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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 848/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 98/59/EG, KSchG


Vorschriften:

Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.98 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen
KSchG §§ 17 f.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

2 Sa 848/04

Verkündet am 09. November 2005

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 03.09.2004 - 3 Ca 3198/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Ausgenommen hiervon sind die durch die Versäumung des Termins vom 11.05.2005 entstandenen Kosten. Diese trägt die Beklagte.

Revision ist nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auf die Berufung des im Ersten Rechtszug unterlegenen Klägers weiter darüber, ob das sie verbindende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung mit Schreiben vom 28.05.2004, dem Kläger zugegangen am 29.05.2004, mit Ablauf des 31.12.2004 sein Ende gefunden hat.

Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes im Ersten Rechtszug wird aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und stattdessen auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen Bezug genommen (§ 69 Abs. 3 ArbGG).

Der Kläger hat gegen das ihm am 06.10.2004 zugestellte Urteil am 01.11.2004 Berufung eingelegt und diese am 06.12.2004 ausgeführt.

Die Berufungsverhandlung vom 11.05.2005 hat die Beklagte versäumt.

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung vom 09.11.2005 bleibt der Kläger dabei, dass ein Betriebsübergang stattgefunden habe und ihm von der Beklagten wegen des Betriebsüberganges gekündigt worden sei. Er ist der Auffassung, zum Zeitpunkt der Kündigung in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gestanden zu haben.

Die Kündigung sei mit Blick auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 27.01.2005 auch wegen Verstoßes gegen §§ 17, 18 KSchG unwirksam. Die Beklagte habe die beabsichtigte Massenentlassung vor Zugang der streitgegenständlichen Kündigung nicht angezeigt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 03.09.2004 - 3 Ca 3198/04 - festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 28.05.2004, zugegangen am 29.05.2004, zum 31.12.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Sie habe vor Ausspruch der Kündigung bei der zuständigen Arbeitsagentur in ... nachgefragt. Dort habe man ihr erklärt, dass eine Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung für eine Kündigung, die erst mehr als drei Monate später wirksam werden solle, unzulässig und unwirksam sei und daher erst frühestens zwei Monate vor dem tatsächlichen Ausscheiden erfolgen dürfe, damit sie wirksam sei.

Gegenstand der Berufungsverhandlung war das mit "Angebot und Reparaturbericht" überschriebene Formular, das der als Zeuge benannte Herr ... unterzeichnet hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Denn die - ihrerseits zulässige - Kündigungsschutzklage ist ebenfalls unbegründet. Das Arbeitsgericht hat sie aus zutreffenden Erwägungen, denen die Berufungskammer folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), abgewiesen.

Lediglich mit Blick auf die Berufungsbegründung, deren Ergänzung und die Berufungsverhandlung sind die folgenden ergänzenden Ausführungen veranlasst:

1. Stützt ein Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage gegen einen (wenn auch nur vermeintlichen) Betriebsveräußerer auf die Behauptung, es sei bereits vor der streitgegenständlichen Kündigung der Betrieb auf einen Erwerber übergegangen, führt dies zur Unschlüssigkeit der Klage (BAG vom 20.03.2003 - 8 AZR 312/02 - EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 7).

So ist dies hier. Der Kläger macht auch nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung weiter geltend, es sei der Betrieb der Beklagten, in dem er beschäftigt worden ist, auf ein oder mehrere andere Unternehmen bereits vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung übergegangen.

Seine Rechtsauffassung, es bestehe noch ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, deckt sich damit nicht. Denn Rechtsfolge eines Betriebsüberganges wäre es gewesen, dass auch das klägerische Arbeitsverhältnis auf den oder die Betriebserwerber übergegangen ist (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB).

Bei diesem Vorbringen des Klägers kann - im Ergebnis - nicht festgestellt werden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Denn dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung (noch) ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat.

2. Unabhängig von dem Vorstehenden und selbständig tragend wäre die Klage aber auch dann unbegründet, wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, er hätte dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Dritten oder auf Dritte widersprochen.

Denn infolge der gleichwohl behaupteten Umstände, aus denen auf einen Betriebsübergang zu schließen sein soll, folgt zugleich, dass jedenfalls die Beklagte nicht mehr Inhaber des bisherigen Beschäftigungsbetriebes ist. Dies stellt dann bezüglich des - ggf. aufgrund Widerspruches gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses - verbliebenen Klägers einen Kündigungsgrund dar. Denn dann macht es keinen Unterschied, ob der Betrieb stillgelegt wurde oder von einem Dritten oder von Dritten weitergeführt wird. Jedenfalls bei der Beklagten würde es bei dieser Sachlage an einer Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger fehlen.

3. Rechtsunwirksam ist die Kündigung auch nicht deswegen, weil die Beklagte dem Kläger wegen eines Betriebsüberganges gekündigt hätte (§ 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB).

Denn auch im Falle des Überganges eines Betriebes bleibt das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung unberührt (§ 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB).

Einen derartigen "anderen Grund" kann es darstellen, wenn der kündigende Arbeitgeber keine Beschäftigung mehr für den Arbeitnehmer hat, der sich des Fortbestehens seines Arbeitsverhältnisses berühmt, obzwar sein Arbeitgeber eben wegen Betriebsüberganges nicht mehr Betriebsinhaber ist.

Eben dies ist aber die Situation auch hier, wenn das Vorbringen des Klägers auf einen Betriebsübergang schließen lassen sollte.

4. Wegen Verstoßes gegen die Regelungen in §§ 17, 18 KSchG kann die Kündigung aus mehreren selbständig tragenden Gründen nicht unwirksam sein:

Es ist richtig, dass nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofes (vom 27.01.2005 - C 188/03 [Irmtraut Junk/Wolfang Kühnel] NZA 2005, 213) die Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen sind, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt.

Demgegenüber ist es ständige und gefestigte Rechtsprechung des zuständigen Senats des Bundesarbeitsgerichts, dass unter "Entlassung" i. S. von § 17 KSchG die tatsächliche Beendigung der Beschäftigung zu verstehen ist, worauf seitens des Senats in Kenntnis der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes hingewiesen worden ist (BAG vom 24.02.2005 - 2 AZR 207/04 - dok. in JURIS).

Damit ist Entlassung i. S. der §§ 17, 18 KSchG eben nicht gleichbedeutend mit "Kündigung" oder "Kündigungserklärung". Ein der Richtlinie 98/59/EG entsprechendes anderes Verständnis ist aufgrund des nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte eindeutigen Gehalts dieses Begriffes auch im Wege der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nicht möglich (Arbeitsgericht Krefeld vom 14.04.2005 - 1 Ca 3731/04 - DB 2005, 892 ff.; Bauer/Krieger/Powietzka DB 2005, 445 ff.; Grimm/Borck EWiR 2005, 213 f.; a. A. etwa Riesenhuber/Domröse EWS 2005, 97 ff.; Wolter AuR 2005, 135 ff.).

Dies bedeutet im Ergebnis, dass der nationale (hier deutsche) Gesetzgeber eine europäische Richtlinie möglicherweise nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat. In einer derartigen Situation kommt jedoch eine unmittelbare Geltung und ein darauf beruhender Anwendungsvorrang der Richtlinie nur vertikal im Verhältnis zwischen Bürgern und öffentlichen Stellen, nicht auch horizontal im Verhältnis Privater untereinander in Betracht (BAG vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 - EzA § 7 Arbeitszeitgesetz Nr. 4), weswegen sich der Kläger gegenüber der Beklagten auf die Richtlinie in der vom Europäischen Gerichtshof für maßgebend angesehenen Auslegung nicht berufen kann.

Kein anderes Ergebnis würde sich übrigens einstellen, wenn seit der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes unter "Entlassung" auch i. S. von § 17 KSchG nicht die tatsächliche Beendigung der Beschäftigung, sondern der Ausspruch von Kündigungen zu verstehen wäre:

Würde das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof folgen, würde dies eine Änderung einer lange geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung voraussetzen. Zwar wirkt auch eine Änderung einer derartigen Rechtsprechung grundsätzlich zurück. Dies gilt jedoch nur, soweit dem die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegenstehen. Eine über § 242 BGB hinaus gehende Einschränkung der Rückwirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dann geboten, wenn die von der Rückwirkung betroffene Partei auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer Rechtsfolgen im Streitfall oder der Wirkung auf andere vergleichbar gelagerte Rechtsbeziehungen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners eine unzumutbare Härte bedeuten würde (vgl. BAG vom 18.01.2001 - 2 AZR 619/99 - EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 4 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Beklagte musste im Zeitpunkt der Kündigung nicht damit rechnen, dass ihre Kündigung wegen einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG für rechtsunwirksam erklärt werde. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.09.2003 (2 AZR 79/02 - EzA § 17 KSchG Nr. 11) - wenige Monate vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung - seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und dabei entschieden, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen § 17 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führe; dies folge auch nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG. Auch die Arbeitsverwaltung hat bei ihren Auskünften an die Beklagte darauf abgestellt, dass die Pflicht zur Anzeige sich auf die tatsächliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse, nicht aber auf den Ausspruch der Kündigungen beziehe. Demgegenüber war für die Beklagte zur damaligen Zeit nicht erkennbar, dass die genannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wegen einer gegenläufigen Auslegung der sog. Massenentlassungsrichtlinie durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 27.01.2005 möglicherweise nicht aufrechterhalten werden könne. Auch wenn der die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes auslösende Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2003 (36 Ca 19726/02 - EWiR 2003, 1133) bereits vorlag, musste die Beklagte angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des für sie zuständigen höchsten Gerichts für Arbeitssachen und der hierauf beruhenden damaligen Praxis der Arbeitsverwaltung nicht davon ausgehen, dass die Kündigung aufgrund eines durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes hervorgerufenen "Systemwechsels" im Recht der Massenentlassungen unwirksam sein könnte. Es würde für die Beklagte eine unzumutbare Härte bedeuten, wollte man aus Gründen des Massenentlassungsschutzes der Kündigung die Wirksamkeit versagen. Die Beklagte wäre gezwungen, das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut zu kündigen und zumindest die Vergütung bis zum Ablauf der sich ergebenden neuen Kündigungsfrist fortzuzahlen, obzwar sie dazu berechtigt war und allen für sie erkennbaren formalen Erfordernissen gerecht geworden ist (so die zutreffende Begründung des LAG Berlin vom 27.04.2005 - 17 Sa 2646/04 - LAG Report 2005, 267, der zu folgen ist; ebenso LAG Hessen vom 20.04.2005 - 6 Sa 2279/04 - NZA -RR 2005, 522).

II.

Der Kläger hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen. Auszunehmen hiervon sind nach § 95 ZPO die durch die Versäumung des Termins vom 11.05.2005 entstandenen Kosten. Diese trägt die Beklagte, weil sie den Termin versäumt hat.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an Gründen hierfür fehlt. Die Klage wäre auch dann abzuweisen gewesen, wenn die Kündigung - wie nicht - gegen §§ 17, 18 KSchG verstoßen haben sollte, weil nach dem eigenen Vorbringen des Klägers zum Zeitpunkt der Kündigung kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden haben kann.

Ende der Entscheidung

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