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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 25.09.2009
Aktenzeichen: 1 B 379/08
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO


Vorschriften:

SGB VIII § 48
VwGO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 B 379/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Jugendhilferechts; Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann und die Richterin am Verwaltungsgericht Berger

am 25. September 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 27. Oktober 2008 - 4 K 1361/07 - geändert. Die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 1. November 2007 wird gegenüber dem Bescheid des Antragsgegners vom 14. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass es das Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2 des Bescheides vom 14.8.2007 wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage als unbegründet abgelehnt. Mit diesem Bescheid wurden dem Verein ................................. e. V. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die weitere Beschäftigung des dort seit dem Jahr 2000 als Geschäftsführer projektleitend tätigen Antragstellers auf der Grundlage von § 48 SGB VIII untersagt. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde dem Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung die weitere Beschäftigung des Leiters, eines Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiters ganz oder für bestimmte Funktionen oder Tätigkeiten untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die für ihre Tätigkeit erforderliche Eignung nicht besitzen. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Insbesondere rechtfertigten Tatsachen die Annahme, dass der Antragsteller die für seine Tätigkeit erforderliche Eignung nicht besitze. Als Geschäftsführer sei er fachlich und organisatorisch einrichtungsübergreifend als Projektleiter tätig. In dieser Funktion habe er die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen insbesondere gegenüber den zuständigen Aufsichtsbehörden zu gewährleisten. Zudem treffe ihn als in die Betreuung von Jugendlichen eingebundene Person mit herausgehobener Funktion eine erzieherische Vorbildfunktion, mit der die gezielte Umgehung behördlicher Kontrollen nicht vereinbar sei. Diese Pflichten habe der Antragsteller bereits auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts vielfach verletzt, indem er mehrfach und über Jahre hinweg immer wieder Anzeige- und Meldepflichten zu Veränderungen nicht erfüllt habe, obwohl diese nach § 47 SGB VIII nicht nur periodisch, sondern "unverzüglich" zu erfolgen hätten. Dies habe der Antragsteller - so am 22.5/11.6.2007 - vorsätzlich unter Vereitelung des zum Schutz des Kindeswohls gesetzlich vorgesehenen Betreuungsverbots unter Erlaubnisvorbehalt getan. Seine Motivlage trete in ihrer Bedeutung hinter diesen Verstoß zurück, zumal es nicht Aufgabe des Antragstellers sei, Kindeswohlgefährdungen am zuständigen Jugendamt vorbei nach seinen Vorstellungen abzuwenden. Auch wenn es von ihm nicht beabsichtigt gewesen sei, gehe es auch zu seinen Lasten, dass der Jugendliche von diesem Verschleierungsversuch erfahren habe. Hinzu trete eine unerlaubte Betreuungsaufnahme am 13.8.2007, da ihm eine schriftliche Betriebserlaubnis erst am 16.8.2007 erteilt worden sei. Von einer mündlichen Betriebserlaubnis aufgrund eines Gesprächs vom gleichen Tage mit einer Mitarbeiterin des Jugendamtes habe er nicht ausgehen können. Im Weiteren komme es nicht mehr darauf an, ob ihm im Zusammenhang mit einem Betreuerausfall am 16. und 17.6.2007 ein Fehlverhalten vorgeworfen werden könne. Eine Gefährdung des Kindeswohls als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Untersagungsverfügung liege sowohl in dem Bekanntwerden des Verschleierungsversuches bei dem betroffenen Jugendlichen, als auch in der wiederholten Missachtung seiner Pflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde. Dieses Verhalten reiche aus, da es den Bestand der Einrichtungen und damit den Erhalt der geschaffenen Lebenswelten der Jugendlichen in Frage stelle. Ermessensfehler lägen nicht vor. Soweit sich in dem Bescheid die Formulierung finde, dass der Beklagte zur Untersagung "verpflichtet" sei, verstehe das Gericht diese Formulierung als bloße Bekräftigung des im Wege der Ermessensausübung gefundenen Ergebnisses. Die Entscheidung sei im Ergebnis auch nicht in tatsächlicher Hinsicht auf unzutreffende Gesamtumstände gestützt. Ausgenommen hiervon sei die Annahme einer persönlichen Weisung des Antragstellers an den Jugendlichen zum Verbergen seiner Habseligkeiten im Keller. Diese Annahme stehe im Widerspruch zu der Einlassung des Jugendlichen, der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers und lasse sich auch nicht aus den - wohl nicht vollständig vorgelegten - Verwaltungsakten erkennen. Jedoch habe der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 14.1.2008 in rechtlich beachtlicher Weise die selbständig tragende Ermessenserwägung nachgeschoben, dass unabhängig hiervon seine Kenntnis von den Umständen, wie der fehlenden Erlaubnis und die von ihm gleichwohl veranlasste Aufnahme des Jugendlichen die Untersagungsverfügung rechtfertige. Ein Zugrundelegen falscher Tatsachen liege nicht in den Ausführungen des Antragsgegners zu der Übersendung einer Entgeltvereinbarung, da er dieses Verhalten lediglich als unprofessionell gewertet habe und dieses insoweit - anders als der Vorwurf der Urkundenfälschung - als vertretbar erscheine. Mildere Mittel zur Abstellung der Mängel in der Ausübung der Geschäftsführertätigkeit des Antragstellers seien nicht ersichtlich. Ihm verbleibe zudem die Möglichkeit zu einer ausbildungsgemäßen fachlichen Berufsbetätigung.

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers gibt Veranlassung zu einer Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Es bestehen durchgreifende Zweifel, ob sich der angefochtene Bescheid in der Hauptsache als rechtmäßig erweisen wird.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es sich bei einer Tätigkeitsuntersagung nach § 48 SGB VIII um eine nach Maßgabe von § 114 VwGO zu überprüfende Ermessenentscheidung handelt. Die Ausübung des Ermessens ist fehlerhaft, wenn sich die Behörde zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung auf Umstände beruft, die sich als nicht zutreffend erwiesen oder die nicht geeignet sind, die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen. Insoweit ist schon das Verwaltungsgericht zugunsten des Antragsgegners davon ausgegangen, dass die eingangs der Entscheidungsgründe zum Bescheid vom 14.8.2007 verwendete Formulierung, dass er zu einer Tätigkeitsuntersagung "verpflichtet" sei, lediglich eine Bekräftigung des vom Antragsgegner im Wege der Ermessensausübung gefundenen Ergebnisses darstelle. Im Weiteren hat es auch seinen Vortrag im Schriftsatz vom 14.1.2008 als zulässiges Nachschieben von Ermessenserwägungen im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO angesehen. Hiernach sei bereits der Umstand, dass der Antragsteller die Aufnahme eines Jugendlichen in der ................. ohne Betriebserlaubnis veranlasst habe ohne Rücksicht auf die Frage einer von ihm gegenüber dem Jugendlichen gegebenen Anweisung zur Beräumung von persönlichen Gegenständen für die Untersagung einer Beschäftigung als Geschäftsführer von Bedeutung. Mit dieser Ergänzung seines Vorbringens hat der Antragsgegner hingegen auch die Erwägung nachgeschoben, dass es während der Zeit des unerlaubten Betreibens der Einrichtung zu einem Vorfall gekommen ist, der eine Kindeswohlgefährdung nicht ausgeschlossen erscheinen lasse. Diese für sich genommen zutreffende Erwägung lässt jedoch nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen dieser Vorfall vom Antragsteller zu vertreten sein könnte. Dieser Vorfall beruhte jedenfalls in erster Linie auf dem Fehlverhalten des zuständigen Betreuers, dessen Arbeitsverhältnis der Antragsteller nach Kenntniserlangung von dem Vorfall unverzüglich gelöst hat. Sonstige Gründe, weshalb dessen ungeachtet das Fehlverhalten des Betreuers einen Grund für die Annahme einer Ungeeignetheit des Antragstellers bieten könnte, legt der Antragsgegner nicht dar.

Ermessensfehlerhaft dürfte es auch sein, wenn der Antragsgegner zur Rechtfertigung seines Beschäftigungsverbots auf die Vorgänge zur Aufnahme eines zweiten Jugendlichen am 13.8.2007 in die Einrichtung ................... abstellt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die hierfür erforderliche Betriebsgenehmigung i. S.v. § 45 SGB VIII vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht oder erst verspätet eingeholt hat. Nach seiner eidesstattlich versicherten Darstellung gegenüber dem Verwaltungsgericht hat er am 13.8.2007 auf seine telefonische Nachfrage von einer Mitarbeiterin des Antragsgegners eine Betriebserlaubnis unter der Auflage der Herreichung bestimmter Informationen mündlich erteilt bekommen. Mangels Schriftformerfordernis konnte die Betriebserlaubnis auch mündlich erteilt werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X) und bereits am 13.8.2007 wirksam werden (vgl. § 39 Abs. 1 SGB VIII). Dass auch der Antragsgegner von einer bereits am 13.8.2007 erteilten Genehmigung ausging erhellt sich aus dem Umstand, dass der dem Antragsteller am 16.8.2008 persönlich übergebene Genehmigungsbescheid auf den 13.8.2007 datiert. Selbst wenn sich aber in der Hauptsache herausstellen sollte, dass der Antragsteller nicht beweisen kann, dass ihm am 13.8.2007 eine mündliche Betriebserlaubnis erteilt, sondern vielleicht deren Erteilung in Aussicht gestellt worden ist, lässt der Ablauf dieses Vorganges kein schwerwiegendes Fehlverhalten des Antragstellers erkennen. Er hat sich vor Aufnahme des Jugendlichen in eine bereits genehmigte Einrichtung um die Erteilung einer Erlaubnis bemüht und durfte wohl nach seinem Empfängerhorizont davon ausgehen, die hierfür erforderliche Erlaubnis erhalten zu haben.

Nicht überzeugen können auch die bereits vom Verwaltungsgericht bemängelten und zur Rechtfertigung der Untersagungsverfügung maßgeblich mit herangezogenen Vorhaltungen des Antragsgegners im Zusammenhang mit Entgeltverhandlungen des Antragstellers unter Verwendung einer anderweitig abgeschlossenen Entgeltvereinbarung. Die Anbringung des Zusatzes: "Für eine 1 : 1 Betreuung gehen wir von wöchentlich 32 Fachleistungsstunden aus, was rechnerisch einem Tagessatz von 159,50 € entspricht (Zusatzerwähnung der Einrichtung)" lässt einen - von dem Antragsgegner suggerierten - Täuschungs- oder gar Betrugsvorgang nicht erkennen. Aus der Formulierung geht eindeutig hervor, dass diese Erklärung nicht Teil einer Vereinbarung ist, sondern lediglich die Wiedergabe der Auffassung der Einrichtung zu dem Aufwand und den Kosten einer 1 : 1 Betreuung darstellt. Anhaltspunkte für die Ungeeignetheit des Antragstellers für eine Tätigkeit als Geschäftsführer bietet dieser Vorgang nicht.

Es ist nicht evident, dass der Antragsgegner auch ohne Berücksichtigung dieser bisher von ihm für die Ausübung seines Ermessens tragend mit herangezogenen Gesichtspunkte die Beschäftigung des Antragstellers als Geschäftsführer untersagt hätte, so dass diese Mängel offenkundig ohne Einfluss auf die getroffene Entscheidung wären (vgl. § 42 SGB X).

Insgesamt fällt an der Entscheidung des Antragsgegners auf, dass selbst der Widerspruchsbescheid mit nicht belegten und bestrittenen Behauptungen (Weisung an den Jugendlichen zur Beräumung durch den Antragsteller persönlich) oder nicht ausermittelten vagen Vermutungen ("Zusätze, welche von Ihnen zumindest wohl teilweise eingefügt wurden") entscheidungstragend begründet wurde. Dies begegnet auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls als Schutzgut der Tätigkeitsuntersagung wegen des ebenfalls hoch zu bewertenden Grundrechts der Berufsfreiheit durchgreifenden Bedenken.

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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