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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 05.02.2003
Aktenzeichen: 4 A 411/01
Rechtsgebiete: AuslG, EFA, GFK
Vorschriften:
AuslG § 14 | |
EFA Art. 1 | |
GFK Art. 23 |
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Az.: 4 A 411/01
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Aufenthaltsbefugnis
hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 4. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht R., den Richter am Verwaltungsgericht J., die Richterin am Verwaltungsgericht P., sowie die ehrenamtlichen Richter J. und K. für Recht erkannt:
Tenor:
Die Nebenbestimmung der Aufenthaltsbefugnis vom 23.02.2001 "Bei Sozialhilfebezug ist die Wohnsitznahme nur in Schleswig-Holstein gestattet" wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Der Kläger stammt nach seinen Angaben aus Aserbaidschan. Seine Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes war erfolgreich (Urteil vom 04.09.2000 - 4 A 462/00 -). Mit Bescheid vom 16.02.2001 stellte das Bundesamt daraufhin fest, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Aserbaidschans vorlägen. Der Beklagte erteilte daraufhin einen Reiseausweis gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und eine Aufenthaltsbefugnis (Bescheid vom 23.02.2001). Diese enthält unter anderem folgende Nebenbestimmung: "Bei Sozialhilfebezug ist die Wohnsitznahme nur in Schleswig-Holstein gestattet". Den gegen diese Nebenbestimmung gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2001 zurück. Zur Begründung bezog er sich auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.03.1996 (1 C 34/93) und vom 18.05.2000 (5 C 29/98) sowie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 06.06.2001 (9 LB 1404/01) und machte geltend, dass im Falle der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis mit Auflagen zulässig sei. In Schleswig-Holstein bestehe eine Weisung des Schleswig-Holsteinischen Innenministeriums, dass im Fall der Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen bei Sozialhilfebezug die Wohnsitznahme räumlich auf das Land Schleswig-Holstein zu beschränken sei. Zum Zweck einer landeseinheitlichen Verwaltungspraxis werde hieran festgehalten. Auch aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.03.1996 lasse sich entnehmen, dass Aufenthaltsbefugnisse, die anerkannten Flüchtlingen erteilt würden, mit räumlichen Beschränkungen im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG versehen werden dürften. Diesen Personenkreis behandele auch das genannte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger macht unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.05.2000 (5 C 29/98) und das Urteil der Kammer (der Einzelrichterin) vom 10.11.2000 (4 A 35/00) geltend, dass für Flüchtlinge im Sinne der GFK keine sozialhilferechtliche Residenzpflicht bestehe. Die zu § 120 Abs. 5 BSHG vorgebrachten Argumente, die das Bundesverwaltungsgericht für sozialhilferechtlich nicht tragbar halte, griffen auch auf ausländerrechtliche Ebene nicht.
Der Beklagte habe sein Ermessen überhaupt nicht ausgeübt, es sei nicht erkennbar, warum er - der Kläger - seinen Wohnsitz gerade in Schleswig-Holstein nehmen solle. Er arbeite derzeit - wie auch schon früher - aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags in Hamburg und habe dort eine Wohnung. Er habe die Zusage des Arbeitgebers, ihn - nach Ablauf des derzeitigen Arbeitsvertrages im Februar 2003 - im Juni 2003 wieder einzustellen. Außerdem sei es nicht erforderlich, die während des Asylerfahrens nach Zufallskriterien vorgenommene Verteilungsentscheidung über dessen Abschluss hinaus fortzuführen.
Der Kläger beantragt,
die Wohnsitzauflage aufzuheben,
hilfsweise, den Beklagten zur Neubescheidung zu verpflichten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seinen Widerspruchsbescheid und die dort genannte Rechtssprechung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des gegenseitigen Vorbringens wird auf den Akteninhalt einschließlich dem Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die hier streitige - und selbständig anfechtbare - Wohnsitzauflage ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Sie ist daher aufzuheben.
Rechtsgrundlage für die hier streitige Wohnsitzauflage ist § 14 Abs. 1 AuslG. Es handelt sich hier nicht um eine räumliche Beschränkung im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz1 AuslG, da die Nebenbestimmung dem Kläger nicht verbietet, sich außerhalb Schleswig-Holsteins aufzuhalten. Der Regelungsgehalt beschränkt sich auf die Wohnsitznahme im Fall des Sozialhilfebezuges.
Das für eine solche Auflage erforderliche öffentliche Interesse ist gegeben. Diese Nebenbestimmung dient nämlich dem Ziel, die Binnenwanderung von Sozialhilfe beziehenden Ausländern in Ballungsgebiete und die damit verbundenen Probleme zu verhindern. Diese Erwägung, die von denselben Motiven getragen ist, wie die Regelung in § 120 Abs. 5 BSHG, ist in dem von dem Beklagten zugrundegelegten Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 11.08.1997 zum Ausdruck gekommen, der wiederum auf einer Vereinbarung auf der Ebene der Ausländerreferentin des Bundes und der Länder beruht. Diese Regelung, die der Beklagte sich zu eigen gemacht hat, ist sachgerecht, weil die Bundesrepublik Deutschland daran interessiert ist und sein muss, die mit der Aufnahme und Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen verbundenen Sozialhilfelasten gleichmäßig und gerecht auf Länder und Kommunen zu verteilen. Außerdem kann eine solche Regelung missbräuchlicher (mehrfacher) Inanspruchnahme von Sozialhilfe vorbeugen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.12.2000 - 1 BvR 781/98 - zu § 120 Abs. 5 BSHG; BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 - 1 C 34/93 - BVerwGE 100, 335; OVG Lüneburg, Urteil vom 06.06.2001 - 9 LB 1404/01 -).
Die Auflage ist jedoch rechtwidrig, weil sie gegen innerstaatlich anwendbare völkerrechtliche Regelungen, nämlich das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) und gegen Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verstößt. Das durch Zustimmungsgesetz vom 15.05.1956 in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes, Recht transformierte (Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 14.03.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139) Europäische Fürsorgeabkommen sieht in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll vor, dass Flüchtlingen, die sich in irgendeinem Teil des Gebietes, auf das das Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der Sozial- und Gesundheitsfürsorge gewährt werden, die in der in diesem Teil des Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Daraus folgt, "dass in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen (werden darf) als mit den eigenen Staatsangehörigen (vgl. Deiseroth, DVBL 1998, 116, 118; ders. ZAR 2000, 7, 14)" (BVerwG, Urteil vom 18.05.2000 aaO).
Dasselbe folgt aus § 23 GFK, wonach die Vertragsstaaten verpflichtet sind, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und bei sonstigen Hilfeleistungen "die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen" zu gewähren. Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland unterliegen im Fall der Hilfsbedürftigkeit jedoch keinen Einschränkungen, die an den tatsächlichen Aufenthaltsort anknüpfen. Abgesehen von dem begrenzten Personenkreis der Spätaussiedler, dem (gemäß § 3 a des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler vom 26.02.1996, BGBl I Seite 225) eine mit § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG vergleichbare Beschränkung auferlegt wird, gibt es keine "sozialhilferechtliche Residenzpflicht". Somit darf die Gewährung von Sozialhilfe an Inländer nicht mit Beschränkungen des Aufenthaltsortes verbunden werden. Dasselbe gilt für die genannten Flüchtlinge. Die hier streitige Wohnsitzauflage verstößt somit gegen diese Bestimmungen.
Diese Gewährleistung der Inländergleichbehandlung für anerkannte Flüchtlinge ist nicht darauf beschränkt, dass die Betroffenen Sozialhilfe unter den gleichen Bedingungen wie Inländer dann erhalten, wenn sie sich in dem Gebiet aufhalten, das in der Nebenbestimmung zur Aufenthaltsbefugnis bezeichnet ist. Die Auffassung, dass das Recht auf öffentliche Fürsorge nicht das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes einschließe (VG Dresden, Urteil vom 07.11.2001 - 14 K 638/01 - AuAS 2002, 135; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.03.1996 aaO zu dem ähnlichen Artikel 23 StlÜbk) verkennt, dass sowohl Artikel 1 EFA als auch Artikel 23 GFK ausdrücklich vorsehen, dass die Leistungen dem geschütztem Personenkreis "unter den gleichen Bedingungen" ("on the same conditions", "aux memes conditions" bzw. "the same treatment...as is accorded to their nationals", "le meme traitement...qu`a leurs natonaux") zu gewähren sind. Dieser weitgefassten und weder in der Reichweite eingeschränkten noch sonst unter einen Vorbehalt gestellten Bestimmung lässt sich nicht entnehmen, dass an die Fürsorgeleistungen Beschränkungen des Aufenthaltsrechts oder des Wohnsitzes geknüpft werden dürfen. Vielmehr spricht gerade die Betonung, dass der sich "in irgendeinem Teil" ("in any part", "toute partie") des Hoheitsgebietes des Vertragsstaates aufhaltende fürsorgebedürftige Ausländer zu begünstigen sei, dafür, dass Artikel 1 EFA mit seinem Gebot der Inländergleichbehandlung auch die den Inländern nicht zugemuteten räumlichen Differenzierungen der Fürsorgegewährleistung ausschließen will (BVerwG, Urteil vom 18.05.2000 aaO; VGH München, Beschluss vom 01.07.1997 - 12 CE 96.2856 - NVwZ - Beilage 1/1998, 5; VG München, Urteil vom 11.06.2002 - M 21 K 02.1729 - InfAuslR 2003, 30).
Die gegen die Auffassung, dass eine Wohnsitzauflage der hier streitigen Art gegen die genannten völkervertraglichen Regelungen verstößt, vorgebrachten Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (im Urteil vom 18.05.2000 aaO) betreffen zwar unmittelbar § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG und damit nicht die hier streitige Konstellation (hierauf stellt das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 06.06.2001 aaO ab), die Auslegung von Artikel 1 EFA und Artikel 23 GFK ist jedoch verallgemeinerungsfähig und über den entschiedenen Einzelfall hinaus relevant. Nicht zu überzeugen vermag der Einwand, Artikel 23 GFK und Artikel 1 EFA in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll solle nicht mehr Rechte für Flüchtlinge begründen als die Freizügigkeitsregelung in Artikel 26 GFK gewähre. Nach dieser Regelung wird (Flüchtlingen) Freizügigkeit eingeräumt "vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden". Daraus wird abgeleitet, dass Auflagen (gemäß § 14 Abs. 2 AuslG, bzw. räumliche Beschränkungen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG) nicht gegen Artikel 26 GFK verstoßen, weil diese Einschränkungen unter den gleichen Umständen allen Ausländern mit einer Aufenthaltsgenehmigung auferlegt werden können (OVG Lüneburg aaO; VG Dresden, Urteil vom 07.11.2001 - 14 K 1427/01 - NVwZ Beilage I 9/2002, 103). Zwar handelt es sich bei der Regelung in § 14 AuslG, auf der die hier streitige Nebenbestimmung beruht, um eine auf alle Ausländer und nicht nur auf Flüchtlinge im Sinne der GFK anwendbare Vorschrift. Die nach § 14 AuslG mögliche Nebenbestimmung ist jedoch an höherrangigem oder konkurrierendem Recht zu messen. Für den hier streitigen Konflikt ist jedoch von dem Vorrang der spezielleren, nämlich auf anerkannte Flüchtlinge im Sinne der GFK zugeschnittenen Regelung in Artikel 23 GFK sowie Artikel 1 EFA in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll auszugehen. Eine andere Auslegung würde der insoweit vorbehaltlos übernommenen Inländergleichbehandlung auf dem Gebiet des Fürsorgerechts widersprechen. Wie das BVerwG (Urteil vom 18.05.2000 aaO) überzeugend ausführt, sind völkerrechtliche Verträge, die darauf angelegt sind, einen bestimmten Personenkreis in Schutz zu nehmen und ihm über die vertragsstaatliche Gesetzgebung durchsetzbare Ansprüche zu vermitteln, in besonderem Maße den Prinzipien der Vertragsklarheit und der Vorhersehbarkeit verpflichtet. Dies schließt die Annahme aus, die Vertragsstaaten könnten sich gleichsam verdeckt Einschränkungen der Fürsorgegewährleistung im Freizügigkeitstatbestand vorbehalten haben. Da jedoch weder Artikel 23 GFK noch andere Regelungen den Grundsatz einschränken, dass mit anerkannten Flüchtlingen in vergleichbaren Situationen nicht anders umgegangen wird als mit einem sozialhilfebedürftigen Inländer, lässt sich aus diesem Zusammenhang eine aus dem Bezug von Sozialhilfe hergeleitete Wohnsitzbeschränkung nicht rechtfertigen. Im Übrigen betrifft diese Beschränkung nicht alle Ausländer "unter den gleichen Umständen" (vgl. Artikel 6 GFK), die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, sondern nur bestimmte Ausländer (die eine Aufenthaltsbefugnis haben und Sozialhilfe beziehen). Hierin liegt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Ausländern und Inländern, die Artikel 23 GFK und das EFA gerade verhindern wollen (zweifelnd zur Vereinbarkeit von § 120 Abs. 5 BSHG mit Artikel 23 GFK auch OVG Schleswig, Beschluss vom 06.-08.1997 - 5 M 59/97 -; zweifelnd zur völkerrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Wohnsitzauflage auch VG Braunschweig, Beschluss vom 24.07.2001 - 5 B 199/01 - InfAuslR 2002, 127; anders VG Osnabrück, Urteil vom 24.11.1999 - 5 A 193/99 - InfAuslR 2000, 140, 142).
Nach diesen Grundsätzen ist die hier streitige Wohnsitzauflage rechtswidrig. Der Kläger erfüllt die genannten Voraussetzungen. Er ist anerkannter Flüchtling und verfügt über eine Aufenthaltsbefugnis. Die Frage, ob die Entscheidung des Beklagten wegen Nichtberücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers ermessensfehlerhaft ist, kann somit offen bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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