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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.08.2008
Aktenzeichen: 1 B 429/07
Rechtsgebiete: RGebStV


Vorschriften:

RGebStV § 6 Abs. 3
Die Voraussetzungen eines besonderen Härtefalls i. S. v. § 6 Abs. 3 RGebStV liegen nicht vor, wenn der Rundfunkteilnehmer aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse Sozialleistungen erhielte, falls er diesen Anspruch gegenüber der zuständigen Behörde geltend machen würde, und er bei Beiwilligung einen Anspruch auf Gebührenbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV hätte (wie BVerwG, Beschl. v. 18.6.2008 - 6 B 1.08 -, juris).
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

Rundfunkgebührenbefreiung

hier: Berufung

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dahlke-Piel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann ohne mündliche Verhandlung

am 20. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig von 8. Juni 2007 - 4 K 1291/05 - geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Befreiung der Klägerin von der Rundfunkgebührenpflicht.

Nachdem die Klägerin zunächst nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 BefrVO wegen geringen Einkommens von der Rundfunkgebührenpflicht befreit war, teilte ihr der Beklagte durch Bescheid vom 13.5.2005 mit, Befreiung über den 31.3.2005 hinaus sei nicht möglich, da § 1 Abs. 1 Nr. 7 BefrVO mit dem Inkrafttreten des geänderten Rundfunkgebührenstaatsvertrages zum 1.4.2005 nicht mehr anwendbar sei. Den dagegen eingelegten Widerspruchsbescheid wies der Beklagte zurück.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie meint, als Geringverdienerin habe sie einen Anspruch auf Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV. Das ihr und ihrer Familie monatlich zur Verfügung stehende Einkommen liege unter dem Sozialhilfesatz. Einen Antrag auf Arbeitslosengeld II habe sie nicht gestellt, da sie davon ausgegangen sei, als selbstständig Tätige keinen Anspruch zu haben. Zudem habe sie gehofft, ihren Lebensunterhalt allein bestreiten zu können.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV scheide aus, da keiner der gesetzlichen Tatbestände erfüllt sei. Die Befreiung sei nach der Neuregelung in erster Linie an den Bezug der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 RGebStV abschließend aufgeführten Sozialleistungen geknüpft. Die Bedürftigkeit im Einzelfall sei nicht mehr zu prüfen. Dies sei Zweck der Gesetzesänderungen gewesen, mit der die umfangreichen und schwierigen Berechnungen der Sozialbehörden und Rundfunkanstalten abgeschafft werden sollten. Es sei im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht mehr ausreichend, dass der Betroffene über ein geringes Einkommen verfüge.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Befreiung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zur Begründung hieß es, die Anwendung der Härtefallregel sei nicht schon deshalb generell ausgeschlossen, weil eine Befreiung wegen geringen Einkommens beantragt werde. Der Gesetzesbegründung zu § 6 RGebStV sei lediglich zu entnehmen, dass die Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 RGebStV abschließend seien. Dies stehe jedoch im Zusammenhang mit dem darauf folgenden Satz der Gesetzesbegründung, der die Bindung der Rundfunkanstalten an Sozialbescheide ausspreche. Nur hinsichtlich dieser Bindung sei § 6 Abs. 1 RGebStV abschließend. Gegen die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des Gesetzes spreche zudem, dass sich ein Härtefall typischerweise wegen nicht ausreichender finanzieller Mittel ergeben könne. Neben Kranken und Behinderten befreie § 6 Abs. 1 RGebStV vornehmlich Einkommensschwache von der Rundfunkgebührenpflicht. Die Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 3 RGebStV stelle in der Härtefalldefinition auf eine vergleichbare Bedürftigkeit ab. Diese müsse sich somit auch aus einer Einkommensschwäche ergeben können. Andernfalls liefe die Härtefallregel in der Praxis weitgehend leer. Es treffe auch nicht zu, dass der Gesetzeszweck der Verwaltungsvereinfachung unterlaufen werde, wenn die Rundfunkanstalten eine Bedürfnisprüfung im Rahmen von § 6 Abs. 3 RGebStV vornehmen müssten. Denn der Gesetzeszweck sei insoweit erfüllt, als in allen Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 11 RGebStV keine Einkommensprüfung mehr vorzunehmen sei, so dass eine deutliche Verfahrenserleichterung im Hinblick auf die Befreiungsstatbestände des Absatzes 1 eintrete. Für das Vorliegen eines Härtefalles sei es demgegenüber nicht erforderlich, dass ein atypischer, ungewöhnlicher Fall vorliegt. Das Gegenteil gehe aus der Gesetzesbegründung hervor, wo es heißt "Ein besonderer Härtefall liegt insbesondere vor, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann". Demzufolge könne die Besonderheit des Falles und damit der Härtefall schon darin liegen, dass ein Antragsteller - wie die Klägerin - über ein geringes Einkommen verfüge ohne gleichzeitig, aus welchen Gründen auch immer, Sozialleistungen beantragt zu haben.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 8. Juni 2007 - 4 K 1291/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte und die anwaltlich nicht vertretene Klägerin haben mit Schriftsätzen vom 3.6.2008 und vom 14.7.2008 auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Verzicht der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin ist wirksam, weil diese Prozesserklärung im Berufungsverfahren nicht dem Anwaltszwang gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt (HessVGH, Urt. v. 25.2.2005 - 9 UE 911/04 -, Rn. 31 bei juris m. w. N.).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrages auf Rundfunkgebührenbefreiung im streitigen Zeitraum, weil die Voraussetzungen eines besonderen Härtefalls i. S. v. § 6 Abs. 3 RGebStV nicht vorliegen.

Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 18.6.2008 - 6 B 1.08 - (zitiert nach juris) Folgendes entschieden:

"Der Kläger wirft in Bezug auf § 6 Rundfunkgebührenstaatsvertrag - RGebStV - über die Befreiung natürlicher Personen von der Rundfunkgebührenpflicht sinngemäß die Frage auf, ob ein besonderer Härtefall Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV darin liegen kann, dass der Rundfunkteilnehmer aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse Sozialhilfe erhielte, falls er diesen Anspruch gegenüber der zuständigen Behörde geltend machen würde, und dass er nach bewilligter Sozialhilfe einen Anspruch auf Gebührenbefreiung hätte (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV). Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht....

Die Revision ist aber deshalb nicht zuzulassen, weil sich die vom Kläger aufgeworfene Frage auf der Grundlage des Wortlauts der strittigen Norm mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne Weiteres beantworten lässt. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV werden von der Rundfunkgebührenpflicht u.a. Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialhilfe) befreit; die Voraussetzungen für die Befreiung sind durch Vorlage des entsprechenden Bescheides nachzuweisen (§ 6 Abs. 2 RGebStV), auf dessen Gültigkeitsdauer die Befreiung zu befristen ist (§ 6 Abs. 6 Satz 1 RGebStV). Daraus folgt, dass die bloße Einkommensschwäche als solche im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht führt. Wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, strebten die vertragschließenden Länder mit dem nun geltenden Gebührenstaatsvertragsrecht eine Erleichterung des Verfahrens an, um die bislang umfangreichen und schwierigen Berechnungen (auch) der Rundfunkanstalten bei der Befreiung wegen geringen Einkommens zu vermeiden. Durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV sollte für den einkommensschwachen Personenkreis eine ,bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit' eröffnet werden, wobei die Befreiungstatbestände abschließend und die Rundfunkanstalten bei ihrer Entscheidung an die entsprechenden Sozialleistungsbescheide gebunden sein sollten (s. Bayerischer Landtag, LTDrucks 15/1921 vom 29. Oktober 2004 S. 20 f.).

Angesichts dieses Normzwecks, der in dem geltenden § 6 RGebStV klar zum Ausdruck kommt, kann die gewollte Beschränkung der Befreiungstatbestände auf durch Leistungsbescheid nachweisbare Fälle der Bedürftigkeit nicht dadurch umgangen werden, dass einkommensschwache Personen, die keine Sozialhilfe erhalten, weil sie deren Voraussetzungen (noch) nicht erfüllen oder weil sie diese Leistung nicht in Anspruch nehmen wollen, dem Härtefalltatbestand des § 6 Abs. 3 RGebStV zugeordnet werden (so - neben dem hier angefochtenen Berufungsurteil - auch OVG Münster, Beschluss vom 3. Juli 2007 - 16 E 294/07 - DVBl 2007, 1184 LS). Dabei würde sich dem Senat in einem Revisionsverfahren die vom Kläger aufgeworfene Frage einer ,nützlichen und praxistauglichen Positivdefinition des Härtefalles' in dieser Allgemeinheit nicht stellen. Denn auch ohne eine solche allgemeine Begriffsbestimmung ist eindeutig, dass das bloße Bestehen eines gegenüber dem Sozialhilfeträger noch nicht geltend gemachten Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt die Voraussetzungen eines besonderen Härtefalles unter Berücksichtigung des auf Entlastung der Rundfunkanstalten zielenden Normzwecks nicht erfüllen kann.

Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es auch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass das vorstehend erläuterte Auslegungsergebnis mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) tragen die Befreiungstatbestände des § 6 RGebStV offenkundig dadurch Rechnung, dass sie einkommensschwachen Personen die Möglichkeit einer ,bescheidgebundenen' Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht einräumen. Was den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) betrifft, verlangt dieser erkennbar nicht, den Empfängern von Sozialhilfe solche Personen gleichzustellen, denen Sozialhilfe zustände, falls sie sie beantragen würden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, falls seine Auswahl sachgerecht ist. Dabei ist er - insbesondere bei Massenerscheinungen - auch befugt, zu generalisieren, zu typisieren und zu pauschalieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die damit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und diese nicht sehr intensiv belasten (BVerfG, Beschlüsse vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <318 f.> und vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99 - BVerfGE 116, 164 <182 f.>, jeweils m.w.N.). Danach ist es nicht zu beanstanden, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV die Rundfunkgebührenbefreiung für einkommensschwache Personen an die Vorlage eines Sozialhilfebescheides knüpft. Müssten die Rundfunkanstalten jeder im Einzelfall geltend gemachten Unterschreitung einer sozialrechtlich relevanten Einkommens- und Vermögensgrenze nachgehen, würde sie dies vor beträchtliche Schwierigkeiten stellen, da sie - anders als die sozialrechtlichen Fachbehörden - nicht über die dafür erforderlichen Sachaufklärungsmittel verfügen. Der Wegfall der früher vorhandenen Möglichkeit, Gebührenbefreiung zu erlangen, ohne die betreffende Sozialleistung in Anspruch zu nehmen, belastet nur den relativ kleinen Personenkreis, der diese Leistung nicht in Anspruch nehmen will, obwohl sie ihm zusteht. Auch für diese Personen ist die Belastung, die darin besteht, dass sie die Gebührenbefreiung nicht einzeln, sondern - wie es der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgedrückt hat - nur als Teil eines ,Gesamtpakets' in Anspruch nehmen können, überschaubar. Sie ist in Anbetracht der den Gebührenzahlern zugutekommenden Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen und gebietet deshalb von Verfassungs wegen nicht die Anerkennung eines besonderen Härtefalles."

Dem schließt der erkennende Senat sich an. Auch im vorliegenden Fall hat die Klägerin es unterlassen, im streitigen Zeitraum Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Es liegt damit dieselbe Fallkonstellation vor, die auch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde lag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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