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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 09.10.2002
Aktenzeichen: 9 A 231/01
Rechtsgebiete: SchulG SH
Vorschriften:
SchulG SH § 79 Abs. 3 |
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Az.: 9 A 231/01
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Schulrecht
hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 9. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2002 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter ...und ... für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid vom 26.01.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2001 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen Betrag von 20.000,00 DM = 10.225,84 € zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt als Schulträger einer Grundschule in ... vom Beklagten einen Finanzausgleich wegen der erhöhten Kosten für die Beschulung eines blinden Kindes.
Das mit Beginn des Schuljahres 2000/2001 schulpflichtige Kind ..., geboren am ......1993, wohnhaft in der amtsangehörigen Gemeinde ..., ist blind.
Am 06.03.2000 tagte der Förderausschuss, um über die Beschulung des Kindes zu beraten. Eine Sonderschullehrerin erläuterte, dass ... nach dem Lehrplan der Grundschule unterrichtet werden könne. Mit der Grundschule wurden die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für die integrative Beschulung besprochen. Eine Lehrkraft der Schule für Sehgeschädigte in Schleswig sollte an zwei Tagen in der Woche mit insgesamt jeweils vier Stunden die Integrationsmaßnahme begleiten. Für eine integrative Beschulung ist der Einsatz von moderner Technik nötig, der Kosten in Höhe von ca. 40.000,00 DM verursachen soll. Der Kläger, der als Schulträger in der Sitzung des Finanzausschusses teilnahm, stimmte der Beschulung zu mit der Einschränkung, dass die Übernahme der sächlichen Kosten geklärt sei.
Der Kläger beantragte am 13.03.2000 bei dem Beklagten einen Zuschuss gem. § 79 Abs. 3 SchulG für die Beschulung des Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Er wies auf die Anschaffungskosten in Höhe von 40.000,00 DM und die jährlichen Mehraufwendungen in Höhe von jeweils 1.500,00 DM hin und beantragte für die Einrichtung des EDV gestützten Arbeitsplatzes in der Grundschule eine Kreiszuwendung in Höhe von 20.000,00 DM.
Das Schulamt des Beklagten ordnete am 15.08.2000 die Beschulung des blinden Kindes im Rahmen einer integrativen Maßnahme an. ... besucht seit August 2000 die Grundschule in ....
Der Finanzausschuss des Beklagten lehnte auf seiner Sitzung am 20.12.2000 den Antrag auf Zuwendung ab mit der Begründung, aus § 79 Abs. 3 SchulG folge keine Förderverpflichtung. Die Gemeinde ... müsse erst eigene Finanzierungsmöglichkeiten ausschöpfen. Die Gemeinde sei finanziell leistungsfähig. Eine Förderung käme nur in Höhe von 25 - 30 % der Gesamtkosten in Betracht. Da aber nach den Kreisrichtlinien ein Zuschuss mindestens 20.000,00 DM betragen müsse, um eine spürbare finanzausgleichende Wirkung zu haben, käme eine Kreiszuweisung nicht in Betracht. Der Beklagte lehnte aufgrund der negativen Entscheidung des Finanzausschusses den Antrag mit Bescheid vom 26.01.2001 ab. Der Kläger legte am 13.02.2001 Widerspruch ein unter Hinweis darauf, dass nicht die Gemeinde Schulträger sei, sondern sie, das Amt. Auch seien nicht die Kreisrichtlinien für Zuwendungen im Rahmen der Ausgleichsfunktion des Kreises einschlägig, den § 79 Abs. 3 SchulG sei eine Spezialvorschrift, die einen Ausgleich vorsehe, wenn besondere Aufwendungen notwendig seien. Es handele sich um eine Lastenverteilung für die Integration behinderter Schüler.
Der Finanzausschuss des Beklagten beriet auf seiner Sitzung am 09.04.2001 erneut darüber und lehnte den Antrag ab mit der Begründung, dass der Kläger die Kosten alleine finanzieren könne. Es läge kein unzumutbarer Mehrbedarf vor. Der Kläger habe eine Rücklage in Höhe von 182.000,00 DM. Bei Anhebung der Amtszulage von der Zeit 31 % wäre die Finanzierung auch von allen amtsangehörigen Gemeinden zu verkraften. Nachdem der Beklagte den Kläger erneut angehört hatte, lehnte dieser den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2001 mit der vom Finanzausschuss übernommenen Begründung ab.
Der Kläger hat am 09.07.2001 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass zwar dem Schulträger gem. § 53 SchulG die Aufgabe zugewiesen worden ist, den Sachbedarf der Schulen zu decken, soweit das Gesetz nichts anderes bestimme. § 79 Abs. 3 SchulG sehe aber als Spezialvorschrift eine andere Finanzierung vor. Der Begriff der "Unzumutbarkeit" beurteile sich nicht nach der finanziellen Situation eines Schulträgers, sondern nach Gegenüberstellung der Kosten von Grundschülern und den Schülern, die mit sonderpädagogischem Sonderbedarf an der Schule unterrichtet werden. Für einen nichtbehinderten Grundschüler würden jährlich Kosten in Höhe von 100,00 DM anfallen, während für die blinde Schülerin eine einmalig Investition in Höhe von 40.000,00 DM und jährlich 1.600,00 DM anfielen. Während der vier Grundschuljahre würde für die blinde ... Kosten von 40.000,00 DM plus 4 x 1.600,00 = 46.400,00 DM anfallen, für andere Grundschüler dagegen nur 400,00 DM. Für den Kläger, der zum Zeitpunkt der Investition einen Schuldenstand von 500.000,00 DM hatte, sei die Anhebung der Amtszulage zur Finanzierung der Mehrkosten auch nicht zumutbar, da die amtsangehörigen Gemeinden finanziell nicht weiter belastet werden dürften. Dieses habe auch das Gemeindeprüfungsamt des Kreises in seinem Prüfbericht vom 04.01.2001 festgestellt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Bescheide vom 26.01.2001 und 07.06.2001 den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Zuwendung von 50 % der Investitionskosten zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.
Wegen des gesamten Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über den Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat einen Anspruch auf die von ihm beantragte Zuwendung in Höhe von 20.000,00 DM = 10.225,84 €, § 113 Abs. 5 VwGO.
Anspruchsgrundlage für die beantragte Zuwendung ist § 79 Abs. 3 SchulG. Danach haben Kreise in ihrem Gebiet für einen Finanzausgleich zu sorgen, wenn mit Zustimmung der Schulaufsichtsbehörde Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Grundschulen oder weiterführende allgemein bildende Schulen besuchen und dadurch den Schulträgern ein unabwendbarer und unzumutbarer Mehrbedarf entsteht.
Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt, denn bei ... ist aufgrund der Blindheit sonderpädagogischer Förderbedarf durch den Förderausschuss festgestellt worden. Die Schulaufsichtsbehörde hat die Beschulung des Kindes auf der Grundschule angeordnet. Dadurch entsteht dem Kläger als Schulträger der betroffenen Grundschule ein unabwendbarer Nebenbedarf, der mit Hilfe der fachkundigen staatlichen Schule für Sehgeschädigte - Zentrum für Beratung und Frühförderung - in Schleswig ermittelt worden ist und zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Dieser unabwendbare Mehrbedarf ist für den Kläger auch unzumutbar.
Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den Trägern von Grundschulen nicht zuzumuten, mit dem für diese Schulart niedrigen Schulkostenbeiträgen Kinder zu beschulen, die an sich einer anderen Schulart zuzuordnen wären, für die ein höherer Schulträgeraufwand erforderlich wäre und für die deshalb auch höhere Schulkostenbeiträge zu zahlen wären (vgl. Gesetzesbegründung, Drucksache 12/546 des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 17.10.1989, Seite 99). Es handelt sich damit um einen schulinternen Lastenausgleich. Gem. § 71 Abs. 3 SchulG sind die Kreise und kreisfreien Städte Träger der Sonderschulen, wenn nicht die Gemeinden gem. § 71 Abs. 1 SchulG für die Förderschulen oder gem. Abs. 2 SchulG das Land Schulträger ist. Dementsprechend hat der Kreis gem. § 76 SchulG für einen Schüler aus seinem Gebiet, der eine Sonderschule besucht, an den Schulträger einen Schulkostenbeitrag zu zahlen. Bei der Überlegung, was als "unzumutbarer Mehrbedarf" im Sinne von § 79 Abs. 3 SchulG zu verstehen ist, ist zugrunde zulegen, dass nach den schulrechtlichen Vorschriften prinzipiell den Kreisen und kreisfreien Städten die finanziellen Belastungen zugewiesen worden sind, die sich aus der Beschulung von Kindern ergeben, bei denen ein sonderschulpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden ist und die keine Förderschule im Sinne von § 71 Abs. 1 SchulG besuchen. Da der Beklagte keine Sonderschule für Sehbehinderte in seinem Kreisgebiet vorhält, und es eine solche in Schleswig-Holstein auch nicht gibt, werden durch die integrative Beschulung auf der Grundschule z. B. Kosten gespart für eine Internatsunterbringung in Hamburg oder für die Schulkostenbeiträge für eine Beschulung in Hamburg zuzüglich der Fahrten am Wochenende und den Ferien. Diese Kosten müsste der Beklagte entweder als Schulkostenbeiträge oder als Träger der Sozialhilfe gem. § , 43 Abs. 2 Nr. 2 BSHG als einkommensunabhängige Eingliederungshilfe bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu aufbringen.
Andererseits sind die Schulträger der Grundschulen nach der Finanzausstattung nicht dazu bestimmt, Kinder mit sozialpädagogischen Förderbedarf zu beschulen, weil ihnen als kleine Verwaltungseinheit die Finanzierung nicht zuzumuten ist. Da eine integrative Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Kindern nicht nur pädagogisch sinnvoll für das Kind und zudem aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz folgt, dass eine solche auf Wunsch der Eltern des Kindes erfolgen muss, wenn diese an den allgemein bildenden Schulen möglich ist (vgl. Niehüss, Schulrecht, 3. Aufl., Rn. 385), sondern darüber hinaus wirtschaftlich ist, weil für den Beklagten Kosten erspart werden, kommt es nicht auf die finanzielle Situation des Schulträgers der Grundschule an, sondern auf einen Vergleich, welche Kosten ihm entstehen für die Beschulung von nichtbehinderten Kindern und welche für das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Bei Berücksichtigung der vom Kläger dargelegten Kosten, die auch von dem Beklagten nicht bestritten werden, wendet der Kläger für Grundschüler während der vierjährigen Grundschulzeit 400,00 DM pro Schüler auf, während er für ... 46.400,00 DM aufwenden muss. Das entspricht den Kosten für die Beschulung von 116 Grundschulkindern für vier Jahre (46.400,00 x 400,00 = 116,00). Bei diesem Vergleich wird deutlich, dass es dem Kläger nicht zumutbar ist, Schulkosten in dieser Höhe zu tragen. Da der Kläger nur einen Teil der ihm entstandenen Kosten begehrt, muss auch nicht der Frage nachgegangen zu werden, ab welcher Mehrbelastung die Unzumutbarkeit im Sinne von § 79 Abs. 3 SchulG beginnt. Denn in dem der Kläger freiwillig 50 % der Investitions- und 100 % der laufenden Kosten übernommen hat, hat er mehr als das ihm zumutbare an Mehrkosten übernommen.
Da § 79 Abs. 3 SchulG für die Kreise weder eine Ermessensregelung enthält, noch die Vorschrift unter dem Vorbehalt der im Haushaltsplan an bereit gestellten Mittel im Sinne von § 79 Abs. 1 SchulG steht, hat der Kläger einen Anspruch auf die von ihm begehrte Zuwendung.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO, 167 VwGO i. V. m §§ 711, 708 Nr. 11 ZPO.
Ende der Entscheidung
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