 76 > Eutin; hilfsweise: Weinbergstraße in Lübeck > B 207 > B 206 > L 184 > Ahrensbök > Eutin) aus privaten Gründen (Strandbesuch) wesentlich abgewichen, indem er den "Umweg" über Scharbeutz und Haffkrug gefahren ist. Der Verkehrsunfall des Klägers ereignete sich auf dem abweichenden Teil des Weges. Anhaltspunkte dafür, dass die Einhaltung des unmittelbaren Weges zwischen Wohnung und Dienststelle am Unfalltage nicht zweckmäßig oder gar unzumutbar gewesen wäre, sind weder vom Kläger substantiiert dargelegt worden noch im Übrigen ersichtlich. Der bloße Hinweis des Klägers auf das seinerzeit gute Sommerwetter und das sich hieraus im allgemeinen ergebende erhöhte Verkehrsaufkommen auf der Autobahn reicht insoweit nicht aus. Denn es spricht nichts dafür, dass ein etwaiges erhöhtes Verkehrsaufkommen lediglich die Autobahn, nicht aber den vom Kläger gewählten "Umweg" betroffen hätte.

Schließlich sind die vom Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung im Zusammenhang mit der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelten Grundsätze zum Aufenthalt an einem "dritten Ort" auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil die insoweit maßgebliche Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG sich in wesentlicher Hinsicht von derjenigen des § 8 Abs. 2 SGB VII unterscheidet (insbesondere wird in der letztgenannten Vorschrift gerade nicht auf den "unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und der Dienststelle" abgestellt).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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