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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 08.10.2003
Aktenzeichen: 3 MB 18/03
Rechtsgebiete: VwGO, GastG


Vorschriften:

VwGO § 122 Abs 2 S 3
VwGO § 146 Abs 4 S 6
VwGO § 80 Abs 2 Nr 4
VwGO § 80 Abs 5 S 1
VwGO § 80 Abs 3
VwGO § 80 Abs 7
GastG § 15 Abs 2
GastG § 4 Abs 1 Nr 1
1. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, bedarf es im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO neben der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch eines besonderen, gemäß § 80 Abs. 3 VwGO gesondert zu begründenden öffentlichen Vollzugsinteresses, das mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes nicht identisch, sondern vielmehr ein qualitativ anderes ist.

2. Im Gewerbeuntersagungsverfahren oder bei Widerruf einer Gaststättenerlaubnis kann ein Wohlverhalten durch Reduzierung von Abgabenrückständen im Widerspruchsverfahren für sich allein die Unzuverlässigkeitsprognose zwar grundsätzlich nicht in Frage stellen, es kann aber dazu führen, dass dann das erforderliche besondere Vollzugsinteresse nicht mehr besteht.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 3 MB 18/03

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Widerruf einer Gaststättenerlaubnis

- Antrag auf Zulassung der Beschwerde -

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 08. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 12. Kammer - vom 13. August 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Antragsverfahren trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.225,80 Euro festgesetzt.

Gründe:

Mit dem im Tenor genannten Beschluss, auf dessen Inhalt wegen der Gründe verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 28. Juli 2003 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Juli 2003 wieder hergestellt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt aus den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung erfolglos (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den u.a. mit Steuerschulden in Höhe von 7.748,25 Euro und Rückstände bei der AOK in Höhe von 3.107,- Euro begründeten und für sofort vollziehbar erklärten Widerruf der Gaststättenerlaubnis (vgl. § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG) wieder hergestellt, obwohl nach seiner Auffassung (noch) keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung bestünden, da es im vorliegenden Einzelfall an einem besonderen öffentlichen Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO an der sofortigen Vollziehung fehle. Beim Antragsteller lasse sich aufgrund der mit dem Finanzamt und der AOK getroffenen Ratenzahlungsvereinbarungen, die er auch im Wesentlichen einhalte, nicht ohne weiteres die Prognose eines weiteren Anstiegs der Zahlungsrückstände gerade auch während des Widerspruchsverfahrens stellen.

Der hiergegen von der Antragsgegnerin unter Verweis auf Michel/Kienzle, GastG, 13. Aufl., § 15 Rn. 21 vorgebrachte Einwand, das Verwaltungsgericht lege damit eine in der Rechtsprechung lediglich vereinzelt vertretene Rechtsauffassung zugrunde, es bestehe vielmehr keine Rechtfertigung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweise, greift ebenso wenig durch wie ihr weiteres Vorbringen, das Verwaltungsgericht verlange selbst bei bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren festzustellender Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels zusätzlich, dass der Gewerbetreibende die berechtigten Belange der Allgemeinheit weiterhin gefährde. Denn die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, kommt es darauf an, ob die Behörde zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Verwaltungsakt nicht befolgen zu müssen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Erweist sich nach dieser Überprüfung der angefochtene Bescheid, wie das Verwaltungsgericht dies hier unter Bezugnahme auf dessen Begründung festgestellt hat, als offensichtlich rechtmäßig, bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (auch im Gaststätten-/Gewerberecht, vgl. Beschluss vom 6. Juni 2000 - 3 M 14/00 -) neben dieser Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch eines besonderen, gemäß § 80 Abs. 3 VwGO gesondert zu begründenden öffentlichen Vollzugsinteresses, das mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes nicht identisch, sondern vielmehr ein qualitativ anderes ist (ebenso: VGH Baden-Württemberg, GewArch 1993, 291 <292 f.>; Hess VGH, Gew Arch 1994, 238, 1993, 377 und 415 <416>, 1992, 103 <104>; OVG Niedersachsen, GewArch 1984, 380, OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1983, 340; Tettinger in: Tettinger/Wank GewO, 6. Aufl. § 35 Rn. 161 f.; Seitter GastG, 4. Aufl. § 15 Rn. 11; aA: OVG Nordrhein-Westfalen GewArch 1981,129 und Michel/Kienzle a.a.O.). Dieses besondere Vollzugsinteresse hatte die Antragsgegnerin in ihrer Verfügung vom 21. Juli 2003 damit begründet, dass zu befürchten sei, dass sich die beim Finanzamt und der AOK bereits aufgelaufenen Rückstände (ansonsten) weiter erhöhen könnten. Insofern ist anerkannt, dass zwar ein Wohlverhalten während eines Gewerbeuntersagungsverfahrens für sich allein die Unzuverlässigkeitsprognose jedenfalls grundsätzlich nicht in Frage stellen kann (vgl. BVerwG, GewArch 1988, 233; OVG Schleswig, Beschluss vom 26. August 2003 - 3 MB 17/03 -), es kann aber dazu führen, dass dann das erforderliche besondere Vollzugsinteresse nicht mehr besteht. Dabei gilt gerade bei Steuer- und Sozialversicherungsrückständen, dass wegen der im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu treffenden Prognoseentscheidung dann ein Zusammenfallen von Vollzugs- und Widerrufssinteresse zu bejahen ist, wenn sich diese kontinuierlich und in erheblichem Umfang erhöhen. Anders verhält es sich aber, wenn diese, wie vorliegend, in jüngster Zeit verringert worden sind, da für die Bejahung eines besonderen Vollzugsinteresses die begründete Besorgnis bestehen muss, dass der Betroffene sein Fehlverhalten gerade auch im Anschluss an die Widerrufsverfügung während des laufenden Widerspruchsverfahrens fortsetzen wird (ebenso: VGH Baden-Württemberg a.a.O., Hess VGH a.a.O).

Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Antragsteller mit dem Finanzamt und mit der AOK Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen hatte - beide datieren vor der Widerrufsverfügung -, die er auch einhalte. Dabei hat es zu dem kurzfristigen Verzug gegenüber der AOK ausgeführt, dass dieser nicht unbedingt den Schluss zulasse, dass die Gefahr eines weiteren Anstiegs der Rückstände drohe, weil den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen sei, dass der Antragsteller sich des Ernstes seiner Lage bewusst geworden sei und - wenn auch unter dem Druck des Widerrufsverfahrens - nunmehr nachhaltige Anstrengungen unternehme, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Hierzu wiederholt die Antragsgegnerin mit ihrem Verweis auf den bisherigen Ablauf des Verwaltungsverfahrens im Wesentlichen lediglich ihr erstinstanzliches, vom Verwaltungsgericht bereits hinreichend berücksichtigtes Vorbringen. Dabei unterscheidet sie - von ihrer Rechtsauffassung ausgehend allerdings zutreffend - nicht ausreichend zwischen den zu treffenden Prognosen einerseits für die Widerrufsverfügung und andererseits für das erforderliche besondere Sofortvollzugsinteresse. Diese vom Verwaltungsgericht in Bezug auf das Nichtvorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses im hier zu beurteilenden Einzelfall verneinte negative Prognose wird weiterhin bestätigt, wie die Stellungnahme des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nebst aktueller Bestätigungsschreiben der AOK und des Finanzamtes zeigt.

Der schließlich von der Antragsgegnerin geltend gemachte Einwand, dass die Berücksichtigung der Nachzahlung bisher offener Raten im Laufe eines gerichtlichen Eilverfahrens im Rahmen des besonderen Vollzugsinteresses zur Folge hätte, dass sie nie mehr die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung anordnen könnte, da sie stets befürchten müsste, dass der Betroffene durch schlichte Nachzahlung die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs erreichen könnte und sie dann auch noch die Kosten des gerichtlichen Eilverfahrens zu tragen hätte, geht mit seiner Verallgemeinerung sowohl an der auf den besonderen Einzelfall abstellenden Argumentation des Verwaltungsgerichts als auch an der Prozess-Rechtslage vorbei. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich darauf abgestellt, dass es im vorliegenden Einzelfall ein besonderes Vollzugsinteresse nicht zu erkennen vermochte. Dabei hat es auf das Vorliegen von Ratenzahlungsvereinbarungen gegenüber AOK und Finanzamt, die eingehalten werden, und wegen des kurzfristigen Rückstandes gegenüber der AOK auch auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens abgestellt und aus den dort vorgetragenen Umständen und dem sonstigen Verhalten des Antragstellers seit Einleitung des Widerrufsverfahrens geschlossen, dass der kurzfristige Verzug gegenüber der AOK nicht unbedingt den Schluss zulasse, dass die Gefahr eines weiteren Anstiegs der Rückstände drohe. Gegenüber diesen besonderen Umständen hat die Antragsgegnerin bislang - d.h. auch im Beschwerdeverfahren - nichts Substantielles vorgetragen. Das Prozesskostenrisiko hätte die Antragsgegnerin vorliegend dadurch vermeiden können, dass sie nach Kenntnis des Vortrags des Antragstellers im Widerspruchsverfahren, ohne einen entsprechenden gerichtlichen Eilbeschluss abzuwarten, den in ihrer Untersagungsverfügung vom 21. Juli 2003 angeordneten Sofortvollzug selbst aufgehoben und den Eilrechtsstreit für erledigt erklärt hätte. Es wäre ihr dadurch unbenommen geblieben, den Sofortvollzug dann wieder anzuordnen, wenn weitere Zahlungsverzögerungen eintreten sollten, die ihrerseits ein besonderes Vollzugsinteresse begründen könnten. Auf die insoweit nun nur im gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO bestehende, ähnliche Möglichkeit hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich hingewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1, 14 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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