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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: 9 A 55/01
Rechtsgebiete: BauGB, StrWG SH


Vorschriften:

BauGB § 127 ff
StrWG SH § 2
StrWG SH § 6
StrWG SH § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 9 A 55/01

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Erschließungsbeiträge

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 9. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2002 am 28. Mai 2002 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ... als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid vom 11. Mai 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, in dem gegen ihn ein Erschließungsbeitrag für sein Grundstück in der Gemeinde ... im "...weg" festgesetzt worden ist.

Der "...weg" besteht seit mindestens 1883 als Gemeindeweg zwischen den Gemeinden ... und .... Der erste Anbau an dieser Straße erfolgte 1894 durch die Errichtung eines landwirtschaftlichen Anwesens (heute: ...weg 23). Im Jahre 1911 wurde die Baugenehmigung für ein weiteres Wohn - und Stallgebäude erteilt (heute: ...weg 12). In den Jahren 1926 und 1953 wurden unmittelbar vor jenem im Jahre 1911 erbauten landwirtschaftlichen Gebäude jeweils eine Landarbeitersiedlung errichtet (heute: ...weg 8 und 10). Ein weiterer Anbau fand an dieser Straße bis 1962 nicht statt. Erst ab 1997 erfolgte auf der Südseite des ...weges weitere Bebauung. Auf der Nordseite befanden sich landwirtschaftliche Nutzflächen. Jene Flächen konnten bis zum Erlass des Bebauungsplanes Nr. 3 der Gemeinde ...im Jahre 1992 bis auf drei Ausnahmen nicht bebaut werden. Nach Abschluss des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 3 im Jahre 1995 wurden Baugenehmigungen für die Bebauung der Nordseite erteilt. Zwischenzeitlich sind alle im Bebauungsplangebiet ausgewiesenen Baugrundstücke bebaut sowie darüber hinausgehend weitere Grundstücke entlang dem "...weg".

Im Jahre 1967 war der "...weg" im Rahmen von EG-weiten Förderprogrammen in einer Breite von ca. 3 Metern mit einer Schwarzdecke in einer Stärke von etwa 6 bis 10 cm versehen worden. Im Zuge des Ausbaus der zentralen Ortsentwässerung (von 1981 bis 1988) war ein "Mischwasserkanal" im "...weg" verlegt worden mit einem Durchmesser von 250 mm. Jener Mischwasserkanal hatte im wesentlichen die Aufgabe, das Schmutzwasser der vorhandenen bebauten Grundstücke abzuführen und darüber hinaus - soweit das Fassungsvermögen es zuließ - Oberflächenwasser von den privaten Grundstücken und von der Straße aufzunehmen und abzuführen. Die Straßenbeleuchtung war hergestellt. In den Jahren 1997/1998 wurden weitere Baumaßnahmen im "...weg" durchgeführt, die auf dem Beschluss der Gemeindevertretung der Gemeinde ... vom 27. März 1996 beruhten und den Ausbau des Gehweges, eine Fahrbahnverbreiterung sowie eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende Oberflächenentwässerung umfasste und den Anlass für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Anliegergrundstücke des "...weges" bildeten.

Durch Bescheid vom 11. Mai 2000 setzte der Beklagte einen Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Straße "...weg" in der amtsangehörigen Gemeinde ... für das Grundstück des Klägers "...weg 4 a" in Höhe von 71.710,91 DM fest. Er führte dazu aus, die amtsangehörige Gemeinde ... habe den ehemals als Wirtschaftsweg vorhanden gewesenen ...weg zwischenzeitlich erstmalig als zum Anbau bestimmt hergestellt. Die Herstellung dieser Erschließungsanlage habe beitragsfähige Aufwendungen in Höhe von 260.444,72 DM erfordert. Ausgehend hiervon sei die Festsetzung des auf das Grundstück des Klägers entfallenden Erschließungsbeitrags berechnet worden.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger im wesentlichen geltend, bei der vom Beklagten als solche eingestuften Erschließungsmaßnahme handele es sich tatsächlich um eine Ausbaumaßnahme. Das habe zur Folge, dass keine Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten. Lediglich auf der Grundlage einer Ausbaubeitragssatzung in Verbindung mit § 8 Kommunalabgabengesetz - KAG - hätten Beiträge erhoben werden können; an einer solchen Ausbaubeitragssatzung fehle es aber zur Zeit noch in der Gemeinde ....

Durch Bescheid vom 31. Januar 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus, vor der hier relevanten erschließungsbeitragspflichtigen Maßnahme in den Jahren 1997, 1998 sei - ausgehend von der Historie des "...weges" - zu keinem früheren Zeitpunkt bereits eine erstmalig zum Anbau hergestellte Straße vorhanden gewesen. Daher werde nunmehr zu Recht ein Erschließungsbeitrag erhoben. Auch die übrigen vom Kläger geltend gemachten Einwände führten nach Auffassung des Beklagten, der sich mit ihnen im Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2001, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, auseinander setzte, nicht zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung.

Der Kläger hat am 09. Februar 2001 Klage erhoben.

Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, der angefochtenen Bescheid sei rechtswidrig; denn die ihm zugrundeliegende Erschließungsbeitragssatzung - EBS - vom 08. Dezember 1992 sei hinsichtlich der Regelung in § 7 über die Merkmale der endgültigen Herstellung wegen Verstoßes gegen § 132 Nr. 4 Baugesetzbuch - BauGB - nichtig. Der Verweis in der Satzung auf das gemeindliche Bauprogramm sei zu unbestimmt. Dadurch würden vom Satzungsgeber keine für das gesamte Gemeindegebiet einheitlichen Maßstäbe für einen als "endgültig" zu bezeichnenden Ausbauzustand einer Anbaustraße geregelt. Weiter lasse die EBS der Gemeinde hinsichtlich der Teileinrichtungen "Beleuchtung" und "Entwässerung" ein hinreichend bestimmtes technisches Ausbauprogramm vermissen, wenn in § 7 Abs. 1 b EBS lediglich bestimmt werde, als endgültig hergestellt sei die Straße anzusehen, wenn sie über betriebsfertige Entwässerungs- und Beleuchtungseinrichtungen verfüge.

Zudem hätte der Beklagte der Berechnung des Beitrags allenfalls Straßenausbaubeitragsrecht, nicht hingegen Erschließungsbeitragsrecht zugrunde legen dürfen; denn bei dem "...weg" habe es sich zu Beginn der hier abgerechneten Maßnahme bereits um eine endgültig hergestellte, zum Anbau bestimmte Straße im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB gehandelt.

Der ...weg habe - wie auch vom Beklagten selbst vorgetragen - bereits vor Beginn der Baumaßnahmen in den 90-er Jahren über eine befestigte Oberfläche, eine Straßenentwässerung und -beleuchtung verfügt. Dies habe den Anforderungen der EBS (1992) hinsichtlich der Merkmale der endgültigen Herstellung für Straßen entsprochen. Da die Gemeinde den "...weg" - so der Vortrag im Widerspruchsbescheid - spätestens ab 1967 zum inneren Anbau vorgesehen gehabt habe, folge daraus - ungeachtet der Nichtigkeit der EBS - dass es sich bei den nunmehr abgerechneten Baumaßnahmen nicht um eine erstmalige Herstellung im Sinne von § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB handele. An dieser Bewertung ändere sich nichts dadurch, dass der "...weg" bis zum Erlass des Bebauungsplanes Nr. 3 nur einseitig bebaubar gewesen sei. Auch eine einseitige Anbaustraße sei bereits eine zum Anbau bestimmte Straße im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB.

Falls die nunmehr vom Beklagten vorgelegte EBS aus dem Jahre 1965 wirksam sein sollte, wären bereits vor Inkrafttreten der EBS aus dem Jahre 1992 alle Herstellungsmerkmale erfüllt gewesen, so dass der ...weg spätestens nach Durchführung der Baumaßnahmen im Jahre 1988 erschlossen gewesen wäre.

Ungeachtet aller vorstehend genannten rechtlichen Alternativansätze sei jedenfalls maßgebend, dass die im März 1996 von der Gemeindevertretung der Gemeinde ... beschlossene "Enderschließung" des ...weges von der Einmündung des "...weges" bis zum Ende des Innenbereiches (beim Grundstück ...) nicht als das nach § 7 Abs. 1 Satz 2 EBS (1992) maßgebliche Bauprogramm einzustufen sei. Vielmehr habe die Gemeinde bei Erlass des B-Planes Nr. 3 im Jahre 1992 durch die dortige Plangestaltung konkludent ihr Bauprogramm festgelegt, an dem das Entstehen von Erschließungsbeitragspflichten zu messen sei. Eine spätere Änderung des Bauprogrammes (wie durch die Beschlüsse im Jahre 1996 erfolgt) öffne nicht den Weg für die zeitliche Verschiebung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Mithin hätten die Kosten für die 1988 durchgeführten Baumaßnahmen im "...weg" bei Inkrafttreten der EBS 1992 - unterstellt, die EBS 1965 sei unwirksam - im Rahmen einer Erschließungsbeitragserhebung umgelegt werden können. Insoweit liege allerdings jetzt Festsetzungsverjährung vor. Die Baumaßnahmen 1997/98 wären lediglich über Ausbaubeiträge zu erfassen; das scheitere jedoch daran, dass für die Gemeinde ... keine Ausbaubeitragssatzung existiere.

Der Kläger beantragt,

den Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 11. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Darlegungen aus dem Widerspruchsbescheid. Unter Bezug auf die dort beschriebene historische Entwicklung des "...weges" betont er, das nach der EBS 1992 für die flächenmäßigen Bestandteile der Straßen, Wege und Plätze geforderte Bauprogramm sei nach dem Willen und der Vorstellung der Gemeinde ... erstmals im Rahmen des Beschlusses der Gemeindevertretung vom 27. März 1996 über den Ausbau des ...weges festgelegt worden. Konkretisiert worden sei dieses Bauprogramm durch den dem Beschluss zugrundeliegenden Bauentwurf des mit der Planung der Erschließungsstraße beauftragten Ingenieurbüros. Erst mit der tatsächlichen Umsetzung dieses Bauprogrammes und der Abrechenbarkeit der damit verbundenen Bauvorhaben hätten die Merkmale der erstmaligen Herstellung des als zum Anbau bestimmten ...weges vorgelegen.

Auf die Widmung der Straße sei verzichtet worden, weil der ...weg von jeher als Wirtschaftsverbindungsweg genutzt worden sei und insofern als öffentliche Straße im Sinne von § 57 Abs. 3 Straßen- und Wegegesetz Schleswig-Holstein - StrWG-Schl.H. - einzustufen sei.

Der Rechtsstreit ist der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Erschließungsbeitragsbescheid vom 11. Mai 2000 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2001 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Beklagte ist (zur Zeit) nicht berechtigt, für die in den Jahren 1997/98 in der Straße "...weg" durchgeführten Baumaßnahmen Erschließungsbeiträge zu erheben. Es liegen noch nicht alle Voraussetzungen für eine auf die Erschließungsbeitragssatzung - EBS - 1992 iVm §§ 127 ff BauGB gestützte Beitragserhebung vor; denn der "...weg" stellt bislang keine öffentliche zum Anbau bestimmte Straße im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB dar.

Für die Abrechnung der Baumaßnahme 1997/98 wäre grundsätzlich Erschließungs- und kein Ausbaubeitragsrecht anzuwenden. Die erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschriften gemäß § 127 ff. BauGB erfassen lediglich Baumaßnahmen, die zur erstmaligen endgültigen Herstellung von beitragsfähigen Erschließungsanlagen führen. Ob eine nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes - BBauG - im Jahr 1961 oder des Baugesetzbuches im Jahr 1987 durchgeführte Baumaßnahme eine Erschließungs- oder Ausbaubeitragspflicht auslöst, hängt mithin davon ab, ob die ausgebaute Anlage zuvor bereits endgültig hergestellt war. Ob eine Erschließungsanlage irgendwann nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes oder des Baugesetzbuches endgültig hergestellt worden ist, bestimmt sich wiederum nach diesen Gesetzen iVm mit den in der einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung aufgenommenen Merkmalen der endgültigen Herstellung einschließlich der sie - für die flächenmäßigen Teilanlagen - ergänzenden Bauprogramme. Die Abrechnung von Baumaßnahmen, die nach der unter Geltung des Bundesbaugesetzes oder des Baugesetzbuches erfolgten endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage durchgeführt werden, richtet sich ausschließlich nach ausbaubeitragsrechtlichen Bestimmungen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gemeinde für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage Erschließungsbeiträge erhoben hat oder nicht (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 22 zu § 2).

Der ...weg war nicht bereits vor dem Jahre 1961 als endgültig hergestellt anzusehen; es handelte sich hierbei nicht um eine "vorhandene Erschließungsanlage" im Sinne von § 242 Abs. 1 BauGB.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 25.02.1964 - I C 88.63, E 18,80/89 f., Urteil vom 16.09.1977 - IV C 99.74 - Buchholz 406.11, § 133 Nr. 62) ist der Begriff der "vorhandenen Erschließungsanlage" lediglich eine andere Bezeichnung für die "bereits hergestellte Erschließungsanlage" im Sinne des (nicht in das Baugesetzbuch übernommenen) § 133 Abs. 4 BBauG. Zu den "bereits hergestellten Erschließungsanlagen" des § 133 Abs. 4 BBauG gehörten in den Ländern, in denen bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes das preußische Anliegerbeitragsrecht galt - so auch in Schleswig-Holstein - zum einen die vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes insgesamt programmgemäß fertiggestellten Straßen und zum anderen die vorhandenen Straßen im Sinne des ehemaligen preußischen Anliegerbeitragsrechts (vgl. Habermann in: Dewenter/Habermann/Riehl u. a., Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar § 8, Rdnr. 115, Stand Oktober 2000; Driehaus: Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 2 Rdnr. 27).

Bei dem ...weg handelte es sich nicht um eine "programmgemäß fertiggestellte Straße" im Sinne des preußischen Anliegerbeitragsrechts; denn die Gemeinde ... hatte weder ein Ortsstatut erlassen, in dem die Merkmale für die Fertigstellung eine Straße festgelegt waren, noch existierte ein Bauprogramm, d. h. ein Plan für die Art und Weise des technischen Ausbaus.

Der ...weg war auch keine "vorhandene" Straße im Sinne der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu § 15 PrFluchtlG. Eine Straße war im Sinne des preußischen Anliegerbeitragsrechts vorhanden, wenn sie zu dem Zeitpunkt, in dem die Gemeinde ihr erstes wirksames Ortsstatut erlassen hatte, oder - sofern ein solches nicht bestand - spätestens bei Inkrafttreten des BBauG in ihrem damals vorhandenen Zustand mit dem Willen der Gemeinde wegen ihres insoweit für ausreichend erachteten Zustands dem innerörtlichen Anbau und Verkehr zu dienen bestimmt war und gedient hat (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 29. Februar 1966, 2 L 94/94, Die Gemeinde 1996, 276 bis 277; Habermann, aaO, § 8 Rdnr. 119; Driehaus, aaO, § 2 Rdnr. 33, Arndt, KStZ 1984, S. 197 ff). Da die Beklagte kein Ortsstatut nach § 15 PrFluchtlG besaß, tritt an die Stelle des sonst mit dem Inkrafttreten des ersten Ortsstatuts bezeichneten Zeitpunkts der letzte Tag, an dem die Gemeinde bzw. Stadt ein solches Statut nach dem alten Recht noch hätte in Kraft setzen können, d. h. der 29. Juni 1961 (vgl. Driehaus, aaO, § 2 Rdnr. 32). Eine Straße kann nur dann eine "vorhandene" im Rechtssinne sein, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt der objektive Tatbestand (innerörtliche Gemeindestraße, zur geschlossenen Ortslage gehörender Anbau, innerörtlicher Verkehr, ausreichender Ausbauzustand) und der subjektive Tatbestand (nach dem Willen der Gemeinde wegen des hinreichenden Ausbauzustandes für den innerörtlichen Anbau und Verkehr geeignet) erfüllt waren (vgl. Habermann, a.a.O. § 8, Rdnr. 119, OVG Schleswig, Urteil vom 29.02.1996, - 2 L 94/94 -, Die Gemeinde 1996, 276 bis 277, von Strauß/Torney/Sass in: Straßen- und Baufluchtengesetz vom 02. Juli 1875, 7. Aufl. 1934, Bemerkung 4 b zu § 15 PrFluchtlG, Seite 197).

Der ...weg erfüllte zum maßgeblichen Zeitpunkt jedenfalls nicht die objektiven Voraussetzungen einer "vorhandenen" Straße. Das ergibt sich schon aus dem damaligen Ausbauzustand; denn es fehlte jeder kunstgemäße Ausbau wie die Auskofferung und Packlage des Straßenkörpers, Pflasterung oder Teer- und Asphaltdecke, Regenrinne, Bordsteine, befestigte Fußwege, Kanalisation (vgl. Driehaus, aaO, Rdnr. 35 zu § 2). Vielmehr lag nach dem Akteninhalt lediglich ein Gemeindeverbindungsweg mit ganz vereinzelter, weiträumiger und noch dazu einseitiger Bebauung entlang einem Straßenkörper ohne kunstgemäßen Unterbau, ohne Fahrbahnbefestigung, wie auch die weiteren vorgenannten baulichen Bestandteile vor. Damit waren im Jahre 1961 auch nicht die Mindestanforderungen erfüllt, die man in einer kleinen Landgemeinde an den Ausbauzustand einer dem innerörtlichen Anbau und Verkehr dienenden Straße stellen müsste.

Eine erstmalige endgültige Herstellung des ...weges ist auch nicht bezogen auf den Zeitraum vor Inkrafttreten der EBS 1992 festzustellen. Insbesondere kann insofern - ungeachtet weiterer fehlender rechtlicher Voraussetzungen für die Erhebung eines Erschließungsbeitrages - nicht auf die im Laufe des Klageverfahrens zu den Gerichtsakten gereichte EBS 1965 zurückgegriffen werden. Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, diese Satzung sei unwirksam. Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 16. April 2002 dargelegt, es handele sich bei der eingereichten Kopie um eine solche vom Veröffentlichungsexemplar der EBS vom 15. Dezember 1965. Der vorliegenden Satzungsakte sei nicht zu entnehmen, dass die beschlossene Satzung ordnungsgemäß ausgefertigt worden sei; ein Ausfertigungsexemplar sei in der Akte nicht enthalten. Wie die eingereichte Fotokopie zeigt, wurde das Bekanntmachungsexemplar vom damaligen Bürgermeister und seinem Stellvertreter unterschrieben und mit dem Dienstsiegel der Gemeinde ... versehen. Die Nichtigkeit der gesamten Satzung ist aber bereits aufgrund dessen zu bejahen, dass die Satzung in der Überschrift einen Geltungsbereich nicht erkennen lässt; auf dem Vordruck ist ein Name einer Gemeinde nicht eingetragen. Ebenso fehlt das Datum der Beschlussfassung durch die Gemeindevertretung.

Auf der Grundlage der EBS 1992 kann der Beklagte zur Zeit ebenfalls keine Erschließungsbeiträge erheben; denn auch insoweit fehlt es noch an dem in § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB festgelegten Erfordernis einer "öffentlichen" zum Anbau bestimmten Straße.

Öffentliche Straßen und Wege entstehen in der Regel durch einen hoheitlichen Widmungsakt, durch den diese die rechtliche Qualität einer öffentlichen Sache, die im Gemeingebrauch steht, erhalten. Dies ergibt sich aus den §§ 2 und 6 StrWG-SH sowie für die Bundesfernstraßen aus § 2 Fernstraßengesetz - FStrG -. Ein solcher Widmungsakt ist - wie der Beklagte ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - hinsichtlich des ...weges bislang nicht erfolgt.

Bei dem ...weg handelt es sich auch nicht um eine vorhandene öffentliche Straße im Sinne von § 57 Abs. 3 StrWG. Nach dieser Vorschrift sind alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzen, öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Auch die bereits bei Inkrafttreten des Straßen- und Wegegesetzes Schleswig-Holstein im Jahre 1962 vorhandenen Straßen und Wege bedurften zu ihrer Bestimmung für den öffentlichen Verkehr einer öffentlich-rechtlichen Widmung, die nach früherem Schleswig-Holsteinischem Wegerecht seitens der Wegepolizei mit Zustimmung des Wege-Unterhaltungspflichtigen und des Grundstückseigentümers vorgenommen werden musste (PrOVG, Bd. 95, S. 148). Zwar verlangt der Widmungsakt keine ausdrückliche Erklärung; er kann sowohl stillschweigend als auch durch konkludente Handlung erfolgen. Doch setzt auch die stillschweigende Widmung tatsächliche Vorgänge voraus, die erkennen lassen, dass der Wille bestanden hat, die Straße dem öffentlichen Verkehr zu widmen. Ein derartiger formeller, konkludenter oder stillschweigend erfolgter Widmungsakt bezüglich der im Streit befindlichen Straße lässt sich jedoch im vorliegenden Fall nicht seitens des (insoweit beweispflichtigen) Beklagten nachweisen. Aus einem lediglich passiven Verhalten des Eigentümers (Gemeinde ...), das sich nur darauf beschränkte, einen tatsächlich bestehenden allgemeinen Verkehr nicht zu hindern, kann allein nicht auf die Vornahme einer Widmung geschlossen werden (vgl. BGH in: MDR 1962, S. 976; Pr.OVG, Bd. 94, S. 145).

Der Widmungsakt lässt sich im vorliegenden Fall auch nicht durch die Vermutung der "unvordenklichen Verjährung" ersetzen, wonach dann von der Öffentlichkeit einer Straße oder eines Weges auszugehen ist, wenn diese seit Menschengedenken unter stillschweigender Duldung des jeweiligen Eigentümers in der Überzeugung der Rechtmäßigkeit als öffentlicher Weg benutzt worden sind (OVG Münster in: NJW 1964, S. 1336). Der Nachweis, wie, wann und von wem die Widmung vorgenommen worden ist, kann in einem solchen Fall unterbleiben. Voraussetzung ist aber, dass der tatsächliche Zustand schon so lange besteht, wie man sich erinnern kann. Zudem müssten über sicherheitspolizeiliche Maßnahmen hinausgehende Handlungen auf Seiten der Wegepolizeibehörde feststellbar sein, die sich mittelbar oder unmittelbar als Ausfluss ihrer Fürsorge für die Straße/den Weg und den dort stattfindenden öffentlichen Verkehr als solchen oder doch als Ausdruck ihrer Überzeugung darstellen, dass ihr die Herrschaft hierüber zusteht.

Selbst wenn man die Benutzung des ...weges als seit "unvordenklichen" Zeiten bezeichnen wollte, fehlte es jedenfalls an Maßnahmen und Kundgebungen seitens des Beklagten im oben dargelegten Sinne. Seitens des Beklagten ist in der mündlichen Verhandlung zu diesen Punkten ausgeführt worden, es seien zwar, wie in ländlichen Bereichen seinerzeit üblich, auch in der Gemeinde ... von den Landwirten und Anwohnern Hand- und Spanndienste gefordert worden. Oftmals sei zur Unterhaltung der Straßen und Wege zu diesem Zweck Baumaterial aus gemeindlichen Sandgruben verwendet worden. Soweit darüber noch Unterlagen existierten, verhalte es sich häufig so, dass eine genaue Zuordnung der Unterhaltungsdienste zu einer bestimmten Straße schon deshalb nicht möglich sei, weil die Aufgabenverteilung nicht im einzelnen schriftlich festgehalten worden sei, vielfach auch eine Änderung der Straßen-/Wegebezeichnung zwischenzeitlich erfolgt sei oder Straßen/Wege zeitweilig gar keine eigenständigen Namen gehabt hätten. Belege, etwa in Form von Auftragsbescheinigungen, Rechnungsbelegen u. ä. wie auch sonstige Nachweise darüber, dass vor Inkrafttreten des Straßen- und Wegegesetzes Schleswig-Holstein in der Gemeinde ... in diesem Rahmen auch konkret der ...weg unterhalten worden sei, lägen nicht vor. Einen Nachweis über die Unterhaltung dieser Straße durch die Gemeinde wie auch sonstiger Maßnahmen als Ausfluss einer öffentlichen Fürsorge seien derzeit nicht mehr zu belegen.

Da es somit bereits an dem Erfordernis einer "öffentlichen" Straße, mithin an einem Erfordernis fehlt, dass auf jeden Fall als Voraussetzung für die Beitragserhebung erfüllt sein müsste, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht darüber hinaus auch eine fehlende Vermessung des ...weges entgegenstünde; denn gemäß § 7 Abs. 1 a EBS 1992 sind Straßen u. a. erst dann endgültig hergestellt, wenn ihre Flächen im Eigentum der Gemeinden stehen. Ist in der Beitragssatzung der Eigentumserwerb des Straßenlandes wirksam zum Herstellungsmerkmal bestimmt worden, so dürfte eine sachgerechte Auslegung der entsprechenden Vorschrift wohl regelmäßig ergeben, dass die Erfüllung dieses Merkmals den Abschluss der erforderlichen Vermessung des Straßenlandes voraussetzt (Driehaus, aaO, Rdnr. 42 zu § 11 und Rdnr. 19 zu § 12). Ob dieses Erfordernis uneingeschränkt auch dann zu bejahen ist, wenn kein eigentlicher Eigentumserwerb erfolgt, sondern die Flächen- wie im vorliegenden Fall - aus dem Gemeindeeigentum bereitgestellt werden (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1979 - 4 C 17.76, DÖV 1979, S. 644), kann genau so dahinstehen wie die zwischen den Beteiligten heftig umstrittene und stets im Zusammenhang gesehene Frage, ab wann der ...weg als eine zum Anbau bestimmte Straße anzusehen ist und ab wann erstmalig ein Bauprogramm im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 EBS 1992 vorgelegen hat. Der Beklagte sieht ein solches erstmalig in den Beschlüssen der Gemeindevertretung/des Bauausschusses im Jahr 1996 bezüglich der hier maßgeblichen Einrichtung, wie sie durch den B-Plan Nr. 3 und den sich anschließenden bebauten Innenbereich bestimmt wird. Der Kläger vertritt dem gegenüber die Auffassung, bereits bei der Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 3 im Jahre 1992 sei damit konkludent auch das maßgebliche Bauprogramm bestimmt worden, so dass die erstmalige endgültige Herstellung des ...weges auf jenen Zeitpunkt projeziert bejaht werden müsse. Diese Frage kann letztlich dahinstehen; denn da bislang kein öffentliche Straße vorliegt, konnte auch ein Bauprogramm, wenn es denn z. B. konkludent durch die Festlegungen bei Erlass des B-Planes Nr. 3 im Jahr 1992 aufgestellt worden sein sollte, jederzeit bis zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht wieder geändert werden. Da die sachliche Beitragspflicht - wie oben festgestellt - bislang nicht entstanden ist, könnte als maßgeblicher Ansatz nunmehr das Bauprogramm, wie es 1996 durch die entsprechenden Beschlüsse konkretisiert worden ist, herangezogen werden und auf dieser Grundlage bei Vorliegen aller Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in Betracht kommen. Dabei könnt als tragfähiges Ortsrecht die EBS 1992 jedenfalls noch während ihrer 20-jährigen Geltungsdauer (§ 2 Abs. 1 Satz 2 KAG) herangezogen werden.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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