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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 06.02.2004
Aktenzeichen: 3 TaBV 33/03
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG
Vorschriften:
ArbGG § 98 Abs. 1 S. 2 | |
BetrVG 85 Abs. 2 |
Sächsisches Landesarbeitsgericht BESCHLUSS
In dem Beschlussverfahren betreffend Besetzung einer Einigungsstelle mit den Beteiligten
hat die 3. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts durch ihren Vorsitzenden, den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ..., auf die Anhörung im Termin am 06.02.2004 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 06.11.2003 - 12 BV 231/03 - abgeändert.
Die Anträge des Antragstellers und Beteiligten zu 1. werden zurückgewiesen.
Gründe:
1.
Der Antragsteller ist der für die Regionalfiliale ... der Beteiligten zu 2. gebildete Betriebsrat.
Dem Verfahren zugrunde liegt eine Beschwerde des außertariflichen Angestellten der Beteiligten zu 2., Herrn ..., gegen die Weigerung der Beteiligten zu 2., ihm im Wege des Neuabschlusses eines Leasingvertrages einen Pkw zur Verfügung zu stellen.
Herrn ... war entsprechend der "Richtlinie für Bankwagen" (Bl. 33 bis 56 d. A.) ein von der Beteiligten zu 2. geleastes Fahrzeug (genannt "Bankwagen") zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt worden. Voraussetzung hierfür war,
dass der Mitarbeiter eine schriftliche Erklärung abgab, "monatlich auf Gehaltsbestandteile in Höhe der Kfz-Vollkostenrate, ggf. der Benzinpauschale und bei Fahrzeugen mit Otto-Motor (Benzin) der GEZ, Kfz-Steuer und Kfz-Versicherung zu verzichten." (sh. Ziff. 4.3. der Richtlinie für Bankwagen, Fassung vom 01.01.2003). Der letzte für Herrn ... geschlossene Leasingvertrag lief zum 30.09.2003 aus.
Mit Schreiben vom 02.06.2003 teilte Herr ... der Beteiligten zu 2. mit, er wünsche einen neuen Leasingvertrag. Dies lehnte die Beteiligte zu 2. mit Schreiben vom 05.06.2003 ab unter Hinweis auf den von ihr erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts ... vom 22.06.1999 (Bl. 29 f. d. A.). Diesem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss liegt zugrunde eine Forderung der Beteiligten zu 2. gegen Herrn ... in Höhe von DM 500.000,00. Gepfändet wurde der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens Herrn ...s. Die Beteiligte zu 2. begründete ihre Weigerung damit, dass, da die Leasingrate gemäß der Bankwagenrichtlinie durch Gehaltsumwandlung das Bruttogehalt vermindere, die Zins- und Tilgungsleistung sich bei der Gehaltspfändung entsprechend verringerte.
Hierauf wandte sich Herr... mit einer Beschwerde gemäß § 85 BetrVG an den Antragsteller. Er gab an, er fühle sich benachteiligt; bisher sei ihm ein Leasing-Fahrzeug zur Verfügung gestellt worden; es handele sich um die Fortsetzung des andauernden "Mobbings".
Der Antragsteller nahm die Beschwerde an und forderte die Beteiligte Ziff. 2. auf, der Ungleichbehandlung und Benachteiligung Herrn ... abzuhelfen. Nachdem die Beteiligte zu 2. zu erkennen gegeben hat, sie halte die Beschwerde nicht für berechtigt, rief der Antragsteller die Einigungsstelle an. Die Beteiligte zu 2. vertrat demgegenüber die Ansicht, es handele sich um eine Rechtsfrage, gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG könne die Einigungsstelle nicht erzwungen werden.
Der Antragsteller hat mit am 20.10.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenem Antrag die Ansicht vertrete, die Einigungsstelle sei einzurichten, ein Fall der
offensichtlichen Unzuständigkeit läge nicht vor, es handele sich um eine Benachteiligung Herrn ...s, die aus sachlichen Gründen nicht gerechtfertigt sei, die Einigungsstelle sei, wie aus den Anträgen ersichtlich, einzurichten.
Der Antragsteller hat beantragt,
1. den Vorsitzenden Richter am Sächsischen Landesarbeitsgericht, Herrn ..., zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Beschwerde des Mitarbeiters Herrn ..., der Ausschluss aus dem AT-Leasingvertrag mit der Begründung, die Gehaltspfändung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und stelle auch eine Benachteiligung nach § 75 BetrVG dar" bei der Beteiligten zu 2. zu bestellen,
2. die Beisitzer auf jeder Seite auf 2 festzusetzen.
Die Beteiligte zu 2. hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 2. hat entgegnet, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig. Eine Zuständigkeit ergäbe sich nur, wenn Herr ... keinen eigenen Rechtsanspruch auf gerichtliche Überprüfung hätte. Vorliegend handele es sich jedoch um eine Frage des individuellen Rechtsanspruchs. Im Übrigen hätte die Beteiligte zu 2. hier nicht als Arbeitgeber, sondern als Pfändungsgläubiger gehandelt, der die Entscheidung getroffen habe, nicht Teile des gepfändeten Gehaltsanspruchs freizugeben. Im Übrigen sei eine Regelbesetzung mit je einem Beisitzer ausreichend.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 06.11.2003 den Anträgen stattgegeben und in den Gründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 28 bis 31 d. A.), u. a. ausgeführt, die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig, § 85 Abs. 2 Satz 2 BetrVG stünde der Zuständigkeit nicht entgegen, es sei nicht offensichtlich, dass der Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch sei, gemäß Ziff. 13. der Bankwagenrichtlinie sei das Leasingangebot eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers, es sei nicht offenkundig, dass der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch hätte, der Arbeitnehmer greife mit seiner Beschwerde auch die Entscheidung des Arbeitgebers an. Es sei eine Regelbesetzung mit 2 Beisitzern vorzusehen. Eine Einigungsstelle minderer Bedeutung läge nicht vor.
Gegen diesen ihr am 18.11.2003 zugestellten Beschluss richtet sich die am 02.12.2003 mit Begründung eingegangene Beschwerde der Beteiligten zu 2. Diese führt aus, es ginge offenkundig um einen individuellen Rechtsanspruch. Entscheidend sei nur, ob sich offenkundig ein individualrechtlicher Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers ergeben könne, über welchen im Urteilsverfahren entschieden werden könne. Gerade Rechtsansprüche, die auf vorgebliche Verstöße des Arbeitgebers gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. gegen die Fürsorgepflicht gestützt würden, könnten nicht Gegenstand einer Einigungsstelle sein.
Die Beteiligte zu 2. habe in ihrer Funktion als Pfändungsgläubigerin und Darlehensgeberin gehandelt.
Die Beteiligte zu 2. beantragt,
1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 06.11.2003 - 12 BV 231/03 - abzuändern und die Anträge abzuweisen,
2. hilfsweise, die Einigungsstelle mit jeweils einem Beisitzer von jeder Betriebspartei zu besetzen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller wendet ein, es sei zweifelhaft, ob sich gemäß Ziff. 13. der Bankwagenrichtlinie ein Rechtsanspruch ergäbe. Die Beteiligte zu 2. sei als Arbeitgeberin aufgetreten. Es läge ein schwieriger Streitfall vor. Deshalb sei die Besetzung mit zwei Beisitzern von jeder Seite als Regelfall gerechtfertigt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.
2.
Über die Beschwerde war gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 3, 87 ff. ArbGG durch den Vorsitzenden der zuständigen Beschwerdekammer zu entscheiden.
3.
Die statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß den §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 89 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt worden.
4.
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Anträge des Antragstellers sind wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle zurückzuweisen.
a) Die Anträge des Antragstellers sind zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben.
Zwar herrscht über die Person des vom Antragsteller vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden kein Streit. Jedoch hat die Beteiligte zu 2. der Bildung einer Einigungsstelle und damit auch der Einsetzung der vorgeschlagenen Person als Einigungsstellenvorsitzenden widersprochen. Im Übrigen besteht Streit über die Zahl der Beisitzer.
Damit ist der Weg des § 76 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BetrVG eröffnet. Diese Vorschrift gibt den Betriebsparteien die Möglichkeit, bei Nichteinigung über die Person des Vorsitzenden - aus welchen Gründen auch immer - einer von einer Seite angerufenen Einigungsstelle diesen Vorsitzenden durch das Arbeitsgericht bestellen zu lassen; in gleicher Weise kann das Arbeitsgericht auch angerufen werden, um die Zahl der Beisitzer zu bestimmen.
b) Die Anträge sind unbegründet. Denn die Zuständigkeit der Einigungsstelle ist offensichtlich nicht gegeben.
Zwar hat das Arbeitsgericht grundsätzlich nicht die Vorfrage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Einigungsstelle für die anstehende Streitfrage zuständig ist. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine solche Prüfung mit dem Zweck des Bestellungsverfahrens, die schnelle Bildung der Einigungsstelle zu ermöglichen, nicht vereinbar wäre (vgl. Fitting u. a., BetrVG, 21. Auflage, § 76 Rz. 21). Auch ist es Aufgabe der Einigungsstelle selbst, ihre Zuständigkeit vor einer Sachentscheidung zu prüfen.
Um Missbrauchsfälle auszuschließen, sieht das Gesetz in § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG jedoch vor, dass die Festlegungen gemäß § 76 Abs. 2 Sätze 2 und 2 ArbGG dann abzulehnen sind, wenn eine Zuständigkeit der Einigungsstelle offensichtlich nicht gegeben ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn auch bei grober Prüfung eine Zuständigkeit der Einigungsstelle unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint.
c) Ein zwingendes Einigungsstellenverfahren nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG - nur ein solches ist hier angesprochen - kommt lediglich in Betracht, wenn die Streitigkeit rein tatsächliche Beeinträchtigungen zum Inhalt hat. Aus ihr dürfen noch keine Rechtsansprüche des einzelnen Arbeitnehmers erwachsen sein (§ 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG).
Allerdings bildet der Beschwerdegegenstand nicht schon deshalb einen Rechtsanspruch, weil er Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein könnte. Zwar grenzt das Gesetz, wie sich aus § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ergibt, zwischen einer Rechts- und einer Regelungsstreitigkeit ab. In der Praxis handelt es sich jedoch nicht selten um Streitigkeiten, bei welchen ein Rechtsanspruch nur in Frage käme bzw. bei welchen nur ein Teilaspekt einen Rechtsanspruch betrifft. Auch stellt der gesetzliche Abhilfeanspruch gemäß § 84 Abs. 2 BetrVG nicht etwa den "Rechtsanspruch" im Sinne des § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dar, sondern ist die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge des (zulässigen) Spruchs der Einigungsstelle (vgl. auch Richardi, BetrVG, 8. Auflage, § 85 Rz. 22; Däubler u. a. BetrVG, 8. Auflage, § 85 Rz. 10). Zu Recht betont deshalb das LAG Frankfurt am Main in seiner Entscheidung vom 15.09.1992 (Az.: 4 TaBV 52/92, in LAGE Nr. 26 zu § 98 ArbGG 1979), dass eine Zuständigkeit der Einigungsstelle auch dann anzunehmen ist, wenn zweifelhaft oder nicht ganz sicher ist, dass aus dem vom Arbeitnehmer angegebenen Grund für seine Beschwerde ein entsprechender, den Beschwerdegrund beseitigender Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber entspringen kann.
d) Die Vorschrift des § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG grenzt deshalb, richtig verstanden, die im Urteilsverfahren durchsetzbaren Rechtsansprüche von den schutzwürdigen Belangen des Arbeitnehmers, welche sich noch nicht eindeutig zu einem Rechtsanspruch verdichtet haben und deshalb noch Gegenstand eines Regelungsstreits sind, ab. Bei Letzteren handelt es sich um Fälle, bei denen noch ein Regelungsspielraum des Arbeitgebers vorhanden ist. Es müsste sich um einen solchen Spielraum handeln, der nicht allein dadurch entstünde, dass der Arbeitgeber eine begründete Rechtsposition aufgäbe.
e) Ziff. 13. der Bankwagenrichtlinie stellt das Leasingangebot unter einen Widerrufsvorbehalt. Bei einem Widerruf müssten Kriterien wie: Gleichbehandlung, Diskriminierungsverbot, Fürsorgepflicht beachtet werden und böten jedenfalls einen Beurteilungsspielraum.
f) Ein solcher Spielraum steht dem Arbeitgeber vorliegend jedoch nicht zur Verfügung. Denn maßgeblich wirkt hier auf den Widerruf die Lohnpfändung ein.
Diese bewirkt eine Verstrickung (Beschlagnahme), also die Sicherstellung der Lohnforderung für die Gläubigerbefriedigung. Damit ist die Lohnforderung der Verfügungsbefugnis des Arbeitnehmers entzogen. Gemäß § 832 ZPO erstreckt sich das Pfandrecht bei fortlaufenden Bezügen auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge.
Gemäß Ziff. 4.3 der Bankwagenrichtlinie kann das Leasingangebot nur realisiert werden nach Verzicht des Arbeitnehmers auf Gehaltsbestandteile. Ein solcher Verzicht wäre eine Verfügung über den Lohn, welcher der Verstrickung unterliegt. Eine solche Verfügung ist deshalb gemäß § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO untersagt.
Wäre ein "Verzicht" im Sinne der Ziff. 4.3 der Bankwagenrichtlinie jedoch so anzusehen, dass es zwar bei der vollen Vergütung bliebe, ein Teil hiervon jedoch als Leasingrate an den Kfz-Händler ginge, so könnte man von einer Lohnschiebung im Sinne des § 850 h Abs. 1 ZPO sprechen, welche gegenüber dem Gläubiger unwirksam wäre.
g) Hieraus folgt, dass sich das vom Arbeitnehmer ... geltend gemachte "Anliegen" in derart strengen Bahnen abspielt, dass für eine Gestaltung durch die Einigungsstelle kein Raum bleibt. Dabei macht es keinen Unterschied, dass vorliegend der Gläubiger der Hauptforderung und der Drittschuldner ein und dieselbe Person, nämlich die Beteiligte zu 2., ist. Das Feld für die Einigungsstelle wäre nur eröffnet, wenn der Arbeitgeber nicht als Arbeitgeber, sondern als Gläubiger auf sein Pfandrecht verzichtete. Hierüber hat die Einigungsstelle jedoch nicht zu urteilen. Die Rechtsstellung der Beteiligten zu 2. als Gläubigerin kann vor der Einigungsstelle nicht angesprochen werden. Im Übrigen dürfen durch die Einschaltung der Einigungsstelle auch keine zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen des Arbeitgebers begründet oder verändert werden.
5.
Da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, ist für die Festlegung der Zusammensetzung der Einigungsstelle kein Raum.
6.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 12 Abs. 5 ArbGG gerichtskostenfrei.
7.
Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel, § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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