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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 15.04.2002
Aktenzeichen: 9 Sa 1123/01
Rechtsgebiete: BAT-O


Vorschriften:

BAT-O § 22
1. Die Höhe der Vergütung der Leiterin einer Kindertagesstätte richtet sich für den Bereich der Vergütungsordnung VKA jeweils nach der Zahl der vergebenen Plätze im Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember des Vorjahres.

2. Sinkt die Zahl der tatsächlich betreuten Kinder während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ab, so ist der Arbeitgeber zu einer Vergütungsanpassung ohne Ausspruch einer Änderungskündigung berechtigt.


Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 9 Sa 1123/01

Verkündet am 15.04.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 9 - durch den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 15.04.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.05.2001 - 6 Ca 10672/00 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte die Vergütung der Klägerin für den Zeitraum ab 01.02.2000 schon dem Grunde nach und ohne Änderungskündigung reduzieren durfte.

Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger seit dem Jahr 1984 beschäftigt. Laut § 1 eines Arbeitsvertrages vom 02.02.1994 wurde die Klägerin ab dem 01.07.1991 als Leiterin einer Kindertagesstätte weiterbeschäftigt. Nach § 2 dieses Vertrages richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages-Ost (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der Klägerin wurde ab 01.07.1991 ein Gehalt nach der Vergütungsgruppe IV a BAT-O bezahlt. Ab dem 01.10.1996 wurde die Arbeitszeit der Klägerin auf 75 % bei sonst gleichbleibenden Arbeitsbedingungen reduziert. Laut Änderungsvertrag vom 09.04.1997 (Bl. 13 d. A.) wurde die Klägerin entsprechend der Vergütungsgruppe IV b BAT-O bezahlt. Mit Schreiben vom 30.01.1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass deren Stelle neu bewertet worden sei und ab dem 01.03.1998 die Vergütungsgruppe IV b, Fallgruppe 7 BAT-O gelte.

Mit weiterem Schreiben vom 03.02.2000 wurde die Klägerin wiederum darüber informiert, dass nach Neubewertung der Stelle ab dem 01.02.2000 die Vergütungsgruppe V c, Fallgruppe 10 BAT-O gelte und ein Änderungsvertrag ausgereicht werde. Die Klägerin wandte sich wegen dieser Ankündigung erstmals mit Schreiben vom 11.02.2000 erfolglos an die Beklagte und unterschrieb den angekündigten Änderungsvertrag nicht. Die Beklagte beantwortete das klägerische Schreiben am 08.03.2000. Die Vergütung wurde der Klägerin ab Februar 2000 lediglich entsprechend der Vergütungsgruppe V c BAT-O bezahlt.

Die Kindertagesstätte in der... in ..., in der die Klägerin beschäftigt ist, wies in den Jahren 1999 bis 2001 folgende Belegungszahlen auf:

1999

Monat Anzahl der Kinder

Januar 47 Februar 50 März 50 April 50 Mai 51 Juni 53 Juli 53 August 47 September 43 Oktober 40 November 39 Dezember 39

2000

Januar 40 Februar 42 März 41 April 44 Mai 42 Juni 46 Juli 45 August 40 September 32 Oktober 34 November 34 Dezember 34

2001

Januar 35 Februar 33 März 32 April 33 Mai 34 Juni 35 Juli 32 August 29 September 36 Oktober 36 November 38 Dezember 38.

Nach nochmaliger erfolgloser Geltendmachung mit Anwaltsschreiben vom 18.05.2000 verfolgt die Klägerin ihre Monatsvergütung in der bisherigen Höhe mit der am 30.11.2000 beim Arbeitsgericht Leipzig eingegangenen Klage weiter.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, ihr Anspruch auf Bezahlung entsprechend der Vergütungsgruppe IV b BAT-O ergäbe sich bereits aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Die getroffenen Abreden könne die Beklagte nicht durch eine korrigierende Rückgruppierung beseitigen, da die Klägerin nicht irrtümlich zu hoch eingruppiert worden sei. Im Übrigen erfülle die Klägerin auch die Voraussetzungen der Fallgruppe 7 zu Vergütungsgruppe IV b BAT-O nach wie vor, da die Durchschnittsbelegung der von ihr geleiteten Kindertagesstätte nicht unter 40 Kinder gesunken sei. Weil sich die Beklagte mit der zuletzt durchgeführten Rückgruppierung zu ihrem bisherigen Verhalten in Widerspruch gesetzt habe, liege auch ein Verstoß gegen § 242 BGB vor. Da Änderungen bislang stets auf vertraglicher Grundlage vorgenommen worden seien, habe die Beklagte einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, auch künftig Änderungen nur auf vertraglichem Wege durchzuführen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über den 31.01.2000 Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG aus den rückständigen Bruttobeträgen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eingewandt, ein einzelvertraglicher Anspruch bestehe deshalb nicht, da sie - die Beklagte - als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes lediglich dasjenige zahlen wolle, was der Klägerin tarifvertraglich zustehe. Die Voraussetzungen für eine Bezahlung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O erfülle die Klägerin indessen nicht. Die für die Vergütung maßgebliche Kinderzahl habe in dem zugrunde zu legenden Zeitraum den Wert von 40 unterschritten. Es habe auch keine Veranlassung bestanden, im Falle der Klägerin von dem tarifvertraglichen Berechnungsmodus abzuweichen. Die Zahlung der Vergütung entsprechend der Gruppe V c BAT-O ergebe sich aus dem Grundsatz der Tarifautomatik.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.05.2001 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 60 bis 64 d. A.), wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich ein einzelvertraglicher Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung nicht ergebe, da die Angabe der Vergütungsgruppe nicht als eigenständige Vereinbarung unabhängig von den tariflichen Bestimmungen anzusehen sei. Ein tarifvertraglicher Anspruch scheide ebenfalls aus, da in der Kindertagesstätte der Klägerin nicht die erforderliche Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Kindern im Sinne der tarifvertraglichen Protokollerklärung erreicht werde. Die Klägerin genieße letztlich auch nach § 242 BGB keinen besonderen Vertrauensschutz.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Klägerin am 30.11.2001 zugestellt worden. Die Klägerin hat mit einem am 28.12.2001 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28.02.2002 mit einem am 26.02.2002 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin vertieft ihren Vortrag mit Rechtsausführungen und weist darauf hin, dass bei der Auslegung der hier einschlägigen Protokollerklärung Nr. 10 auch die Durchschnittsbelegung in dem Zeitraum außerhalb des 01.10. bis 31.12. des jeweiligen Jahres berücksichtigt werden müsse, da die Zahl insoweit deutlich abwichen. Die Tarifvertragsparteien hätten nicht bezweckt, die Durchschnittsbelegung, deren Steuerung ausschließlich in der Sphäre des Arbeitgebers liege, zu verfälschen. Die Formulierung "grundsätzlich" in der Protokollerklärung Nr. 10 lasse die hier erforderliche Ausnahme zu. Die Voraussetzungen für eine korrigierende Rückgruppierung lägen auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht vor. Die Beklagte hätte der Klägerin vielmehr wegen des Nichtzustandekommens eines neuerlichen Änderungsvertrages eine der bisherigen Vergütung entsprechende Beschäftigung zuweisen müssen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.05.2001, Az.: 6 Ca 10672/00, wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über den 31.01.2000 hinaus Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gemäß den §§ 247, 288 BGB aus den rückständigen Bruttobeträgen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen. Insbesondere habe die Klägerin auch keine Umstände vorgetragen, die Anlass für eine abweichende Berechnung der durchschnittlichen Belegungszahlen geben könnten.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der von diesen geäußerten Rechtsansichten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und ihre Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG; 519, 519 ZPO jeweils in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung).

II.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Voraussetzungen für die von der Klägerin geforderte Bezahlung entsprechend der Vergütungsgruppe IV b BAT-O nicht vorliegen. Hierzu im Einzelnen:

1.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das nach den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse zu bejahen. Bei dem klägerischen Begehren handelt es sich um eine im öffentlichen Dienst allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 19.03.1986 - 4 AZR 470/84 - AP Nr. 114 zu den §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 26.07.1995 - 4 AZR 280/94 - AP Nr. 203 zu den §§ 22, 23 BAT 1975) keine Bedenken bestehen. Dies gilt auch, soweit der Feststellungsantrag Zinsforderungen zum Gegenstand hat (BAG vom 09.02.1983 - 4 AZR 267/80 - AP Nr. 1 zu § 21 MTL II).

2.

Die Klage ist unbegründet, da für den geltend gemachten Vergütungsanspruch weder eine einzel- noch tarifvertragliche Grundlage gegeben ist und die Beklagte die Vergütung der Klägerin auch ohne Änderungskündigung vermindern durfte, ohne sich dabei zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch zu setzen.

a)

Die Klägerin hat zunächst keinen einzelvertraglichen Anspruch auf die von ihr geltend gemachte Bezahlung gemäß der Vergütungsgruppe IV b BAT-O.

Die Parteien haben ersichtlich arbeitsvertraglich keine übertarifliche Vergütung vereinbart. So enthält der Änderungsvertrag vom 09.04.1997 die Regelung, dass die Vergütung nach § 22 BAT-O erfolgt und die Angestellte daher in der Vergütungsgruppe IV b BAT-O eingruppiert ist. § 22 Abs. 1 BAT-O enthält indessen die Regelung, dass sich die Eingruppierung der Angestellten nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung richtet und der Angestellte Vergütung nach der Vergütungsgruppe erhält, in der er eingruppiert ist. Bereits das Arbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass hier eine für einen Arbeitsvertrag im öffentlichen Dienst typische Vereinbarung vorliegt. Denn die Parteien haben gerade nicht vereinbart, dass die Klägerin - unabhängig von den tarifvertraglichen Voraussetzungen - eine bestimmte Vergütung zugesagt bekommen soll. Vielmehr kann die hier getroffene Vereinbarung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nicht dahin ausgelegt werden, der Arbeitnehmerin solle ein eigenständiger, von den tariflichen Bestimmungen unabhängiger arbeitsvertraglicher Anspruch auf eine bestimmte Vergütung zustehen. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände kann nämlich ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der Angabe der Vergütungsgruppe schon deshalb nicht eine solche Bedeutung entnehmen, weil der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes grundsätzlich keine übertarifliche Vergütung, sondern nur das gewähren will, was dem Arbeitnehmer tarifrechtlich zusteht (BAG vom 18.02.1998 - 4 AZR 581/96 - AP Nr. 239 zu den §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 09.07.1997 - 4 AZR 635/95 - AP Nr. 233 zu §§ 22, 23 BAT 1975, BAG vom 08.08.1996 - 6 AZR 1013/94 - AP Nr. 46 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer). Richtigerweise hat das Arbeitsgericht auch festgestellt, dass vorliegend keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen wurden, der Klägerin solle in jedem Fall (übertarifliche) Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O gezahlt werden.

b)

Die Klägerin hat aber auch keinen tarifvertraglichen Anspruch auf die von ihr verlangte Vergütungsgruppe.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden jedenfalls aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme der BAT-O und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der VKA jeweils geltenden Fassung Anwendung. Maßgeblich ist deshalb nach § 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BAT-O, ob der Tätigkeit der Klägerin mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die sich der von ihr begehrten Vergütungsgruppe zuordnen lassen. Da die Klägerin als Leiterin einer Kindertagesstätte beschäftigt wird, ist hier ein einheitlicher Arbeitsvorgang im Sinne der tarifvertraglichen Regelungen anzunehmen.

Für die vergütungsrechtliche Bewertung der klägerischen Tätigkeit ist die Vergütungsordnung VKA (Anlage 1 a zum BAT-O für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände - Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) maßgeblich.

Vergütungsgruppe V b

...

7.

Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen. (Hierzu Protokollerklärungen Nr. 9 und 10)

Vergütungsgruppe IV b

...

7.

Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen nach vierjähriger Bewährung in der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 7 (Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 9 und 10)

Protokollerklärung Nr. 9

Kindertagesstätten im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals sind Krippen, Kindergärten, Horte, Kinderbetreuungsstuben, Kinderhäuser und Tageseinrichtungen der örtlichen Kindererholungsfürsorge.

Protokollerklärung Nr. 10

Der Ermittlung der Durchschnittsbelegung ist für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zahl der vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen, je Tag gleichzeitig belegbaren Plätze zugrunde zu legen.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Bezahlung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O jedoch nicht. Voraussetzung für eine Bezahlung hiernach ist nach Fallgruppe 7 die Leitung einer Kindertagesstätte mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen. Nach der Protokollerklärung Nr. 10 ist für die Ermittlung der Durchschnittsbelegung für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zahl der vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen Plätze zugrunde zu legen. Die Regelung ist insoweit eindeutig. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den möglichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 17.05.2000 - 4 AZR 298/99 - AP Nr. 279 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 21.07.1993 - 4 AZR 468/92 - AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung). Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für Protokollerklärungen (vgl. hierzu BAG vom 27.09.2000 - 10 AZR 640/99 - ZTR 2001, 177 f.).

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, bietet schon der Wortlaut der Protokollerklärung Nr. 10 ein eindeutiges Auslegungsergebnis. Es ist auf die tatsächliche Belegung einer Kindertagesstätte und nicht etwa auf eine mögliche Belegbarkeit in dem genannten Zeitraum abzustellen. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "vergebenen" Plätze. Es ist zwischen den Parteien unstreitig und lässt sich auch ohne weiteres rechnerisch ermitteln, dass in den Jahren 1999, 2000 und 2001 die Belegung in der Kindertagesstätte ... die Zahl von 40 Kindern in den Zeiträumen von jeweils Oktober bis einschließlich Dezember nicht überschritten hat.

Für die Bewertung der klägerischen Tätigkeit ist auch nicht etwa lediglich die Belegungszahl vom Zeitpunkt der erstmaligen Eingruppierung maßgeblich. Insoweit verweist die Protokollerklärung Nr. 10 auf das jeweilige Kalenderjahr und die Durchschnittsbelegung des vorangegangenen Kalenderjahres im Bezugszeitraum. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Leitung von Einrichtungen insoweit davon ausgegangen, dass der Verantwortungsgrad am ehesten an der Zahl der zu betreuenden Kinder abgelesen werden kann. Bei den Tarifvertragsverhandlungen ist eingehend geprüft worden, ob andere Abgrenzungsmerkmale - wie etwa die Zahl unterstellter Mitarbeiter - treffender wären. Aber den Ausschlag hat schließlich gegeben, dass der dem Heimleiter obliegende Erziehungsauftrag und die Leitung um so schwieriger zu erfüllen sind, je stärker die Belegung des Heimes als solche ist (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, Kommentar zum BAT, Vergütungsordnung VKA, Band 2, Sozial- und Erziehungsdienst Anmerkung 22). Die Tarifvertragsparteien wollten offensichtlich mit dem Merkmal "Durchschnittsbelegung" die jeweils tatsächlich wahrgenommene Verantwortung berücksichtigen. Eine solche Regelung ist auch nicht sachfremd, da regelmäßig mit der Anzahl der zu betreuenden Kinder auch die tatsächliche Belastung für das Leitungspersonal zunimmt. Dies gilt für die Erziehungsaufgaben und Leitung gleichermaßen.

Entgegen der Annahme der Klägerin ist vorliegend bei der Ermittlung der Durchschnittsbelegung keine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass hierfür die Zahlen der vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen Plätze zugrunde zu legen sind. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass in den Jahren 1999 und 2000 die Kinderzahlen in den Monaten Oktober bis Dezember zum Teil deutlich geringer sind als in den vorangegangenen Monaten. Dies rechtfertigt jedoch keine Ausnahme von der grundsätzlichen Berechnungsmethode, da ein Absinken der Kinderzahlen in den letzten Kalendermonaten des Jahres für die Tarifvertragsparteien vorhersehbar war und für die Höhe der Vergütung im Folgejahr als maßgeblich angesehen wurde. Üblicherweise werden Kinder mit Beginn der Schulpflicht nicht mehr in Kindergärten betreut. Dies bedeutet im Regelfall, dass die bisherigen Belegungszahlen erst allmählich, im Falle von Neuanmeldungen, wieder erreicht werden. Dies zeigt sich etwa bei Betrachtung der Belegungszahlen von Beginn des Jahres 2000 an. Dem langsamen Anstieg der Belegungszahlen jeweils im Folgejahr konnte daher von den Tarifvertragsparteien Rechnung getragen werden. Dies hätte beispielsweise dadurch geschehen können, dass als Bezugszeitraum für die Durchschnittsbelegung das gesamte Vorjahr gewählt worden wäre. Wenn die Tarifvertragsparteien indessen eine andere Regelung gewählt haben, ist es den Gerichten für Arbeitssachen verwehrt, etwa im Wege der Auslegung letztlich andere Tarifmerkmale zu schaffen. Deswegen besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von der grundsätzlichen Berechnungsweise in der Protokollerklärung Nr. 10 abzuweichen.

Ausnahmefälle, in denen ein anderer Zeitraum gewählt werden kann, sind z. B. die Zusammenlegung oder Eröffnung von Kindertageseinrichtungen (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, a. a. O., Anmerkung 23). Eine solche Ausnahme wäre sicherlich auch dann denkbar, wenn die Beklagte Einfluss auf die Belegungszahlen genommen hätte, um etwa die Mitarbeiter niedriger vergüten zu können. Für eine solche Annahme bestehen aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

c)

Die Beklagte musste vorliegend auch keine Änderungskündigung im Sinne von § 2 KSchG aussprechen, um die Vergütung der Klägerin mindern zu können. Insoweit gibt es keine gesetzliche Bestimmung, die für eine tarifvertraglich vorgesehene tatsächliche Änderung der Arbeitsbedingungen zwingend den Ausspruch einer solchen Änderungskündigung vorschreibt. Vielmehr können Tarifverträge sogar vorsehen, dass der Arbeitgeber ohne Änderung des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer andere, auch nach einer niedrigeren Vergütungsgruppe zu vergütende Tätigkeiten zuweist (vgl. hierzu BAG vom 07.11.2001 - 4 AZR 724/00 -, DB 2002, 746 ff.). Der Klägerin wurde hier aber von der Beklagten keine andere Tätigkeit zugewiesen, vielmehr hat sich lediglich ein vergütungsrelevanter Umstand - die Zahl der betreuten Kinder - geändert. Der in der Vergütungsordnung verfolgte Zweck, nämlich die Höhe der Vergütung an die Zahl der betreuten Kinder zu koppeln, könnte teilweise unter Umständen überhaupt nicht, jedenfalls aber nur unter erschwerten Bedingungen erreicht werden. Da die Höhe der Vergütung der Leiterin einer Kindertagesstätte von der Durchschnittsbelegung in einem Bezugszeitraum abhängt, kann das Gehalt variieren. Eine solche Vergütungsanpassung im Wege der Änderungskündigung wäre für Arbeitnehmer etwa mit Sonderkündigungsschutz fast aussichtslos. Aber auch bei langjährigen Mitarbeitern ohne Sonderkündigungsschutz wäre bei der Notwendigkeit einer Änderungskündigung zunächst der Betriebsrat anzuhören (§ 102 Abs. 1 BetrVG) und die Kündigungsfrist einzuhalten. Dies würde beispielsweise bei einer Beschäftigungszeit von mindestens 12 Jahren dazu führen, dass die geänderten Arbeitsbedingungen erst mit einer Frist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres wirksam werden könnten, vgl. § 53 Abs. 2 BAT-O. Die tarifvertragliche Vergütungsregelung würde dadurch aber weitgehend entwertet.

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Argumentation der Klägerin, sie habe einen Anspruch auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung. Denn arbeitsvertraglich haben die Parteien lediglich die Beschäftigung als Leiterin einer Kindertagesstätte vereinbart. Hieran hat sich auch nach dem Absinken der Kinderzahlen nichts geändert. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1997 (4 AZR 635/95) steht dem nicht entgegen. Insbesondere hat das BAG unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, dass bei grundloser Zahlung einer zu hohen tariflichen Vergütung diese Zahlung grundsätzlich einseitig vom Arbeitgeber eingestellt werden kann. Es bedurfte daher auch keines Änderungsvertrages. Zur Klarstellung sei allerdings angemerkt, dass sich umgekehrt für die Klägerin wohl auch eine höhere Vergütung dann ergeben würde, wenn in dem in der Protokollerklärung Nr. 10 genannten Bezugszeitraum die Zahl der Kinder auf mindestens 40 ansteigt.

Die Rückgruppierung der Klägerin ist auch nicht treuwidrig im Sinne von § 242 BGB. Insbesondere hat sich die Beklagte durch ihr Verhalten in der Vergangenheit (Abschluss von Änderungsverträgen) nicht für die Zukunft in der Weise gebunden, Änderungen ausschließlich auf vertraglichem Wege herbeizuführen. So enthält etwa der Änderungsvertrag vom 09.04.1997 keine konstitutive Vergütungsabrede. Der Änderungsvertrag hat vielmehr nur Klarstellungsfunktion. Dies ergibt sich aus der Formulierung, dass die Vergütung nach § 22 BAT erfolge und die Klägerin daher in der Vergütungsgruppe IV b BAT-O eingruppiert sei. Die Änderungsverträge in der Vergangenheit sind vielmehr als Folge einer Neubewertung der Stelle der Klägerin anzusehen und wären nicht zwingend erforderlich gewesen.

Die Klägerin wird daher im Ergebnis zu Recht entsprechend der Vergütungsgruppe V c, Fallgruppe 10 BAT-O bezahlt. Die Berufung musste deshalb erfolglos bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Gegen diese Entscheidung war im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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