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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 3 Sa 385/04
Rechtsgebiete: InsO, SGB III, ArbGG, BGB


Vorschriften:

InsO § 60 Abs. 1
InsO § 61
InsO § 61 Satz 2
SGB III § 143 Abs. 3
ArbGG § 64
BGB § 249 Satz 1 a. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 3 Sa 385/04

Verkündet am 10.12.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 3 - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richterinnen Frau ... und Frau ... auf die mündliche Verhandlung vom 10.12.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 18.02.2004 - 8 Ca 5600/03 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

Tatbestand:

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Beklagte aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter verpflichtet ist, an die Klägerin Schadensersatz zu leisten.

Die Klägerin war längere Zeit als Arbeitnehmerin bei der Firma ... GmbH in ... beschäftigt. Über deren Vermögen ordnete das Amtsgericht Chemnitz mit Beschluss vom 23.07.1999 - 116 IN 1313/99 - zur Sicherung des Vermögens die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter (Bl. 49 bis 50 d. A.). Am 03.08.1999 übergab der Beklagte dem vorläufigen Gläubigerausschuss in dessen erster Sitzung eine Kopie seines Gutachtens an das Insolvenzgericht vom 30.07.1999 (Protokoll der 1. Gläubigerausschusssitzung siehe Bl. 53 bis 56 d. A.). Auf eigenen Antrag der Gemeinschuldnerin sowie auf Antrag der ... Sachsen eröffnete das Amtsgericht Chemnitz mit Beschluss vom 01.08.1999 (Bl. 51 bis 52 d. A.) hierauf das Insolvenzverfahren und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Zu diesem Zeitpunkt bestanden seit Mai 1999 Lohnrückstände.

Am 03.08.1999 beschloss der Gläubigerausschuss die Fortführung des Geschäftsbetriebs auf Rechnung der Masse und die Reduzierung des Personals durch Entlassung von 13 Mitarbeitern (siehe Protokoll Bl. 59 bis 61 d. A.). In der Sitzung des Insolvenzgerichts Chemnitz beschloss die Gläubigerversammlung am 03.09.1999 die Fortführung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin auf sechs Monate. Ferner heißt es in diesem Beschluss: "Bei auftretenden Schwierigkeiten kann der Insolvenzverwalter in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss Entscheidungen kurzfristig vornehmen." (siehe Bl. 65 d. A.). In einem Interessenausgleich mit dem Betriebsrat vom 27.08.1999 war zuvor über die Kündigung von 13 Arbeitnehmern bis 31.08.1999 mit sofortiger Freistellung Einvernehmen erzielt worden; entsprechend wurde verfahren.

In einer 3. Gläubigerausschusssitzung am 03.02.2000 wurde der einzige Übernahmeinteressent Herr ... vorgestellt. Dieser wurde gebeten, bis spätestens 08.02.2000 ein schriftliches Angebot vorzulegen. Dem kam Herr ... mit einem "Kurz-Exposé" am 08.02.2000 nach (Bl. 69 bis 72 d. A.). Dies fand nicht die Zustimmung des Gläubigerausschusses. Deshalb beschloss der Ausschuss am 15.02.2000, den Betrieb der Gemeinschuldnerin stillzulegen.

Der Beklagte informierte hierauf mit Schreiben vom 17.02.2000 die Klägerin über diesen Beschluss und stellte sie mit Wirkung zum 21.02.2000 von der Arbeit frei. Am 22.02.2000 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Die Gläubigerversammlung stimmte einer Stilllegung am 16.03.2000 zu.

Die Klägerin hat bis einschließlich Dezember 1999 Vergütung erhalten, dagegen nicht für die Zeit ihrer Arbeitsleistung vom 01.01. bis 21.02.2000.

Die für diese Zeit abgerechnete Vergütung (siehe Lohnabrechnungen Bl. 5/6 d. A.) hat die Klägerin mit am 18.07.2000 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage in erster Linie geltend gemacht. Sie hat ausgeführt, der Beklagte hätte sie spätestens zum 01.01.2000 freistellen müssen, um ihr die Möglichkeit zu geben, Arbeitslosengeld zu beziehen. Er hätte nicht auf das Angebot des Herrn ... warten dürfen. Denn dieses Angebot sei nicht seriös gewesen; das Exposé Herrn ... sei unzureichend gewesen; es hätte auch die Unterschrift gefehlt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.256,69 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, 2.256,69 Euro brutto nach Abschluss vorliegenden Insolvenzverfahrens abzüglich der auszuzahlenden Quote gemäß Vergleich vom 30.08.2001 zum Aktenzeichen 4 Ca 1882/01 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 18.02.2004 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat entgegnet, Pflichtverletzungen gegenüber der Klägerin hätten nicht vorgelegen. Die Liquidität der Gemeinschuldnerin sei bis 10.02.2000 gesichert gewesen. Aufgrund der Beschlüsse des Gläubigerausschusses der Gläubigerversammlung hätte der Beklagte bis 10.02.2000 von einer übertragenen Sanierung ausgehen müssen. Dies sei auch angesichts der Feststellungen im Gutachten des Beklagten realistisch gewesen. Eine Überschuldung habe sich infolge Fehlschlagens der Sanierung und insbesondere dadurch ergeben, dass die zugesagte Beteiligung der Commerzbank, einer Insolvenzgläubigerin, in Höhe von 80.000,00 DM entfallen sei. Weiterer Grund sei, dass während der Kündigungsfristen nach Freistellung Lohnkosten ohne Erträge angefallen seien.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.02.2004 die Klage abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sowie den Streitwert auf Euro 2.256,69 festgesetzt. Es hat in den Entscheidungsgründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 133 bis 135 d. A.), u. a. ausgeführt, die Haftung des Beklagten sei gemäß § 61 Satz 2 InsO ausgeschlossen. Ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten im Hinblick auf die vorläufige Fortsetzung des Betriebs der Gemeinschuldnerin läge nicht vor. Die Prognose, dass die Fortsetzung des Betriebes wirtschaftliche sinnvoll wäre, habe sich - wie die vom Beklagten dargestellte Liquiditätsentwicklung zeige - bewahrheit. Es sei nicht ersichtlich, dass eine übertragene Sanierung von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Eine Entscheidung über die weitere Betriebsfortsetzung hätte der Beklagte erst einholen müssen, nachdem die gewerkschaftlichen Mitglieder des Gläubigerausschusses dem Beklagten am 10.02.2000 erklärt hätten, dem Übernahmekonzept des Herrn ... - bei dessen Verwirklichung die Löhne hätten bedient werden können - nicht zuzustimmen. Das Erforderliche habe der Beklagte sodann getan; ein vorwerfbares Zögern sei nicht zu erkennen.

Gegen dieses ihr am 21.04.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.05.2004 beim Arbeitsgericht eingegangene und am 21.06.2004 ausgeführte Berufung der Klägerin. Diese rügt weiterhin eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten. Denn der Beklagte hätte bei Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin erkennen müssen, dass die Masse voraussichtlich nicht zur Erfüllung der Lohnforderungen ausreiche. Aus § 61 Satz 2 InsO folge eine Umkehr der Beweislast; die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters sei bei Masseunzulänglichkeit der Regelfall. Der Beklagte habe keinen Liquiditätsplan erstellt. Aus der "Liquiditätsübersicht" des Beklagten ergäbe sich, dass das Konto zum 01.01.2000 gerade noch ein Plus von DM 2.305,66 gegenüber Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 50.000,00 DM aus Vergütungsansprüchen der Arbeitnehmer für den Monat Dezember 1999 aufgewiesen habe. Bei der "Ertragsvorschau" handele es sich um Schätzungen des ehemaligen Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin ohne realistische Grundlage; sie sei auch vom Beklagten nicht überprüft worden. Bei den im Schreiben des Geschäftsführers vom 20.12.1999 genannten Umsätzen bleibe offen, ob diese jemals hätten erzielt werden können. Es handele sich nur um Schätzungen. In der "Umsatzvorschau" vom 26.01.2000 seien Auftragsbestände enthalten, mit deren Realisierung nicht hätte gerechnet werden können. Die Lieferung an ... GmbH ... sei von dort bemängelt worden; der gesamte Umsatz hätte nochmals angefertigt werden müssen. Auch der geplante Verkauf an Herrn ... könnte den Beklagten nicht entlasten. Das Exposé des Herrn ... enthalte weder Anschrift noch Unterschrift. Es sei nicht seriös. Ein Finanzierungsplan sei trotz der Bitte der IG Metall und des Gläubigerausschusses nicht vorgelegt worden. Es hätte auch keine weiteren Informationen gegeben. Der Beklagte habe auch keinen Informationen eingeholt.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 18.02.2004 - 8 Ca 4360/02 - abzuändern,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Euro 2.256,69 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte entgegnet, es habe ständige Liquiditätsplanungen und Liquiditätsüberprüfungen gegeben. Bis zum Zeitpunkt der Stilllegung am 15.02.2000 seien fällige Masseverbindlichkeiten vom Beklagten immer erfüllt worden. Die tatsächliche Liquiditätsentwicklung zeige, dass sich die Prognose einer wirtschaftlich sinnvollen vorläufigen Fortführung des Geschäftsbetriebes zur Durchführung einer übertragenden Sanierung voll bewahrheitet habe. Die durch den ehemaligen Geschäftsführer vorgenommene Liquiditätsplanung sei in einer Vielzahl von Telefongesprächen und persönlichen Besprechungen durch den Mitarbeiter des Beklagten Herrn ... kontrolliert worden. Die Zahlungseingänge seien durch Sichtung der Kontoauszüge überprüft worden. Die Löhne für den Monat Dezember 1999 seien in voller Höhe Ende Januar 2000 überwiesen worden. Die Einnahmen im Dezember 1999 in Höhe von 99.205,56 DM hätten nur unwesentlich unter der Umsatzvorschau von DM 104.384,92 gelegen. Bei der von der Klägerin genannten Lieferung habe es sich um eine Lohnfertigung für die Fa. ... GmbH gehandelt. Hier habe es nur Mängelabzüge gegeben; an die Masse sei ein Betrag von DM 38.677,58 gezahlt worden. Die Einnahmen im Monat Januar 2000 in Höhe von DM 83.674,36 hätten sich wiederum im Rahmen der Umsatzvorschau gehalten. Der Gläubigerausschuss sei mehrheitlich mit dem finanziellen Angebot Herrn ... einverstanden gewesen. Das Konzept sei gescheitert, weil der Betriebsrat nicht mit der Personalreduzierung auf zehn Arbeitnehmer einverstanden gewesen sei. Einziges Ziel des Beklagten bei Fortführung des Betriebes sei eine übertragene Sanierung zur Rettung wenigstens eines Teils der Arbeitsplätze gewesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nicht zusteht. Die Klage ist bereits unschlüssig.

Mögliche Anspruchsgrundlagen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch finden sich in den §§ 60 Abs. 1, 61 InsO. Gegenüber § 60 Abs. 1 InsO ist § 61 InsO die speziellere Norm; diese enthält auch verschärfte Pflichten des Insolvenzverwalters. Die fehlende Erfüllung der vom Verwalter begründenden neuen Masseverbindlichkeit führt zur Vermutung eines schuldhaften Pflichtverstoßes, der von dem Verwalter durch den Nachweis widerlegt kann, dass die Nichterfüllung nicht erkennbar war (vgl. auch Kübler/Prütting, InsO, § 61 Rz. 2). Der Anspruch richtet sich auf Schadensersatz. Dieser wiederum zielt auf das negative Interesse; der Verwalter müsste bei Vorliegen der Voraussetzungen als Schadensersatzpflichtiger den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre, § 249 Satz 1 BGB a. F. (zur Anwendung alten Rechts vgl. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB; vgl. im Übrigen Sächs. LAG, Urteil vom 12.11.2003 - 2 Sa 897/02 - in ZInsO 04, 1216). Das hier denkbare zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis wäre die Heranziehung der Klägerin zur Arbeit anstelle der Freistellung bereits zum 01.01.2000. Wäre die Klägerin bereits zum 01.01.2000 freigestellt worden, so hätte ihr bei Lohnausfall Arbeitslosengeld zugestanden ("Gleichwohlgewährung" nach § 143 Abs. 3 SGB III i. V. m. § 115 Abs. 1 SGB X).

Einen derartigen Schaden in Höhe des Arbeitslosengeldes macht die Klägerin nicht geltend; vielmehr begehrt sie die volle Vergütung, zielt damit auf das positive Interesse ab. Auch bei Annahme, das negative Interesse stelle prozessual ein Minus gegenüber dem positiven Interesse dar, könnte der Klage nicht (teilweise) stattgegeben werden; denn die Klägerin hat die Merkmale und Messdaten aus dem Arbeitslosenversicherungsrecht nicht vorgetragen.

Es bedurfte deshalb keiner Erörterung der haftungsbegründenden Tatsachen. Anzumerken bleibt, dass eine mögliche Fehleinschätzung der Liquiditätslage der Masse nach den vorgetragenen Umständen jedenfalls nicht pflichtwidrig gewesen sein dürfte (vgl. auch Sächs. LAG, Urteil vom 13.10.2004 - 9 Sa 352/04 -). Das Bestreben des Beklagten richte sich im Einvernehmen mit dem Gläubigerausschuss auf den Erhalt eines Teils der Arbeitsplätze im Wege einer übertragenden Sanierung. Die Prognose einer zumindest kostendeckenden Fortführung des Unternehmens bis zum 21.02.2000 war nach den zur Verfügung stehenden Zahlen nicht pflichtwidrig.

III.

Da die Berufung erfolglos blieb, trägt die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

IV.

Die Kammer hat für die Klägerin die Revision zugelassen. Maßgebend hierfür war, dass andere gleichartige Verfahren anhängig waren bzw. sind, in welchen ebenfalls die Revision zugelassen wurde (vgl. Sächs. LAG vom 13.10.2004, a. a. O.).

Ende der Entscheidung

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