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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.03.2006
Aktenzeichen: 1 B 335/04
Rechtsgebiete: SächsBO, BauNVO


Vorschriften:

SächsBO n.F. § 90 Abs. 1 Satz 3
SächsBO § 6
BauNVO § 5
BauNVO § 6
Eine Nutzungsänderungsgenehmigung zur Nutzung der einem Vierseithof zugeordneten Rasenfläche für eine Außenbewirtschaftung löst keine Neuprüfung der Abstandsflächen des Vierseithofs aus.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 1 B 335/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Nachbarklage gegen Nutzungsänderungsgenehmigung

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Reich, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Verwaltungsgericht Döpelheuer aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 28. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. Januar 2003 - 4 K 1841/02 - wird geändert. Die Klage gegen die Nutzungsänderungsgenehmigung der Beklagten vom 27. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dresden vom 4. Juli 2002 wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen Kläger und Beklagte zu je 1/2. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung gegen die Aufhebung ihrer dem Beigeladenen erteilten Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001 durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15.1.2003.

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks D. N1, Flurstück F1 in H. , welches mit einem gastronomisch genutzten Vierseithof bebaut ist. Dessen Nutzung hat der Beigeladene kontinuierlich erweitert, hierzu Bau- und Nutzungsänderungsgenehmigungen beantragt und durch Bescheide der Beklagten vom 17.6.1992, 21.1.1993, 10.2.1999, 10.3.1999, 8.2.2001, 13.11.2001 und 27.11.2001 erhalten.

Auf den Antrag vom 21.1.1999 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen unter dem 10.3.1999 eine Baugenehmigung u.a. für die Erweiterung des Gastraumes um 25 m² durch einen Anbau an das Gaststättengebäude in westlicher Richtung. Zugleich genehmigte sie den Ausbau der an der nördlichen Seite des Vierseithofes gelegenen früheren Scheune zu einem Gesellschaftssaal mit 38 Gastplätzen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens erteilte der Kläger zu diesem Vorhaben seine Zustimmung. Bis zum Zeitpunkt dieser Genehmigung befanden sich in dem nordwestlichen Längsgebäude des Vierseithofes 38 Gastplätze. Das südöstliche Längsgebäude nutzte der Beigeladene zu Wohnzwecken. Das südliche Quergebäude diente als Scheune und Durchfahrt. Die östlich der Gaststätte gelegenen Freiflächen in Richtung Z. wurden als Gartenlokal mit 38 Gastplätzen genehmigt. Am 1.2.1999 übernahm der Kläger zur Ermöglichung der Gaststättenerweiterung durch den Beigeladenen drei Baulasten.

Bei der Verwirklichung einer weiteren bestandskräftigen Baugenehmigung vom 8.2.2001 zur Erweiterung der Küche im Vierseithof kam es zu einem Überbau auf das Grundstück des Klägers. In dem dieser Baugenehmigung zu Grunde liegenden Verfahren übernahm der Kläger zu der nach den Bauplänen nördlich auf der Grundstücksgrenze vorgesehenen Wand eine Baulastfläche "zur Regelung der Grenzwand § 29 Abs. 1 (Fenster in Grenzwand)".

Auf seinen Antrag vom 10.7.2001 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen am 27.11.2001 eine Nutzungsänderungsgenehmigung zu der östlich, dem D. zugewandten Freifläche mit einer Größe von 200 m² zur Nutzung als Gartenlokal mit 38 Gastplätzen in der Zeit von April bis Oktober, jeweils von 10.30 Uhr bis 22.00 Uhr unter Einhaltung eines Immissionswertes von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts. An diesem Genehmigungsverfahren wurde der Kläger nicht beteiligt. Auf Antrag vom 18.9.2001 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen unter dem 13.11.2001 und durch Ergänzungsbescheid vom 27.11.2001 eine Baugenehmigung für die Erweiterung des Gaststättenbetriebes. Sie umfasste unter Abbruch des Scheunengebäudes die Errichtung eines Gebäudes, in dessen Erdgeschoss ein Gaststättensaal mit 43 Gastplätzen und in dessen Obergeschoss eine Wohnung vorgesehen waren. Abweichend von der nicht verwirklichten Baugenehmigung vom 10.3.1999 sollte die Grundfläche des neuen Gebäudes um rund 21 m² größer sein. In ihren Nebenbestimmungen sah die Beklagte u.a. vor, dass zum Flurstück des Klägers ein Immissionswert von 60 dB(A) in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr und von 45 dB(A) in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr nicht überschritten werden darf. Die Öffnungszeiten der Gaststätte wurden auf den Zeitraum von 10.30 Uhr bis 22.00 Uhr und samstags bis 24.00 Uhr beschränkt. Der Betrieb des Gartenlokals wurde samstags auf 22.00 Uhr beschränkt. Dem Beigeladenen wurde aufgegeben, dass nach 22.00 Uhr der An- und Abfahrverkehr von PKW über den ehemaligen, östlich gelegenen -Parkplatz, Flurstück N2 und nicht über den - teilweise im Eigentum des Klägers stehenden - Stichweg zu erfolgen habe. Ferner wurde er zur Ausweisung von 15 PKW-Stellplätzen auf seinem Grundstück verpflichtet.

Nach Kenntniserlangung von den ihm nicht übermittelten Genehmigungen legte der Kläger am 10.11.2002 Widerspruch gegen die Nutzungsänderungsgenehmigung und am 22.3.2002 gegen die Baugenehmigung ein. Beide Widersprüche wies das Regierungspräsidium Dresden mit Widerspruchsbescheid vom 4.7.2002 als unbegründet zurück.

Seine am 5.7.2002 erhobene Klage begründete der Kläger im Wesentlichen mit erheblichen Lärmbelästigungen unter Überschreitung der festgelegten Immissionswerte, deren Einhaltung die Beklagte nicht hinreichend kontrolliere. Sein Grundstück werde immer wieder durch Gäste des Beigeladenen zugeparkt. Der Beigeladene habe ursprünglich nur eine Genehmigung für den Betrieb seines Gartenlokals auf der Westseite gehabt, dieses dann ohne Genehmigung auf die Ostseite Richtung D. verlagert und längere Zeit dort genehmigungslos betrieben. Erst auf mehrfache Rüge des Klägers sei das Genehmigungsverfahren durchgeführt worden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15.1.2003 die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 13.11.2001 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 27.11.2001, mit dem ihm der Umbau und die Erweiterung des als Scheune und Durchfahrt genutzten nordöstlichen Flügels seines Vierseithofes gestattet wird, sowie die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001, mit dem ihm die Nutzung einer westlich vor dem Vierseithof gelegenen Freifläche als Gartenlokal genehmigt wird, sowie den zu diesen Bescheiden ergangenen Widerspruchsbescheid vom 4.7.2002 aufgehoben, da sie den Kläger in seinen Rechten verletzten. Die Baugenehmigung für den Scheunenumbau verstoße gegen § 6 Sächsische Bauordnung - SächsBO -. Die nördliche Grenzwand des Vierseithofes überbaue die Grenze zum Grundstück des Klägers. Dieser Umstand müsse berücksichtigt werden, da es sich bei dem Vorhaben des Klägers um ein unteilbares Gesamtvorhaben handele. Wegen der Einheitlichkeit des Vorhabens werde bei einer Veränderung des Bauwerks die Frage der Abstandsflächen neu aufgeworfen. Der Beigeladene könne sich deshalb nicht darauf berufen, dass sein als Grenzbau im nördlichen Grundstücksbereich errichteter Baukörper Bestandsschutz genieße. Es komme deshalb nicht darauf an, ob der zur Genehmigung gestellte Baukörper bei isolierter Betrachtung die Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers einhalte. Der Kläger habe auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 SächsBO zugunsten des Beigeladenen Abstandsflächen für das streitige Vorhaben übernommen. Soweit der Kläger im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zur Genehmigung vom 8.2.2001 für die Erweiterung der Küche eine Baulast übernommen habe, habe sich diese lediglich auf eine Baulastfläche wegen der Durchbrechung der Brandwand durch ein Fenster nach § 29 Abs. 1 SächsBO bezogen. Die Übernahme der Abstandsflächen durch den Kläger im Zusammenhang mit der Baugenehmigung vom 10.3.1999 stelle keine wirksame Übernahme von Abstandsflächen für das streitige Bauvorhaben dar. Die frühere Zustimmung beziehe sich auf ein früheres Vorhaben. Ändere sich - wie hier - ein Vorhaben nicht nur geringfügig und würden hierdurch die Belange des Nachbarn stärker beeinträchtigt, werde das Neubauvorhaben von der früheren Zustimmung nicht mehr erfasst. Dies sei hinsichtlich der früheren Zustimmung des Klägers zu den vorhergehenden Bauabschnitten der Fall. Auch die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001 sei wegen der Verletzung der nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften rechtswidrig. Die durch sie genehmigte Außenbewirtschaftung sei ein untrennbarer Bestandteil des Gesamtvorhabens des Beigeladenen und verletze deshalb § 6 SächsBO. Dem stehe eine mehrjährige Duldung der Gaststätte als Gartenlokal durch den Kläger nicht entgegen. Die frühere Nutzung der Gaststätte sei in ihrem Gesamtumfang auf eine geringere Zahl von Gästen beschränkt gewesen. Ein etwaiger Vertrauensschutz könne sich folglich nur auf diesen Umfang beziehen.

Gegen diese Entscheidung haben die Beklagte und der Beigeladene die Zulassung der Berufung beantragt. Das Verfahren betreffend den Antrag des Beigeladenen hat der Senat mit Beschluss vom 31.3.2004 abgetrennt (1 B 334/03) und diesen Antrag unter dem Aktenzeichen 1 B 255/04 abgelehnt. Zur Begründung hat er unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Einzelnen ausgeführt, dass die vom Beigeladenen geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Berufung nicht vorlägen.

Mit seinem Beschluss vom 31.3.2004 (1 B 344/03) hat der Senat zugleich auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dresden vom 4.7.2002 aufgehoben hat. Im Übrigen hat er den Antrag der Beklagten abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass auch nach seiner Auffassung die Baugenehmigung vom 13.11.2001 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 27.11.2001 wegen eines Verstoßes gegen § 6 SächsBO den Kläger in seinen Rechten verletze und keine Veranlassung für eine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehe. Ernstliche Zweifel bestünden hingegen, soweit das Verwaltungsgericht die Nutzungsänderungsgenehmigung für die Außenbewirtschaftung aufgehoben habe. Zwar sei es auch insoweit zutreffend, dass die Gastplätze im Freien ein einheitliches Vorhaben mit der vorhandenen Gaststätte bildeten. Ohne diese sei eine Außenbewirtschaftung nicht möglich. Wegen des durch § 6 SächsBO geschützten Interesses an einem sozialen Mindestabstand und Freiraum beeinträchtige das Gartenlokal auch die schutzwürdigen Belange des Klägers stärker als das vorhandene Vorhaben, so dass sich seine Zustimmung vom 31.1.2001 nicht auch auf diese Nutzung erstrecke. Ernstlich zweifelhaft sei aber die Auffassung, der Kläger habe sein Abwehrrecht gegen diese Nutzung nicht verwirkt, weil er sie zwar mehrere Jahre geduldet habe, ein eventueller Vertrauensschutz des Beigeladenen sich aber nur auf die Gaststätte in ihrem bisherigen Gesamtumfang mit einer geringeren Anzahl von Gästen beziehen könne. Dies überzeuge so nicht, da die Erweiterung der Gaststätte um einen Gesellschaftsraum nicht zwangsläufig zu einer derartig stärkeren Frequentierung der Freisitze führe, dass - bezogen auf die Einrichtung des Gartenlokals - von einem geänderten Vorhaben gesprochen werden müsse.

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte im Einzelnen ausgeführt, weshalb der Kläger nach ihrer Auffassung seine materiellen Abwehrrechte verwirkt habe.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. Januar 2003 die Klage gegen die Nutzungsänderungsgenehmigung der Beklagten vom 27. November 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dresden vom 4. Juli 2002 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Seiner - ebenfalls im Einzelnen dargelegten - Auffassung nach fehlt es an einer Verwirkung der Abwehrrechte.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich den Ausführungen der Beklagten angeschlossen.

Mit der Ladung vom 19.1.2006 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er mit Urteil vom 28.8.2005 - 1 B 889/04 - zu der nach § 90 Abs. 1 Satz 3 SächsBO maßgeblichen Neufassung des § 6 SächsBO entschieden hat, dass die Wahrung des sozialen Wohnfriedens nicht mehr Schutzzweck dieser Norm ist. Dies könne einer Neuprüfung der Abstandsflächen entgegenstehen, da eine Berührung anderweitiger Schutzgüter des § 6 SächsBO durch die Außenbewirtschaftung nicht ersichtlich sei. Eine Verletzung anderer nachbarlicher Rechte durch die Nutzungsänderungsgenehmigung dränge sich derzeit nicht auf.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 10.2.2006 die Auffassung einer nach der Neufassung des § 6 SächsBO nicht mehr vorliegenden Abstandsflächenverletzung zu Eigen gemacht und ergänzend zum Ablauf der Genehmigungsverfahren vorgetragen. Der Beigeladene hat sich dem angeschlossen. Auch nach Auffassung des Klägers ist es wohl richtig, dass die Neufassung des § 6 SächsBO zu einer veränderten Situation führt. Er sehe sich aber aufgrund des im Jahr 2005 vorgenommenen Umbaus eines Teils der Küche und der Gaststube zum Thekenraum in seinen Rechten durch die Außenbewirtschaftung beeinträchtigt. Seine Interessen seien mit denen des Beigeladenen abzuwägen. Für sein gegenüber der Außenbewirtschaftung liegendes Grundstück besitze er einen Bauvorbescheid für drei mögliche Baugrundstücke, welche über den gleichen Zugang wie die Außenwirtschaft erschlossen würden. Dieser sei in der Vergangenheit mit Fahrzeugen von Gästen der Außenwirtschaft zugestellt gewesen, so dass kein freier Zugang gewährleistet sei. Die erteilten Genehmigungsauflagen reichten nicht zum Schutz vor Lärmimmissionen. Die Terrasse sei in der Vergangenheit oft noch nach 22.00 Uhr genutzt worden. Sie führe zudem dazu, dass die Gäste über diese auch den Gastraum aufsuchten und deshalb den Zuweg über den Dorfanger her nutzten. Die mögliche Bebauung in der Nachbarschaft werde durch den Lärm des Zu- und Abgangs stärker belastet. Bei einer Verlegung der Außenwirtschaft in den Innenhof würde hingegen ein Großteil des Lärm durch die Bebauung absorbiert. Die Außenwirtschaft beeinträchtige die Vermarktung seiner Baugrundstücke. Dies sei im Rahmen des § 3 Abs. 1 SächsBO und des Rücksichtnahmegebots nochmals abzuwägen.

Dem Senat liegen die Unterlagen der Beklagten aus den Genehmigungsverfahren (4 Ordner, 2 Heftungen), zwei Akten des Verwaltungsgerichts (4 K 1841/02 und 4 K 1073/02) sowie die Akten der Zulassungsverfahren (1 B 344/03 und 1 B 255/04) und des Berufungsverfahrens vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der einzelnen Feststellungen bei der Augenscheinseinnahme wird auf das hierzu gefertigte Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dresden vom 4.7.2002 aufgehoben. Diese Genehmigung verletzt keine - dem Kläger zustehenden - drittschützenden Rechte (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständliche Nutzungsänderungsgenehmigung für eine Außenbewirtschaftung löst keine Neuprüfung der Abstandsflächen des im Eigentum des Beigeladenen stehenden Vierseithofes aus (s. unter 1.) und steht für sich genommen mit § 6 SächsBO in Einklang (s. unter 2.). Sie verletzt den Kläger auch in keinem anderen drittschützenden Recht (s. unter 3.). 1. Die Nutzungsänderungsgenehmigung für die Außenbewirtschaftung löst keine Neuprüfung der Abstandsflächen hinsichtlich des Vierseithofes aus. Nach der - auch vom Verwaltungsgericht zutreffend zu Grunde gelegten - Rechtsprechung des Senats wird die Genehmigungsfrage mit der Folge neu zu prüfender Abstandsflächen insgesamt nur dann neu aufgeworfen, wenn Veränderungen im Bestand vorgenommen werden (s. unter a) und das geänderte Vorhaben die von den Abstandsflächen geschützten Belange des Nachbarn stärker berührt als das ursprüngliche Gebäude (Beschl. v. 31.3.2004 - 1 B 344/03 - m.w.N.; s. unter b)).

a) Die Nutzungsänderungsgenehmigung zur Nutzung einer zum Dorfanger gelegenen Rasenfläche für Zwecke der Außenwirtschaft führt zu keiner Veränderung im Bestand. Sie ist ohne Einfluss auf die Gebäudesubstanz des Vierseithofes und lässt auch dessen bisherige Nutzung im Wesentlichen unberührt. Sie ordnet sich mit ihrem Umfang von 6 Tischen der Gaststättennutzung im Vierseithof auch quantitativ unter, was der Annahme einer berücksichtigungsfähigen Nutzungsintensivierung des bestehenden Gaststättenbetriebes und einer hieraus abgeleiteten Bestandsveränderung aufgrund der Außenbewirtschaftung entgegensteht.

Löst die Nutzungsänderungsgenehmigung mangels Änderungen im Bestand des Vierseithofes ihm gegenüber keine Neuprüfung der Abstandsflächen aus, kann eine Abstandsflächenverletzung durch diese Gebäude gegenüber dem Kläger kein Prüfungsgegenstand - mehr - sein. Eine vom Verwaltungsgericht aus einer Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung abgeleitete Rechtswidrigkeit der Nutzungsänderungsgenehmigung kann nach deren rechtskräftiger Aufhebung durch das Verwaltungsgericht nicht mehr angenommen werden.

b) Selbst wenn man einen inneren Zusammenhang der Außenwirtschaft mit der Gaststätte als berücksichtigungsfähigen Umstand ansähe, wäre eine Neuprüfung der Abstandsflächen der Bestandsgebäude nicht veranlasst. Durch das Vorhaben werden die von den Abstandsflächen geschützten Belange des Klägers nicht stärker berührt als durch das ursprüngliche Gebäude. Die vom Senat in seinem Zulassungsbeschluss geäußerte Auffassung, dass die Nachbarrechtsrelevanz des vorgenannten Verstoßes gegen das Abstandsflächenrecht durch den Vierseithof daraus folge, dass § 6 SächsBO auch das Interesse an einem gewissen sozialen Mindestabstand und Freiraum zwischen benachbarten Grundstücksnutzungen schütze, ist überholt. Diese Auffassung hat der Senat nach der Neufassung des § 6 SächsBO als nicht mehr fortführbar angesehen (Urt. v. 28.8.2005 - 1 B 889/04 - Begegnungsstätte Leipzig). Durch die Reduzierung der Abstandsflächen auf 0,4 H muss nach dieser Entscheidung davon ausgegangen werden, dass sich die Schutzzwecke des § 6 SächsBO im Wesentlichen auf den Brandschutz und die Wahrung einer gesundheitsrelevanten Belichtung beschränken und jedenfalls der Schutzzweck des sozialen Wohnfriedens als bisheriger Nebenzweck nicht mehr zu den Schutzgütern des § 6 SächsBO zählt.

Da gemäß § 90 Abs. 1 Satz 3 SächsBO n.F. die materiellen Vorschriften, die durch dieses Gesetz geändert wurden und den Bauherrn begünstigen, auch auf die vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes eingeleiteten Verfahren anzuwenden sind, ist die Beschränkung der Schutzzwecke des § 6 SächsBO vorliegend zu beachten.

Stellt hiernach der soziale Wohnfrieden keinen Schutzzweck mehr dar, dessen negative Berührung Veranlassung zu einer Neuprüfung der Abstandsflächen bietet, ist nicht ersichtlich, welcher abstandsflächenrechtliche Schutzzweck durch die Außenbewirtschaftung tangiert sein könnte. Unter dem Gesichtspunkt von Belichtung und Belüftung ist eine Beeinträchtigung dieser Belange durch die Aufnahme einer Außenbewirtschaftung nicht ersichtlich.

2. Für sich gesehen ist die Nutzungsänderungsgenehmigung vom 27.11.2001 abstandsflächenrechtlich neutral. Diese hat weder die Errichtung von Außenwänden, noch von Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen könnten, zum Gegenstand (s. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 SächsBO). Sie bezieht sich nach dem der Nutzungsänderungsgenehmigung beigefügten Hinweis Nr. 3 auf die Nutzung von unbefestigter Gartenfläche, durch - nach den ebenfalls genehmigungsgegenständlichen Bauvorlagen - Aufstellung von sechs Tischen mit Bestuhlung.

3. Die Nutzungsänderungsgenehmigung verletzt den Kläger in keinem anderen drittschützenden Recht. Eine diesbezügliche bauordnungsrechtliche Norm ist nicht ersichtlich.

In bauplanungsrechtlicher Hinsicht verletzt die Genehmigung den Kläger nicht in seinem Anspruch auf Rücksichtnahme. Insoweit bedarf es keiner abschließenden Klärung, ob sich die Außenwirtschaft - wie die Beklagte meint - innerhalb eines Mischgebietes i.S.v. § 6 Baunutzungsverordnung - BauNVO - oder - was das Maß der im Augenscheinstermin noch festgestellten landwirtschaftlichen Nutzungen auch nahe legen könnte - innerhalb eines Dorfgebietes i.S.v. § 5 BauNVO befindet. In beiden Gebieten ist die Außenwirtschaft allgemein zulässig (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. 5 Abs. 2 Nr. 5 bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Die von ihr erwartbaren Emissionen lassen nicht erkennen, dass sich die Außenbewirtschaftung nach Maßgabe des hier einschlägigen § 15 Abs. 1 Satz 2 Baunutzungsverordnung - BauNVO - als rücksichtslos erweisen könnte. Die auf Initiative des Staatlichen Umweltfachamtes Bautzen vom 30.7.2001 vom Kläger eingeholte schalltechnische Untersuchung der Fa. rgo Umwelt lässt die Einhaltung der maßgeblichen Immissionswerte erwarten. Das Gutachten bewertet als Freifeldquelle - u.a. - "Gespräche auf der Terrasse und Gartenlokal" (S. 8, Ziffer 3.1.1). Im Ergebnis kommt es zu einer maximalen Belastung des Grundstücks des Klägers im Bereich von 55 - 60 dB(A) durch die Außenbewirtschaftung (Anlage 6.1.1 - Flächenhafte Darstellung der Geräuschimmission). Danach können hinsichtlich der Außenbewirtschaftung auch ohne gesonderte Maßnahmen die Beurteilungspegel eingehalten werden. Dabei wurde "vorsorglich" ein Zuschlag von 6 dB "für ein Wohngebiet" gemäß Ziffer 6.5. TA Lärm mit berücksichtigt (Ziffer 5 a.E.). Hiervon ausgehend ist der genehmigte Umfang der Außenbewirtschaftung gebietskompatibel und keine dort unzulässige Immissionsentwicklung zu erwarten. Nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - vom 26.8. 1998 (GMBl. 503) betragen die Immissionsrichtwerte in Dorf- und Mischgebieten 60 dB(A) tags und 45 dB (A) nachts. Die Beauflagung des Beigeladenen in der Nutzungsänderungsgenehmigung mit der Einhaltung dieser Grenzwerte ist ein geeignetes Mittel zum Schutz der Nachbarschaft (Ziffer 2 der Auflagen zur Nutzungsänderungsgenehmigung) Sie stellen ausweislich des vorgenannten Gutachtens grundsätzlich einhaltbare Werte dar. Zudem ist der Betrieb der Außenbewirtschaftung auf den Zeitraum von 10.30 Uhr bis 22.00 Uhr beschränkt (Ziffer 1 der Auflagen der Nutzungsänderungsgenehmigung). Mehr kann der Kläger in einem Gebiet der vorliegenden Art aus Gründen der Rücksichtnahme nicht verlangen. Ob die Werte im Einzelfall eingehalten werden, ist keine Frage der Genehmigung, sondern notfalls ihrer Überwachung durch die Beklagte.

Weitere Gründe für eine Unzulässigkeit der Außenbewirtschaftung nach § 15 BauNVO sind nicht ersichtlich.

Die im Augenscheinstermin festgestellte planabweichende Errichtung der Außenbewirtschaftung berührt die Rechtmäßigkeit der Genehmigung nicht. Die Beklagte wird dafür Sorge zu tragen haben, dass der Beigeladene die nach den Bauvorlagen vorgesehene drei Meter breite Abstandsfläche einhält und - wie vorgesehen - nachhaltig bepflanzt. Dies schließt eine Verlegung der Sitzplatzbereiche und der - entgegen der Nutzungsänderungsgenehmigung - befestigten Flächen von der Grenze weg mit ein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte insoweit unterlegen ist, als ihr Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die Aufhebung ihrer Baugenehmigung vom 13.11.2001 erfolglos geblieben ist (Beschl. v. 31.3.2004 1 B 344/03) und die Kostenentscheidung hierzu der mit diesem Urteil vorliegenden Endentscheidung vorbehalten geblieben ist. Der Erfolg der Beklagten beschränkt sich auf die Abweisung der Klage gegen die vom Verwaltungsgericht ebenfalls aufgehobene Nutzungsänderungsgenehmigung. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht für erstattungsfähig zu erklären (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Er hat sich mangels Antragstellung im Berufungsverfahren keinem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für den Zeitraum bis 31.3.2004 auf 10.225,84 € und für den nachfolgenden Zeitraum auf 5.112,92 € festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 Gerichtskostengesetz - GKG - i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und Ziffer 7.6.1 Streitwertkatalog 1996. Für den Zeitraum bis zur Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung am 31.3.2004 ist der mangels näherer Anhaltspunkte als Auffangstreitwert einschlägige Betrag von umgerechnet 10.000,- DM doppelt anzusetzen. Streitgegenstand war bis zu diesem Zeitpunkt sowohl die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Umbau und zur Erweiterung des Scheunengebäudes wie auch die Nutzungsänderungsgenehmigung für die Außenwirtschaft. Auf die teilweise Zulassung der Berufung beschränkte sich der Streitgegenstand auf die Nutzungsänderungsgenehmigung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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