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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.11.2005
Aktenzeichen: 3 LB 4/05
Rechtsgebiete: Versorgungssatzung der Ärztekammer SH


Vorschriften:

Versorgungssatzung der Ärztekammer SH § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 3 LB 4/05

verkündet am 18.11.2005

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2005 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer - vom 24. August 2004 geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02. August 2001 sowie des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2003 verpflichtet, dem Kläger Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit ab dem 01. Januar 2001 abzüglich bereits geleisteten Ruhegeldes zu gewähren.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit Urteil vom 24. August 2004, auf dessen Inhalt zwecks Vermeidung von Wiederholungen wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 02. August 2001 sowie des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2003 antragsgemäß verpflichtet, dem Kläger Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01. Oktober 2000 abzüglich bereits geleisteten Ruhegeldes zu gewähren.

Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten - vom Senat zugelassenen - Berufung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht insbesondere (nochmals) geltend:

Nach § 21 Abs. 1 VersS setze die Gewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit das Vorliegen einer auf Dauer angelegten, durch Heilmaßnahmen nicht mehr wesentlich zu beeinflussenden Berufsunfähigkeit voraus. Leistungsvoraussetzung sei jedenfalls ein auf gewisse Dauerhaftigkeit angelegtes Unvermögen zur ärztlichen Berufsausübung. Das ergebe sich aus Sinn und Zweck der genannten Satzungsregelung. Der entsprechende Wille des Satzungsgebers finde auch Ausdruck in der Regelung des § 21 Abs. 4 VersS, der den Leistungsbeginn der Gestalt nach hinten verlagere, dass die Gewährung erst nach Vorliegen einer dreimonatigen Berufsunfähigkeit erfolge. Eine in diesem Sinne auf Dauer angelegte Berufsunfähigkeit sei im Falle des Klägers nicht gegeben.

Die Weitergewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit sei auch deshalb zu Recht abgelehnt worden, weil der Kläger seiner diesbezüglichen Mitwirkungspflicht nicht entsprochen habe. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei der Kläger unter Berücksichtigung des in §§ 63, 65, 66 und 67 SGB I zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens verpflichtet gewesen, sich einer Herzkatheteruntersuchung zu unterziehen und so eine Erfolg versprechende und zumutbare Heilbehandlung zu ermöglichen. Die genannten Gesetzesvorschriften normierten für alle Sozialleistungsbereiche eine Verpflichtung zur Duldung von ärztlichen Untersuchungen und Heilmaßnahmen. Bei Invalidität handele es sich um einen unverschuldeten Notstand, der durch die Solidargemeinschaft aufgefangen werde. Es widerspräche jedoch dem Solidarprinzip und dem Versicherungsprinzip, wenn zu Lasten der Versichertengemeinschaft Leistungen an diejenigen zu erbringen seien, die sich mit dem Eintritt des Versicherungsfalles abfänden und sich Erfolg versprechenden Heilbehandlungen verschlössen.

Doch selbst wenn man nicht auf die genannten Vorschriften des Sozialgesetzbuches abstellte, so ergäbe sich eine Mitwirkungspflicht des Klägers im genannten Sinne direkt aus dem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zwischen ihr, der Beklagten, und ihren Mitgliedern. Letztere unterlägen nicht nur der allgemeinen Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren, sondern seien darüber hinaus auch zur Förderung ihrer eigenen Gesundheit und Mitwirkung zur Verhinderung oder Beseitigung einer Berufsunfähigkeit verpflichtet. Alledem entspreche die vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in seinem Beschluss vom 29. Juni 2005 - 12 G 1789/05 (1) - zur Problematik der Mitwirkungspflicht vertretene Rechtsauffassung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer - vom 24. August 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassungen für unzutreffend und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten - diese haben dem Senat vorgelegen - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist - ganz überwiegend - unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Begehren des Klägers im Wesentlichen zu Recht entsprochen. Allerdings steht dem Kläger entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit nicht bereits ab dem 01. Oktober 2000, sondern erst ab dem 01. Januar 2001 zu.

Nach § 21 Abs. 1 VersS erhält jedes Mitglied der Beklagten, das infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder wegen einer Sucht zur Ausübung des Berufes unfähig ist (Berufsunfähigkeit) und den Beruf nicht mehr ausübt, auf Antrag Berufsunfähigkeitsrente. Danach steht dem Kläger Berufsunfähigkeitsrente zu. Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 130 b Satz 2 VwGO mit folgenden Maßgaben auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils:

Nach seinem unbestrittenen Vorbringen übt der Kläger seinen Beruf als Arzt seit dem 30. September 2000 nicht mehr aus. Die Beklagte bestreitet auch nicht, dass der Kläger zu den sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ergebenden "jeweiligen Untersuchungszeitpunkten" in Folge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung des ärztlichen Berufes unfähig war und hierzu auch gegenwärtig unfähig ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt der Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 21 Abs. 1 VersS keine auf Dauer angelegte, durch Heilmaßnahmen nicht mehr wesentlich zu beeinflussende Unfähigkeit zur Berufsausübung voraus. Vielmehr ist die genannte Satzungsvorschrift bereits ihrem Wortlaut nach dahingehend auszulegen, dass Berufsunfähigkeit bereits dann vorliegt, wenn und sobald ein Mitglied der Beklagten in Folge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder wegen einer Sucht zur Ausübung des Berufes unfähig ist. Die Kriterien der Dauerhaftigkeit sowie der Notwendigkeit einer durch Heilmaßnahmen nicht mehr wesentlich zu beeinflussenden Unfähigkeit zur Berufsausübung lassen sich der in § 21 Abs. 1 VersS enthaltenen und hier somit allein maßgeblichen Begriffsdefinition hingegen nicht entnehmen (demgegenüber wird - dieses hat im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls indizielle Bedeutung - in der Vorschrift des § 54 Abs. 1 Satz 1 LBG der Begriff der Dienstunfähigkeit ausdrücklich als "dauernde" Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten definiert). Aus der Vorschrift des § 21 Abs. 4 VersS ergibt sich, dass die vorangehend dargestellte wörtliche Interpretation des in Frage stehenden Satzungsbegriffs mit dem Willen des Satzungsgebers übereinstimmt. Nach dieser Vorschrift erhalten niedergelassene und angestellte Ärzte das Ruhegeld nach Ablauf einer dreimonatigen Berufsunfähigkeit bzw. nach Einstellung der Gehaltszahlung, wenn die Berufsunfähigkeit länger als 90 Tage anhält. Aus den Wendungen "nach Ablauf" und "länger als" folgt jedenfalls mittelbar, dass es nach dem Willen des Satzungsgebers für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinne von § 21 Abs. 1 VersS gerade nicht auf das Kriterium der Dauerhaftigkeit ankommt, sondern die Unfähigkeit zur Berufsausübung bereits zum Beginn der genannten Zeiträume von drei Monaten bzw. 90 Tagen vorliegen muss und die Berufsunfähigkeit somit bezogen auf den jeweiligen Untersuchungszeitpunkt festzustellen ist. Eine für die Beklagte günstigere Betrachtungsweise ergibt sich weder aus Sinn und Zweck der in Frage stehenden Satzungsregelung noch aus der Satzungssystematik im Übrigen.

Doch selbst wenn man entgegen der Ansicht des Senates eine "gewisse Dauerhaftigkeit" der Unfähigkeit zur Berufsausübung für erforderlich hielte, wäre diese Voraussetzung erfüllt. Denn die Unfähigkeit zur Berufsausübung hat beim Kläger ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. med. Gonska vom 19. Juni 2001 seinerzeit seit etwa sechs Monaten bestanden und besteht gegenwärtig fort. Letzteres wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt und zutreffend begründet, dass der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit nicht dadurch entfallen ist, dass der Kläger gegen eine sich aus dem Rechtsgedanken der §§ 63, 65, 66, 67 SGB I ergebene Pflicht verstoßen habe, sich einer Herzkatheteruntersuchung zu unterziehen und so eine Erfolg versprechende und zumutbare Heilbehandlung zu ermöglichen. Ergänzend sei insoweit lediglich darauf hingewiesen, dass sich eine entsprechende Mitwirkungspflicht des Klägers entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht direkt aus dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis ableiten lässt. Auf jeden Fall hätte es einer Satzungsregelung bedurft, wonach der Anspruch auf Gewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit im Falle der Verletzung einer derartigen Pflicht entfällt. Hieran fehlt es. Vielmehr hat der Satzungsgeber in § 21 Abs. 7 Satz 1 VersS lediglich geregelt, dass derjenige keinen Anspruch auf Ruhegeld hat, der sich vorsätzlich berufsunfähig macht. Im vorliegenden Zusammenhang kann die Beklagte sich auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juni 2005 - 12 G 1789/05 (1) - berufen. Denn die Versorgungssatzung der Beklagten unterscheidet sich gerade in der hier maßgeblichen Hinsicht von der dem genannten Beschluss zugrunde liegenden Versorgungsordnung des Versorgungswerkes der hessischen Landesärztekammer. Nach § 1 a Abs. 1 Satz 3 dieser Versorgungsordnung kann der Verwaltungsrat ausweislich des Gerichtsbeschlusses von dem Mitglied, das wegen Krankheit oder Behinderung eine Berufsunfähigkeitsrente beantragt oder erhält, verlangen, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern werde. Mit dieser Bestimmung - so das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main - werde der Verwaltungsrat ermächtigt, die darin zum Ausdruck kommende Mitwirkungspflicht der Mitglieder des Versorgungswerkes durch einen entsprechenden Verwaltungsakt, der auch als Nebenbestimmung zur Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente ergehen könne, gegenüber seinen Mitgliedern durchzusetzen. An einer vergleichbaren Regelung fehlt es in der Versorgungssatzung der Beklagten. Vielmehr ist der Verwaltungsrat der Beklagten nach § 21 Abs. 6 Satz 1 VersS lediglich zur Anordnung von Nachuntersuchungen befugt. Nach § 21 Abs. 6 Satz 3 VersS endet das Ruhegeld mit dem Monat, in dem der Verwaltungsrat feststellt, dass eine Berufsunfähigkeit nicht mehr besteht, oder wenn der Ruhegeldempfänger sich der angeordneten Nachuntersuchung durch den vom Verwaltungsrat benannten Gutachter nicht innerhalb einer Frist von vier Wochen unterzogen hat. Der Verwaltungsrat der Beklagten hat eine Nachuntersuchung im vorgenannten Sinne nicht angeordnet.

Da dem Kläger der Anspruch auf Ruhegeld gemäß § 21 Abs. 4 VersS erst "nach Einstellung der Gehaltszahlung" zusteht, kann er das Ruhegeld entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht bereits ab dem 01. Oktober 2000, sondern erst ab dem 01. Januar 2001 verlangen. Denn er ist mit Bescheid des Präsidenten des Bundeseisenbahnvermögens vom 08. Dezember 2000 -Pr. 2301 Uäp (ZRS) - mit Ablauf des 31. Dezember 2000 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden und hat bis zu diesem Zeitpunkt Gehalt bezogen.

Die Beklagte ist bereits mit gerichtlicher Verfügung vom 31. Oktober 2005 darauf hingewiesen worden, sie möge erwägen, ihr Satzungsrecht im Sinne der von ihr verfolgten Ziele zu ergänzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe der §§ 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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