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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.05.2003
Aktenzeichen: 6 Sa 460/02
Rechtsgebiete: ArbGG, BAT-O, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BAT-O § 12 Abs. 1 Satz 1
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 315 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

6 Sa 460/02

Verkündet am 22.05.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 6 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... auf die mündliche Verhandlung vom 22.05.2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 11.04.2002 - 6 Ca 4714/01 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 12.04.2002 - 6 Ca 4714/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Von der weiteren Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die bereits nach dem Beschwerdewert statthafte (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig. Ihr ist in der Sache jedoch kein Erfolg beschieden. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht entsprochen.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht dargelegt, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BAT-O grundsätzlich die Versetzung eines Angestellten an einen anderen Dienstort aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen zulässig ist. Für die Auswahlentscheidung unter mehreren für die Versetzung geeigneten Beschäftigten hat der Arbeitgeber jedoch im Rahmen seines Direktionsrechts die Grenzen billigen Ermessens nach § 315 Abs. 1 BGB zu beachten.

Dieses wahrt er dann, wenn er die wesentlichen Umstände des Einzelfalles und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt. Berücksichtigungsfähig sind alle sachlichen Gründe, die sich auf die Umstände der zu treffenden Versetzungsentscheidung beziehen. Ob die Grenzen des Bestimmungsrechts gewahrt sind, unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle (BAG, Urteil vom 03. Dezember 2002 - 9 AZR 457/01 - n. v.). Aus § 315 Abs. 3 BGB folgt, dass bei der Beurteilung der Entscheidung des Bestimmungsberechtigten ein objektiver Maßstab anzulegen ist. Dem Gericht steht ein Kontrollrecht über die Billigkeit der Bestimmungen zu und für den Fall, dass die gesetzlichen Grenzen nicht eingehalten werden, das Recht zur eigenen Sachentscheidung (BAG, Urteil vom 03. Dezember 2002 - 9 AZR 457/01 -; Soergel-Wolf, 12. Auflage, Rdnr. 38, 47; Münchner Kommentar-BGB-Gottwald, 4. Auflage, § 315 BGB Rdnr. 49). Dies unterscheidet die Billigkeitskontrolle im Rahmen des Zivilrechts von der verwaltungsgerichtlichen Ermessenskontrolle. Dort steht der Verwaltung und nicht dem Gericht das Recht zu, Ermessensentscheidungen zu treffen. Hat die Verwaltung ihr Ermessen fehlerhaft oder fehlerhafterweise nicht ausgeübt, führt dies nur dazu, dass sie die Angelegenheit neu zu bescheiden hat (§ 114 Satz 1, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; Eyermann, VwGO, 11. Auflage, § 114 Rdnr. 9). Die Einschränkung der Kontrolle des Verwaltungsermessens hat ihre Ursache in den Gründen der Gewaltenteilung: Sachentscheidung unterliegt der Exekutive, die Rechtskontrolle den Gerichten. Diese Gesichtspunkte sind jedoch nicht auf die Kontrolle zivilrechtlichen Handelns nach § 315 BGB übertragbar. Das gilt auch dann, wenn die öffentliche Hand privatrechtlich als Arbeitgeber handelt (vgl. im Einzelnen: BAG, Urteil vom 03. Dezember 2002 - 9 AZR 457/01 -).

Die danach gebotene Überprüfung ergibt, dass sich die von dem Beklagten getroffene Entscheidung nicht im Rahmen billigem Ermessens hält. Der Beklagte hat die persönlichen Umstände der in den Kreis der Auswahl einbezogenen Beschäftigten nicht angemessen berücksichtigt und damit die aus § 315 BGB folgenden Grenzen verletzt.

Berücksichtigt und vergleicht man die persönliche und soziale Situation des Klägers (geb. 1948, verheiratet, seit dem 01.05.1992 bei dem Beklagten beschäftigt und mit einer Hüft- und Fußgelenkserkrankung belastet; wohnhaft ...) mit der des ROi ... (28 Jahre, verheiratet, zwei im Juni 1999 und Februar 2001 geborene Kinder und seit Oktober 1991 bei dem Beklagten beschäftigt; wohnhaft in ...), so ergibt sich, dass der Kläger in einem erheblich stärkerem Maß von einer Versetzung in die Niederlassung ... des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement betroffen ist als dieser.

Aufgrund der gerichtsbekannten Verkehrsverhältnisse ist davon auszugehen, dass der ROi ... für einen Arbeitsweg in die Niederlassung ... allenfalls unerheblich mehr Zeit aufwenden muss, als dies für das Erreichen des Arbeitsplatzes in der Niederlassung ... erforderlich ist. Er wird somit in seiner privaten Lebensgestaltung und auch in der Betreuung seiner Kinder durch eine Versetzung keiner wesentlich veränderten Belastung unterzogen.

Im Gegensatz dazu folgt aus einer derartigen Versetzung für den Kläger bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein zusätzlicher Zeitaufwand von über drei Stunden, bei der Nutzung eines privaten Pkw aufgrund der gerichtsbekannt katastrophalen innerstädtischen Verkehrsverhältnisse in ... und auf der A 72 zwischen ... und ... ein zeitlicher Mehraufwand von mindestens zwei Stunden arbeitstäglich. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Sozialdaten des ROi ... und des Klägers ansonsten im Wesentlichen vergleichbar sind, der Kläger jedoch zusätzlich an einer gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet, entspricht die zu Lasten des Klägers getroffene Entscheidung des Beklagten nicht billigem Ermessen und erweist sich als unwirksam.

Daraus folgend ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger weiterhin als vollbeschäftigten Angestellten in der Vergütungsgruppe IV b BAT-O bei dem Staatlichen Vermögens- und Hochbauamt bzw. dessen Rechtsnachfolgeeinrichtung Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, Niederlassung ..., zu beschäftigen.

Der Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht; die Kammer hat einen Einzelfall auf der Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung entschieden.

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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