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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 13.07.2007
Aktenzeichen: 3 TaBV 35/06
Rechtsgebiete: BetrVG
Vorschriften:
BetrVG § 99 | |
BetrVG § 118 |
2. Die Einstellung von Erzieherinnen an derartigen Einrichtungen stellt eine tendenzbedingte Maßnahme dar.
Sächsisches Landesarbeitsgericht BESCHLUSS
Chemnitz, 13.07.2007
In dem Beschlussverfahren
betreffend Aufhebung einer personellen Maßnahme
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - 3. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... auf die Anhörung am 13.07.2007 beschlossen:
Tenor:
1. Die Beschwerde des Antragstellers und Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 12.09.2006 - 9 BV 29/06 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
1. Der Beteiligte 2 ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der sich mit der Beratung und dem Betrieb von Einrichtungen und Projekten der Kinder- und Jugendhilfe befasst. Die Ziele des Vereins sind in § 2 seiner Satzung vom 10.12.2004 (Bl.43/44 d. A.) u. a. dahin beschrieben, sich für eine kinderfreundliche Gesellschaft, die Förderung und Erhaltung einer kindgerechten Umwelt, die Förderung der geistigen, psychischen, sozialen und körperlichen Entwicklung der Kinder, den Schutz der Kinder vor Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt jeder Art, die soziale Gerechtigkeit für alle Kinder, die Beteiligung von Kindern bei allen Entscheidungen, Planungen und Maßnahmen, die sie betreffen, gemäß ihrem Entwicklungsstand, ein kinderfreundliches Handeln der einzelnen Menschen und aller gesellschaftlicher Gruppen einzusetzen. Der Beteiligte zu 2 betreibt u. a. Kindertagesstätten, so in ... und ... mit insgesamt 44 Arbeitnehmern, davon 36 Erziehern und Diplomsozialpädagogen.
Für beide Kindertagesstätten ist ein gemeinsamer Betriebsrat, der Beteiligte 1, gewählt.
2. Mit Schreiben vom 16.03.2006 beantragte der Beteiligte 2 die Zustimmung zur befristeten vertretungsweisen Einstellung der Erzieherin ..., einer staatlich anerkannten Erzieherin, für die Zeit bis 02.05.2006. Dem stimmte der Beteiligte 1 zu.
Mit Schreiben vom 19.04.2006 teilte der Beteiligte 2 dem Beteiligten 1 mit, es sei beabsichtigt, Frau ... bis zum 31.07.2006 in ... einzusetzen, und bat um entsprechende Zustimmung. Der Beteiligte 1 lehnte dieses Vorhaben ab. Hierauf entgegnete der Beteiligte 2 mit Schreiben vom 28.04.2006, der befristete Arbeitsvertrag werde bis 31.08.2006 verlängert, Frau ... werde als Erzieherin in ... eingesetzt.
Darauf machte der Beteiligte 1 mit am 15.05.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz einen Antrag auf Aufhebung der Einstellung und Beschäftigung von Frau ... anhängig.
Mit Schreiben vom 18.07.2006 teilte der Beteiligte 2 dem Beteiligten 1 die Absicht mit, das Arbeitsverhältnis mit Frau ... in ein unbefristetes umzuwandeln. Der Beteiligte 1 stimmte dem nicht zu. Schließlich informierte der Beteiligte 2 mit Schreiben vom 11.09.2006 den Beteiligten 1 darüber, dass das Arbeitsverhältnis mit Frau ... um ein weiteres Jahr befristet verlängert werde.
Der Beteiligte 1 hat ausgeführt, der Beteiligte 2 habe ohne die notwendige Zustimmung bzw. ohne eine Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht gehandelt. Der Beteiligte 2 sei kein Tendenzunternehmen, denn er verfüge nicht über eine ideell-geistige Ausrichtung. Er handele vielmehr in Umsetzung staatlicher Vorgaben und unterscheide sich damit nicht von staatlichen Kindertagesstätten. Erzieherinnen seien noch keine Tendenzträger, da sie keine Weisungsbefugnis hinsichtlich des Personals und keinen Einfluss auf innerbetriebliche Entscheidungen hätten.
Der Beteiligte 1 hat beantragt,
dem Beteiligten zu 2 aufzugeben, die Einstellung und Beschäftigung von Frau ... aufzuheben,
hilfsweise,
festzustellen, dass dem Betriebsrat bei der Einstellung von Erzieherinnen ein Mitbestimmungsrecht nach §§ 99 Abs. 1 BetrVG zusteht.
Der Beteiligte 2 beantragt,
die Anträge abzuweisen.
Der Beteiligte 2 hat die Ansicht vertreten, bei Kindertagesstätten handele es sich um Tendenzbetriebe, Erzieherinnen seien Tendenzträger.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12.09.2006 den Antrag abgewiesen und in den Gründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird, u. a. ausgeführt, Kindertagesstätten des Beteiligten 2 seien Betriebe gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 BetrVG; denn sie dienten erzieherischen Bestimmungen. Der Beteiligte 2 sei an gesetzliche Bestimmungen gebunden. Die Beschäftigung der Erzieherinnen, welche Tendenzträger seien, diene der Formung der Persönlichkeit. Die Erzieher seien die Mitarbeiter, welche die Erziehung im Sinne der vorgegebenen Ziele konkret umsetzten.
Gegen diesen dem Beteiligten 1 am 26.09.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.10.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und, nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 27.12.2006, am 22.12.2006 ausgeführte Beschwerde des Beteiligten 1.
Dieser führt aus, die im Rahmen einer erzieherischen Bestimmung notwendige geistig-ideelle Zielrichtung müsse ein gewisses Niveau aufweisen. Ein gesetzlich vorgegebenes Erziehungsziel existiere hier nicht. Insbesondere bestünde keine Verpflichtung der Träger von Kindertagesstätten zur Erfüllung der in § 22 SGB VIII und § 2 SächsKitaG enthaltenen Zielsetzungen. Die Beschränkung der Mitbestimmung in § 118 BetrVG bedürfe der Rechtfertigung. Diese liege im grundrechtlich besonders geschützten Autonomiebereich des Arbeitgebers. Mithin komme es auf die Zusicherung eines der eigenen Gestaltung überlassenen Freiraums, damit eines qualitativ höherwertigen Grundrechtsschutzes an, welcher das Sozialstaatsprinzip zurückdränge. Die gesetzlichen Regelungen seien nur orientierende Grundlagen der Tätigkeit. Auch der sächsische Bildungsplan sei nur thematisch-methodische Orientierungshilfe und Instrument für die Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte zur Ausgestaltung des Bildungsauftrags. Der Bildungsplan gelte für alle Kindertagesstätten. Eine spezielle Prägung beim Beteiligten 2 läge nicht vor. Die Tätigkeit dort erschöpfe sich in der sozialpädagogischen Betreuung. Es läge kein Erziehungsmodell, sondern nur ein allgemeiner sozialpädagogischer Ansatz zugrunde. Im Übrigen handele es sich bei der Arbeitnehmerin ... nicht um eine Tendenzträgerin. Sie habe keinen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung, keine Weisungsbefugnis, und übe keine inhaltlich prägende Einflussnahme aus.
Der Beteiligte 1 beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 12.09.2006 - 9 BV 29/06 - abzuändern und dem Beteiligten zu 2 aufzugeben, die Einstellung und Beschäftigung von Frau ... aufzuheben,
hilfsweise,
festzustellen, dass dem Betriebsrat bei der Einstellung von Erzieherinnen ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zusteht.
Der Beteiligte 2 beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beteiligte 2 ist weiterhin der Ansicht, Kindertageseinrichtungen seien Betriebe im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Die Erlaubnis für den Betrieb solcher Einrichtungen sei zu versagen, wenn die Betreuung der Kinder nicht durch geeignete Kräfte gesichert oder in sonstiger Weise das Wohl der Kinder in der Einrichtung nicht gewährleistet sei. So verlange auch der Bescheid über die Erlaubnis zum Betrieb der Kindertageseinrichtung in ... vom 10.01.2006 (Bl. 232/233 d. A.) eine pädagogische Konzeption. Bei der Beteiligten 2 seien die Grundlagen der pädagogischen Ausrichtung dem Leitbild des Deutschen Kinderschutzbundes (Bl. 275 d. A.) zu entnehmen. Hieran seien die Erzieher vertraglich gebunden. Diese seien somit Tendenzträger. Es bestünde eine hohe Eigenverantwortlichkeit der Erzieher. Sie entwickelten gemeinsam eine eigene standortbezogene Konzeption auf der Grundlage der Trägerkonzeption des Kinderschutzbundes. Diese werde in die tägliche Gruppenarbeit umgesetzt. Deshalb habe jede Erzieherin maßgeblich Einfluss auf die Tendenzverwirklichung.
Wegen des übrigen Vortrags der Beteiligten in zweiter Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.
3. Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
4. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Denn das Begehren des Beteiligten 1 ist sowohl mit dem Hauptantrag wie mit dem Hilfsantrag unbegründet.
a) Der Antrag ist zulässig. Er stellt ein Vorgehen nach § 101 Satz 1 BetrVG dar. Er richtet sich nämlich gegen eine Maßnahme des Arbeitgebers im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG. Unschädlich ist es, dass der Antrag als Angriffsziel nicht nur die "Einstellung", sondern auch die "Beschäftigung" bezeichnet. Denn die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb ist nach wohl überwiegender Ansicht Teil der "Einstellung" im Sinne der Norm.
Der Hilfsantrag kann noch als zulässig angesehen werden. Zwar ist über die entscheidungserhebliche Frage des Hilfsantrags bereits im Rahmen des Hauptantrages zu entscheiden, dort allerdings nur als, wenn auch wesentliche, Vorfrage.
b) Der Hauptantrag ist unbegründet.
Zwar hat der Beteiligte 2 eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG vorgenommen, als er das befristete Arbeitsverhältnis mit Frau ... verlängerte (vgl. Fitting u. a., BetrVG, 23. Auflage, § 99 Rz. 38). Diese bedurfte jedoch nicht der Zustimmung des Betriebsrats.
c) Die Zustimmung des Betriebsrates zu einer Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG ist dann entbehrlich, wenn ein Fall des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorliegt. So verhält es sich hier.
Die Voraussetzungen des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, auf den vorliegenden Fall bezogen, sind Folgende:
aa) Der Betrieb muss unmittelbar und überwiegend erzieherischen Bestimmungen dienen,
bb) Die Eigenart des Betriebes muss der Anwendung des § 99 BetrVG entgegenstehen.
Der Betrieb muss also bestimmt sein, eine durch § 118 BetrVG geschützte Tendenz zu verwirklichen, die an sich mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Arbeitgebers muss tendenznah sein, d. h. der von der Maßnahme betroffene Arbeitnehmer muss selbst Tendenzträger sein.
Damit stellt § 118 BetrVG eine "ausgewogene Regelung zwischen dem Sozialstaatsprinzip und den Freiheitsrechten der Tendenzträger" (vgl. Mikat, in: Festschrift für Küchenhoff, S. 273) her.
d) Eine Kindertageseinrichtung dient unmittelbar und überwiegend erzieherischen Bestimmungen.
Was mit "Erziehung" gemeint ist, hat die Rechtsprechung vornehmlich am Schulbegriff des Art. 7 GG - als Ort der Erziehung - erörtert, ausgehend vom Grundrecht auf Errichtung privater Schulen gemäß Art. 7 Abs. 4 GG (vgl. die Urteile des BAG vom 22.05.1979 - 1 ABR 45/77 - und vom 13.06.1989 - 1 ABR 15/88 - in EzA Nr. 21 zu § 118 BetrVG 1972 und EzA Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).
Im Mittelpunkt der danach definierten "Erziehung" soll die Formung der Persönlichkeit stehen, d. h. auch die Sorge um die seelisch-geistige Entwicklung, die Unterstützung in der geistigen und sittlichen Entfaltung. Das BAG grenzt den Begriff der "Erziehung" insofern von einer reinen Wissensvermittlung ab.
e) Die vom BAG geforderten Elemente für den Erziehungsbegriff sind bei Kindertageseinrichtungen gerade auch des Beteiligten 2 ausgeprägt vorhanden. Dies ergibt sich deutlich aus den in der Satzung enthaltenen Zielen des Beteiligten 2 sowie auch aus dem Leitbild des Deutschen Kinderschutzbundes vom 17.05.2003 (Bl. 275 d. A.). Beide Regelwerke sind Grundlage der Arbeit des Beteiligten 2, was sich auch darin zeigt, dass die Arbeitsverträge, welche der Beteiligte 2 mit den pädagogischen Kräften abschließt, hierauf Bezug nehmen. Satzung und Leitbild betonen in besonderer Weise die Rechte der Kinder und damit auch die Förderung von Kindern, die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft, entsprechende Lobbyarbeit hierfür, die Entwicklung der Fähigkeiten der Kinder, die Hilfe zur Selbsthilfe. Dies mögen auch Ziele sein, welche sich staatliche Kindertageseinrichtungen setzen und welche solchen des sächsischen Bildungsplans nahe kommen. Der Begriff der "Erziehung" im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist aber nicht erst dann erfüllt, wenn die fragliche Einrichtung eine ganz besondere, von anderen, insbesondere staatlichen, Einrichtungen unterscheidbare, Konzeption verfolgt. Es muss also vorliegend nicht geprüft werden, ob auch staatliche Einrichtungen gleichen oder ähnlichen Zielsetzungen wie sie beim Beteiligten 2 herrschen, verfolgen. Im Übrigen wäre eine solche besondere Zielsetzung bzw. eine noch stärkere Betonung bestimmter Ziele beim Beteiligten 2 durchaus erkennbar.
f) Die Erzieherinnen, und hierunter auch Frau ..., sind vertraglich verpflichtet, die Ziele des Beteiligten 2 in erzieherischer Hinsicht umzusetzen (vgl. § 7 des Arbeitsvertrages mit Frau ... vom 21.03.2006, Bl. 72 d. A.). Die Erzieherinnen sind somit diejenigen Arbeitnehmer, die die Tendenz des Beteiligten 2 zu verwirklichen haben. Sie stellen deshalb Tendenzträger dar.
Das Mitbestimmungsrecht bei der personellen Maßnahme "Einstellung" gemäß § 99 BetrVG bestünde somit in einer Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Tendenzträger. Dies verbietet jedoch § 118 Abs. 1 BetrVG.
5. Aus den vorgenannten Ausführungen folgt gleichzeitig, dass auch der Hilfsantrag unbegründet ist. Was für Frau ... als einzelne Erzieherin gilt, gilt für jeden Fall der Einstellung auch einer anderen Erzieherin.
6. Die Entscheidung ergeht gemäß § 12 Abs. 5 ArbGG gerichtskostenfrei.
7. Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein Anlass. Die Entscheidung folgt der höchstrichterlichen Gesetzesauslegung.
Ende der Entscheidung
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