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Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.04.2001
Aktenzeichen: B 24/01
Rechtsgebiete: VwGO, SchulG SH


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
SchulG SH § 45 Abs. 3 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 9 B 24/01

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Schulrecht, § 80 Abs. 5 VwGO

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 9. Kammer - am 20. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Der Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 S. 1, 2. Alternative VwGO die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit Sofortvollzug (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) versehene Verfügung der Antragsgegnerin vom 16. Februar 2001 wiederherzustellen, durch die seine im November 1986 geborene Tochter ... aufgrund eines Beschlusses der gemeinsamen Klassenkonferenz der Klassen R 7 b und R 7 c am 15. Februar 2001 gemäß § 45 Abs. 3 Nr. 4 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes - SchulG - von der Klasse R 7 c in die Parallelklasse R 7 b überwiesen worden ist, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.

Die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung des privaten Aufschubinteresses einerseits und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahme andererseits. Hierbei können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der angefochtenen Grundverfügung einfließen. Erweist sich die behördliche Entscheidung schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren als überwiegend rechtmäßig, wird regelmäßig das private Aufschubinteresse hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurücktreten müssen. Hingegen besteht in der Regel an der sofortigen Vollziehbarkeit einer offensichtlich rechtswidrigen Grundverfügung kein überwiegendes öffentliches Interesse. Läßt sich eine überwiegend anzunehmende Rechtmäßigkeits- bzw. Rechtswidrigkeitsentscheidung des Verwaltungsaktes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht feststellen, ist die Rechtslage mithin als offen anzusehen, so sind im Rahmen der dann vorzunehmenden Interessenabwägung die Folgen der Vollzugsaussetzung bei einer gleichwohl sich später als rechtmäßig erweisenden Grundverfügung einerseits den Auswirkungen der sofortigen Vollziehung einer letztlich rechtswidrigen Verfügung andererseits gegenüberzustellen.

Im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Aus dem Zweck der Begründungspflicht, zum einen den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis der Gründe, die die Behörde zur Vollziehungsanordnung veranlaßt haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abzuschätzen, und zum anderen der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung erfordert, ergibt sich, daß die maßgeblichen Gründe konkret darzulegen sind, wobei die Begründung ausnahmsweise auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes Bezug nehmen kann, wenn aus dieser bereits die besondere Dringlichkeit auch der Regelung im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO hervorgeht und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung klar erkennbar ist. Insofern kann sich die Behörde in solchen Fällen kurz fassen (vgl. Finkelnburg/Janck, Vorläufiger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage Rn. 1200; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 12. Auflage, § 80 Rn. 84, 85). Diesen Mindestanforderungen hinsichtlich der nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO erforderlichen Begründung des besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Das öffentliche Interesse, den der Schule obliegenden Erziehungs- und Bildungsauftrag jedem einzelnen Schüler gegenüber zu erfüllen, kann deckungsgleich sein mit dessen Individualinteresse an einer möglichst umfassenden und reibungslosen (Aus)Bildung durch die Schule. Indem die Antragsgegnerin zur Begründung des Sofortvollzuges in der Verfügung vom 16. Februar 2001 schwerpunktmäßig darauf abgestellt hat, daß - wie es dort heißt - ... Position in ihrer "alten" Klasse aufgrund des oben beschriebenen Vorfalles und ihres gesamten Verhaltens gegenüber ihren Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den meisten Lehrkräften derart beschädigt sei, daß der unverzügliche Wechsel in die Klasse R 7 b angeraten erscheine, hat sie nicht allein den aus ihrer Sicht erforderlichen Schutz ... an einer möglichst unbelasteten Fortführung der schulischen Ausbildung und Erziehung zur Grundlage ihrer Überlegung gemacht, sondern zugleich auf die Wechselwirkung abgestellt, die sich aus dem bislang bestehenden Spannungsverhältnis für die Klassengemeinschaft insgesamt sowie für die dort unterrichtenden Lehrkräfte ergibt, und damit das erforderliche besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug in zwar sehr knapper, aber noch ausreichender Form angesprochen (vgl. dazu auch Schl.-Holst. Oberverwaltungsgericht, Beschluß vom 13. März 2001 - 3 M 3/01 -). Bei der im Rahmen des hier anhängigen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, daß die zugrundeliegende schulrechtliche Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig einzustufen sein dürfte.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung vom 16. Februar 2001 ist § 45 Abs. 3 Nr. 4 SchulG. Danach ist als Ordnungsmaßnahme die Überweisung in eine Parallelklasse vorgesehen. Diese Maßnahme ist hier ausweislich der Begründung der Verfügung verhängt worden, weil ... einem Mitschüler am 05. Februar 2001 so hart mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen hatte, daß seine Nase blutete und seine Wange angeschwollen war. Dies war vor der dritten Schulstunde geschehen, als sich die Schüler in oder vor den Umkleideräumen der Sporthalle befunden und sich gegenseitig mit Schnee beworfen hatten. .... war von einem Mitschüler getroffen worden und hatte diesem sodann ins Gesicht geschlagen. Beide hatten die Taten zugegeben und ... hatte eingeräumt, sie hätte wohl nicht schlagen dürfen. Viele Klassenkameraden hatten dann lautstark ihren Unmut über ... Verhalten geäußert und "gefordert", daß endlich etwas gegen sie unternommen werden müßte; denn sie habe schon oft versprochen, sich zu ändern, aber es sei nichts passiert. Sie sei nach wie vor unkontrolliert, unbeherrscht und brutal. Die Antragsgegnerin stützt sich in ihrer Verfügung vom 16. Februar 2001 in diesem Zusammenhang darauf, daß die hier verhängte Ordnungsmaßnahme habe getroffen werden können, da ... Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung angewendet habe ( § 45 Abs. 2 Nr. 3 SchulG).

Gemäß § 45 Abs. 4 SchulG sollen Maßnahmen nach Abs. 3 S. 1 Nr. 3 - 5, mithin auch die Überweisung in eine Parallelklasse gemäß § 45 Abs. 3 Nr. 4, nur bei schwerem oder wiederholtem Fehlverhalten der Schüler angewandt werden. Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein.

Die vom Antragsteller in formeller Hinsicht erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers war die Ordnungsmaßnahme nicht vorher anzudrohen. Das Erfordernis einer vorherigen Androhung gemäß § 45 Abs. 6 S. 1 SchulG bezieht sich lediglich auf eine Ordnungsmaßnahme nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchulG (Überweisung in eine andere Schule mit dem gleichen Bildungsabschluß), nicht aber auf die hier ausgesprochene Überweisung in eine Parallelklasse gemäß § 45 Abs. 3 Nr. 4 SchulG.

Die Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlaß der Ordnungsmaßnahme, wie sie in § 45 Abs. 5 Satz 2 SchulG statuiert ist, wurde entgegen der Ansicht des Antragstellers ebenfalls nicht verletzt. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin wie auch letztlich nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers sind die betroffene Schülerin ... wie auch ihre Eltern mit hin auch der Antragsteller über den Vorfall als solchen - dessen Tathergang unstreitig ist - befragt bzw. in Kenntnis gesetzt worden. Eine - wie vom Antragsteller geforderte - detaillierte Information über mögliche schulische Ordnungsmaßnahmen ist hingegen nicht erforderlich. Im vorliegenden Fall ist allerdings nach den eigenen Angaben des Antragstellers wie auch aus den Verwaltungsakten ersichtlich als mögliche Ordnungsmaßnahme die Versetzung in eine Parallelklasse vor Erlaß der hier streitbefangenen Verfügung seitens der Antragsgegnerin angeführt worden.

Aus dem Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ergibt sich weiter, daß es seit Juni 1999 wiederholt zu Zwischenfällen gekommen ist, bei denen die Tochter des Antragstellers maßgeblich an verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen beteiligt war. Hinsichtlich eines dieser Vorfälle ist ihr bereits wegen einer Gewaltanwendung einem Mitschüler gegenüber unter dem 13. November 1999 ein schriftlicher Verweis erteilt worden. Ein weiterer schriftlicher Verweis ist - wenngleich wegen eines nicht gewaltgeprägten gravierenden Fehlverhaltens - am 30. Januar 2001 erfolgt. Da ...bislang trotz der vorangegangenen Ermahnungen und Ordnungsmaßnahmen keine ausreichenden Verhaltensänderungen gezeigt hat, ist die jetzt streitige Entscheidung der Antragsgegnerin für die Durchführung der schulischen Ordnungsmaßnahme nach § 45 Abs. 3 Nr. 4 SchulG nicht zu beanstanden.

Sie erweist sich bei summarischer Überprüfung auch als verhältnismäßig und geeignet im Sinne von § 45 Abs. 5 SchulG. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Ordnungsmaßnahme steht der Schule ein unter pädagogischen Gesichtspunkten zu treffendes Auswahlermessen hinsichtlich des Maßnahmenkatalogs nach § 45 Abs. 3 SchulG zu. Es ist nicht zu erkennen, daß die Antragsgegnerin hier unter pädagogischen Aspekten den ihr zustehenden Ermessenspielraum überschritten hätte. Angesichts der früheren Vorfälle wie auch der bis zur Verhängung der streitbefangenen Maßnahme nicht erfolgten nachhaltigen Verhaltensänderung bei ... dürfte die Umsetzung in die Parallelklasse als sachgerechte Ausübung des der Antragsgegnerin zustehenden Auswahlermessens einzustufen sein; denn durch diese Maßnahme soll in erster Linie ... selbst ein unbelasteter Neubeginn in einem neuen schulischen Umfeld (andere Mitschüler und weitgehend andere Fachlehrer) ermöglicht werden und zudem das bislang bestehende Spannungsverhältnis zu den Mitschülern und Lehrern der bisherigen Klasse aufgelöst werden. Die seit dem 19. Februar 2001 reibungslos verlaufende Teilnahme .... am Unterricht in der Parallelklasse zeigt, daß diese Zielsetzung offenbar erfolgreich umgesetzt werden konnte bzw. weiter wird umgesetzt werden können. Daß es dabei in einzelnen Fächern - wie der Antragsteller dargelegt hat - zu zeitlichen Verschiebungen hinsichtlich des Lehrstoffes (der insgesamt pro Klassenstufe entsprechend den landesweit vorgegebenen einheitlichen Lehrplänen gleich ist) kommen kann, die gegebenenfalls eine erhöhte Leistungs- und Lernbereitschaft .. erfordern mögen, um das Klassenziel der Versetzung erreichen zu können, liegt in der Natur der Sache, führt aber nicht dazu, daß die hier konkret getroffene Ordnungsmaßnahme als unzulässig einzuordnen wäre.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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