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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 02.11.2005
Aktenzeichen: 1 B 492/03.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Sikhs aus dem Punjab, die mit friedlichen Mitteln für einen von Indien unabhängigen Staat Khalistan eintreten, steht auch nach Auslandsaktivitäten für die International Sikh Youth Federation - ISYF - seit spätestens Mitte 2001 eine erreichbare und zumutbare inländische Fluchtalternative offen.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 1 B 492/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Reich, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Verwaltungsgericht Müller

am 2. November 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 21. Dezember 2001 - A 1 K 30433/01 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der nach seinen Angaben am 1976 in B. /Indien geborene Kläger indischer Staatsangehörigkeit und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Sikh ist seinen Angaben zufolge am 29.4.2001 mit gefälschten Papieren über Nepal und Russland nach Deutschland eingereist.

Am 7.5.2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner am gleichen Tag erfolgten Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, dass er bis 1994 zehn Jahre die High School besucht habe. Seit dem 2.2.1995 sei er Mitglied und gewählter Kassenwart der Sikh Students Federation - SSF - im Gebiet von N. und habe in dieser Funktion fünf Mitglieder zu betreuen gehabt. 1995 sei er im Zusammenhang mit der Ermordung des Ministerpräsidenten des Punjab, Beant Singh, verhaftet worden. 1997 sei er wegen seines Eintretens für ein freies Khalistan verhaftet worden. Vom 10.11.1999 bis 10.1.2000 habe er sich nach einem Waffenfund im Nachbarort erneut in Haft befunden, zunächst in N. und ab dem 13.12.1999 im Zentralgefängnis in J. . Dies bestätigten auch die von ihm vorgelegten Auszüge aus den Polizeiunterlagen, die seine Freunde von der SSF zusammen mit seinen Eltern bei der Polizei beschafft hätten und die er mit ins Ausland genommen habe, weil man ihm gesagt habe, er könne damit seine Verfolgung in Indien nachweisen. In diesem Zusammenhang laufe, wie er von seiner Organisation erfahren habe, ein Verfahren gegen ihn; ein dafür zuständiges Gericht könne er jedoch nicht benennen; auch habe er an keiner Gerichtsverhandlung teilgenommen. Am 10.1.2000 habe sein Vater durch Stellung einer Kaution von 100.000 Rupien die Haftentlassung erwirkt. Er selbst habe Narben, die von der Polizei stammten, von seinen Inhaftierungen. Im Juni 2000 sei er von der Polizei mit einem Bombenanschlag in J. in Verbindung gebracht worden. Einer ihm drohenden neuerlichen Festnahme habe er sich durch Flucht entzogen. Statt seiner sei sein Vater verhaftet worden und am 7.2.2001 an den Folgen von in der Haft erlittenen Schlägen verstorben. Ob es eine amtlich festgestellte Todesursache gebe, wisse er nicht, er sei ja nicht da gewesen. Die Polizei habe ihn bei seiner letzten Verhaftung gewarnt, dass er bei einer weiteren Verhaftung im Rahmen einer fingierten Auseinandersetzung umgebracht würde. Das habe seine Ausreise veranlasst. Er habe sich Mitte 2000 mit einem Vertreter der International Sikh Youth Federation - ISYF - in Verbindung gesetzt, die seine Ausreise organisiert und finanziert habe. Einen anderweitigen Wohnsitz in Indien habe er nicht genommen, da es Sikhs überall in Indien nicht einfach hätten, sie nicht so ohne weiteres Fuß fassen könnten und die Polizei ihre Spuren rückverfolgen würde.

Zu seinem Gefängnisaufenthalt von 1999/2000 hat der Kläger - jeweils mit Übersetzung - einen Auszug aus dem polizeilichen Tagebuch vom 11.12.1999 mit dem Stempelaufdruck "Police Station Nakodar Distt. J. " sowie zwei Kopien von Anzeigen seiner Mutter gegen ihn wegen häuslichen "Friedensbruchs" (Schriftstücke mit Datum vom 11. und 13.12.1999) zu den Akten gegeben. Über seine "aktive Mitgliedschaft" in der International Sikh Youth Federation - ISYF - und die Mitgliedschaft in der Sikh Students Federation - SSF - hat der Kläger am 10.5.2001 eine per FAX übermittelte Bescheinigung der International Sikh Youth Federation e.V. Deutschland nachgereicht.

Mit Bescheid vom 19.6.2001, zugestellt am 20.6.2001, lehnte die Beklagte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich forderte sie den Kläger zur Ausreise binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides, im Falle der Anfechtung desselben binnen eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auf und drohte ihm die Abschiebung nach Indien an.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergäben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes aufhalte oder bei einer Rückkehr mit rechtserheblicher Verfolgung rechnen müsse. Indien besitze eine große ethnische und religiöse Vielfalt sowie eine funktionierende Demokratie. Auf Grund der 1999 erfolgten Einbindung der nationalistischen Hindupartei BJP in eine Koalitionsregierung seien gegen religiöse Minderheiten gerichtete Auswüchse unwahrscheinlich. Die alleinige Mitgliedschaft in der SSF führe nicht zu asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen. Bei der SSF handele es sich um eine in Indien nicht verbotene militante separatistische Oppositionsgruppe der Sikhs. Es sei kein Fall einer strafrechtlichen Verfolgung allein der Mitgliedschaft bekannt.

Es bestehe weder ein Asylanspruch noch ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG, soweit der Kläger vorgetragen habe, als Anhänger der Khalistan-Bewegung Übergriffen der Polizei ausgesetzt gewesen zu sein bzw. solche zu befürchten. Der Kläger habe zunächst mit seiner Kassiererfunktion für fünf Mitglieder keine exponierte Stellung gehabt und sei ausschließlich mit friedlichen Mitteln für ein freies Khalistan eingetreten. Dass die SFF vor Ort völlig unbehelligt habe wirken können, sei schon aus dem Umstand abzuleiten, dass Gesinnungsfreunde polizeiliche Unterlagen für ihn auf dem Polizeirevier abholen konnten. Seine Bedrohung durch die Polizei für den Fall seiner erneuten Verhaftung sei unglaubhaft, zumal der Kläger auch immer wieder - selbst wenn er zuletzt eine Kaution habe zahlen müssen - nach relativ kurzer Haftdauer auf freien Fuß gekommen sei. Auch dass gegen ihn ein gerichtliches Verfahren anhängig sei, müsse bezweifelt werden. Gleiches gelte für das behauptete Versterben seines Vaters auf Grund von Misshandlungen während dessen Inhaftierung anstelle des Klägers. Ihm selbst drohe ein solches Schicksal nach dem Ausgang sämtlicher eigener Inhaftierungen nicht. Es komme allerdings immer wieder zu willkürlichen Übergriffen von dafür häufig nicht zur Rechenschaft gezogenen Staatsorganen, insbesondere von Polizeikräften gegenüber Häftlingen. Das sei auch im Punjab häufiger als in anderen Landesteilen. Die Polizei schreite auch vielfach bei Gewalttaten gegen Minderheiten nicht ein. Jedoch habe dem Kläger eine zumutbare Übersiedlung in andere Landesteile außerhalb des Punjab und der angrenzenden Unionsstaaten offen gestanden. Die Lage im Punjab habe sich, nachdem es im Jahr 1992 bei separatistischen Unruhen noch über 4.000 Tote gegeben habe, in der Folgezeit nach massivem Einsatz von Sicherheitskräften wieder beruhigt. Auch bei den Wahlen von 1999, bei denen es zu Auseinandersetzungen gekommen sei, habe der Punjab keine herausragende Rolle mehr eingenommen. Asylrelevante Übergriffe seien auf das Gebiet der Unruheprovinzen beschränkt. Anhaltspunkte für eine Verfolgung von Khalistan-Anhängern in anderen Teilen Indiens bestünden nicht. Dies werde nicht durch Strafbestimmungen und Sondergesetze in Frage gestellt, da für die maßgebliche tatsächliche landesweite Anwendung solcher Vorschriften auf ein friedliches Eintreten für ein von Indien unabhängiges Khalistan keine Anhaltspunkte gegeben seien. Vier von Amnesty International benannte Fälle illegaler Übergriffe der Punjab-Polizei auf Sikhs in anderen Unionsstaaten aus den Jahren 1992 bis 1996 ließen keinen allgemeinen Schluss auf eine unzureichende Sicherheit von Sikhs außerhalb des Punjab zu.

Die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers begründeten ebenfalls keine Gefahr politischer Verfolgung in Indien. Derartige, sich gegen die Politik Indiens richtende Auslandsaktivitäten würden zwar beobachtet, jedoch werde nach der Praxis der vergangenen Jahre von der Möglichkeit der Aufnahme von aktiven Anhängern der Khalistan-Bewegung in Fahndungslisten nur bei exponierter Stellung Gebrauch gemacht. Dies gelte auch für Unterstützer und nicht gewalttätige Aktivisten etwa der ISYF-Bittu-Fraktion. Die per FAX eingereichte Mitgliedsbescheinigung belege keine Exponiertheit des Klägers. Auch bestehe für Sikhs bei einer Abschiebung nach Indien nicht die Gefahr willkürlicher Verhaftung bei der Einreise mit dem Risiko der Folter oder sonst unmenschlicher Behandlung etwa bei Nichtzahlung eines Lösegeldes. In diesem Zusammenhang sei dem Auswärtigen Amt nur der Fall des 1994 im Polizeigewahrsam verstorbenen Erpressungsopfers K. S2 bekannt geworden, dessen Folterung nach den Feststellungen des Supreme Court nicht habe nachgewiesen werden können; der Familie sei eine Entschädigung gezahlt worden.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 4.7.2001 Klage und berief sich zur Begründung auf sein Vorbringen beim Bundesamt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21.12.2001 gab der Kläger unter Vorlage eines ISYF-Mitgliedsausweises, beglaubigter Kopien der sich bei den Verwaltungsakten befindlichen Polizeiberichte und weiterer Unterlagen insbesondere zu seinen exilpolitischen Aktivitäten an, die von ihm bisher angegebene Mitgliederzahl der SSF sei auf etwa 100 bis 200 zu korrigieren. Es habe fünf Vorstandsmitglieder gegeben, deren eines er als Kassenwart gewesen sei. Er sei Vorsitzender seiner Organisation in Sachsen-Anhalt mit etwa 30 bis 35 Mitgliedern und vier Vorstandsmitgliedern. Als Vorsitzender plane und organisiere er verschiedene Veranstaltungen. Auch habe er Opfer für Khalistan gebracht. Sein Vater sei umgebracht worden, und er habe, obwohl er dort gewesen sei, nicht einmal an der Beerdigung teilnehmen können, da er sich auf der Flucht befunden habe. Die Beerdigung sei unmittelbar am Todestag, dem 7.2.2001, gewesen. 1995, 1997 und 1999 seien ihm, dem Kläger, Verletzungen beigebracht worden. Es sei Strom in seine Genitalien gelassen worden, die Beine seien auseinandergebogen und er an den Füßen mit hinter dem Rücken gebundenen Händen verkehrt herum "aufgehangen" worden. Der Tisch sei dann weggenommen worden. Dann sei er auch mit Stöcken auf den Rücken geschlagen worden. Man könne gar nicht erzählen, wie man gefoltert werde. Wenn er wieder zu Bewusstsein gekommen sei, hätten sie ihn weiter geschlagen. In Haft sei er für zwei Monate gewesen; "aufgehangen" worden sei er für fünf bis sechs Stunden. Wenn man das Bewusstsein verloren habe, sei man heruntergelassen und danach wieder aufgehangen worden. Man werde auch nicht in das Gefängnis gesteckt, sondern in Gewahrsam genommen oder in andere Räume gesteckt. Nur 1999 habe man ihn ins Gefängnis gebracht. Er sei in Polizeigewahrsam genommen und dort geschlagen worden. Seine Eltern seien gezwungen worden, gegen ihn Anzeige zu erstatten. Darauf sei er in (reguläre) Haft gekommen. Dort sei er dann nicht mehr geschlagen worden.

Ergänzend reichte der Kläger ein ärztliches Gutachten eines Internisten vom 18.12.2001 ein, der Angaben des Klägers über Erinnerungslücken und Gedächtnisstörungen nach Elektroschockbehandlung sowie eine "fragliche Schulterluxation beidseits" referiert und fünf Narben an Stirn, Unterschenkel, Knie- und Fußgelenk ohne nähere Begründung "zum Teil" auf Stockschläge und Verbrennungen zurückführt. Ein "Zusammenhang mit irgendwelchen Folterpraktiken" könne nicht ausgeschlossen werden.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 21.12.2001 abgewiesen. Der Kläger sei nicht vorverfolgt. Sein Vortrag sei nicht glaubhaft; es habe eine inländische Fluchtalternative bestanden. Angebliche Verhaftungen in den Jahren 1995, 1997 und 1999 seien nur unsubstanziiert dargelegt und hinsichtlich der erstmals in der mündlichen Verhandlung geschilderten Folterungen gesteigert. Auf Folterungen könnten auch die - bei der Anhörung vor dem Bundesamt noch nicht erwähnten - Narben des im Übrigen erst ein Jahr später ausgereisten Klägers nicht zurückgeführt werden. Weiter habe sein Vortrag zum Anlass der Verhaftung von 1999 von einem Waffenfund im Nachbarort zu einer erzwungenen Anzeige durch die eigenen Eltern gewechselt.

Jedenfalls aber habe ihm mangels Meldewesens und zentralen Fahndungssystems eine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen außerhalb des Punjab bei nicht grundlegend anderen wirtschaftlichen Grundbedingungen und sehr geringem Risiko einer willkürlichen Verhaftung offengestanden. Für eine Suche des Klägers per Haftbefehl sei auch nichts vorgetragen. Die Situation für Sikhs habe sich vollständig beruhigt. Für den Kläger bestehe eine hinreichende Sicherheit selbst dann, wenn er vorverfolgt gewesen sei. Im Übrigen folge auch aus seiner Asylantragstellung oder seiner einfachen und gewaltffreien exilpolitischen Tätigkeit für die ISYF kein Nachfluchtgrund. Weder eine von ihm am 9.6.2001 auf einer Demonstration gehaltene Rede noch seine Funktion als Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der ISYF mit nur 35 Mitgliedern begründe eine exponierte Stellung, die zu seiner Aufnahme in indische Fahndungslisten führen könne. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG seien nicht gegeben. Die Abschiebungsandrohung sei rechtmäßig.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 3.7.2003 - A 1 B 122/02 -, dem Klägerbevollmächtigten am 18.7.2003 zugestellt, wegen der Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör zugelassen.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger geltend, er sei in seinem Heimatland wegen seiner Aktivitäten für die SSF mehrfach verhaftet und gefoltert worden. In Deutschland habe er sich, in Fortführung seiner Aktivitäten, der ISYF - der Auslandsorganisation der SSF - angeschlossen und u.a. auf einer Demonstration vor der indischen Auslandsvertreung in Frankfurt eine Rede separatistischen Inhalts gehalten. Eine hinreichend sicher erreichbare inländische Fluchtalternative sei wegen der Gefahren auf indischen Flughäfen spätestens seit dem Fall des K. S2 zu verneinen. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 10.7.2000, allen Gutachten des Dr. C. und der einzigen einschlägigen Entscheidung des EGMR (Chahal ./. United Kingdom) müssten auch von der Polizei einzelner Bundesstaaten Verfolgte an Flughäfen und allen typischen Eintrittspunkten mit ihrer Verhaftung rechnen. Auch spreche die neuere Auskunftslage für die Gefahr einer wegen ihrer besonderen Intensität politischen Verfolgung selbst einfacher, aber aktiver Mitglieder der in Deutschland tätigen Exilorganisationen. Davon gingen die Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 10.7.2000 und vom 19.12.2000 an das VG Magdeburg aus. Hinzu komme, dass die Mutterorganisationen als terroristische Vereinigungen in Indien verboten worden seien. Die Auslandsorganisationen würden deren Unterstützung verdächtigt. Separatistischen Sikhs drohe die Todesstrafe, wie der Fall Davinderpal S. belege, und die extralegale Hinrichtung sowie Folter. Das Halten seiner Rede und seine Stellung als Vorsitzender eines Landesverbandes mache den Kläger zudem zu einem exponierten Vertreter der Khalistan-Bewegung. Auf die Zahl der Verbandsmitglieder komme es wegen der Bewertung der ISYF durch indische Behörden als terroristische Vereinigung nicht auschlaggebend an. Dies belege auch die Bewertung der zahlenmäßig deutlich kleineren Babbar Khalsa-Vereinigung. Eine Gefährdung bestehe auch für die Redner vor indischen Auslandsvertretungen. Eine Gefährdung des Klägers ergebe sich im Falle einer Rückkehr daraus, dass in der Prevention of Terrorism Ordonnance (POTO), dem Nachfolgerecht zu dem berüchtigten Terrorist and other Disruptive Activities (Prevention) Act (TADA), terroristische Aktivitäten unter Strafe gestellt und in Sec. 18 terroristische Organisationen definiert würden. Die ISYF werde in der Anlage an vierter Stelle aufgeführt. Nach der Legaldefinition in Sec. 2 der POTO stelle auch das Sammeln von Geldern für terroristische Organisationen einen terroristischen Akt dar. Das Sammeln von Geldern gehöre nach den Angaben des Bundesamtes für Verfasssungsschutz zu den Haupttätigkeiten der Exilorganisationen der Sikhs in Deutschland. Die Strafe betrage von fünf Jahren bis lebenslänglich, in besonders schweren Fällen könne die Todesstrafe verhängt werden. Neben der für die Verfolgung der Anhänger der Khalistan-Bewegung typischen extralegalen Verfolgung drohe dem Kläger danach auch legale Strafverfolgung. Es spreche viel dafür, dass die Verfolgung auch insoweit an die separatistischen Bestrebungen anknüpfe und sie wegen ihrer Härte (Folter) asylrelevant sei. Weiter beträfen auch die mit Schriftsatz vom 8.1.2004 nebst Übersetzungen eingereichten Zeitungsausschnitte aus Chardi Kala, Awaze Qaum und Des Pardes von 2002 und 2003 sowie die mit Schriftsatz vom 15.12.2004 eingereichten Zeitungsausschnitte exilpolitische Aktivitäten des Klägers, der sich im Jahr 2004 als Präsident des Landesverbandes Sachsen ISYF betätigt habe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 21. Dezember 2001 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr: § 60 Abs. 1 AufenthG) in der Person des Klägers vorliegen, die Beklagte weiterhin zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (nunmehr: § 60 Abs. 2-7 AufenthG) einer Abschiebung des Klägers nach Indien entgegenstehen sowie die Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 19. Juni 2001 aufzuheben.

Die Beklagte und der Beteiligte haben sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Bundesamtes (1 Heftung) sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts (1 Band) und des Senats (2 Bände) verwiesen. Diese Unterlagen sowie die den Beteiligten bekanntgegebenen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Nach § 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO konnte der Senat ohne die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Beteiligten verhandeln und entscheiden, da auf diese Möglichkeit in der Terminsladung hingeweisen worden war.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung hat, dass in seiner Person die Voraussetzungen des nunmehr anwendbaren § 60 Abs. 1 - 7 AufenthG vorliegen und die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vom 19.6.2001 nicht aufzuheben ist. Der insoweit noch in Streit befindliche Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

1. Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind mit denen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft. Die Asylanerkennung verlangt darüber hinaus den Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht sowie das Fehlen anderweitigen Verfolgungsschutzes. Dagegen greift das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG auch dann ein, wenn etwa politische Verfolgung wegen eines für die Asylanerkennung unbeachtlichen Nachfluchtgrundes droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 -, NVwZ 1992, 892).

Eine politische Verfolgung liegt dann vor, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 334f).

Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles. Ist der Schutzsuchende unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Abschiebungsschutzverfahren des § 60 Abs. 1 AufenthG ebenso wie im Asylanerkenunngsverfahren nach Art. 16a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 -, NVwZ 1993, 486). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßstab ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 -, NVwZ 1992, 582). Ist der Schutzsuchende hingegen vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, muss seine künftige Verfolgung im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG - anders als für Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, 17.10.1995 - 9 C 9/95 -, NVwZ 1996, 199, 200) - hinreichend sicher auszuschließen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1/94 -, NVwZ 1995, 391). Ist ein bestimmtes Verhalten im Heimatland des Asylbewerbers mit Strafe bedroht, kommt es für die Beurteilung einer politischen Verfolgungsgefahr wegen befürcheter Bestrafung im Heimatstaat in erster Linie auf die konkrete Rechtspraxis des Verfolgerstaates und nicht auf die abstrakte Rechtslage an (BVerwG, Urt. v. 17.12.1996 - 9 C 20/96 -, NVwZ-RR 1997, 740 und Beschl. v. 29.3.2000 - 9 B 128/00 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 233).

Nach diesen Maßstäben droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Indien nicht landesweit politische Verfolgung.

a) Der Kläger ist bereits nicht vorverfolgt ausgereist. Denn ihm stand bei seiner Mitte April 2001 erfolgten Ausreise ungeachtet einer etwaigen regionalen Vorverfolgung zumindest eine inländische Fluchtalternative außerhalb des Punjab und der angrenzenden Bundesstaaten (Haryana, Uttar Pradesh, Himachal Presh) sowie der Hauptstadt Neudelhi insbesondere im Süden des Landes offen.

Dies ergibt sich aus der Entwicklung des Konflikts um den Punjab bis zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers. Zwar ist auch für das Jahr 2001 davon auszugehen, dass die Einheit Indiens vom Staat konpromisslos verteidigt und separatistische Bewegungen auch im Punjab gegebenenfalls mit Waffengewalt bekämpft wurden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 5). Selbst die unmittelbar im Gebiet des Punjab entstandenen Unruhen haben sich aber bereits vor dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001 gelegt und die Menschenrechtslage eine entsprechende Entspannung erfahren (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 15; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen; Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 3.). Allerdings führte das seit der Entstehung der Religionsgemeinschaft der Sikh ("Jünger/Schüler") als der Anhängerschaft von zehn in den Jahren 1469 - 1708 lebenden religiösen Führern (Gurus) bestehende Bestreben der Gemeinschaft um Bewahrung und Schutz ihrer religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Selbständigkeit - nach der militanten Abwehr von Islamisierungsversuchen, nach der Abwehr britischer Herrschaft bis zur Erlangung der Unabhängigkeit des indischen Staates im Jahr 1947 und nach zunächst friedlichen Forderungen nach Staatsautonomie für den Punjab ("Khalistan-Staat") - in den achtziger Jahren unter der Führung von Sant Jarnal S. Bhindranwale, der die Stellung der bis dahin einflussreichten moderaten Partei Akali Dal zurückdrängte, zu einer Radikalisierung und Eskalation, die den Punjab in ein von Terror überzogenes Krisengebiet verwandelte (vgl. zur Geschichte der Sikhs seit dem 15. Jahrhundert und zur Entstehung des gewaltsam ausgetragenen Konflikts um den Punjab Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 1.2.1; Bericht der dänischen Delegation des Rates der Europäischen Union vom 5.7.2000 - CIREA 45 - S. 7 ff; ThürOVG, Urt. v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.8.1996 - A 12 S 2456/94 -, Rn. 32 nach Juris). Einen Höhepunkt der gewaltsamen Auseinandersetzung bildete die im Jahr 1984 durch die Zentralregierung Indiens unter Indira Gandhi angeordnete gewaltsame Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar, bei der mindestens 1.000 Menschen - einschließlich des Führers Sant Jarnal Singh Bhindranwale - ums Leben kamen. Darauf folgten die Ermordung von Indira Gandhi am 31.8.1984 durch der Sikh-Religion angehörige Leibwächter, Pogrome gegen unbeteilgte Sikhs in mehreren Landesteilen Indiens mit mindestens 2.000 Todesopfern, ein erhöhter Einsatz von Sicherheitskräften im Punjab sowie eine Welle von Terroranschlägen separatistischer Kräfte. Jedoch kam es ab 1993 zu einer Beruhigung der Verhältnisse und dem Nachlassen des Terrorismus im Punjab, als zu dessen Gouverneur ein Sikh gewählt wurde und wo es (nach 76 Toten von 1994) im Jahr 1995 auch nicht mehr zu Tötungen militanter Sikhs kam (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.9.1995, S. 6; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.8.1996 - A 12 S 2456/94 -, zit. nach Juris). Die Lage blieb selbst nach der Ermordung des Chief Minister Beant Singh von August 1995, die der Babbar Khalsa zugeschrieben wird, ruhig (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.7.1996, S. 5; (vgl. ThürOVG, Urt. v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154). Auf Bundesebene kam es ebenfalls zu einer deeskalierenden Entwicklung. So ging aus den Unionsparlamentswahlen von 1999 eine aus 24 Parteien bestehende Nationaldemokra-tische Allianz hervor, in die die hinduistisch ausgerichtete BJP eingebunden war (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 4). Bereits seit 1993 ist eine Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission) mit der Aufgabe der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen eingesetzt, die heute über ein Sekretariat mit 298 Mitarbeitern verfügt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 21; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 5). Weiter wurde die seit 1978 bestehende Nationale Minderheitenkommission zur Verbessserung der Situation der durch eine Reihe von Garantien der Verfassung geschützten (religiösen) Minderheiten 1992 neu konstituiert und mit weiteren Kompetenzen ausgestattet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 6). Nach der Aufhebung der Gesetzgebung zur Staatsicherheit der 80er Jahre - des "Terrorist and other Disruptive Activities (Prevention) Act (TADA) - im Jahr 1995 (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 10) wurden die Sicherheitsgesetze erst wieder im Zuge der Terroranschläge in New York von September 2001 verschärft und - zunächst durch am 24.10.2001 bekanntgemachte präsidentielle Verordnung (POTO - vgl. Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 1.3; Amnesty International - Jahresbericht 2002/Teil Indien), sodann im Februar/März 2002 in Gesetzesform - der Prevention of Terrorism Act (POTA) in Kraft gesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 4; Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 1.3; zum Text des POTA s. Stellungnahme der Deutschen Botschaft NewDehli vom 20.8.2002 an VG Sigmaringen). Er galt indes nur bis September 2004 fort (vgl. Amnesty International - Jahresbericht 2005/Teil Indien) und wurde lediglich in seinen materiellrechtlichen Regelungen in den Unlawful Activities (Prevention) Act - UAA - überführt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 5, 8). Zudem sollen einzelne Mitglieder der Congress-Partei, die verdächtigt werden, bei den Pogromen von 1984 die Gewalt geschürt zu haben, nunmehr strafrechtlich verfolgt werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 9).

Allerdings kam es trotz der Beruhigung der Konfliktregion Punjab auch im Jahr 2001 zu Repressionen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8). Insbesondere waren junge Männer, die der Sikh-Religion angehörten, im Rahmen des fortgeführten Kampfes der Polizei gegen den Terrorismus dem Risiko willkürlicher Verhaftung ausgesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 15). Separatistische Bewegungen wurden auch strafrechtlich verfolgt, wobei es zu Benachteiligungen in Form härterer Strafen für politisch motivierte Straftäter kam (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8). Die SSF, in der der Kläger nach seinem Vorbringen Kassierer war, gehörte auch zu den bekanntesten für die Unabhängigkeit des Punjab von Indien eintretenden Oppositionsgruppen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8).

Jedoch bestand danach, selbst wenn diese Situation als eine Gruppenverfolgung von (insbesondere jungen männlichen) Sikhs oder Mitgliedern der SSF zu bewerten oder der Kläger im Punjab indiviuell verfolgt gewesen wäre (für die Zeit bis 1991 verneinend ThürOVG, Urt. v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154), lediglich eine regional auf das Unruhegebiet begrenzte Bedrohungslage. Dem Kläger war im Süden seines Heimatstaates eine Zuflucht eröffnet, wo er vor weiterer politischer Verfolgung hinreichend sicher war und ihm, beachtlich wahrscheinlich, auch keine sonstigen unzumutbaren Nachteile drohten, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtlich erheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung durch politische Verfolgung gleichkämen und am Herkunftsort so nicht bestanden hätten (vgl. zu § 51 AuslG BVerwG, Urt. v. 5.10.1999 - 9 C 15/99 -, NVwZ 2000, 332 f; zu Art. 16a GG BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 177/98 -; BVerfG, Beschl. v. 29.7.2003 - 2 BvR 32/03 -, DVBl 2004, 111 f). Ebensowenig war sein wirtschaftliches und soziales Existenzminimum dort weitergehend als im Punjab gefährdet. Dies schließt die - nur subsidiär eröffnete - Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG auch für den Fall staatlicher Verfolgung aus (vgl. zu § 51 AuslG BVerwG, Urt. v. 5.10.1999 - 9 C 15/99 -, NVwZ 2000, 332 f). Denn es bestand für Personen, die sich verfolgt fühlten, auch im Jahr 2001 die zumutbare Ausweichmöglichkeit einer Niederlassung in anderen Landesteilen, in denen bei - trotz verbreitet vorhandener großer Armut - sichergestellter Grundversorgung auch keine grundlegend anderen wirtschaftlichen und sozialen Grundbedingungen bestanden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8, 13, sowie vom 5.6.2002, S. 7, 11). Selbst bei strafrechtlicher Verfolgung in Nordindien war und ist ein unbehelligtes Leben zumindest in den kleineren Städten auch ohne ein Verbergen der Identität grundsätzlich möglich, zumal die indische Verfassung den Bürgern ein nur im Interesse der Sicherheit und öffentlichen Ordnung beschränktes Recht auf Freizügigkeit und örtlich beliebige Niederlassung garantiert, keine Meldepflichten bestehen und die Namensidentität zahlreicher Personen aus dem Punjab ("Singh") eine Identifizierung selbst bei einer Suche mittels Haftbefehls erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.7.1996 an das VG Koblenz). Lediglich in größeren Städten wurden Terroristen aus dem Punjab aufgespürt und verhaftet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 15; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 18 f). Einer landesweiten Verfolgung aus religiösen Gründen waren Sikhs, die ca. 2 % der Gesamtbevölkerung Indiens ausmachen und in Armee sowie Beamtentum zu deutlich höheren Anteilen repräsentiert sind, nicht ausgesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 15). Für ein landesweites staatliches Verfolgungsprogramm bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. (vgl. ThürOVG, Urt. v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.8.1996 - A 12 S 2456/94 -, Rn. 32 nach Juris). Gleiches gilt für eine landesweite Verfolgung etwa durch radikalisierte Hindus (vgl. ThürOVG, Urt. v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154). Ein demgegenüber erhöhtes Risiko des Klägers wegen einer Mitgliedschaft in der SSF und einer dort bis zur Ausreise ausgeübten Kassenwartfunktion ist bei dieser Sachlage nicht ersichtlich. Er hat vielmehr dargelegt, lediglich mit gewaltfreien Mitteln für ein unabhängiges Khalistan eingetreten zu sein; dies schließt zugleich die von ihm unter Hinweis auf den Fall des an einem Terroranschlag beteiligten Davinder Pal Singh Bhullar befürchtete Strafverfolgung mit dem Risiko einer Todesstrafe aus (vgl. Lagebericht des Aus-wärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 19). Es entsprach auch bereits vor 2001 den tatsächlichen Verhältnissen, dass viele Sikhs außerhalb des Punjab in ganz Indien leben (Auskunft des Aus-wärtigen Amtes vom 17.7.1996 an das VG Koblenz). Insgesamt kam es auch nur vereinzelt zu willkürlichen Festnahmen u.a. von Personen, die des Terrorismus verdächtigt wurden. Auch der "National Security Act" (NSA), nach dem inhaftierte Personen ein Jahr lang (im Punjab zwei Jahre) ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Präventivhaft gehalten werden können, wenn die Polizei die Sicherheit durch sie gefährdet sieht, fand und findet vor allem in den Unruhegebieten Anwendung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 19). Dort und in den angrenzenden Bundesstaaten wurden Khalistan-Aktivitäten auch energischer verfolgt (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19.12.2000 an das VG Magdeburg).

Die Gebiete außerhalb des Punjab waren im Übrigen für den Kläger im Jahr 2001 entgegen seiner Auffassung erreichbar. Hierfür spricht schon der Umstand seiner eigenen gelungenen Ausreise aus dem Punjab in das südwestlich - jenseits weiterer indischer Gebiete - gelegene Nepal. Der Kläger hatte auch infolge der je nach Reiseweg vermeidbaren und im Übrigen weitgehend nicht computergestützten Kontrollen keine Verhaftung zu befürchten. In Indien ist - außer beim Zentralen Ermittlungsbüro, einer Zentralbehörde ähnlich dem deutschen BKA, bei dem jedoch keine Zugriffsrechte anderer Sicherheits- oder Polizeibehörden bestehen - kein einheitliches, flächendeckendes Fahndungssystem mit systematischer Datenerhebung sowie Datenaustausch vorhanden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen). Es besteht auch keine allgemeine Ausweispflicht. Tatsächlich kann sich eine Person in andere indische Landesteile absetzen, ohne in jedem Fall mit einer staatlichen Verfolgung rechnen zu müssen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 18; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen). Überdies bestand auch an zentralen Einreisepunkten nicht das Risiko willkürlicher Verhaftung. Der vom Kläger benannte Fall K. S2 steht dieser Annahme nicht entgegen, da es lediglich in einem Einzelfall - nach einer Inhaftierung wegen fehlender Seiten im Reisedokument - zu einem Todesfall in Haft mit letztlich auch vor dem Supreme Court nicht geklärter Todesursache (Hitzeschlag, Verletzungsfolgen) kam, gegen die Polizisten wegen Misshandlungen zur Erpressung einer Freilassungszahlung ermittelt und der Familie eine staatliche Entschädigung von 100.000 Rupien zugesprochen wurde (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.12.1994 an das VG Sigmaringen).

b) Für den Fall der Rückkehr des Klägers besteht auch aktuell keine beachtliche Wahrscheinlichkeit seiner Verfolgung.

Der Kläger hat nach den aktuellen Verhältnissen insbesondere weder wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Sikh noch wegen der Befürwortung eines freien Khalistan im Rahmen seiner Mitgliedschaft und der ausgeübten Aktivitäten in der SSF oder der ISYF landesweite Verfolgung zu befürchten.

Das staatliche Verfolgungsinteresse ist mit dem Zeitablauf weiter gesunken. Die Unruhen im Punjab haben, wie oben dagelegt, im Wesentlichen spätestens 1995 geendet. Ergänzend ist anzuführen, dass nach den Parlamentswahlen von Mai 2004 die Kongress-Partei die neue Zentralregierung stellt, und diese erstmals einen Sikh, Dr. Manmohan Singh, zum Premierminister ernannte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 6; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 5 f; Amnesty International - Jahresbericht 2005/Teil Indien) sowie die Förderung der Harmonie zwischen den Religionsgemeinschaften zu ihrem Ziel erklärte, wenngleich auch in Zukunft keine separatistische Bewegungen toleriert werden, soweit insbesondere die innere Sicherheit betroffen ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 6, 10; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 5 f). Sofern die betreffenden Gruppen der Gewalt abschwören, ist die indische Regierung indes zu Verhandlungen bereit, und diese Gruppen können sich dann politisch frei bewegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 10).

Bereits im Punjab selbst herrschen nach deutlicher Entspannung der Verhältnisse auch aktuell und ohne Anzeichen für eine absehbare Umkehrung der Entwicklung und Deeskalation weitgehend normale Zustände (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 17, 18; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 12, 14 f; Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen), wobei allerdings großenteils straflos bleibende Menschenrechtsverletzungen durch Polizeibeamte aus der Zeit seit Mitte der 90er Jahre beanstandet werden (Amnesty International - Jahresbericht 2005/Teil Indien). Die Sikhs stellen dort 60 % der Bevölkerung und einen erheblichen Anteil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 14). Militante Angehörige der ISYF haben den Punjab verlassen. Über ungesetzliche Maßnahmen und Menschenrechtsverletzungen der Polizei liegen dem Auswärtigen Amt keine eigenen Erkenntnisse vor (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 15). Im Rahmen der erst im Zuge der Terroranschläge von September 2001 wieder verschärften Sicherheitsgesetze wurde im Februar 2002 der POTA in Kraft gesetzt, der u.a. in der Anlage eine - auch die ISYF aufführende - Verbotsliste von Organisationen enthielt und die Möglichkeit der Verhängung von Haft gegen politischer Straftaten Verdächtiger erweiterte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 5 f; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen). Der Supreme Court hat die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigt, jedoch auch entschieden, dass die bloße "moralische Unterstützung" einer terroristischen Organisation kein Vergehen im Sinne dieses Gesetzes sei (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 5 f). Im September 2004 wurde der POTA, wie bereits dargelegt, aufgehoben und ist demnach allenfalls noch auf Altfälle anwendbar, über deren Fortführung eine Komisssion binnen Jahresfrist entscheiden soll (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 8). Im Herbst 2003 wurde im Übrigen eine Kommission zur Überwachung von Missbräuchen des Gesetzes eingerichtet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 7). Bereits die indische Verfassung sieht Religionsfreiheit sowie eine Reihe von Garantien zum Schutz von Minderheiten vor, deren Interessen - einschließlich derer der Sikhs - seit 1978 von einer Nationalen Minderheitenkommission vertreten werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 12, 15; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 9 f).

Der schon durch die Aufhebung des POTA nahegelegte Rückgang des Verfolgungsinteresses des indischen Staates gegenüber friedlichen separatistischen Aktivitäten manifestiert sich auch in der Haltung gegenüber den Organisationen der Sikh. So werden Mitglieder der SSF landesweit nicht mehr verfolgt, seit diese Organisation der Gewalt abgeschworen hat (Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen). Generell sind ehemals militante Organistionen grundsätzlich auch im Punjab nicht mehr aktiv (Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen). Auslandsaktivitäten von Gruppen der Sikhs werden beobachtet und "Unterstützer" einer verbotenen Vereinigung bei Rückkehr ggf. strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten bekannt werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 19; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 15). Dem Auswärtigen Amt sind allerdings keine Fälle bekannt, in denen allein die Mitgliedschaft in der ISYF ohne leitende Stellung zu einer strafrechtlichen Verfolgung geführt hätte (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.8.2003 an das VG Sigmaringen; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22.7.2002 an das VG München). Die ISYF zählt zwar noch zu den bekanntesten indischen Oppositionsgruppen und ist im Verfassungsschutzbericht des Bundesministers des Inneren für 2003 im Kapitel "Sicherheitsgefähdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern" als "weitere erwähnenswerte Organisation" aufgeführt (Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 20.7.2004 an VG Cottbus), sie ist jedoch nach der aktuellen Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht mehr terroristisch tätig (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 10; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 8). Sie konzentriert sich als 1994 in Großbritannien und 1995 mit einer deutschen Sektion mit aktuell ca. 600 Mitgliedern gegründete Auslandsorganisation der in Indien verbotenen "All India Sikh Students Federation" - AISSF - bzw. deren Nachfolgeorganisation SSF vielmehr nach den vorliegenden Hinweisen auf das Sammeln von Spenden sowie Aufrufe und Progagandaaktivitäten zugunsten eines "freien Khalistan" (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.7.2004 an das VG Sigmaringen; Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 20.7.2004 an VG Cottbus). Bei dieser Lage ist es dem Kläger in Ermangelung von Erkenntnissen über eine zwischenzeitliche Verschärfung der Lage von Sikhs außerhalb des Punjab und seiner Nachbarstaaten umso mehr als nach der bereits dargestellten Lage im Jahr 2001 zumutbar, innerhalb Indiens auf eine zumutbare Niederlassung in anderen Landesteilen etwa im Süden des Landes auszuweichen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 18), zumal in Indien auch aktuell landesweit wirtschaftlich weitgehend gleiche Verhältnisse bestehen und die Nahrungsversorgung der Bevölkerung landesweit grundsätzlich sichergestellt ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 29; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 23).

Auch hinsichtlich der Einreise nach Indien und der Erreichbarkeit anderer Landesteile mag eine exilpolitische Tätigkeit des Klägers für die ISYF nach den bestehenden Hinweisen auf das Interesse des indischen Staates an exilpolitischen Auslandsaktivitäten (vgl. Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 1.1) durch Exilzeitungsberichte und eine Rede vor dem Generalkonsulat in Frankfurt bekannt geworden sein, jedoch ist aufgrund seiner allein mit friedlichen Mitteln ausgeübten Aktivitäten - zumal nach der Entscheidung des Supreme Court zur Straffreiheit der bloß "moralischen Unterstützung" einer als terroristisch eingestuften Organisation nach dem POTA (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 6 f) - nicht mehr mit einer Verfolgung zu rechnen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.8.2003 an das VG Sigmaringen). Dies schließt zugleich die vom Kläger unter Hinweis auf den Fall des an einem Terroranschlag beteiligten Davinder Pal Singh Bhullar befürchtete Strafverfolgung mit dem Risiko einer Todesstrafe aus (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 19). Insbesondere kann für Befürchtungen einer strafrechtlichen Verfolgung der allenfalls noch relevanten Altfälle nach dem POTA nicht auf den Wortlaut der Vorschriften abgestellt werden, nachdem der Supreme Court dessen Verfassungsmäßigkeit nur nach Maßgabe einer sehr restriktiven Auslegungspraxis bestätigt hat, die u.a. einen Vorsatz der Terrorismusförderung zur Voraussetzung der Strafbarkeit macht (Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen). Ein solcher liegt beim Kläger nach seinem ausdrücklichen Vorbringen in der Anhörung, er sei für eine friedliche Entwicklung zu einem unabhängigen Khalistan, nicht vor. Ähnlich restriktiv sind nach der Rechtsprechung des Supreme Court auch die allgemeinen Straftatbestände auszulegen, also etwa bei staatskritischen Meinungsäußerungen eine - in Bezug auf Äußerungen und Reden des Klägers in Deutschland nicht ersichtliche - Eignung und Tendenz zur Erregung öffentlicher Unruhen und Gewalttätigkeiten erforderlich (Stellungnahme des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 20.12.2000 an das VG Ansbach, dort unter 1 u. 2 d; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10.7.2000 an das VG Ansbach). Soweit eine Strafverfolgung von Auslandstaten darüber hinaus der vorherigen Genehmigung der Zentralregierung bedarf (Stellungnahme des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 20.12.2000 an das VG Ansbach, dort unter 1 u. 2 b), ist nach dem Stellenwert der Aktivitäten des erst im Jahr 2001 ausgereisten Klägers und fehlender Erkenntnisse über die Durchführung einschlägiger Strafverfahren in Indien auch mit einer solchen aktuell nicht zu rechnen. In der Praxis wurden bereits in den Jahren vor 1999 keine Maßnahmen gegen im Ausland aktive, jedoch nicht gewalttätige Mitglieder der ISYF getroffen. Nur bei exponierten Anhängern der Khalistan-Bewegung ist überhaupt mit einer Aufnahme des Namens in Fahndungslisten zu rechnen. (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13.12.1999 an das VG Ansbach). Dem Auswärtigen Amt sind überdies keine Fälle bekannt, in denen allein die Mitgliedschaft in der ISYF in nicht leitender Stellung zu einer strafrechtlichen Verfolgung geführt hätte (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.8.2003 an das VG Sigmaringen; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22.07.2002 an das VG München). Eine in diesem Sinne für den indischen Staat hinreichend bedeutsame leitende Stellung innerhalb der ISYF vermag der Senat aber in einer Vorstandsstellung des Klägers lediglich in einer deutschen Sektion der ISYF Deutschland auf Landesebene mit ihren weniger als 50 Mitgliedern nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang kann auch die für die Öffentlichkeitswirkung indizielle geringe Mitgliederzahl nicht unter Hinweis auf das Verfolgungsinteresse Indiens gegenüber Mitgliedern der - eine vergleichsweise geringere Mitgliederzahl aufweisenden - Babbar Khalsa International relativiert werden, da dieser Organisation schon im Hinblick auf die ihr noch für 1995 und sogar für 2005 (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 7) zugeschriebenen terroristischen Aktivitäten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.7.1996, S. 5, zur Ermordung von Beant Singh) eine anderes Bedrohungspotenzial zukommt. Auch die eigenen Darlegungen des Klägers zu seiner Tätigkeit, die sich auf die Teilnahme an Straßenveranstaltungen, deren Organisation und eine vor der Vertretung Indiens gehaltene Rede erstreckt, deuten nicht auf eine Wahrnehmung von hinreichend bedeutsamen Leitungsfunktionen hin. Entsprechend wird sein Name in den auszugsweise eingereichten Publikationen überwiegend in Namenslisten ohne eigene Stellungnahmen aufgeführt. Diesen kann im Übrigen unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rechtsprechung des Supreme Court ebenfalls kein verfolgungsauslösender Inhalt über Meinungsäußerungen hinaus entnommen werden.

Selbst im Rahmen einer kurzfristigen Verhaftung bei der Einreise, die für Personen mit leitender Stellung innerhalb der ISYF aufgrund einer Aufnahme in indische Fahndungslisten nicht ausgeschlossen wäre (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.8.2003 an das VG Sigmaringen), kann aber nicht von einer Verfolgung des Klägers in Gestalt einer ihm drohenden menschenrechtswidrigen Behandlung durch die Polizei ausgegangen werden, zumal der indische Staat ein derartiges Vorgehen, das auch häufiger in den Krisengebieten auftritt, nicht systematisch fördert, sondern verboten hat und grundsätzlich bestraft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.2003 - 2 BvR 685/03 -, NVwZ 2003, 1499 ff; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 17 f). Ein erhöhtes individuelles Risiko für den Kläger ist auch unter Berücksichtigung seiner exilpolitischen Betätigung nicht ersichtlich. Ebensowenig hat der Kläger in seinen bisherigen Anhörungen die Anhängigkeit eines gerichtlichen Strafverfahrens gegen ihn über Vermutungen hinaus substanziiert oder ein Foltergeschehen als Ursache seiner Narben glaubhaft gemacht.

Im Übrigen rechtfertigen auch die Asylantragstellung des Klägers und sein mehrjähriger Aufenthalt in Deutschland nicht die Annahme, er werde bei einer Rückkehr nach Indien einer politischen Verfolgung ausgesetzt sein. In den letzten Jahren hatten abgeschobene Inder vielmehr an den typischen Einreisepunkten wie Flughäfen keine über eine intensive Prüfung der Einreisedokumente und Befragung hinausgehende Probleme, wobei insbesondere Mitglieder der SSF - anders als ggf. solche der Babbar Khalsa International - ohne ein terroristisches Aktivitiätsprofil nicht mehr verfolgt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 29; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.9.2004, S. 24; Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 3.; Stellungnahme des UNHCR in: Bericht der dänischen Delegation des Rates der Europäischen Union vom 5.7.2000 - CIREA 45 - S. 49/50; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13.12.1999 an das VG Ansbach; OVG Münster, Beschl. v. 17.2.2004 - 3 A 3934/00.A -, Ls. 10, zit nach www.asylis.bafl.de). Für den erst im Jahr 2001 ausgereisten Kläger kann danach insgesamt nicht von einem staatlichen Verfolgungsinteresse und Risiko einer Verhaftung mit Misshandlungen ausgegangen werden.

2. Konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sind danach nicht ersichtlich. Insbesondere zum geltend gemachten Risiko einer Bestrafung mit dem Tode oder einer Misshandlung in Haft kann auf die oben zu 1. erfolgten Darlegungen verwiesen werden.

3. Die in Übereinstimmung mit den Vorgaben der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG stehende Ausreiseaufforderung, Fristsetzung und Abschiebungsandrohung begegnen ebenfalls keinen Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und der entsprechenden Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht keine Veranlassung, die außergerichtlichen Kosten des beteiligten Bundesbeauftragten für erstattungsfähig zu erklären. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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