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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 03.04.2009
Aktenzeichen: 1 B 80/09
Rechtsgebiete: VwGO, SGB VIII


Vorschriften:

VwGO § 123
SGB VIII § 5 Abs. 2
SGB VIII § 35a
SGB VIII § 36 Abs. 1
Zum Anspruch auf einstweilige Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung in einer stationären Einrichtung mit integrierter Ersatzschule.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 B 80/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Eingliederungshilfe; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann und die Richterin am Verwaltungsgericht Berger

am 3. April 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. Dezember 2008 - 1 L 726/08 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung in einer stationären Einrichtung mit integrierter Ersatzschule zu bewilligen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.

Gründe:

Auf die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Er hat glaubhaft gemacht, dass ihm neben einem Anordnungsgrund auch ein Anordnungsanspruch in dem tenorierten Umfang zusteht.

1. Dem Antragsteller steht der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch zu (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gehört der Antragsteller zu dem im Sinne von § 35a SGB VIII hilfebedürftigen Personenkreis. Im Anschluss an seine bevorstehende Entlassung aus der Tagesklinik bedarf er weiterer stationärer Therapiemaßnahmen. Dies ist auch zu Recht zwischen den Beteiligten unstreitig.

2. Der Antragsteller hat zudem einen Anordnungsanspruch auf die Bewilligung von Eingliederungshilfe in Gestalt der Unterbringung in einer stationären Einrichtung mit integrierter Ersatzschule glaubhaft gemacht.

Hat ein Kind oder Jugendlicher - wie hier - gemäß § 35a Abs. 1 SGB VIII einen Anspruch auf Bewilligung von Eingliederungshilfe, ist die Hilfe nach dem im Einzelfall bestehenden Bedarf durch eine der Maßnahmen im Sinne von § 35a Abs. 2 SGB VIII zu gewähren. Dabei hat der Antragsteller nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Soweit in § 5 Abs. 2 Satz 2 und § 36 Abs. 1 Satz 5 SGB VIII das Wunsch- und Wahlrecht eingeschränkt wird, falls mit dem Träger der Einrichtung keine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII geschlossen wurde, kommt dies hier nicht zum Tragen, da nach Mitteilung des Antragsgegners vom 25.3.2009 mit den hier vornehmlich in Rede stehenden Einrichtungen "Kinderheim ....." als auch der "........." durch die jeweils zuständigen öffentlichen Jugendhilfeträger Entgeltvereinbarungen getroffen wurden.

Als geeignete Maßnahme kommt hier nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung allein eine stationäre Unterbringung mit integrierter Ersatzschule in Betracht. Soweit das Verwaltungsgericht noch davon ausging, dass die vom Antragsgegner bewilligte Hilfe in Gestalt einer Unterbringung im Kinderheim ..... bei gleichzeitigem Besuch einer externen öffentlichen Schule ausreichend sei, kann dem ausgehend von den aktuellen Entwicklungen nicht gefolgt werden. Der Antragsteller befand sich seit dem 9.7.2008 in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Sächsischen Krankenhaus . Dieses hatte bereits in seiner fachärztlichen Stellungnahme zum Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII vom 29.7.2008 ausgeführt, dass für den Antragsteller "ein hohes Maß an intensiver pädagogischer und therapeutischer Begleitung erforderlich" sei. Sie empfahl im Weiteren eine "Beschulung in einer Ersatzschule einer therapeutischen Einrichtung für suchtgefährdete Jugendliche". Der Antragsteller wurde am 4.2.2009 aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie entlassen und in einer Tagesklinik weiter betreut. Im Anschluss an die Entlassung hat die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Schreiben vom 25.2.2009 gegenüber dem Senat eine weitere fachärztliche Stellungnahme abgegeben. Hiernach bedarf der Antragsteller auch nach der Entlassung aus der Klinik für einen längeren Zeitraum intensiver stationärer sozialpädagogischer Förderung sowie ambulanter jugendpsychiatrischer Behandlung. Nur unter den Voraussetzungen einer hochstrukturierten Jugendhilfeeinrichtung sei es möglich, einer weiteren Verfestigung der erheblichen Verhaltensauffälligkeiten entgegenzuwirken. Zudem seien Ausbildungsbedingungen notwendig, die dem Leistungsvermögen und der Belastbarkeit des Antragstellers entsprächen, z. B. eine weitere Beschulung in einer Ersatzschule einer therapeutischen Einrichtung für suchtgefährdete Jugendliche. Abschließend weist sie ausdrücklich darauf hin, dass eine Beschulung des Antragstellers in einer öffentlichen Schule zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei.

Ausgehend von dieser fachärztlichen Stellungnahme, die besonderes Gewicht durch den Umstand gewinnt, dass sie auf den Erkenntnissen nach einer gut halbjährigen stationären Unterbringung des Antragstellers in der Stellung nehmenden Klinik beruht, erscheint eine stationäre Hilfeleistung mit externer Beschulung an einer öffentlichen Schule als derzeit ungeeignete Hilfeform und die Hilfeleistung in Gestalt einer Einrichtung mit integrierter Schule als erforderlich. Substanziierte Einwände gegen die fachärztliche Stellungnahme hat der Antragsgegner nicht erhoben.

Ausgehend von der Limitierung des bereits vorgenannten Wunsch- und Wahlrechts des Antragstellers durch den Mehrkostenvorbehalt aus § 5 Abs. 2 Satz 1, § 36 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII sieht sich der Senat allerdings nicht veranlasst, den Antragsgegner in weiterer Präzisierung des vorliegenden Antrages konkret zu einer Bewilligung der Hilfe in Gestalt der Unterbringung in der Einrichtung "........." zu verpflichten. Zwar sind deren Mehrkosten in Vergleich zur Einrichtung "Kinderheim ....." in diesem Zusammenhang unbeachtlich, da mit ersterer ein höherer Bedarf des Antragstellers in Gestalt der integrierten Beschulung abgedeckt wird, so dass die Leistungen dieser beiden Einrichtungen deutlich von einander abweichen. Es liegen dem Senat hingegen keine belastbaren Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die Einrichtung "........." im Vergleich zu Einrichtungen mit einem vergleichbaren Leistungsangebot keine unverhältnismäßigen Mehrkosten aufweist. Deren Feststellung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist weder allein die Höhe eines Kostenunterschiedes noch eine "Kostenhöchstspanne" maßgeblich. Entscheidend ist, ob etwaige Mehrkosten zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme - noch - in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten erschöpft sich deshalb nicht in einem rechnerischen Kostenvergleich, sondern verlangt eine wertende Betrachtungsweise (BVerwG, Beschl. v. 18.8.2003 - 5 B 14/03 - zitiert nach juris, dort Rn. 3f.).

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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